07. Januar 2017
Cinepassion
Dies ist bereits der dritte Band mit psychoana-lytischen Filmdeutungen, der uns aus Zürich er-reicht, wo es inzwischen den Verein „Cinepassion“ gibt, der regelmäßig Filmvorführungen im Kino veranstaltet, die anschließend psycho-analytisch fundiert werden. Zu lesen sind diesmal zwanzig Texte, die uns kreuz und quer durch die internationale Filmgeschichte führen. Ich greife zwölf Texte heraus, die mich beson-ders interessiert haben. Markus Fäh interpretiert AMERICAN BEAUTY von Sam Mendes als Darstellung neurotischer Triebunterdrückungsversuche und HIGH NOON von Fred Zinnemann als Überwindung des Ödipuskomplexes. Alexander Moser entdeckt die Wurzeln des Bösen in Michael Hanekes DAS WEISSE BAND und die unerfüllten Wünsche in Fassbinders DIE SEHNSUCHT DER VERONIKA VOSS. Yvonne Frenzel Ganz bewegt sich im Spiegelkabinett von Spike Jonzes BEING JOHN MALKOVICH und entlarvt den Antagonist „Kindsmörder“ in Fritz Langs M. Ulrich Bahrke diagnostiziert die „gesunde Paranoia“ in Christian Petzolds BARBARA. Dominique Bondy-Oppermann untersucht Michael Hanekes AMOUR und Ulrich Seidls HUNDSTAGE. Vera Saller deutet die Gewaltrituale in Fatih Akins GEGEN DIE WAND. Alle genannten Autorinnen und Autoren gehen psychoanalytisch vor. Die Brücke zur Filmwissenschaft schlägt Johannes Binotto mit seinen Interpretationen von Howard Hawks’ BRINGING UP BABY und Hayao Miyazakis Animationsfilm TONARI NO TOTORO. Eine interessante Lektüre. In drei Jahren können wir hoffentlich mit einem Folgeband rechnen. Mehr zum Buch: products_id/2556
06. Januar 2017
Film-Stills
In der Albertina in Wien ist zurzeit die Ausstellung „Film-Stills. Fotografien zwischen Werbung, Kunst und Kino“ zu sehen (noch bis 26. Februar). Ab 10. Januar zeigt das Österreichische Film-museum in diesem Zusammenhang fünf Pogramme mit zehn Filmen zum Thema „Die Utopie Film“. Der Kurator der Ausstellung, Walter Moser, hat einen beeindruckenden Katalog herausgegeben, der im Kehrer Verlag erschienen ist. Die fünf sehr lesenswerten Texte stammen von Klaus Albrecht Schröder und Alexander Horwath (Vorwort), Walter Moser („Fotografien zwischen Werbung, Kunst und Kino“), Roland Fischer-Briand („Zu Form und Vertrieb der Filmauswertungsfotografie“), Astrid Mahler („Star- und Glamourfotografie im Österreich der Zwischenkriegszeit“) und Winfried Pauleit („Cindy Sherman und das Kino“). Der Bildteil ist in sechs Kapitel strukturiert: Werbebilder, Kunstbilder, Zwischenbilder, Metabilder, Schlüsselbilder, Autorenbilder – im Text von Moser wird dies erläutert. Zu sehen sind Fotos u.a. von Horst von Harbou (NIBELUNGEN, METROPOLIS, FRAU IM MOND), Karl Struss (MALE AND FEMALE), Frank Powolny (SUNRISE), Hans Nathge (FAUST), Sacha Masour (LE SANG D’UN POÈTE), Georges Pierre (L’ANNÉE DERNIÈRE À MARIENBAD, ALPHAVILLE, PIERROT LE FOU), Sam Shaw (THE SEVEN YEAR ITCH), Pierluigi Praturion (LA DOLCE VITA), André Dino (LES QUATRE CENTS COUPS), Angelo Novi (IL VANGELO SECONDO MATTEO), Mario Tursi (LA CADUTA DEGLI DIE) und natürlich viele Bilder von Fotografinnen und Fotografen, die anonym geblieben sind. Die Qualität der Reproduktionen ist hervorragend. Alle Texte auch in englischer Sprache. Mehr zum Buch: 978-3-86828-752-3.html
05. Januar 2017
Pathenheimer: Filmfotografin
Der Film-fotografin Waltraud Pathenheimer (*1932) ist zurzeit im Brandenbur-gischen Medienzen-trum in Potsdam eine schöne Ausstellung gewidmet (zu sehen noch bis zum 17. Febru-ar). Sie wurde kuratiert von dem Kamera-mann Dieter Chill und der Medienwissenschaftlerin Anna Luise Kiss, die auch im Ch. Links Verlag den Katalog herausgegeben haben. Pathenheimer war die erste Frau, die im DEFA-Studio für Spielfilme als Standfotografin tätig war. Zwischen 1954 und 1990 hat sie am Set von 73 Kinofilmen und sieben Fernsehfilmen fotografiert. Ausstellung und Katalog ordnen die Fotos nicht chronologisch, sondern nach unter-schiedlichen Motiven: In Städten, Kontraste, Klassenfeindschaft und Kalter Krieg, Tanzen, Märchenwelten, Widerstand und Opposition, Arbeit, Küsse, Musik, Krieg, In Landschaften, Kriminalitäten, Paare, Bewegung, Abenteuer und Aktion. Zu den Filmen gehören KÖNIGS-KINDER (Titelfoto links), EINE BERLINER ROMANZE, DER SCHWEIGENDE STERN, NACKT UNTER WÖLFEN, JAHRGANG 45, DAS VERSTECK, BÜRGSCHAFT FÜR EIN JAHR und drei Indianer-filme. Vom Herausgeberduo stammt jeweils ein Essay: „Das Gesicht der Filme“ (Dieter Chill) und „Die Spur der Bilder“ (Anna Luise Kiss). Armin Mueller-Stahl hat das Geleitwort geschrieben. Alle Texte auch in englischer Sprache. Ein wichtiger Beitrag zur DEFA-Geschichte. Mehr zum Buch: 3&titel_nr=928
04. Januar 2017
Peter Beauvais
Das Archiv der Akademie der Künste und die Deut-sche Kinemathek geben gemeinsam eine neue Buchreihe heraus: „Fern-sehen, Geschichte, Ästhetik“. Der erste Band ist dem Regisseur Peter Beauvais (1916-1986) gewidmet, also ein Gedenken an seinen 100. Geburtstag. Herausgeber sind Wolfgang Jacobsen für die Deutsche Kinema-thek und Nicky Rittmeyer für das Archiv der Aka-demie der Künste. „Viel-falt als Konzept“ heißt der Untertitel der Publikation, die Leben und Werk von Beauvais auf vorbildliche Weise erschließt. Nach einer „Vorbemerkung“ erinnert Nicky Rittmeyer auf der Basis einer gründlichen Recherche an die Exilstationen von Peter Beauvais von 1936 bis 1953 („Vom Broadway in die Mausefalle“). Rolf Aurich beschäftigt sich mit zwei Kinofilmen von Beauvais, IST MAMA NICHT FABELHAFT? und LIEBE, LUFT UND LAUTER LÜGEN (sie entstanden 1958 und 59). Im Mittelpunkt des Bandes steht der Essay über seine Fernsehspiele und -filme von Wolfgang Jacobsen. Der Autor konnte dafür gut die Hälfte der mehr als 100 Filme sehen und unternimmt den „Versuch einer Inventur“, der er den Titel „Neugier auf Welt. Fantasie als Instanz“ gibt. Die Themen und Formen werden sehr sensibel beschrieben. Ein eigenes Kapitel ist der Opernarbeit von Peter Beauvais gewidmet, die von Julia Glänzel untersucht wird („Erzählen ohne Hintergedanken“). Von Nicky Rittmeyer stammen ein Werkverzeichnis und eine Chronik im Anhang. Mit Abbildungen in akzeptabler Qualität. Wenn die Buchreihe auf diesem Niveau fortgesetzt wird, ist sie ein großer Gewinn für die Fernsehforschung. Mehr zum Buch: WGD1yCjzTV4
03. Januar 2017
Meine Filme des Jahres
Da der Film für mich nicht nur in Büchern stattfindet, sondern auch im Kino, nenne ich zum Beginn des neuen Jahres die jeweils drei für mich schönsten und wichtigsten deutschen und ausländischen Spielfilme 2016.
TONI ERD-MANN von Maren Ade steht für mich auf Platz eins bei den deut-schen Filmen. Deshalb habe ich mich auch sehr gefreut, dass er fünf Europäische Filmpreise in den wichtigsten Kategorien gewonnen hat. Vor allem Sandra Hüller finde ich sensationell gut. Auf Platz zwei sehe ich VOR DER MORGENRÖTE von Maria Schrader, die Exilgeschichte von Stefan Zweig mit Josef Hader. Und auf Platz drei die Verfilmung des Wolfgang Herrndorf-Romans TSCHICK von Fatih Akin mit Tristan Göbel und Anand Batbileg. Bei den ausländischen Filmen sieht die Reihenfolge so aus:
Platz eins PATERSON von Jim Jarmusch, die Geschichte eines Bus-fahrers, der in seiner Freizeit Gedichte schreibt. Platz zwei THE ASSASSIN von Hou Hsiao-sien, ein Blick zurück ins China des 9. Jahrhunderts und die Lebensgeschichte einer Frau, die in den Martial Arts scheinbar unbesiegbar ist. Platz drei FRANTZ von François Ozon, ein weitgehend in Schwarzweiß realisierter Film, der eine deutsch-französische Beziehungsgeschichte während und nach dem Ersten Weltkrieg erzählt.
Weil der Dokumentarfilm für mich eine große Bedeutung hat, nenne ich hier drei , die mich besonders beeindruckt haben: DIE GETRÄUMTEN von Ruth Beckermann, der auf der Grenzlinie zwischen Spielfilm und Dokumentarfilm anzusiedeln ist, CHAMISSOS SCHATTEN von Ulrike Ottinger und PETER HANDKE – BIN IM WALD. KANN SEIN, DASS ICH MICH VERSPÄTE von Corinna Belz. Es gab 2016 auch wieder viele Filme, die wir versäumt haben. Im neuen Jahr soll das besser werden…
02. Januar 2017
Filmbuch des Jahres
Zwölf Filmbücher des Monats habe ich 2016 auf dieser Seite präsen-tiert. Eines mache ich traditionell zu meinem „Filmbuch des Jahres“. Meine drei Kandidaten sind diesmal „The Pro-mise of Cinema“, eine Textsammlung zur deutschen Filmtheorie 1907-1933, herausgege-ben von Anton Kaes, Nicholas Baer und Michael Cowan, „R. W. Fassbinder. Die Filme. 1966-1982“, ein Bilderbuch über sein Lebenswerk, herausgegeben von Juliane Lorenz und Lothar Schirmer, und „Das Walt Disney Film-archiv. Die Animationsfilme 1921-1968“, herausgegeben von Daniel Kothenschulte. Die Nummer eins ist für mich das Buch „R. W. Fass-binder“, erschienen im Verlag Schirmer/ Mosel. Hier ist meine Würdigung vom Juni 2016: filmbuecher/r-w-fassbinder/ .
29. Dezember 2016
Zwischen Flamenco und Charleston
Eine Dissertation, die an der Universität Bonn entstanden ist. Sie untersucht an ausgewählten Beispielen den „Tanz in Litera-tur, Stummfilm und Malerei im Spanien der Moderne“, also in der Zeit zwischen 1900 und 1950. Ein umfangreiches Kapi-tel ist zunächst der Bedeutung des Tanzes und seiner histori-schen Entwicklung in Spanien gewidmet. Speziell dem Fla-menco gilt eine besondere Aufmerksamkeit, weil er – aus Andalusien kommend – sowohl auf der Bühne wie als Volkstanz sehr populär ist. Im Bereich der Literatur konzentriert sich Franz Reza Links auf den Tanz im Werk von Federico Garcia Lorca (1898-1936), in seinen Gedichten und Theaterstücken. Das Kapitel über den Tanz im spanischen Stummfilm ist mit über 100 Seiten das umfangreichste des Bandes. Sehr interessant sind die generellen Vorüberlegungen über das Verhältnis von Tanz und Film in der Zeit der Medienumbrüche zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zwei Filme werden dann detailliert analysiert, beide stammen aus dem Jahr 1927: EL NEGRO QUE TENÍA EL ALMA BLANCA von Benito Perojo nach einem Roman von Alberto Insúa (über die Konflikte eines Tanzpaares in Madrid) und FRIVOLINAS von Arturo Carballo (über die Konflikte zwischen Vater und Tochter in der Revueszene von Madrid). Der Film von Carballo wird vom Autor in der Darstellung des Tanzes als komplexer eingeschätzt. Das dritte Kapitel handelt vom Tanz in der Malerei und richtet den Blick auf den Tänzer und Choreographen Vicente Escudero (1888-1980), der auch als Maler und Zeichner tätig war. Es gibt im Text natürlich zahlreiche Querverweise in die zeitgenössische Malerei. 838 Quellenangaben und Fußnoten sichern den Text wissenschaftlich ab. Die Filmstills und Abbildungen sind in der Qualität grenzwertig. Mehr zum Buch: zwischen-flamenco-und-charleston?c=738
28. Dezember 2016
Alain Bergala
Der Franzose Alain Bergala (*1943) war Herausgeber der Cahiers du Cinéma, hat Bücher über Godard, Rossellini, Bergman, Bunuel und Kiarostami geschrieben, lehrt an der Pariser Filmhoch-schule und an der Sorbonne Nouvelle und ist bestens vertraut mit dem Thema „Film und Schule“. Sein Buch „Kino als Kunst“ erschien 2006 bei Schüren und ist inzwischen vergriffen. In der Reihe der Synema-Publikationen haben jetzt Alejandro Bachmann und Alexander Horwath in Zusammenarbeit mit dem British Film Institute den Band „The Cinema Hypothesis“ herausgegeben, Untertitel: „Teaching Cinema in the Classroom and beyond“. Die acht Kapitel heißen „The Experience has been rewarding“, „The Hypothesis“, „State of Things, State of Mind“, „Cinema in Childhood“, „One Hundred Films for an alternative Culture“, „Toward a Pedagogy of Fragments: Excerpts in Conversation“, „Toward a ‚Creative Analysis’“, „Creating in Classroom: Stepping into creative Practise“. Wer „Kino als Kunst“ nicht kennt oder besitzt, ist mit der englischen Ausgabe bestens bedient. Mit einem Vorwort von Bachmann und Horwath und einem Gespräch von Bachmann mit Alain Bergala. Coverfoto: LES QUATRE CENTS COUPS von François Truffaut. Mehr zum Buch: 1474494605925
27. Dezember 2016
KATZ UND MAUS (1967)
Der Film von Hansjürgen Poh-land nach der Novelle von Günter Grass wurde damals kurzfristig zum politischen Zankapfel, weil er – gefördert vom Kuratorium Junger Deutscher Film – im satirischen Umgang mit deutscher Geschichte Tabus verletzte. Die Konfrontation zwischen CDU und SPD wurde zum Teil sehr persönlich ausgetragen, weil die Söhne von Willy Brandt – Lars und Peter, 16 und 19 Jahre alt – die Hauptrolle spielten, den Gymnasiasten Joachim Mahlke, der an einem übergroßen Adamsapfel leidet, einem Soldaten sein Ritterkreuz stiehlt und damit Schabernack treibt, von der Schule fliegt, freiwillig in den Krieg zieht (der Film spielt im Zweiten Weltkrieg in Danzig), selbst ein Ritterkreuz verliehen bekommt, bei einem Heimaturlaub in die alte Schule zurückkehrt, dort weiterhin keine Anerkennung findet, aus der Truppe desertiert und im Nirgendwo verschwindet. Das ist von Pohland pointiert inszeniert, wichtige Rollen spielen Wolfgang Neuss als Erzählfigur Pilenz und Ingrid van Bergen als Mahlkes Tante, die Kamera führte Wolf Wirth. Die politischen Konflikte wurden damals bereinigt. Sie sind im Booklet der DVD in zeitgenössischen Texten von Peter W. Jansen, Lutz Lehmann, Wolfgang Neuss und Karena Niehoff dokumentiert. Von Stefan Drößler stammt eine „Chronik der Ereignisse“. Auf der DVD findet man noch zwei Kurzfilme: BÜRGER GRASS (1965) von Hansjürgen Pohland und PROJEKT KATZ UND MAUS (1966) von Michael Klier. Im ROM-Bereich gibt es u.a. das Drehbuch, das Presseheft und Aushangfotos. Mehr zur DVD: Katz-und-Maus.html
26. Dezember 2016
DER NACHTMAHR (2015)
An den Weihnachtstagen ist mehr Zeit als sonst, sich DVDs anzuschauen, die kürzlich erschienen sind. Da ich (noch) kein Serien-Junkie bin, sind es vorwiegend alte oder neue Filme, die mich interessieren. Sehens-wert finde ich den deutschen Film DER NACHTMAHR des Regisseurs AKIZ, der eigentlich Achim Bornhak heißt, die Filmakademie in Ludwigsburg absolviert hat, mit dem Fernsehfilm DIE NACHT DER NÄCHTE 1997 debütierte, 2007 den Film DAS WILDE LEBEN über Uschi Obermaier realisiert hat und mit seinem neuen Film in Saarbrücken den Preis der Jugendjury gewann. Einerseits beginnt der Film als traditionelle Coming-of-Age-Geschichte: wie sich die 17jährige Tina aufs Abitur vorbereitet, mit ihren Freundinnen unterwegs ist und mit dem attraktiven Adam ihr Spiel treibt. Andererseits gerät die Geschichte dann außer Kontrolle, als eine fremdartige, hässliche Kreatur in Tinas Leben eindringt und ihre Wahrnehmung dominiert. Ihre Eltern und ein Psychiater können nicht helfen, die Horrorwelt gewinnt die Oberhand. Das ist sehr phantasievoll fotografiert (Kamera: Clemens Baumeister), effektvoll vertont, eindrucksvoll gespielt (Tina: Carolyn Grenzkow) und leistet sich Exkurse in die Film- und Kunstgeschichte. Nicht zu vergessen: Schauplatz des Geschehens ist Berlin. Ein ungewöhnlicher deutscher Film. Mehr zur DVD: 0&id=1014851

