Wie Stories zu History werden

Eine Dissertation, die an der Universität Magdeburg ent-standen ist. Björn Bergold untersucht darin die Authenti-zität von Zeitgeschichte im Spielfilm. Der zweiteilige TV-Film DER TURM von Christian Schwochow nach dem Roman von Uwe Tellkamp war der Ausgangspunkt für die Befragung von 18 Schülerinnen und Schülern in Braunschweig und Magdeburg nach ihrer Rezeption des Films und der dort vermittelten Geschichte des Endes der DDR. Wie unterscheiden sich fiktionale und dokumentarische Darstellung? Die detailliert transkribierten Gespräche mit den 18 Jugendlichen sind in langen Auszügen zu lesen und werden vom Autor kommentiert. Es geht im Zentrum um die Ressourcen der Authentifizierung und Merkmale des Authentifizierungs-Prozesses. Einerseits gibt es eine Skepsis gegenüber der fiktionalen Vermittlung, andererseits werden viele Details in der filmischen Darstellung als authentisch eingeschätzt. Die Studie hat nicht nur für die Geschichtswissenschaft eine erhebliche Bedeutung, sie ist auch für die Medienwissenschaft gewinnbringend. Keine Abbildungen. Mehr zum Buch: 978-3-8376-4935-2

DIE SIEGER (1994)

Als Dominik Grafs Thriller DIE SIEGER vor 25 Jahren in die Kinos kam, wurde er zum Flop und spielte nur einen Bruchteil seiner Produktionskosten (zwölf Millionen DM) ein. Zu dialog-lastig, zu chaotisch montiert, hieß es in den Reaktionen der Kritik und des Publikums. Wenn man jetzt die zehn Minuten längere Fassung, den „Director’s Cut“ sieht, der von Concorde als DVD publiziert wurde, entdeckt man große Qualitäten. Erzählt wird die spannende Geschichte des Polizeihauptmeisters Karl Simon und seines Spezialeinsatzkommandos in Düsseldorf, bei der sein Kollege Heinz Scharfer ins Geschehen eingreift, der eigentlich als tot gilt. Bei den Ermittlungen geht es um eine Korruptionsaffäre hochrangiger Politiker, ein Staatssekretär wird entführt, die Fronten sind nur schwer zu unterscheiden. Der Schauplatz verlagert sich schließlich nach Mittenwald, wo es auf einer Bergstation zum Showdown kommt. Herausragend ist die Besetzung: Herbert Knaup als Karl Simon, Hannes Jaenicke als Heinz Schaefer, Thomas Schücke als Staatssekretär Dessaul, Katja Flint als dessen Frau Melba, Meret Becker als „Sunny“ Schaefer, Hansa Czypionka, Heinz Hoenig, Heinrich Schafmeister, Natalia Wörner in kleineren Rollen. 148 Minuten, sehr sehenswert. Den Text im Booklet hat Olaf Möller verfasst. Mehr zur DVD: acc490f4a9933

DAS SCHÖNSTE PAAR (2018)

Malte und Liv, ein Lehrer-ehepaar aus Berlin, verbringen einen schönen Urlaub auf Mallorca, bis eines Nachts drei junge Deutsche in ihr Ferien-haus eindringen. Malte wird gefesselt, Liv vergewaltigt. Die Täter verschwinden. Nachhause zurückgekehrt therapieren Malte und Liv ihr Traumata, Malte im Boxring, Liv auf der Psychocouch. Eines Nachts begegnet Malte dem Vergewal-tiger in einem Dönerimbiss, verfolgt ihn, ermittelt seine Wohnung und seinen Arbeitsplatz. Die Konfrontationen eskalieren. Der Film von Sven Taddicken ist ein subtiles Psychodrama, in dem Malte und Liv sich unterschiedlich verhalten. Sie werden von Maximilian Brückner (Malte) und Luise Heyer (Liv) sehr differenziert dargestellt. Hinter der Kamera stand Daniela Knapp. Bei Polyband/WVG ist jetzt eine DVD des Films erschienen, die ich allen empfehlen kann, die den Film nicht im Kino gesehen haben. Mehr zur DVD: main_public

Der kinematografische Vasari

In neun Beiträgen geht es um die Ästhetik des filmischen Künstlerporträts. Norbert M. Schmitz – von dem auch eine ausführliche Einleitung stammt – äußert sich zur Genese des Künstlerfilms in den fünfziger Jahren („A Star is born“). Beat Wyss informiert über die mediale Verfrachtung eines Künstlerbildes am Beispiel des Films THE AGONY AND THE ECSTASY (1965) von Carol Reed mit Charlton Heston als Michelangelo. Hans J. Wulff richtet seinen Blick auf den „Künstler zwischen Hofmalerei und revolutionärer Kunst“, konkreti-siert an dem Film GOYA ODER DER ARGE WEG DER ERKENNTNIS (1971) von Konrad Wolf. Barbara Schrödl beschäftigt sich mit der Darstellung von Rembrandt im NS-Film („Das ‚leidende Genie’ als Versprechen nationalen Überlebens“). Theresa Georgen analysiert zwei Filme, in denen die Künstlerinnen Artemisia Gentilesci und Camille Claudel im Mittelpunkt stehen („Hysterisch, exaltiert, verzweifelt“). Norbert M. Schmitz sieht in seinem zweiten Beitrag den Filmkünstler als Ikonenmaler: ANDREJ RUBLJOW von Andrej Tarkowskij. André Wendler untersucht den CARAVAGGIO-Film (1986) von Derek Jarman. Marcus Stiglegger fragt, wie groß der Einfluss von Francis Bacon auf den Film LOVE IS THE DEVIL – STUDY FOR A PORTRAIT OF FRANCIS BACON (1998) von John Maybury war. Thomas Meder sucht nach Motiven von Edward Hopper im Hollywoodkino. Alle Beiträge sind sachkundig und lesenswert. Mit Abbildungen in sehr guter Qualität. Kleine Merkwürdigkeit: der Regisseur des Van-Gogh-Films LUST FOR LIFE, Vincente Minnelli, wird im Buch durchgehend mit einem n geschrieben. Mehr zum Buch: der-kinematografische-vasari

Eberhard Fechner

Seine dokumentarischen und fiktionalen Fernsehfilme gehö-ren für mich zum Besten, was ich in den 60er, 70er und 80er Jahren gesehen habe. NACH-RUF AUF KLARA HEYDE-BRECK (1969) ist ein Film, der für mich Maßstäbe gesetzt hat. DIE COMEDIAN HARMONISTS (1976, zwei Teile) gelten als Musterbeispiel für einen Interviewfilm. Der dreiteilige Dokumentarfilm DER PROZESS (1984) war eine herausragende Dokumentation des Majdanek-Verfahrens, ein Ergebnis achtjähriger Arbeit. Eberhard Fechner (1926-1992) gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Akademie der Künste 1984, initiierte eine „Deutsche Mediathek“, die es in seinem Sinne inzwischen im Filmhaus am Potsdamer Platz gibt. 1989 hat Egon Netenjakob im Quadriga Verlag das wunderbare Buch „Eberhard Fechner. Lebensläufe dieses Jahrhunderts“ veröffentlicht, das in enger Zusammenarbeit mit dem Protagonisten entstand. Heute Abend wird in der Akademie der Künste ein neues Buch über ihn vorgestellt, das Rolf Aurich und Torsten Musial im Verlag edition text + kritik herausgegeben haben, sein Untertitel: „Chronist des Alltäglichen“. Der zentrale Text stammt von Matthias Dell: „Dialoge für die Urenkel. Anmerkungen und Hintergründe zum Werk des Filmemachers Eberhard Fechner“. Die Lektüre ist beeindruckend durch die konkrete Beschreibung der Filme. Rolf Aurich stellt die Verbindung zwischen Fechners Akademie-Projekt einer Deutschen Mediathek mit der heutigen Mediathek Fernsehen der Deutschen Kinemathek her. Von Sven Kramer stammt ein wichtiger Beitrag über Eberhard Fechners Interaktion mit Zeitzeugen in ausgewählten Interviews für die Fernsehproduktion DER PROZESS. Jan Gympel informiert über die nicht gedrehten Filme Eberhard Fechners („Vergeblich“). Torsten Musials Chronik ist hervorragend recherchiert und mit vielen Abbildungen bereichert. Von Musial stammt auch ein detailliertes Werkverzeichnis. Band 4 der Reihe „Fernsehen. Geschichte. Ästhetik“, vorbildlich in der Erschließung eines Werkes. Mehr zum Buch: Xd0mETvl5W8

Dieser Tageseintrag ist meiner Schwester Annelore gewidmet, die heute ihren 85. Geburtstag feiert. Mein herzlichster Glückwunsch geht zu ihr nach Baden-Baden.

PETER LILIENTHAL 90

Heute wird der Filmregisseur Peter Lilienthal 90 Jahre alt. Er wurde in Berlin geboren, emi-grierte mit seiner Mutter 1939 nach Uruguay, kehrte 1954 nach Berlin zurück, studierte an der Hochschule der Künste, drehte 1958 seinen ersten Kurzfilm und arbeitete von 1961-64 als Autor und Regisseur beim Süd-westfunk. Sein erster Spielfilm war MALATESTA (1970). Für den Film DAVID erhielt er 1979 den Goldenen Bären der Berlinale. 1984 wurde Peter Lilienthal Gründungsdirektor der Abteilung Film- und Medienkunst der Akademie der Künste in Berlin. Seine „Sommerakademien“ in den 90er Jahren sind legendär. Inzwischen ist München sein Lebensmittelpunkt. – Zu seinem 90. Geburtstag sind drei seiner Filme als DVD erschienen: DEAR MR. WONDERFUL (1982), DAS AUTOGRAMM (1984) und DAVID. Auf einer Bonus-DVD ist der Film EINE SPRACHE FÜR FREUNDE – LEBEN UND WERK VON PETER LILIENTHAL (2019) von Johannes Magerer zu sehen. Das Booklet enthält einen Essay von Michael Töteberg und Produktionsnotizen von Johannes Kagerer. – Ich kenne Peter Lilienthal seit Mitte der 60er Jahre, schätze ihn und seine Filme sehr und gratuliere herzlich zum heutigen Geburtstag. Mehr zur DVD: peter-lilienthal-archiv-1/

Klassiker der Filmmusik

2009, also vor zehn Jahren, er-schien in der gelben Reihe des Reclam Verlages die Erstausgabe der „Klassiker der Filmmusik“, herausgegeben von Peter Moor-mann. Der Band war damals mein Filmbuch des Monats Juni (klassiker-der-filmmusik/). Jetzt ist in der Reihe „Reclam Sachbuch premium“ eine ergänzte Neuauflage publiziert worden. Aus der Produktion der vergangenen zwölf Jahre haben es vier Filme in den Rang von Klassikern der Filmmusik geschafft: THERE WILL BE BLOOD (2007) von Paul Thomas Anderson mit der Musik von Jonny Greenwood, THE SOCIAL NETWORK (2010) von David Fincher mit der Musik von Trent Reznor und Atticus Ross (Oscar 2011 für die beste Filmmusik), THE GRAND BUDAPEST HOTEL (2014) von Wes Anderson mit der Musik von Alexandre Desplat (Oscar 2014 für die beste Filmmusik) und ARRIVAL (2016) von Denis Villeneuve mit der Musik von Jóhann Jóhannsson. Hinzugefügt wurden Texte zu drei älteren Filmen: THE BIRDS (1963) von Alfred Hitchcock mit der Musik von Oskar Sala, Remi Gassmann und Bernard Herrmann, THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE (1974) von Tobe Hooper mit der Musik von Tobe Hooper und Wayne Bell, THE ENGLISH PATIENT (1996) von Anthony Minghella mit der Musik von Gabriel Yared (Oscar 1997). Es hat eine Logik, das alte gelbe gegen das jetzt neue rote Buch auszuwechseln (10 € ). Coverfoto: Peter Sellers in THE RETURN OF THE PINK PANTHERS (1975). Mehr zum Buch: Klassiker_der_Filmmusik

Zwei Filme von Jacques Demy

Der französische Regisseur Jacques Demy (1931-1990) hatte seine beste Phase in den 1960er Jahren, begin-nend mit dem Film LOLA. Seine bekanntesten Filme sind DIE REGENSCHIRME VON CHER-BOURG (1964) und DIE MÄD-CHEN VON ROCHEFORT (1967). Diese beiden Musicals kann man als Antipoden zu den politisch orientierten Filmen von Jean-Luc Godard sehen. Sie erzählen auf phantasievolle Art Liebesgeschich-ten aus der französischen Provinz. Die Musik stammt jeweils von Michel Legrand. Im CHERBOURG-Film (er gewann 1964 in Cannes die Goldene Palme) spielen Catherine Deneuve, Nino Castelnuovo und Anne Vernon die Hauptrollen, im ROCHEFORD-Film Catherine Deneuve, Françoise Dorléac, Jaques Perrin und George Chakiris. Bei StudioCanal sind jetzt DVDs der beiden Filme erschienen, die noch einmal ihre großen Qualitäten deutlich machen. Mehr zu den DVDs: digital_remastered

SWEET COUNTRY (2017)

Der Film spielt in Australien im Jahr 1929. Es sind vor allem Männer, die in Konflikte geraten: der Aborigine Sam Kelly, der für den Prediger Fred Smith auf einer Farm arbeitet, der verbitterte Kriegsveteran Harry March, der eine Farm in der Nachbarschaft erwirbt, der junge Philomac, der von Harrys Farm flüchtet. Die erste Konfrontation zwischen Sam und Harry hat Harrys Tod zur Folge. Jetzt ist Sam im Visier einer von Sergeant Fletcher geleiteten Verfolgungsgruppe. Die Story nimmt viele überraschende Wendungen. Es gibt kein Happyend. Der Film wurde von dem australischen Regisseur Warwick Thompson inszeniert, er hat große Qualitäten in der Kameraführung und schauspielerischen Besetzung. Die Uraufführung fand 2017 in Venedig statt. Bei Absolut Medien ist jetzt eine DVD des Films erschienen, die allen zu empfehlen ist, die an spannenden Filmen und australischer Geschichte interessiert sind. Mehr zur DVD: Sweet+Country

Märchen im Wandel: Cinderella

Eine Dissertation, die an der Universität Siegen entstanden ist. Maria Reuber untersucht darin ausgewählte Aschenputtel-Adaptionen. Es gibt drei literarische Quellen als „Filmfundgruben“: „Aschenputtel oder der kleine gläserne Schuh“ von Charles Perraults (veröffentlicht 1697), „Aschenputtel“ der Brüder Grimm (1812) und „O Popelusve“ von Božena Němcová (1845). Sieben Filme hat die Autorin für Ihre Analysen ausgesucht: den Animationsfilm CINDERELLA (USA 1950) von Walt Disney, ASCHENPUTTEL (BRD 1955) von Fritz Genschow und Gerhard Huttula mit Rita-Maria Nowotny in der Titelrolle, den Tanzfilm THE GLASS SLIPPER (USA 1955) von Charles Walters mit Leslie Caron, DREI HASENNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDERL (CSSR/DDR 1973) von Bohumila Zelenková mit Libuše Šafránková, ASCHENPUTTEL (BRD/FRA/SPA/CSSR 1989) von Karin Brandauer mit Petra Vigna, EVER AFTER: A CINDERELLA STORY (USA 1998) von Andy Tennant mit Drew Barrymore und A CINDERELLA STORY (USA 2004) von Mark Rosman mit Sam Montgomery. Jedem Film widmet die Autorin eine eigene Analyse, beschreibt Parallelen und Unterschiede, macht auf spezielle Qualitäten aufmerksam. In den filmübergreifenden Schlussbetrachtungen geht es vor allem um das „handlungsbeeinflussende Frauenbild“ – denn „Aschenputtel hat viele Gesichter“. Das Buch hat mir gut gefallen. Keine Abbildungen. Mehr zum Buch: 978-3-339-11102-9.htm