Roger Corman

Er war seit Mitte der 50er Jahre eine Schlüsselfigur des unab-hängigen amerikanischen Kinos, hat bei 55 Filmen Regie geführt und über 300 Filme produziert, den letzten 2017. Bisher gab es keine deutsch-sprachige Publikation über Roger Corman. Aber das Warten hat sich gelohnt. Robert Zions Monografie mit dem Untertitel „Die Rebellion des Unmittel-baren“ ist exzellent. In acht Kapiteln erschließt der Autor das Werk des Regisseurs, richtet unseren Blick auf spezielle Genre (Frauen-Western, Science Fiction, Horror, Gangster, Hippie-Film), befasst sich dabei ausführlicher mit 16 Filmen, darunter den „Klassikern“ HOUSE OF USHER, MACHINE GUN KELLY, BLOODY MAMA, THE WILD ANGELS, THE TRIP. Natürlich kennt Zion die amerikanische Literatur über Corman inklusive dessen Autobiographie „How I Made A Hundred Movies in Hollywood and Never Lost a Dime“ (1998), aus der er gelegentlich zitiert, aber es sind vor allem seine eigenen Beobachtungen, die die Lektüre spannend machen. Inhalt und Form der Filme werden so präzise beschrieben, wie man es selten liest. Ein letztes, neuntes Kapitel erzählt die Geschichte des Produzenten Corman und seiner Firma „New World Pictures“. 2009 erhielt er den Ehren-Oscar. Robert Zion lebt als Journalist in Gelsenkirchen, ist politisch engagiert und hat bisher drei Monografien zu Filmthemen publiziert: über William Castle, Vincent Price und Dario Argento. Er gestaltet seine Bücher selbst. Die Qualität der rund 140 Abbildungen und zehn Farbtafeln ist hervorragend. Ich bin beeindruckt! Coverfoto: THE TOMB OF LIGEIA. Mehr zum Buch: die-rebellion-des-unmittelbaren

Raum/Akteure

Eine Dissertation, die an der Universität Bonn entstanden ist. Philipp Scheid untersucht darin „Inszenierte Landschaften in den frühen Filmen von Wim Wenders“. Gedanken zur Diskursgeschichte der filmischen Landschaftsdar-stellung und – als Gegenbeispiel – zum „eklektizistischen“ Blick auf die Natur in Stanley Kubricks BARRY LYNDON sind als Einleitungskapitel formuliert. Es folgt eine kurze Erinnerung an die Entwicklung des bundesdeutschen Autorenfilms in den 1960er und 70er Jahren. Dann geht es um den klassischen und den kritischen Heimatfilm, um NACHTSCHATTEN von Niklaus Schilling, FALSCHE BEWEGUNG von Wim Wenders, HERZ AUS GLAS von Werner Herzog. Das Hauptkapitel ist auf den „Orts-Sinn“ in den frühen Filmen von Wenders fokussiert: SILVER CITY REVISITED, 3 AMERIKANISCHE LP’S, ALICE IN DEN STÄDTEN, IM LAUF DER ZEIT, THE STATE OF THINGS. Schließlich richtet sich der Blick des Autors noch auf Fenster und Sehen, Reisen und Bewegung, Musik und Gefühl. Eine Schlussbetrachtung summiert Ergebnisse. Der Anhang enthält Auszüge aus Interviews mit der Szenografin Heidi Lüdi und dem Kameramann Jörg Schmidt-Reitwein, sowie Sequenzprotokolle zu NACHTSCHATTEN und SILVER CITY REVISITED. Mit 54 Abbildungen in akzeptabler Qualität. Eine lesenswerte Dissertation. Mehr zum Buch: raum-akteure/

Schlechtes Gedächtnis?

Der Band dokumentiert die Arbeit einer Filmsichtungs-gruppe zum Thema „Film und jüdische Themen“. Es geht um „Kontrafaktische Darstellungen des Nationalsozialismus in alten und neuen Medien“. 15 Beiträge sind den drei Kapiteln „Film und Geschichte“, „Spiel und Wiederholung“, „Rache und Überleben“ zugeordnet. Acht Texte haben mich besonders beeindruckt. Chris Wahl richtet seinen Blick auf „Alternative Geschichte(n) und die Amazon-Serie THE MAN IN THE HIGH CASTLE“. Drehli Robnik beschäftigt sich mit Kontrafaktik, jüdischer Agency und ihrem politischen Potenzial im Postfaschismus bei Spielberg und Tarantino. Irina Gradinari informiert über „Ästhetische Alternativen des Zweiten Weltkriegs im russischen Gegenwartskino“. Caspar Battegay reflektiert über Spielelemente des kontrafaktischen Erzählens in Film (Beispiel: INGLORIOUS BASTERDS) und Literatur. Sandra Nuy erinnert an Hitler-Bilder im Independent-Film der 1980er Jahre. Bei Alexander Wagner geht es um den Film 100 JAHRE ADOLF HITLER von Christoph Schlingensief. Raphael Rauch befasst sich mit dem Film ZAHNSCHMERZEN von Michael Kehlmann. Von Jonas Engelmann stammt ein Beitrag über Nazis im Comic. Die genannten Texte haben mich vor allem durch ihre Konkretisierungen überzeugt. Die Herausgeber*innen Johannes Rhein, Julia Schumacher und Lea Wohl von Haselberg haben dem Band eine 40seitige informative Einleitung vorangestellt. Mit Abbildungen in guter Qualität. Mehr zum Buch: schlechtes-gedaechtnis

Qualität

Das Schwerpunktthema des Schweizer Filmjahrbuchs ist diesmal „Qualität“. Elf Texte sind ihm gewidmet, sechs haben mir besonders gut gefallen. Henry M. Taylor beschäftigt sich mit „Dramaturgien journalistischer Qualität im Reporterfilm“ und stellt dabei ALL THE PRESIDENT’S MEN (1976) von Alan J. Pakula in den Mittelpunkt. Bei Marius Kuhn geht es um Clint Eastwood und drei seiner letzten Filme: AMERICAN SNIPER, SULLY und THE 15:17 TO PARIS. Die Beschreibungen und Verknüpfungen sind beeindruckend. Simon Meier äußert sich zur wechselhaften Rolle der Filmkritik bei Siegfried Kracauer. Josephine Diecke informiert über Farbfilme aus Wolfen im Qualitätswettstreit. Margarete Wach befasst sich mit Amateurfilmclubs in Polen 1953-1989. Michel Bodmer schildert seine Erfahrungen als Filmredakteur beim Schweizer Fernsehen und als Mitarbeiter des „Filmpodiums“ der Stadt Zürich. Der „Filmbrief“ kommt in diesem Jahr aus Kambodscha und ist ein Erfahrungsbericht von den Dreharbeiten zu MIRR. In der „Sélection Cinema“ werden wieder 33 Filme der Saison 2017/18 vorgestellt. Auch das 64. Jahrbuch bietet interessanten Lesestoff. Mehr zum Buch: 600-qualitaet.html

Regisseurinnen der DEFA

„Sie“ – so der Titel dieser beeindruckenden Publikation – das sind die Regisseurinnen der DEFA, die in 46 Jahren für diese Firma Spiel-, Dokumentar-, Kurz- oder Animationsfilme realisiert haben. Es waren insgesamt 63. Sie werden in alphabetischer Reihenfolge porträtiert. Natürlich kenne ich, weil mich die DEFA immer interessiert hat, viele Namen, zum Beispiel Iris Gusner, Karola Hattop, Barbara Junge, Helke Misselwitz, Gitta Nickel, Ingrid Reschke, Ingrid Sander, Elke Schieber (aber mehr als Filmhistorikerin), Evelyn Schmidt, Sibylle Schönemann, Annelie Thorndike, Tamara Trampe, Petra Tschörtner, Hannelore Unterberg. Aber die Mehrzahl ist mir gänzlich unbekannt. Vier Jahre wurde für dieses Buch recherchiert, das Herausgeberduo Cornelia Klauß und Ralf Schenk hat 19 Autorinnen und Autoren für die Textmitarbeit gewonnen, darunter Barbara Felsmann, Jan Gympel, Günter Jordan, Claus Löser, Dorett Molitor, Anke Westphal. Elf Porträts stammen von Connie Klauß, sechs von Ralf Schenk. Die Porträts haben einen Umfang von einer bis sieben Seiten, angefügt ist jeweils eine Filmografie, in der neben der Regie auch andere Funktionen aufgelistet sind. Bei den Recherchen hat Johannes Roschlau sehr aktiv mitgewirkt. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist ideal: synchron mit der Retrospektive der Berlinale über die Perspektiven von Filmemacherinnen in Deutschland von den 60er bis in die 90er Jahre. Der Retro-Titel „Selbstbestimmt“ war für die Regisseurinnen der DEFA allerdings die seltene Ausnahme. Zwei DVDs mit 18 Filmen sind der Publikation beigefügt, neben vielen Kurzfilmen enthalten sie die Spielfilme KENNEN SIE URBAN? von Ingrid Reschke und ISABEL AUF DER TREPPE von Hannelore Unterberg. Coverfoto: Helke Misselwitz und Kameramann Thomas Plenert bei den Dreharbeiten zu HERZSPRUNG (1992), fotografiert von Helga Paris. Mehr zum Buch: http://www.bertz-fischer.de/sie.html

Valentinstag

Dies ist kein offizieller Feiertag, aber es gab mehrere frühchristliche Heilige mit dem Namen Valentinus, und einem von ihnen zu Ehren hat der 14. Februar diesen Namen bekommen. Ein „heiliger“ Valentin ist für mich der geniale Komiker Karl Valentin (1882-1948), ein bayerisches Original, das weit über die Grenzen dieses Landes hinaus berühmt wurde. Auf der Bühne und im Film hat er mit seinem sehr speziellen Humor einen unglaublichen Figurenreichtum verkörpert. Mimisch, gestisch und sprachlich. Bei Schirmer/Mosel ist jetzt ein Buch mit Photographien von ihm erschienen: Karl Valentin in 63 verschiedenen Masken. Das Vorwort stammt von Wolfgang Till, der viele Jahre – zuletzt als Direktor – am Münchner Stadtmuseum tätig war. Ein zentraler Beitrag ist der Text des Kunstkritikers, Publizisten und Diplomaten Wilhelm Hausenstein „Die Masken des Komikers“, der aus großer Nähe die Persönlichkeit Valentins würdigt. Es ist ein Nachruf, der uns Valentin siebzig Jahre nach seinem Tod in Erinnerung ruft. Ein wunderbares Buch zum Valentinstag. Das Coverfoto von Karl Kurt Wolter (aufgenommen um 1940) ist ein Kontrast zu den Rollenporträts. Mehr zum Buch: 39&products_id=918

Woche der Kritik

Zum fünften Mal findet während der Berlinale die „Woche der Kritik“ statt, die vom Verband der deutschen Filmkritik verantwortet wird. Als künstlerischer Leiter fungiert Frédéric Jaeger. 13 Filme werden im Hackesche Höfe Kino gezeigt, darunter NAKORN-SAWAN von Puangsoi Aksornsawang, FAUSTO von Andrea Bussmann, MAMAN MAMAN MAMAN von Lucia Margarita Bauer, THE GREAT PRETENDER von Nathan Silver, ROI SOLEIL von Albert Serra, MAGIC SKIN von Kostas SamarasTHE AMBASSADOR’S WIFE von Theresa Traore Dahlberg, PRETTY GIRLS DON’T LIE von Jovana Reisinger und AREN’T YOU HAPPY? von Susanne Heinrich. Zum zweiten Mal gibt es eine Publikation zur Veranstaltungsreihe. Im ersten Teil (26 Seiten) geht es um das Thema „Criticism and Curation“, im zweiten Teil (64 Seiten) werden die gezeigten Filme vorgestellt und mit Debatten verbunden, der dritte Teil (70 Seiten) ist dem Regisseur Christoph Schlingensief gewidmet, der zu Beginn der Woche Thema einer kleinen Konferenz war. Die Publikation (teils in deutscher, teils in englischer Sprache) haben Vivien Buchhorn und Frédéric Jaeger konzipiert, sie ist auch in der grafischen Gestaltung (Matthias Neumann, Judith Jakob) sehr originell. Mehr zum Buch: DE/koschke-2/

Berlinale Classics

Sechs Filme werden in dieser Reihe als Weltpremieren der digital restaurierten Fassung gezeigt: DESTRY RIDES AGAIN (USA 1939) von George Marshall mit James Stewart und Marlene Dietrich (Foto), JAGKO (Republik Korea 1980) von Im Kwon-taek, ORDET (Dänemark 1955) von Carl Theodor Dreyer mit Henrik Malberg und Brigitte Federspiel, ADOPTION (Ungarn 1975) von Márta Mészáros mit Katalin Berek, DIE SIEGER (Deutsch-land 1994) von Dominik Graf mit Herbert Knaup und Katja Flint und DIE JUNGEN SÜNDER (Norwegen 1959) von Edith Carlmar mit Liv Ullmann und Atle Merton. Ich kenne nur den norwegischen Film nicht und bin besonders gespannt auf die restaurierte Fassung von DESTRY RIDES AGAIN. Mehr zur Reihe: 48340.html

Hommage Charlotte Rampling

Die Hommage ist in diesem Jahr der Schauspielerin Charlotte Rampling (*1946) gewidmet. Sie erhält den Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk. In über 100 Filmen hat sie durch ihre Darstellung beeindruckt. 2006 war sie Jury-Präsidentin der Berlinale. 2011 hat Angelina Maccarone den Porträtfilm THE LOOK über sie realisiert, der auch in der Hommage gezeigt wird. Die zehn anderen Filme sind LA CADUTA DEGLI DEI (1969) von Luchino Visconti, STARDUST MEMORIES (1980) von Woody Allen, THE VERDICT (1982) von Sidney Lumet, MAX MON AMOUR (1986) von Nagisa Oshima, SOUS LE SABLE (2000) und SWIMMING POOL (2003) von François Ozon, VERS LE SUD (2005) von Laurent Cantet, 45 YEARS, für den sie 2015 zusammen mit Tom Courtenay den Silbernen Bären als Beste Darstellerin erhielt, HANNAH (2017) von Andrea Pallaoro, für den sie in Venedig den Coppa Volpi erhielt, und IL PORTIERE DI NOTTE (1974) von Liliana Calvani, der am 14. Februar im Berlinale-Palast zur Überreichung des Goldenen Bären gezeigt wird. Für die Zusammenstellung des Programms ist traditionell die Deutsche Kinemathek verantwortlich. Das 44seitige Programmheft mit einem schönen Porträttext von Gerhard Midding kann man als bescheidene Publikation akzeptieren. Mehr zur Hommage: homage_2019.html

Selbstbestimmt

„Selbstbestimmt – Perspek-tiven von Filmemacherinnen“ ist der Titel der Retrospektive in diesem Jahr. Gezeigt werden Filme von Regisseurinnen aus der Zeit von 1968 bis 1999. 28 Spiel- und Dokumentarfilme und rund 20 kurze und mittellange Filme stehen auf dem Programm. Die Publikation zur Retrospektive, herausgegeben von Connie Betz, Karin Herbst-Meßlinger und Rainer Rother, ist im Verlag Bertz + Fischer erschienen. Das Vorwort des Herausgebertrios informiert über die Auswahlkriterien und die Materialsituation. Zehn Texte richten den Blick auf generelle Themen und einzelne Filme. Bei Gabriele Dietze geht es um Selbstbestimmtheit in Filmen von Frauen in den 1960er- bis 1990er Jahren. Heike Klippel befasst sich mit der Arbeit in Filmen von Frauen 1968 bis 1982. Natalie Lettenewitsch verbindet den filmische Stadtraum mit dem Blick der Flaneurin. Anke Zechner macht Anmerkungen zur Befreiung des Blicks in den Filmen von Frauen. Christine Lang untersucht Dramaturgie und Erzählästhetik in Filmen von Frauen. Fünf Filmemacherinnen äußern sich zu einzelnen Filmen: Sherry Hormann zu ZUR SACHE, SCHÄTZCHEN (1968) von May Spils, Eva Trobisch zu dem DEFA-Film DIE TAUBE AUF DEM DACH (1973/2010) von Iris Gusner, Maren Ade zu dem Dokumentarfilm VON WEGEN ‚SCHICKSAL’ (1979) von Helga Reidemeister, Lisa Miller zu dem Film DIE BLEIERNE ZEIT (1981) von Margarethe von Trotta und Tatjana Turanskyj zu dem Dokumentarfilm VERRIEGELTE ZEIT (1990) von Sibylle Schönemann. Alle Texte sind sehr lesenswert, die Abbildungen gut ausgewählt. Ein beeindruckendes Buch zur Retrospektive! Cover- und Plakatfoto: Helke Sander, eine zentrale Person des Frauenfilms in der Bundesrepublik. Mehr zum Buch: selbstbestimmt.html