Federico Fellini

Im Essener Folkwang Museum findet zurzeit eine Ausstellung über Federico Fellini statt: Von der Zeichnung zum Film. Sie ist noch bis Februar 2022 zu sehen und wandert anschließend ins Kunsthaus Zürich. Der wunder-bare Katalog ist im Steidl Verlag erschienen. Er dokumentiert 222 Zeichnungen des  Regisseurs, der von seinen Figuren zunächst immer Skizzen angefertigt hat, um sie für sich selbst lebendig zu machen. Sie dienten später auch als Vorlagen für Kostüme, Masken oder Szenenbilder. Zwölf Fellini-Filme werden in der Ausstellung und im Katalog in Erinnerung gerufen, beginnend mit LO SCEICCO BIANCO (1952), endend mit E LA NAVE VA (1983). Neben den Zeichnungen sind auch Fotos und Plakate zu sehen. Credits, Cast und Filmbeschreibungen ergänzen die Abbildungen. Zwei lesenswerte Texte stammen von Tobias Burg, Kurator der Grafischen Sammlung des Folkwang Museums, und Nora Gomringer. Im vergangenen Jahr wäre Fellini hundert Jahre alt geworden. Er gehört noch immer zu den wichtigsten Regisseuren der internationalen Filmgeschichte. Der Katalog ist ein schönes Weihnachtsgeschenk für kulturell interessierte Menschen. Mehr zum Buch: Von-der-Zeichnung-zum-Film-0607485253.html?SID=tyLerEg76721

Der Traumpalast

Filmgeschichte lässt sich auch in der Form eines Romans erzählen. Peter Prange mischt auf unterhaltsame Weise Realität und Fiktion, wenn er uns an der Gründung der Ufa 1917, der Eröffnung des Ufa-Palastes 1919 und der Entwicklung des Film- und Kinokonzerns teilnehmen lässt. Zwei Personen stehen im Mittelpunkt des Geschehens: der Bankierssohn Konstantin Reichenbach, genannt Tino, und die emanzipierte Jüdin Rahel Rosenberg, die eigentlich Journalistin werden möchte, aber bei der Vossischen Zeitung keine Chancen bekommt. Tino und Rahel begegnen sich am Tag der Ufa-Gründung und wenig später in einer Klinik, wo Rahel als Krankenschwester arbeitet. Es beginnt eine Beziehung mit vielen Höhen und Tiefen, an der auch zahlreiche Persönlichkeiten der Filmszene als Beobachter beteiligt sind. Tino ist eng mit dem Produzenten Erich Pommer befreundet und erfolgreich als Finanzdirektor der Universum Film AG. Wichtige Rollen im Roman spielen auch Alfred Hugenberg und Ludwig Klitzsch, Fritz Lang und Thea von Harbou, Major Alexander Grau und Emil Georg von Strauß. Tino wird von seinen Eltern Gustav und Constanze verstoßen, weil sie keine Jüdin in ihrer Familie dulden. Der Geldentzug hat kurzfristig erhebliche Folgen. Das politische und filmhistorische Umfeld ist sehr präzise beschrieben, die Blickwinkel werden in den relativ kurzen Kapiteln ständig gewechselt. Das trägt zur Steigerung der Spannung bei. An die Zeitsprünge muss man sich gewöhnen. Am Ende, auf Seite 799, befinden wir uns im Jahr 1925. Ein schönes Weihnachtsgeschenk für alle, die sich gern zwischen Fiktion und Realität bewegen. Der zweite Band soll im Herbst 2022 erscheinen. Mehr zum Buch: 9AIVGZBoCR1QbQxfEAAYASAAEgLqovD_BwE

DER PASS DES TODES (1978)

Ein Drama aus dem Zweiten Weltkrieg. Die jüdische Familie des Wissenschaftlers John Bergson versucht, über die verschneiten Pyrenäen der Verfolgung von SS-Schergen zu entkommen. Sie erhält die Hilfe eines baskischen Schafshirten. Aber erst der Opfertod der jungen Mutter macht die Flucht erfolgreich. Der Film von J. Lee Thompson profitiert von schauspielerischen Leistungen. James Mason als Professor Bergson, Patricia Neal als seine Frau, Anthony Quinn als baskischer Hirte, Christopher Lee als Zigeuner und vor allem Malcolm McDowell als SS-Offizier von Berkow sind beeindruckend. Elemente des Abenteuerfilms dominieren gegenüber einer differenzierten Darstellung von Lebensgefahr und Verfolgung. Bei Koch Media ist jetzt die Blu-ray des Films erschienen. Mehr zur Blu-ray: der_pass_des_todes_the_passage_blu_ray/

Ungeschnitten

Eine Dissertation, die an der Universität Hildesheim ent-standen ist. Martin Jehle befasst sich darin mit der Geschichte, Ästhetik und Theorie der Sequenzeinstellung im narrativen Kino. Alle wesentlichen Aspekte der Montage werden im Text behandelt. Im ersten großen Kapitel geht es um Bild-produktion und Bildkompo-sition. Gemeint sind Mise en Image und innere Montagen, Kamerabewegungen und Raumwiedergabe, Setbauten und Szenenbild, Lichtsetzung, filmtechnische und gestalterische Kollaborationen, Découpage und Montage. Das zweite Kapitel widmet sich den Parametern der klassischen Sequenzeinstellung. Hier geht es um raumzeitliche Kontinuitäten, Simultaneität und Kopräsenz, die Inszenierung der Zuschauerblicke, die Doppelstruktur der Attraktionen, die ungeteilte Präsentation von Zeit und um Prozessualität. Das dritte Kapitel handelt von den unmöglichen Bildern der Pseudo-Plansequenz. Das meint „unsichtbare“ Bildmontagen und die digitale Konstruktion ungeschnittener Sequenzen. Über 100 Filme werden als konkrete Beispiele herangezogen. Ich nenne ein Dutzend Titel, die besonders wichtig sind: GRAVITY von Alfonso Cuaron, CITIZEN KANE und TOUCH OF EVIL von Orson Welles, LA RÈGLE DU JEU von Jean Renoir, CRONACA DI UN AMORE von Michelangelo Antonioni, ROPE und VERTIGO von Alfred Hitchcock, ELEPHANT von Gus Van Sant, THE SUSPENDED STEP OF THE STORK von Theo Angelopoulos, NOSTALGIA von Andrej Tarkowskij, DAS WEISSE BAND von Michael Haneke, PANIC ROOM von David Fincher. Natürlich spielt auch VICTORIA von Sebastian Schipper eine Rolle. Die Konkretisierung durch Filmbeispiele gibt dem Text eine große Anschaulichkeit. Die Qualität der Abbildungen ist überwiegend sehr gut. Mehr zum Buch: 689-ungeschnitten.html

Hast Du uns endlich gefunden

Edgar Selge ist 73 Jahre alt und ein herausragender Schauspieler. Er hat jetzt ein Buch publiziert, das nicht als Roman und nicht als Autobiografie ausgewiesen ist. Es vergegenwärtigt eine Phase seiner Jugend um 1960 herum. Selges Vater ist Gefängnis-direktor im ostwestfälischen Herford. Seine Liebe gilt der klassischen Musik, es werden in der Familie viele Instrumente gespielt. „Ich geh mal üben, sagt mein Vater, verschwindet im Flügelzimmer und macht hinter sich die Tür zu“, heißt der erste Satz. Edgar hat vier Brüder. Der älteste, Rainer, lebt nicht mehr, er hat mit einer Handgranate gespielt, als Edgar anderthalb Jahre alt war. Andreas stirbt am Ende des Buches mit 19 Jahren an Nierenversagen. Martin und Werner emanzipieren sich von der Familie. Die Kapitel haben Überschriften wie „Hauskonzert“, „Kirmes“, „Todestag“, „Weihnachten“, „Abwasch“, „Kasperpuppen“, „Gelächter“, „Kino“, „Loslassen“. Das Verhältnis zum Vater, der ebenfalls Edgar heißt, ist schwierig. Immer wieder gibt es Schläge und andere Formen der Gewalt. Heimlich geht Edgar spät abends ins Kino. Das Geld dafür klaut er seinem Bruder Werner oder nimmt es aus der Klassenkasse. Einmal träumt er von seiner Mutter, sie wohnt in einem billigen Hotelzimmer. „Wie schön, sagt sie. Hast du uns endlich gefunden.“ Es ist ein wunderbares Buch, das der Schauspieler geschrieben hat. Erzählt im Präsenz, auch wenn die Zeit weit zurückliegt. Spannend, bewegend, gelegentlich auch komisch. Unbedingt lesenswert. Mehr zum Buch: hast-du-uns-endlich-gefunden-9783498001223

Brücke, Switchboard, Theke

Eine Dissertation, die an der Universität Frankfurt entstan-den ist. Verena Mund unter-sucht darin „Working Girls vor Ort“, auf dem Weg zur Arbeit (Brücke), am Arbeitsplatz (Switchboard), in der Freizeit (Theke). Sie analysiert Bilder, Filme und Texte mit dem Blick auf die Schauplätze und die Positionierung der Frauen. Unter den rund 70 Filmen, die sie beispielhaft ausgewählt hat, findet man KITTY FOYLE (1942) von Sam Wood, UNTER DEN BRÜCKEN (1945) von Helmut Käutner, GRAND HOTEL (1932) von Edmund Goulding, LONDALE OPERATOR (1911) von D. W. Griffith, TELEPHONE OPERATOR (1937) von Scott Pembroke, HALLO HALLO – HIER SPRICHT BERLIN (1932) von Julien Duvivier, VIVRE SA VIE (1962) von Jean-Luc Godard, ANGST ESSEN SEELE AUF (1974) von Rainer Werner Fassbinder, EVERY GIRL SHOULD BE MARRIED (1947) von Don Hartman und VERTIGO (1958) von Alfred Hitchcock. Mit großer Genauigkeit werden die Perspektiven der Kamera, die Montage und das Verhalten der Protagonistinnen beschrieben. Dies geschieht auch für Werke der Bildenden Kunst und der Literatur. Ein Basistext zur Körpersprache. Mit Abbildungen in sehr guter Qualität. Mehr zum Buch: working-girls-vor-ort/?number=978-3-8376-5608-4

Der Fädenzieher

Er arbeitete vorwiegend unsichtbar, im Hintergrund, als Hilfsregisseur oder Aufnahme-leiter, und über sein Leben ist bisher wenig publiziert worden. Es gibt auch keinen Wikipedia-Eintrag. Uli Jürgens hat jetzt im Mandelbaum Verlag eine Bio-grafie über das ungewöhnliche Leben von Arthur Gofflein (1895-1977) veröffentlicht. Gofflein, jüdischer Herkunft, hat an zahlreichen österreichischen Filmproduktionen mitgewirkt, meist als Assistent, gelegentlich auch als Regisseur. Arthur und seine Frau Hermine gehen 1939 ins Exil, zunächst nach Manila, dann nach Shanghai. Dort arbeitet Arthur als Puppenspieler. 1949 kehrt das Paar nach Wien zurück. Dort ist er in verschiedenen Bereichen tätig. 1976 wird er zum Professor ernannt. Drei Jahre später stirbt er. Seine Frau Hermine folgt ihm 1982. Eine unerschöpfliche Quelle waren für die Biografin die Kalender von Arthur Gofflein, in denen er seit 1928 alle wichtigen (und viele unwichtige) Ereignisse notiert hat. Sein Nachlass wurde vom Filmarchiv Austria erworben. Dazu gehören auch zahlreiche Fotos, die dem Buch eine zusätzliche Stärke geben. Unbedingt lesenswert. Mehr zum Buch: uli-juergens/der-faedenzieher/

MAGIC CHRISTIAN (1969)

Eine englische Komödie von Joseph McGrath, die über 50 Jahre alt, aber noch immer sehr sehenswert ist. Der schwer-reiche Exzentriker Sir Guy Grand (gespielt von Peter Sellers) adoptiert den obdachlosen Youngman (Ringo Starr) und beweist ihm, wie leicht sich Menschen kaufen lassen. Bei einer Hamlet-Aufführung macht der Hauptdarsteller Striptease, bei einem Weltmeisterschaftskampf küssen sich die Gegner statt zu boxen. Guy Grand hat sie zuvor bestochen. Bei einer geplanten Kreuzfahrt mit dem Schiff „Magic Christian“ tauchen Dracula und King Kong auf, um die Passagiere zu erschrecken. Auch eine Schiffskatastrophe lässt sich simulieren. Aber das Boot ist gar nicht erst abgefahren. Am Ende wirft Guy Grand in einen Riesenbottich mit Kot, Urin und Blut einen Koffer mit Bargeld. Zahlreiche Menschen springen hinein, um sich zu bereichern. Guy Grand und Youngman wenden sich ab. Viele kleinere Rollen sind groß besetzt: Richard Attenborough spielt einen Oxford-Trainer, Laurence Harvey den Hamlet, Christopher Lee Dracula, Roman Polanski einen einsamen Trinker, Raquel Welch die „Herrin der Peitsche“, Yul Brynner einen Lady-Singer, John Cleese den Direktor bei Sotheby’s. Und Peter Sellers ist der Fädenzieher. Am Drehbuch haben die „Monty Python“-Gründer John Cleese und Graham Chapman mitgewirkt. Bei Koch Media sind jetzt DVD und Blu-ray des Films erschienen. Sehr zu empfehlen. Mehr zur DVD: /film/the_magic_christian_dvd/

Von Pionieren und Piraten

13 Texte widmen sich dem DEFA-Kinderfilm in seinen kulturhistorischen, film-ästhetischen und ideologischen Dimensionen. Werner C. Barg sieht die Kindheitsdarstellung in Gerhard Lamprechts IRGENDWO IN BERLIN (1946) als Spiegel gesellschaftlicher Umstände. Sonja E. Klocke befasst sich mit den generationen-spezifischen Metamorphosen in Heiner Carows SHERIFF TEDDY (1957). Christian Rüdiger reflektiert über die Affektrhetorik utopistischer Gemeinschaftsbildung in Wolfgang Schleifs DIE STÖRENFRIEDE (1953). Steffi Ebert beschreibt den DEFA-Kinderfilm der frühen 1980er Jahre als künstlerische Auseinandersetzung mit dem DDR-Familienalltag. Sebastian Schmideler verortet die DEFA-Kinderserie SPUK IM HOCHHAUS (1981/82) zwischen phantastischem Genre, Ästhetik des Komischen und sozialer Alltagskritik. Bettina Kümmerling-Meibauer und Jörg Meibauer beschäftigen sich mit dem Buch „Daniel und der Weltmeister“ von Vera und Caus Küchenmeister und der Verfilmung von Ingrid Meyer (1963). Bei Michael Brodski geht es um die Universalität des DEFA-Märchenfilms. Henrike Hahn äußert sich zu dem Jugendroman „Insel der Schwäne“ von Benno Pludra und der Verfilmung von Herrmann Zschoche (1983). Jeanette Toussaint und Ralf Forster richten ihren Blick auf die multimediale Erfolgsfigur BUMMI. Andy Räder untersucht die Spezifik des DEFA-Kinderfilms der frühen 1960er Jahre. Marie Christin Krämer erforscht den Kult um den Film DREI HASELNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL (1973), der inzwischen als der wohl bekannteste DEFA-Kinderfilm gilt und mit der CSSR koproduziert wurde. Von Carolin Führer stammt ein Beitrag über die kindliche Filmrezeption. Ein Gespräch mit dem Regisseur Walter Beck schließt den Band ab. Er summiert Erkenntnisse zum DEFA-Kinderfilm aus heutiger Perspektive. Mit Abbildungen in akzeptabler Qualität. Mehr zum Buch: Hg_Von_Pionieren_und_Piraten/

A Lifetime Full of Fantasy

Fantasy gehört zu den populärsten Genres der letzten Jahrzehnte, beginnend mit dem Animationsfilm DER HERR DER RINGE von Ralph Bakshi (1978). Aber es gab auch Phasen, in denen Fantasy erfolglos war. Sassan Niasseri führt uns in seinem Buch durch die verschiedenen Universen des Fantasyfilms. Er schlägt zunächst einen Bogen von Ralph Baksi zu Peter Jackson, der von 2001 bis 2003 drei Teile von LORD OF THE RINGS in die Kinos brachte und damit große Erfolge hatte. Drei bekannte Regisseure verzweifelten an ihren Fantasyfilmen: Jim Henson mit THE DARK KRYSTAL (1982), David Lynch mit DUNE (1984) und Ridley Scott mit LEGEND (1985). John Boorman war mit EXCALIBUR 1981 sehr erfolgreich, wie auch John Milus 1982 mit CONAN THE BARBARIAN. Der publikumsstärkste deutsche Fantasyfilm war DIE UNENDLICHE GESCHICHTE von Wolfgang Petersen nach dem Roman von Michael Ende, 1984 produziert von Bernd Eichinger. Ein eigenes Kapitel widmet Niasseri Disney und „Sword and Sorcery“. In den späten 80er Jahren nahm der Fantasyfilm eine längere Auszeit. Eine neue Erfolgsphase hatte er als Serie in den 2010er Jahren mit GAME OF THRONES. Acht Staffeln wurden produziert und hatten weltweit ein großes Publikum. Der Text von Sassan Niasseri ist informativ, erzählt das Auf und Ab sehr anschaulich und nennt Gründe für Misserfolge. Es gibt Interviews mit Ralph Bakshi, David Bennent, Sven-Ole Thorsen, Tami Stronach, Klaus Doldinger, Phil Tippett und John Carpenter. Das Inhaltsverzeichnis ist ein Chaos, aber man sollte das Buch wirklich von vorne bis hinten durchlesen, dann hat man viel über den Fantasyfilm gelernt. Mit Abbildungen in sehr guter Qualität. Mehr zum Buch: titel/693-a-lifetime-full-of-fantasy.html