21. Juni 2020
DOKTOR FAUSTUS
Ausgangspunkt ist der Roman von Thomas Mann, publiziert 1947, geschrieben im amerika-nischen Exil. Erzählt wird das Leben des deutschen Kompo-nisten Adrian Leverkühn aus der Sicht seines Freundes, des Gymnasialprofessors Serenus Zeitblom. Der genialische Schaffensdrang des Kompo-nisten verbindet sich mit romantischer Todesmystik. Mit einer Geschlechtskrankheit infiziert, zu Liebebeziehungen nicht fähig, investiert er alle Energien in ein Oratorium, bei dessen Auftakt er tot zusammenbricht. Filmjuwelen hat jetzt zwei Fassungen als DVD publiziert: den TV-Dreiteiler von 176 Minuten und den gekürzten Kinofilm, der ursprünglich 137 Minuten lang war und auf der DVD 117 Minuten dauert. Knapp vierzig Jahre nach der Premiere kann man damit unterhaltsam seine Zeit verbringen und begegnet vielen prominenten Darsteller*innen, darunter Jon Finch als Adrian Leverkühn, André Heller als Satan, Hanns Zischler als Serenus Zeitblom, Margot Hielscher als Senatorin, der Autor und Verleger Lothar-Günther Buchheim als Dr. Erasmi, Gaby Dohm als Adrians Mutter, Balduin Baas, Veronika Fitz, Herbert Grönemeyer, Elma Karlowa, Hans Korte und Otto Mächtlinger. Die Musik stammt von Benjamin Britten und Rolf Wilhelm. Produziert und inszeniert hat Franz Seitz jr. (1921-2006), der auch das Drehbuch schrieb. Informativ sind zwei Filme von Robert Fischer als Bonus-Material: TEUFELS-BÜNDE: DICHTUNG UND WAHRHEIT IN THOMAS MANNS DOKTOR FAUSTUS (55 Minuten) und Erinnerungen von Peter Seitz (15 Minuten). Das Booklet hat Oliver Bayan verfasst. Mehr zur DVD: doktor-faustus-der-komplette-dreiteiler-extended-version-2-dvds
20. Juni 2020
Das große Gojko Mitić Erinnerungsalbum
Vor einer Woche feierte er in Köpenick seinen 80. Geburts-tag. Gojko Mitić wurde, begin-nend mit dem Film DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN, ab Mitte der 1960er Jahre zu einem der großen DEFA-Stars. Er spielte die Hauptrolle in zwölf Indianer-Filmen, dem Kontrast-Pro-gramm zu den westdeutschen Karl-May-Filmen. In Jugos-lawien geboren, spricht er perfekt Deutsch und über-nahm erste kleine Rollen in Karl-May-Filmen, die von Artur Brauner und Horst Wendland pro-duziert wurden. Seine Partner waren damals u.a. Pierre Brice und Lex Barker. Als seine größten Erfolge bei der DEFA gelten CHINGACH-GOOK, DIE GROSSE SCHLANGE (1967), OSCEOLA (1971), APACHEN (1973) und BLUTSBRÜDER (1975). Nach der Wende war Mitić viele Jahre der Winnetou-Darsteller bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg. Das informative Erinnerungsbuch stammt von Uli Jeschke und ist im Verlag Bild und Heimat erschienen. Mit vielen Abbildungen in sehr guter Qualität. Mehr zum Buch: mitic-erinnerungsalbum.html
19. Juni 2020
Masse & Apokalypse
Eine Dissertation, die an der Universität Bonn entstanden ist. Yannic Han Biao Federer untersucht darin „die narrative Entfaltung einer autoritären Konstruktion im Zombie-Genre“. Es handelt sich hier nicht um eine film- oder medienwissenschaftliche Lektüre des Genres, „sondern um die theoretisch informierte Analyse eines autoritären Konstrukts, das im Verlauf der Genregeschichte auf je unter-schiedliche Weise zur Entfal-tung kommt.“ (S. 11/12). Es geht um eine „politisierbare Kopplung von Masse und Apokalypse“. Theoretische Bezugspersonen sind Carl Schmitt, Gustave Le Bon und Sigmund Freund. Der Prozess verläuft „vom apokalyptischen Ende der Ordnung zum Naturzustand der Masse“. Dies wird – nach einer kurzen Genre-Geschichte – im ersten, 55-seitigen Theorie-Teil in den Blick genommen. Der zweite, 90-seitige Analyse-Teil ist dreistufig: Kontrolle und Kontrollverlust (Von WHITE ZOMBIE zu NIGHT OF THE LIVING DEAD), Kontrollverlust und Untergang (NIGHT OF THE LIVING DEAD und DAWN OF THE DEAD), Nach dem Untergang (28 DAYS LATER und THE WALKING DEAD). Die Filme von George A. Romero nehmen eine Schlüsselstellung ein. Dabei werden auch wichtige mediale Erkenntnisse vermittelt. Keine Abbildungen. Mehr zum Buch: number=978-3-8376-4823-2
18. Juni 2020
Von Bettlern, Waisenkindern und Dienstmädchen
Eine Dissertation, die an der Universität Trier entstanden ist. Caroline Braun untersucht darin Armutsdarstellungen im frühen Film und ihren Anteil an der Etablierung der Kinos in Deutschland. Vier Kapitel bilden die Struktur: 1. Fiktionale Armutsdarstellungen im frühen Film 1907-1913. Da die wenigsten der damaligen Filme erhalten sind, liefern Filmbe-schreibungen der Branchenzeit-schrift Der Kinematograph das Untersuchungsmaterial. 2. Ar-mut im frühen Kurzspielfilm – Wiederkehrende Topoi und stereotype Charaktere? Es geht um Bettler und Vagabunden, Weihnachten und Wohltätigkeit, Arbeiter und die soziale Frage, Armut als Unterhaltung. 3. Frauenarmut im langen Spielfilm. Hier sind große Veränderungen in den sozialen Dramen festzustellen. 4. Mit der Armut zum Star? – Wie die Inszenierung von Frauenarmut zum Erfolg weiblicher Filmstars beitrug. Natürlich stehen hier Asta Nielsen und Henny Porten im Vordergrund der Analysen. Wichtige Filme zum Thema sind DIE ARME JENNY, HEISSES BLUT, IN DEM GROSSEN AUGENBLICK, DIE SÜNDEN DER VÄTER, alle mit Asta Nielsen, MÜTTER, VERZAGET NICHT! und DIE TRAGÖDIE EINES SREIKS mit Henny Porten. Die Analysen von Caroline Braun sind stichhaltig, 813 Quellenverweise sichern den Text wissenschaftlich ab. Mit 90 kleinen Abbildungen in zumeist guter Qualität. Band 25 der Reihe „Filmgeschichte International“, herausgegeben von Uli Jung. Mehr zum Buch in einer Rezension von Jan-Christopher Horak: MEDRez_2020-01_Heft_.pdf?sequence=2 , S. 72-74.
17. Juni 2020
Den Glauben an die Welt mit dem Wahnsinn bezahlen
Eine Masterarbeit, die an der Universität Mainz entstanden ist. Die Reflexionen von Chri-stian Alexius zum postklassi-schen Kino basieren auf der These von Gilles Deleuze, dass der Preis, den es für die Wieder-herstellung des Glaubens an die Welt zu bezahlen gilt, der Wahnsinn sei. Entsprechend richtet der Autor seinen Blick auf die mindgame movies, lässt sich filmtheoretisch u.a. von Thomas Elsaesser und Oliver Fahle leiten, unternimmt eine kleine Reise durch die Film-geschichte, verweist auf DER ANDERE von Max Mack (1913), GEHEIMNISSE EINER SEELE von G.W. Pabst (1926), SPELLBOUND von Alfred Hitchcock (1945), BIGGER THAN LIFE von Nicholas Ray (1956), WIE IN EINEM SPIEGEL von Ingmar Bergman (1961), ANGST VOR DER ANGST von Rainer Werner Fassbinder (1975) und viele andere Filme auch aus jüngerer Zeit. Ein eigenes Kapitel ist Gilles Deleuze und der Katholizität des Kinos gewidmet. Beeindruckend: die Analyse des südkoreanischen Filmbeispiels I’M A CYBORG, BUT THAT’S OKAY (2006) von Park Chan-wook, der in einer Nervenheilanstalt spielt und eine Patientin als Hauptfigur hat, die sich für einen Cyborg hält. Ein lesenswertes Buch über den Wahnsinn im Film. Keine Abbildungen. Band 80 der Reihe „Filmstudien“, herausgegeben von Oksana Bulgakowa und Norbert Grob. Mehr zum Buch: mit-dem-wahnsinn-bezahlen-id-86887/
16. Juni 2020
Update!
Eine Habilitationsschrift, die an der Universität Zürich entstan-den ist. Franziska Heller analy-siert darin auf hohem wissen-schaftlichen Niveau die Film- und Mediengeschichte im Zeit-alter der digitalen Reproduzier-barkeit. Für ihre Beschreibung von Aspekten medienhistorio-grafisch wirksamer Erfahrungs-bildung hat sie vier Cluster ge-bildet: 1. Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kino-geschichte. Mediale Beispiele sind hier der Werbeclip RESTO-RING THE CLASSICS (2012) zum 100. Geburtstag des Studios Universal, der Werbeclip zur Platinum Edition (2007) von Disneys PETER PAN (1953) und der Werbeclip zur Blu-Ray-Disc von Universal 2010. 2. Aspekte digitaler Performance und der Zuschauer als Vollzugsinstanz. Filmbeispiele sind hier THE SOLDIER’S COURTSHIP (1896), die DVD THE BROTHERS’ LUMIÈRE FIRST FILMS (1998) und das filmische Fragment TOO MUCH JOHNSON (1938) von Orson Welles. 3. Funktionalisierung des Imaginären in aisthetischer Historiografie. Filmbeispiele: die Re-Edition LE VOYAGE DANS LA LUNE (2011), THE RESTAURATION OF OZ (2005), MÜNCH-HAUSEN (1943/2005) und DREI NÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL (1973). 4. Mediale Zirkulation und Mise en Relation. Zu den Filmbeispielen gehören DIE SCHÖNSTE (1957-59/2003), DIE NIBELUNGEN (1924) und DAS ERBE DER NIBELUNGEN (2011), METROPOLIS (1927) und die kritische Studienfassung (2005), DAS BOOT (1981/85) als amphibischer Film. Die Rezeption der Filmgeschichte in der Gegenwart wird von Franziska Heller auf sehr differenzierte Weise in den Blick genommen. Mit Abbildungen in guter Qualität. Das Coverfoto stammt von Valerio Greco und wurde 2017 bei einer Open-Air-Filmaufführung im Rahmen des Festivals Il Cinema Ritrovato in Bologna aufgenommen. Mehr zum Buch: https://www.fink.de/view/title/55287
14. Juni 2020
ARDENNEN 1944/ATTACK! (1956)
Die Ardennen-Offensive der deutschen Truppen bringt die Kompanie des amerikanischen Captain Erskine Clooney mehr-fach in Bedrängnis. Cooney unterlässt in drei Fällen den notwendigen Einsatz, um eingeschlossenen Soldaten zu Hilfe zu kommen. Das führt zu hasserfüllten Konfrontationen mit seinem Lieutenant Joe Costa. Offensichtlich wird Cooney durch den Bataillions-kommandeur Clyde Bartlett protegiert, weil deren Familien befreundet sind. Lt. Harold Woodruff fungiert zunächst als vermittelnde Instanz. Im Showdown wird Costa am Ende von einem Panzer tödlich verwundet, Woodruff erschießt Cooney und meldet dessen Versagen über den Kopf von Bartlett an General Parson. Robert Aldrich hat diesen Film 1956 realisiert, gedreht in Schwarzweiß, mit starken Darstellern in den Hauptrollen: Jack Palance als Joe Costa, Eddie Albert als Erskine Cooney, Lee Marvin als Clyde Bartlett, William Smithers als Lt. Woodruff. Peter van Eyck spielt einen SS-Offizier. Unter den Kriegsfilmen der 50er Jahre ein wichtiger Titel, der jetzt von Koch Media als Blu-ray veröffentlicht wurde. Zu den Extras gehören der Werbetrailer und eine Bildergalerie. Mehr zur Blu-ray: attack_blu_ray/
13. Juni 2020
MEIN ENDE, DEIN ANFANG. (2019)
Es beginnt mit einer Vorlesung des jungen Physikprofessors Aron. Er spricht den klugen Satz: „Relativität besagt, dass Zukunft und Vergangenheit die gleiche Gültigkeit für die Gegenwart haben.“ Kurz darauf wird Aron bei einem Banküber-fall versehentlich erschossen und stirbt in den Armen seiner Partnerin Nora, die als Kassie-rerin im Supermarkt arbeitet. Zwei Zeitebenen werden vor uns aufgeblättert: wie sich Nora und Aron an einem Regentag in der U-Bahn begegnet sind und daraus eine Beziehung wird – und was Nora tut, als Aron sie verlassen hat. Eine dritte Person kommt ins Spiel: Natan, der seinen Job als Nachtwächter verloren hat, durch die Straßen zieht und darüber nachdenkt, wie er seiner Tochter helfen kann, die an Leukämie erkrankt ist. Es kommt zu einer Verbindung zwischen Nora und Natan. Der Film von Mariko Minoguchi – es ist ihr Debüt als Regisseurin eines langen Spielfilms – hat eine erstaunliche Spannung, weil wir die Zeitsprünge im Kopf nachvollziehen müssen und die Lösung mancher dramaturgischen Rätsel erst spät erfolgt. Die Hauptrollen sind stark besetzt: Saskia Rosendahl als Nora, Julius Feldmeier als Aron, Edin Hasanovic als Natan. In Nebenrollen sind Jeanette Hain als Noras Mutter und Hanns Zischler als Arons Vater zu sehen. Die Regisseurin hat auch das Drehbuch verfasst, sie ist Autodidaktin, hat Praktika und Assistenzen gemacht und bisher einige Kurzfilme realisiert. Eine große Begabung! Die DVD des Films ist bei EuroVideo erschienen. Unbedingt sehenswert. Mehr zur DVD: mein-ende-dein-anfang,tv-kino-film.html
12. Juni 2020
„Der zerrissene Brief“
Dass Hanns Zischler nicht nur ein hervorragender Schauspie-ler, sondern auch ein exzellen-ter Autor ist, wissen wir durch seine Bücher „Kafka geht ins Kino“, „Berlin ist zu groß für Berlin“ und „Das Mädchen mit den Orangenpapieren“. Jetzt ist im Galiani Verlag sein erster Roman erschienen, „Der zerris-sene Brief“, und er bestätigt alle positiven Erwartungen. Erzählt wird die Geschichte der 84jähri-gen Pauline Lassenius, die sie im Dialog mit ihrer Ziehtochter Elsa, die in Frankfurt am Main Biologie studiert, als assoziative Erinnerung lebendig werden lässt. Die Reise in die Vergangenheit wird von Pauline ganz persönlich formuliert und durch Briefe, Fotos, Zeitungsausschnitte und kleine Objekte dokumentarisch beglaubigt. Elsa stellt Fragen, Pauline antwor-tet. Ein zentrale Rolle spielt Max, der sehr viel ältere Lebenspartner von Pauline. Sie lernen sich am 9.9.1899 kennen und verlieben sich ineinander. Als erstes spendiert Max der damals 17jährigen Pauline eine Reise nach New York, wo sie zwei Jahre im Botanischen Garten in der Bronx arbeitet. Nach ihrer Rückkehr fahren sie zusammen durch die Welt, soweit dies die politischen Verhältnisse zulassen. Max ist Kameramann und Abenteurer, sammelt Masken, besuchte die Scha-manen, ist neugierig auf das Unbekannte. Der Wohnort von Max und Pauline ist Uppsala in Schweden. 1938 stirbt Max, 1949 kehrt Pauline nach Deutschland zurück, sie wohnt wieder im mittelfränkischen Treuchtlingen, wo alles begonnen hat. Hier findet auch im Sommer 1966 das lange Gespräch mit Elsa statt, an dem uns Hanns Zischler teilnehmen lässt. Es gibt immer wieder überraschende Wendungen, eingefügt sind faksimilierte Zeitungsausschnitte und andere Dokumente, und wir erfahren auch viel über die 23jährige Elsa, die gerade einen großen Liebeskummer hat. 269 Seiten, deren Lektüre beglückend ist. Mehr zum Buch: brief-9783869712079
11. Juni 2020
Filmische Verortungen von Geschichte
Eine Dissertation, die an der Universität Wien entstanden ist. Lena Stölzl untersucht darin, wie historische Schauplätze in Dokumentarfilmen sichtbar gemacht werden. Ihre sechs Schritte sind „Aufsuchen“ (Filmbeispiel CALIFORNIA COMPANY TOWN, 2008, von Lee Anne Schmitt), „Über-prüfen“ (TOPONIMIA, 2015, von Jonathan Perci), „Nach-vollziehen“ (LE CERCLE DES NOYÉS, 2007, von Pierre-Yves Vandeweerd), „Wiederkehren“ (REVISION, 2012, von Philip Scheffner), „Intervenieren“ (THE WAVE, 2012, DUST BREEDING, 2013, von Sarah Vanagt). Es sind jeweils Ortschaften, Straßen, Gebäude, in denen aus heutiger Perspektive die Vergangenheit gesucht wird. Die Beschreibungen der Autorin sind präzise, die wissenschaftliche Absicherung wird nicht übertrieben, sodass die Lektüre spannend bleibt. Mit Abbildungen in guter Qualität. Mehr zum Buch: number=9783958082533

