Rebellion im Film seit James Dean

2015.James DeanIn unseren Kinos ist zurzeit der interessante Film LIFE von Anton Corbijn zu sehen, der die Begegnungen des jungen James Dean mit dem Fotografen Dennis Stock thematisiert. Es ist ein subtiler, leiser Film, in dem Rebellion nur am Rande vorkommt. Marina Küffner hat ihre Magisterarbeit im Fach Filmwissenschaft an der Universität Frankfurt über „Existentielle Rebellion im Film seit James Dean“ geschrieben, die jetzt im Filmbuchverlag Mühlbayer publiziert wurde. Ihr Titel: „Auflehnung, Antriebslosigkeit, Antidepressiva und Apokalypse“. Die Alliteration klingt lebensbedrohend, aber der Text ist gut lesbar, bleibt weitgehend an den Filmen, die analysiert werden, und schlägt einen Bogen von den 1950er Jahren zu den Coming of Age-Filmen der Gegenwart. Das erste Kapitel (50 Seiten) ist James Dean gewidmet, seinem Leben und den drei Filmen, die er bis zu seinem tragischen Tod 1955 gedreht hat. Im Mittelpunkt steht dabei REBEL WITHOUT A CAUSE als „Urtypus des Teenagerfilms“. Im zweiten Kapitel geht es um die Filme THE BREAKFAST CLUB und FERRIS BUELLER’S DAY OFF von John Hughes, REALITY BITES von Ben Stiller und REMEMBER ME von Allen Coulter mit dem Zwiespalt zwischen Anpassung und Abgrenzung. Das dritte Kapitel handelt von den Rebellen auf der Couch, also ihrer psychotherapeutischen Behandlung. Filmbeispiele: CHARLIE BARTLETT von Jon Poll und GARDEN STATE von Zach Braff. Das vierte Kapitel („Der Rebell am Rande des Weltuntergangs“) teilt die Autorin in die Motive „Angst, Freiheit und Verantwortung“ mit den Filmbeispielen DONNIE DARKO von Richard Kelly und KARBOOM von Gregg Araki und „Die ambivalente Sexualität als rebellischer Akt“, Filmbeispiele: THE DOOM GENERATION von Gregg Araki und THE RULES OF ATTRACTION von Roger Avary. Ein kleiner philosophischer Exkurs handelt von Sarte und Camus. Die Lektüre ist anregend, die technische Qualität vieler Abbildungen finde ich leider unzureichend. Mehr zum Buch: auflehnung.html

Der Kulturpolitiker Hilmar Hoffmann

2015.Hilmar HoffmannIm August wurde der 90. Geburtstag von Hilmar Hoffmann gefeiert. Er war von 1970 bis 1990 Kulturstadtrat in Frankfurt am Main. Er initiierte damals das Kommunale Kino und war für die Gründung des Deutschen Filmmuseums am Mainufer verant-wortlich. Claus-Jürgen Göpfert hat zum runden Geburtstag eine Biografie über Hilmar Hoffmann publiziert, die mit beeindruckender Genauigkeit sein Leben und Werk beschreibt: seine Kindheit und Jugend ohne Vater, den Kriegsdienst bei den Fallschirmjägern, die amerikanische Gefangenschaft, die Rückkehr nach Deutschland, die Arbeit als Dolmetscher, die Gründung des British Information Center „Die Brücke“ mit Hoffmann als Direktor, die Übernahme der Leitung der neuen Volkshochschule der Stadt Oberhausen, die Gründung und Leitung der Westdeutschen Kurzfilmtage, die Erfolge als Kulturdezernent der Stadt in der Obhut der Oberbürgermeisterin Luise Albertz. Dann folgt 1970 der Wechsel nach Frankfurt und Hoffmanns schwierige Situation unter so unterschiedlichen Oberbürgermeistern wie Walter Möller, Rudi Arndt, Walter Wallmann und Volker Hauff. Göpfert hat eine große Fähigkeit, das kulturelle Engagement, die politischen Konflikte und die diplomatischen Fähigkeiten von Hoffmann zu beschreiben. Zahlreiche Weggefährten wie Peter Iden, Alexander Kluge, Hans Neuenfels und Petra Roth haben – wie Hoffmann selbst – den Autor aus ihrer Sicht informiert. Das liest sich sehr spannend, weil ich mich an viele Namen und Ereignisse erinnere, die Passage über Fassbinders Zeit am TAT hat absurd-komische Momente und meine Bewunderung für die Lebensleistung von Hilmar Hoffmann ist bei der Lektüre noch gewachsen. Natürlich kommt im letzten Teil auch seine Tätigkeit als Präsident des Goethe-Instituts zur Sprache. Mit 240 Fotos aus allen Lebensphasen und einem Vorwort von Claudia Dillmann, der Leiterin des Deutschen Filminstituts, das dieses Buch publiziert hat. Mehr zum Buch: Hilmar-Hoffmann-Leben-und-Werk

Realism as Protest

2015.RealismAlexander Kluge ist inzwischen 83 Jahre alt, aber in der deutschen Medien-landschaft noch sehr präsent. Christoph Schlingensief ist im Alter von 50 Jahren vor fünf Jahren gestorben. Michael Haneke, 73 Jahre alt, hat vor drei Jahren seinen letzten Film gedreht. Tara Forrest, Professorin in Sydney und geschult durch Studien über Kracauer und Benjamin, verbindet in ihrer neuen Publikation Kluge, Schlingensief und Haneke unter der Begrifflichkeit „Realism as Protest“. Kluge sind zwei Kapitel gewidmet: „Subjunctive Realism: Kluge on Film, Politics and Feeling“ und „Creative Co-Productions: Kluge’s Television Experiments“. Schlingensief wird in drei Kapiteln analysiert: „Mobilising the Public Sphere: Schlingensief’s Reality Theatre“, „Productive Discord: Schlingensief, Adorno, and FREAKSTARS 3000“ und „From Information to Experience: Christoph Schlingensief’s QUIZ 3000“. Haneke wird im Schlusskapitel gewürdigt: „A Negative Utopia: Michael Haneke’s Fragmentary Cinema“. Die Autorin hat sich intensiv mit dem Werk der drei genannten Künstler beschäftigt, sie beschreibt sehr konkret Kluges Umgang mit Bildern in DIE PATRIOTIN und KRIEG UND FRIEDEN, Schlingensiefs mediale Aktivitäten und konkretisiert sich bei Haneke auf dessen Film 71 FRAGMENTE EINER CHRONOLOGIE DES ZUFALLS. Eine kluge Publikation. Mehr zum Buch: realism-as-protest

DIE STIMME DES MONDES (1990)

2015.DVD.Stimme des MondesDies war der letzte Film, den Federico Fellini (1920-1993) realisiert hat. Also: ein Alterswerk. Es wird keine Geschichte mit einer dramaturgischen Logik erzählt, wir sind Beobachter verschiedener Menschen in einer italienischen Klein-stadt. Im Mittelpunkt stehen der naive Tor Ivo (gespielt von Roberto Benigni), der in der Nacht geheimnisvolle Stimmen hört, und der Präfekt Gonella (Paolo Villagio), der an eine Verschwörung glaubt und von der Zukunft ohnehin nichts Gutes erwartet. Die beiden sind umgeben von – wenn man das so sagen darf – „Verrückten“, die nach dem Ursprung des Lebens oder nach geeigneten Partnern suchen: die Schwestern Aldina und Susi, der zwergenhafte Nestore, die gierige Marisa, der Arzt Brambilla, der Oboist Sim, dessen Instrument sich selbständig macht, Ivos Schwester Adele. Drei große Feste werden im Film gefeiert: das Gnocchi-Fest auf einem Damm, bei dem Aldina zur „Miss Mehl“ gewählt wird, ein Abend in einer riesigen Discothek, bei dem Gonella den Hard Rock kurzfristig mit dem Walzer „An der schönen blauen Donau“ außer Kraft setzt, und schließlich die Gefangennahme des leuchtenden Mondes, der von einem Kranfahrer kurzfristig in einer hohen Scheune eingesperrt wird. Die Tumulte in der Umgebung sind immens. Natürlich steht der Mond dann wieder am Himmel, denn der kleine Mond war nur eine Installation für eine Werbung. Am Ende schaut Ivo in einen Brunnen, immer noch auf der Suche nach geheimnisvollen Stimmen. Fellinis Film ist, wenn es sein muss, laut und dann wieder leise, weil er die Stille beschwört. Er wechselt zwischen Traum und Realität, zwischen Märchen und Wirklichkeit, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Für die beeindruckenden Bilder sorgte der Kameramann Tonino Delli Colli, die Musik stammt von Nicola Piovani. Ein Wiedersehen mit dem Film (und dem jungen Roberto Benigni) ist sehr interessant. Die DVD ist gerade in der Collection „Masterpieces of Cinema“ bei Koch Media erschienen. Mehr zur DVD: 1009261&nav1=FILM

Politik des Bewegungsfilms

2015.Bewegungsfilm kleinEine Dissertation aus Zürich. Julia Zutavern untersucht dokumen-tarische und fiktionale Filme aus Deutschland und der Schweiz von 1965 bis 1995, die sich in politische Debatten eingemischt haben, unter inhaltlichen und formalen Gesichtspunkten. Ihr Ausgangs-punkt ist das philosophische Terrain von Jacques Rancière. Ihre Perspektive nennt sie „semio-pragmatisch“. In einem ersten größeren Kapitel („In Opposition“) werden vier Bewegungsfilme aus den Jahren 1966 bis 1970 analysiert: CHICORÉE von Fredi M. Murer, KRAWALL von Jürg Hassler, BRECHT DIE MACHT DER MANIPULATEURE von Helke Sander und RUHESTÖRUNG – EREIGNISSE IN BERLIN 1967 von Hans Dieter Müller und Günther Hörmann. Das zweite, umfangreichere Kapitel („Alternativ“) handelt von Bewegungsfilmen der 1970er bis 90er Jahre. Hier bilden acht Filmbeispiele die Untersuchungsbasis: LIEBER HERR DOKTOR (1977) von der Schweizer Filmgruppe Schwangerschafts-abbruch als Begleitung einer Kampagne, DAS IST UNSER HAUS (1972) von Claus-Ferdinand Siegfried, ALLEIN MACHEN SIE DICH EIN (1973/74) von Susanne Beyeler, Rainer März und Manfred Stelzer, VAGE DIE SAU SICH LÜMMELT (1992) von Reno Sami als Gruppenporträts, DANI, MICHI, RENATO UND MAX (1987) von Richard Dindo, DIE ALLSEITIG REDUZIERTE PERSÖNLICHKEIT: REDUPERS (1977) von Helke Sander als Einzelporträts und die fiktionalen Chroniken GRAUZONE (1978/79) von Fredi M. Murer als Gegenwartsdiagnose und DER SUBJEKTIVE FAKTOR (1980/81) von Helke Sander als Vergangenheitssimulation. Diese Beispiele hat die Autorin aus insgesamt 200 Filmen ausgewählt. Die Filmbeschreibungen und Analysen sind sehr konkret (ich kenne fast alle Filme, weil ich sie damals gesehen habe), die außerfilmischen Aspekte werden ausführlich zur Sprache gebracht, wir haben es – aus meiner Sicht – mit einer beeindruckenden Arbeit zu tun. Band 34 in der Reihe „Zürcher Filmstudien“. Wie immer in dieser Reihe ist die technische Qualität der Abbildungen hervorragend. Mehr zum Buch: politik-des-bewegungsfilms.html

Kontrollhorrorkino

2015.KontrollhorrorkinoDer österreichische Filmtheoretiker Drehli Robnik untersucht – ausgehend von Erkenntnissen zur kontrollgesellschaft-lichen Macht, wie sie u.a. Gilles Deleuze formuliert hat – die filmischen Mittel des aktuellen Horrorkinos im Hinblick auf ihre mögliche politische Wirkung. Im ersten Kapitel geht es um Zombie-Filme: „Das große Taumeln, die kleine Politik und das Dissensuelle im Untotenmassenfilm“. Das zweite Kapitel handelt von „Projektionen in Fleisch“ und liefert „Einsichten in Genuss-Investments, Ostphantasien und Erlebnisstandorte in Eli Roths HOSTEL-Filmen“. Im dritten Kapitel wird uns ein originelles ABC zu Michael Palms Film LOW DEFINITION CONTROL zur Lektüre angeboten, von ABC-Schutztruppe bis Zukunft/Zu spät. Das vierte Kapitel kehrt zurück zur Philosophie: „Affektpolitiken gegen Neoliberaliens (und Deleuze gegen Deleuze)“ mit den Filmbeispielen SHAUN OF THE DEAD, HOT FUZZ und THE WORLD’S END. Für Horrorfilm-Fans gibt es viele kluge Gedanken zu lesen, die Filmbeispiele werden gut vermittelt, die Abbildungen sind klein, aber technisch akzeptabel. Mehr zum Buch: robnik3.html

Gunter Groll

2015.GrollSein Credo war: „Der Kritiker sage das Schwere leicht.“ Und: „Drei Grundzüge der guten Kritik: die Fähigkeit zu klären, die Liebe zur Sache und die Distanz zum Objekt.“ Gunter Groll (1914-1982) war von 1946 bis 1958 Filmkritiker der Süddeutschen Zeitung, seine Texte wurden sehr geliebt. Er gliederte sie in kleine Absätze und trennte sie – nach seinem Vorbild Alfred Kerr – durch römische Ziffern. Zwei Bände mit gesammelten Kritiken von ihm erschienen 1953 („Magie des Films“) und 1956 („Lichter und Schatten“). Im Schüren Verlag ist jetzt das Buch „Die Kunst der Filmkritik“ erschienen, herausgegeben von seinen Kindern Monika Stein und Mathias Groll. Es enthält 110 Filmkritiken, eine Auswahl aus den Sammelbänden und zwanzig bisher nicht in Buchform veröffentlichte Texte. Sie sind nicht in eine chronologische Reihenfolge gebracht. Es sind viele sehr bekannte Titel dabei, zum Beispiel PANZERKREUZER POTEMKIN (1925) von Sergei Eisenstein, LA PASSION DE JEANNE D’ARC (1928) von Carl Theodor Dreyer, DER BLAUE ENGEL (1930) von Josef von Sternberg, CITY LIGHTS (1931), THE GREAT DICTATOR (1940) und LIMELIGHT (1950) von Charles Chaplin, LA GRANDE ILLUSION (1937) von Jean Renoir, HOTEL DU NORD (1938) von Marcel Carné, GONE WITH THE WIND (1939) von Victor Fleming, LADRI DI BICICLETTE (1948) von Vittorio De Sica, ORPHÉE (1950) von Jean Cocteau, RASHOMON (1950) von Akira Kurosawa, DER UNTERTAN (1951) von Wolfgang Staudte, MADAME DE… (1953) von Max Ophüls, LA STRADA (1954) von Federico Fellini, LUDWIG II. (1954), DIE LETZTE BRÜCKE (1954) und HIMMEL OHNE STERNE (1955) von Helmut Käutner und RIFIFI (1954) von Jules Dassin – das ist übrigens der einzige von den genannten Filmen, der negativ beurteilt wird („Mififi“). 35 Filme stammen aus den USA, 26 aus Deutschland, 23 aus Frankreich, 12 aus Italien. Diese Reise in die Filmgeschichte liest sich sehr spannend, die Texte sind meist ernsthafter als ich sie in Erinnerung hatte. Mit einem Vorwort von David Steinitz. Mehr zum Buch: die-kunst-der-filmkritik.html

Große Werke des Films

2015.Die großen WerkeDas Buch basiert auf einer Ringvorlesung, die 2013/14 an der Universität Augsburg stattgefunden hat. 13 „Große Werke des Films“ wurden in diesem Zusammenhang in chronologischer Reihefolge vorgestellt. Es sind: NOS-FERATU (1922) von Friedrich Wilhelm Murnau, M (1931) von Fritz Lang, TO BE OR NOT TO BE (1942) von Ernst Lubitsch, THE SEARCHERS (1956) von John Ford, PSYCHO (1960) von Alfred Hitchcock, OTTO E MEZZO (1963) von Federico Fellini, DR. STRANGELOVE (1964) von Stanley Kubrick, ALPHAVILLE (1965) von Jean-Luc Godard, MEDEA (1969) von Pier Paolo Pasolini, ARREBATO (1979) von Iván Zulueta (der einzige Film, den ich nicht kenne), DEKALOG 5 (1988) von Krzysztof Kieslowski, LOST HIGHWAY (1997) von David Lynch und FAUST (2011) von Alexander Sokurov. Bis auf eine Gastreferentin sind alle Autorinnen und Autoren in der Philologisch-Historischen Fakultät der Universität Augsburg verortet, viele im Bereich der Vergleichenden Literaturwissenschaft, einige am Lehrstuhl für Amerikanistik, andere bei der Romanistik. Ihre Beiträge sind durchgehend sachkundig, manche sind mehr an inhaltlichen als an formalen Fragen interessiert, aber das Wechselspiel der Perspektiven funktioniert gut. Ich greife ein paar Texte heraus, die mir besonders gut gefallen haben: Günter Butzer (Vergleichende Literaturwissenschaft) konfrontiert in seinem NOSFERATU-Beitrag Murnaus Film mit dem Roman von Bram Stoker. Heike Schwarz (Amerikanistik) beschäftigt sich im Kontext von M insbesondere mit Fragen der Psychopathologie. Johanna Hartmann (Amerikanistik) setzt die Figuren von TE BE OR NOT TO BE in eine Beziehung zur historischen Realität. Katja Sarkowsky (Professorin für American Studies an der Universität Münster) untersucht in ihrem beeindruckenden Text Gemeinschaft, Gesellschaft und Hybridität in THE SEARCHERS und tut dies mit einer offenbar großen Kenntnis des Werkes von John Ford. Bei Ingo Kammerer (Didaktik der deutschsprachigen Literatur) geht es vor allem um die Dramaturgie von PSYCHO. Michael Sauter (Amerikanistik) lässt sich sehr intensiv auf Plot und Struktur, Set Design und Kameraführung von DR. STRANGELOVE ein und auf das dort gezeigte Verhältnis Mensch/Maschine. Julia Koloda (Vergleichende Literaturwissenschaft) interpretiert MEDEA als Kritik an der Massenkultur, als traumartigen Antikfilm, als Spiegel der gesellschaftlichen und individualpsychologischen Situation. Die Ringvorlesung soll fortgesetzt werden. In der nächsten Runde sollte man nicht wieder den japanischen Film vergessen. Mehr zum Buch: grosse-werke-des-films-i.html

Unterwegs zum Nachbarn

2015.Unterwegs NachbarnDie deutsch-polnischen Filmbeziehungen waren und sind vielfältig und teilweise kompliziert. Das Buch, herausgegeben von Brigitte Braun, Adrzej Debski und Andrzej Gwózdz, basiert auf einer internationalen Konferenz, die 2011 in Wroclaw stattgefunden hat. 23 Textbeiträge sind dokumentiert. Ich nenne zehn Texte, die mir besonders gefallen haben: Andrzej Debski referiert über Stereotypen des „Nachbarn jenseits der Oder“ im deutschen und polnischen Gegenwartskino. Margarete Wach schreibt über Filmemacher aus Polen und Deutschland „unterwegs zum Nachbarn“ vor dem Hintergrund kinematografischer Europäisierungsprozesse vor und nach der Wende. Konrad Klejsa erinnert an die Zusammenarbeit von Artur Brauner, Jan Fethke und Fritz Lang in DIE 1000 AUGEN DES DR. MABUSE (1960). Ralf Schenk erzählt die Entstehungs-geschichte des deutsch-polnischen Gemeinschaftsfilms SIGNALE – EIN WELTRAUMABENTEUER (1970) von Gottfried Kolditz. Bei Andrzej Gwózdz geht es um die gute Nachbarschaft in Stanislaw Lenartowicz’ OPETANIE und Egon Günthers DIE SCHLÜSSEL. Ulrich Tempel vergleicht die Darstellung des September 1939 in den Filmen DER FALL GLEIWITZ (1961) von Gerhard Klein und LOTNA (1959) von Andrzej Wajda. Michaela S. Ast untersucht die Darstellung von Flucht und Vertreibung im bundesdeutschen Spielfilm der 1950er Jahre und heute. Larson Powell thematisiert nationale Gedächtnisbilder im polnischen und ostdeutschen Film der 1970er Jahre am Beispiel von Andrzej Wajda und Rainer Simon. Magdalena Saryusz-Wolska dokumentiert die Rezeption von Andrzej Wajdas Film DAS MASSAKER VON KATYN (2007). Bernadetta Matuszak-Loose referiert über Nationalhistoriographie im deutschen und polnischen Kino vor und nach 1989. Aber auch andere, zum Teil sehr spezielle Texte sind interessant. Band 23 der Schriftenreihe „Filmgeschichte International“, die von Uli Jung herausgegeben wird. Coverfoto: LICHTER von Hans-Christian Schmid. Mehr zum Buch: www.wvttrier.de/ (und dann den Titel suchen).

LIED DER STRÖME (1954)

2015.DVD.Lied der StrömeEr war einer der großen Dokumentaristen des 20. Jahrhunderts. Der in Holland geborene Joris Ivens (1898-1989) hat in vielen Ländern Filme gedreht, er war politisch engagiert, fand immer formal neue Lösungen und hatte auch persön-lich ein großes Charisma. Ich habe ihn 1974 kennen gelernt, als er zwei Tage an der Deutschen Film- und Fernsehakademie mit den Studenten über seine Filme diskutiert hat. Seine wichtigsten Filme sind für mich REGEN (1929), THE SPANISH EARTH (1937) und der 12teilige China-Film COMMENT YUKONG DEPLACA LES MONTAGNES (1976), den er zusammen mit Marceline Loridan realisiert hat. LIED DER STRÖME ist ein poetischer Film, bei dem Ivens 1954 Regie geführt hat, gemeint als eine Verbeugung vor den Arbeitern und Bauern, die an den großen Flüssen der Welt tätig sind, an der Wolga, am Mississippi, am Nil und am Ganges, am Amazonas und am Jangtse. Mitgewirkt haben an diesem Werk Künstler wie Dimitri Schostakowitsch, Bertolt Brecht, Paul Robeson, Ernst Busch und Pablo Picasso. Der 108 Minuten lange Film ist eine Vision von der Schönheit der Erde, aber auch ein Klagelied über das Elend vieler Menschen, die auf dieser Erde leben. Absolut Medien hat jetzt eine DVD dieses Films publiziert, den nur noch wenige kennen. Das ist sehr verdienstvoll. Im Booklet sind Texte von Ralf Schenk und Joris Ivens zu lesen und zeitgenössische Kritiken aus der Berliner Zeitung und der Wochenpost. Zum Bonus-Material gehört der Film MEIN KIND (1955), den Alfons Machalz und Vladimir Pozner unter der Künstlerischen Oberleitung von Joris Ivens gedreht haben. Mehr zur DVD: /film/4040/Lied+der+Stroeme