Patti Smith

Die Autorin und Regisseurin Helene Hegemann ist inzwi-schen 29 Jahre alt. Sie hat drei Romane publiziert und zwei Filme inszeniert. Ihre Wahr-nehmung in der Öffentlichkeit ist groß. Das entspricht auch ihrem Selbstbewusstsein. Das 100-Seiten-Buch über die Sängerin Patti Smith, hat noch eine dritte Hauptfigur, den Provokateur Christoph Schlingensief, der lange Zeit eng mit Helenes Vater Carl Hegemann zusammengearbeitet hat. In Wien und in Bayreuth gibt es Zusammentreffen von Helene, Christoph und Patti, Christoph inszeniert, Patti spielt in Wien mit und ist in Bayreuth Zuschauerin. Helene erlebt die Begegnungen mit großer Empathie und verbindet sie in ihrem Buch mit ihrer Lebensgeschichte: aufgewachsen bei ihrer geschiedenen Mutter in Bochum, die stirbt, als die Tochter 13 Jahre alt ist. In Wien lernt sie ihren Vater kennen, der für sie vorher „ein Arschloch“ war. Damit ändert sich ihr Leben. Es bleibt die Liebe zu den Songs von Patti Smith und der Respekt vor Christoph Schlingensief, dessen künstlerische und gesellschaftliche Arbeit sie bewundert. Der Tonfall von Helene Hegemann ist rebellisch und provokant, aber auch zugeneigt und pointiert. Lesenswert. Band 13 der KiWi Musikbibliothek. Mehr zum Buch: 9783462053951

Sein oder Nichtsein

Die „Hamlet“-Inszenierung von Peter Zadek mit Angela Winkler in der Titelrolle ist legendär. Sie wurde 1999 in Straßburg erarbeitet, wo auch die Premiere stattfand, dann wechselte die Aufführung zu den Wiener Festwochen und kam schließlich in die Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin. Der Schauspieler Klaus Pohl, als Hamlets Freund Horatio in der Inszenierung zu sehen, hat während der langen Probezeit Tagebuch geführt und daraus einen Roman gemacht. Er wurde zunächst als Hörbuch veröffentlicht und ist jetzt bei Galiani gedruckt erschienen. „Ein Buch zum Niederknien“ (Joachim Meyerhoff). Zum Ensemble gehörten damals auch Eva Mattes als Gertrud, Annett Renneberg als Ophelia, Hermann Lause in mehreren Rollen, Otto Sander als Claudius, Ulrich Wildgruber als Polonius und Uwe Bohm als Laertes. Die Nähe zu den Protagonisten ist groß, weil die Romanform Dialoge zulässt und Pohl ein guter Autor mit einem Gefühl für dramaturgische Überraschungen ist. Das zeitweilige Verschwinden von Angela Winkler aus der Probenarbeit führt zur Gefahr, dass die Inszenierung platzt. Aber es gibt ein glückliches Ende, was die Hamlet-Aufführungen betrifft, und ein trauriges, weil der Schauspieler Ulrich Wildgruber sich im November 1999 aus dem Leben verabschiedet. Das Urteil von Joachim Meyerhoff über dieses Buch ist völlig richtig. Mehr zum Buch: sein-oder-nichtsein-9783869712437

LANSKY (2021)

Ein Biopic über den Mobster Meyer Lansky (1902-1983), der eine Schlüsselfigur der israelisch-amerikanischen Kosha Nostra war. In den späten 70er Jahren engagiert Lansky den Journalisten David Stone, ein Buch über ihn zu schreiben, das erst nach seinem Tod publiziert werden soll. Lansky und Stone treffen sich regelmäßig in einem Diner und in Rückblenden werden Stationen aus Lanskys Leben gezeigt. Im Motel lernt Stone die attraktive Maureen kennen, mit der er ein Verhältnis beginnt, bis sich herausstellt, dass sie vom FBI auf ihn angesetzt wurde. Dann verschwindet sie. Das FBI nimmt auch direkt Kontakt mit Stone auf, um herauszufinden, wo Lansky sein Vermögen deponiert hat, das auf mehrere 100 Millionen Dollar geschätzt wird. Bei einem letzten Treffen besuchen Stone und Lansky dessen Sohn, der behindert zur Welt gekommen ist. Der Film von Eytan Rockaway ist spannend und hat zwei herausragende Hauptdarsteller: Harvey Keitel als Lansky und Sam Worthington als David Stone. In unseren Kinos war der Film nicht zu sehen. Bei Koch Media ist gerade die DVD des Films erschienen. Unbedingt sehenswert. Mehr zur DVD: lansky_der_pate_von_las_vegas_dvd/

Andreas Dresen – ein Gespräch

Bernd Stiegler hat im März 2021 mit Andreas Dresen ein Gespräch geführt, das im Heft 81 der Zeitschrift Augenblick dokumentiert ist. Der Titel lautet „Im Kino sieht man nicht das wirkliche Leben“. Auf 120 Seiten werden wir mit unter-schiedlichen formalen und inhaltlichen Fragen an den Regisseur konfrontiert, die er ausführlich oder lakonisch beantwortet. Es geht zunächst um Allegorien und Zeitbilder, Vorbilder und Referenzen. Eine große Zuneigung hat Dresen zu den Filmen von Aki Kaurismäki, Alexander Mitta, Ken Loach und den Brüdern Dardenne, Jim Jarmusch und Eldar Schengelaia. Auch der Autor Samuel Beckett ist in seinem Kopf oft präsent. Ausführlich wird über die Musik in Dresens Filmen gesprochen, zum Beispiel in SOMMER VORM BALKON, WOLKE 9, HALT AUF FREIER STRECKE und GUNDERMANN, die sich in der Musik sehr unterscheiden. Ein eigener Themenkomplex ist das Dokumentarische, die Arbeit mit Laiendarstellern und die Improvisation. Was bedeutet „Authentizität“? Zwei Dokumentarfilme hat Dresen über den CDU-Politiker Henryk Wichmann gedreht. Vielleicht wird daraus eine Langzeitbeobachtung. Wichtig sind dem Regisseur in seinen Spielfilmen die Raumordnungen. Oft gibt es laufende Fernseher zu sehen. In welcher Form werden Sex und Alkohol dargestellt? Wie werden die Drehorte gefunden? Wie entstehen die Titel der Filme? Acht Filme von Andreas Dresen basieren auf Drehbüchern von Laila Stieler, dreimal war bisher Wolfgang Kohlhaase der Autor. Die Zusammenarbeit ist unterschiedlich. Als das Gespräch geführt wurde, drehte Dresen den Film RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH, der coronabedingt mit Verspätung ins Kino kommt. Ich bin sehr gespannt. Mehr zum Heft: 699-andreas-dresen.html

Die versiegelte Zeit

1985 wurden die Gedanken des Regisseurs Andrej Tarkowski zur Kunst, zur Ästhetik und Poetik des Films erstmals veröffentlicht, übersetzt von Hans-Joachim Schlegel, publiziert vom Ullstein Verlag. In Russland erschien das Buch erst 1991. Autorisiert von Tarkowskis Sohn ist jetzt im Alexander Verlag eine überarbeitete Neuausgabe herausgegeben worden, mit einem Vorwort von Dominik Graf. Neun Kapitel strukturieren das Buch: 1. Der Beginn. 2. Die Kunst als Sehnsucht nach dem Idealen. 3. Die versiegelte Zeit. 4. Vorherbestimmung und Schicksal. 5. Das filmische Bild. 6. Zum Verhältnis von Künstler und Zuschauer. 7. Von der Verantwortung des Künstlers. 8. Nach NOSTALGIA. 9. OPFER. Ein Nachwort von Hans-Joachim Schlegel aus dem Jahr 2009 und ein Tarkowski-Werkverzeichnis schließen den Band ab. Die sieben langen Filme des Regisseurs gehören zum unverzichtbaren Kulturerbe. Ich habe den ersten, IWANS KINDHEIT, 1962 gesehen und alle folgenden, sobald sie bei uns ins Kino kamen. Das Arsenal macht in jedem Sommer eine Tarkowski-Retrospektive. Es ist beeindruckend, seine Gedanken zu lesen und sich seine Filme in Erinnerung zu rufen. Ein herausragendes Buch. Mehr zum Buch: titel/480-die-versiegelte-zeit.html

Marlene Dietrich

In einer Graphic Novel werden „Augenblicke eines Lebens“ von Marlene Dietrich dokumentiert. Claudia Ahlering hat sie gezeichnet, von Julian Voloj stammen die Texte. Der junge Journalist Leon besucht sie in ihrer Wohnung in Paris 1992, kurz vor ihrem Tod. Sie erzählt in einem Interview pointiert, welchen Weg sie von Berlin über Hollywood nach Paris gegangen ist. Ausgangspunkt ist DER BLAUE ENGEL, der Film von Josef von Sternberg, der ihrer Karriere die Richtung gab. Es sind vor allem Männer, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielten: ihr Ehemann Rudi Sieber, dem sie lange verbunden blieb, der Regisseur Josef von Sternberg, der sie nach Amerika holte, der Schriftsteller Erich Maria Remarque, mit dem sie drei Jahre liiert war, der Politiker Joachim von Ribbentrop, der 1937 versuchte, Marlene nach Deutschland zurückzuholen, der Schauspieler Jean Gabin, zu dem sie in den 40er Jahren eine intensive Beziehung hatte, Aber auch drei Frauen kommen ins Spiel: ihre Mutter Josefine von Losch, ihre ältere Schwester Liesel, die sie später meist verleugnete, und ihre Tochter Maria, geboren 1924. Die Filmarbeit in Amerika wird weitgehend ausgespart. Ein originelles Buch über eine Legende, die bis heute eine große Präsenz hat. Mehr zum Buch: marlene_dietrich/t-56/984

Doris Day

Sie war als Sängerin und Schauspielerin ein Star, wurde als Doris Mary Anne Kappelhoff am 3. April 1922 in Cincinnatti/ Ohio, geboren und starb am 13. Mai 2019 in Monterey County/ Kalifornien. Ihr bekanntester Song ist wohl „Que Sera, Sera“ aus dem Hitchcock-Film THE MAN WHO KNEW TOO MUCH (1956). Sie hat zwischen 1948 und 1968 39 Filme gedreht, meist Komödien, aber auch Western, Melodramen und Thriller. Die Biografie von Bettina Uhlich führt uns durch ihr Leben, informiert über ihre Filme, ihre Lieder, ihre Fernsehauftritte. Eigentlich wollte sie Tänzerin werden, doch ein Beinbruch in ihrer Jugend hat das verhindert. Sie hatte eine schwierige Kindheit, die Eltern ließen sich 1936 scheiden, sie wuchs bei ihrer Mutter Alma auf, nahm Gesangsunterricht und hatte ab 1940 erfolgreiche Auftritte mit der Les Brown Band. 1941 heiratete sie den Posaunisten Al Jordon, 1942 kam ihr Sohn Terry zur Welt, 1943 ließ sie sich scheiden. 1945 tourte sie mit Bob Hope im Rahmen der Truppenbetreuung. Die zweite Ehe mit dem Saxophonisten George Seidler dauerte nur acht Monate, auch die dritte und vierte Ehe waren konfliktreich. Erfolge im Beruf brachten ihr mehr Glück. Bettina Uhlich beschreibt ausführlich die Filme mit Doris Day, die Hintergründe der Produktion (meist von Warner Bros.), die Rezeption bei Kritik und Publikum. Auch die Autorin hat zu manchen Filmen eine kritische Distanz. Besonders gut gefallen mir ihre Texte zu LOVE ME OR LEAVE ME von Charles Vidor mit James Cagney, THE PAJAMA GAME von Stanley Donen mit John Raitt, PILLOW TALK von Michael Gordon mit Rock Hudson und SEND ME NO FLOWERS von Norman Jewison, ebenfalls mit Rock Hudson. Die Autorin hat sehr gut recherchiert, aber die 693 Quellenverweise beeinträchtigen die Lektüre nicht. Das Schlusskapitel „Doris Day in ihren späten Jahren“ stammt von Marco Otto, einem Doris Day-Fan, der ab 2008 Kontakt zu ihr hatte und dies anschaulich erzählt. Die Biografie ist spannend zu lesen. Ein schönes Geschenk zu ihrem 100. Geburtstag, der im kommenden April zu feiern ist. Keine Abbildungen. Mehr zum Buch: 20ihre%20Lieder&rubrik=Literatur

A TAXI DRIVER (2017)

Mai 1980 in Südkorea. Es gibt Gerüchte über einen Aufstand in der Stadt Gwangju. Der deutsche Ostasienkorrespondent Peter fliegt von Tokio nach Seoul und findet dort den Taxifahrer Kim, der ihn für viel Geld in die abgesperrte Stadt Gwangju bringt. Sie treffen auf feiernde Studenten und in einem Krankenhaus auf Opfer militärischer Gewalt. Der Film von Hun Jang basiert auf realen Vorkommnissen und erzählt sie aus zwei Perspektiven: aus dem Blickwinkel des Korrespondenten und des Taxifahrers. Es gibt dramatische und komische Momente. Die Hauptrollen spielen Thomas Kretschmann (Peter) und Song Kang-ho (Kim), bekannt aus dem Film PARASITE. A TAXI DRIVER kam nicht in unsere Kinos. Bei Koch Media ist jetzt die DVD des Films erschienen. Sehr sehenswert. Mehr zur DVD: details/view/film/a_taxi_driver_dvd/

Terrence Malick: THE NEW WORLD

Zehn Spielfilme hat Terrence Malick (*1943) in den letzten 50 Jahren realisiert, der erste war BADLANDS (1973), der bisher letzte A HIDDEN LIFE (2019). Seine Themen sind Geschichte, Transzendenz, Natur und Kultur. Für die philosophischen Reflexionen findet er immer einen eigenen filmischen Stil. Der Filmwissenschaftler Felix Lenz, der mit einer Arbeit über Sergej Eisenstein promoviert hat, analysiert in seinem Buch den Film THE NEW WORLD (2005), der die britische Kolonialisierung Nordamerikas im 17. Jahrhundert in einem individuellen Drama konkretisiert. Im Mittelpunkt steht die konfliktreiche Liebesgeschichte zwischen dem Einwanderer John Smith (Colin Farrell) und der Häuptlingstochter Pocahontas (Q’orianka Kilcher). Vier Kapitel strukturieren das Buch von Lenz: Methoden, Koordinaten, Übergänge, Porträts. Beschrieben werden indianische Verhältnisse und postkoloniale Theorien, Facetten des Übergangsszenarios (Kapitel 1), der Prolog als dynamische Figuration, die Wiese als Leinwand (Kapitel 2), Gestische, farbliche und jahreszeitliche Sprachen, die Kolonie als Dystopie und Pocahontas‘ politische Utopie, Blickformen aus dem Geist des Übergangsszenarios, Modi des Wachstums und gebrochene Liebeswerbung, Zeitrelationen (Kapitel 3), Refigurationen von Schneewittchen, Motivumkehrungen und Zeitfiguren (Kapitel 4). Dies geschieht sehr konkret durch Szenenbeschreibungen und Bildanalysen. Die Lektüre des Malick-Films von Felix Lenz ist beeindruckend. Mit 24 Farbabbildungen in guter Qualität. Band 3 der Reihe “Film/Lektüren“. Mehr zum Buch: Details.aspx?ISBN=9783967075717#.YVRgIi-21Hc

Das Schaltbild

Es gibt diverse Bücher zur Geschichte des Fernsehens, aber Lorenz Engell (*1959), Professor für Medienphilosophie an der Bauhaus Universität Weimar, hat eine „Philosophie des Fernsehens“ verfasst. Sie hat drei Teile (Fernsehen 1.0 – Trajektorien, Expansionen, Intensivierungen – Fernsehen 2.0) und zwölf Kapitel: 1. Einschalten. Anfänge des Fernsehens. 2. Live-Fernsehen. 3. Die Serie (1). 4. Flow. 5. Zusammenschalten. 6. Instant Replay. 7. Das All-Bild. 8. Umschalten: Remote Control. 9. Second Screens. 10. Die Serie (2). 11. Reality und History. 12. Abschaltbilder. Enden des Fernsehens. Die Perspektiven des Autors sind technikphilosophisch, ontologisch, ästhetisch und anthropologisch. Die Veränderungen des Mediums Fernsehen werden auf 400 Seiten genau beschrieben, vom Bildschirm hat es sich in einen Schalter verwandelt, der vom Publikum in vielen Varianten genutzt wird. Seine Funktion als Gerät tritt immer mehr in den Hintergrund. Engell konkretisiert seinen Text mit vielen Beispielen aus der Fernsehgeschichte und nimmt uns mit auf eine Reise durch die Medienphilosophie. Dies geschieht auf hohem Niveau. Lesenswert. Ohne Abbildungen. Mehr zum Buch: 9783835391390-das-schaltbild.html