Dekonstruktion des Bürgerlichen im Weimarer Kino

6416-8 CraciunEs gibt immer wieder neue Untersuchungen zum Film der Weimarer Republik. Die rumänische Germanistin Ioana Crãciun (sie ist auch als Lyrikerin, Dramatikerin und Grafikerin tätig) hat mit Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung in Frankfurt und Marbach geforscht und ihre interessanten Erkenntnisse jetzt im Universitätsverlag Winter publiziert. Sie zitiert zwar sehr oft Siegfried Kracauer, relativiert aber dessen Thesen und kommt bei ihren Analysen zu ganz eigenständigen Ergebnissen. Sie fokussiert ihren Blick auf fünf Themenbereiche und begrenzt die Untersuchung auf die Zeit des Stummfilms. Im ersten Kapitel geht es um „Die Großstadt und ihre Psychopathologie“. Die ausgewählten Filme sind ASPHALT von Joe May, DIE FREUDLOSE GASSE und GEHEIMNISSE EINER SEELE von G. W. Pabst. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Darstellung der männlichen Homosexualität. ANDERS ALS DIE ANDERN von Richard Oswald und ICH MÖCHTE KEIN MANN SEIN von Ernst Lubitsch sind die Filmbeispiele, außerdem werden hier Friedrich Wilhelm Murnau und seine beiden Filme DER LETZTE MANN und NOSFERATU ins Spiel gebracht. Das dritte Kapitel mit der Überschrift „Was hast du armet Wesen auf dieser Welt zu verlieren?“ handelt von Kindergestalten und Kinderschicksalen, wie sie in BERLIN. DIE SINFONIE DER GROSSSTADT von Walther Ruttmann, in verschiedenen Filmen von Fritz Lang, in Murnaus FAUST und in Gerhard Lamprechts DIE UNEHELICHEN zu sehen sind. Die umfangreichste Analyse gilt hier der Figur der „kleinen Thymian“ (dargestellt von Louise Brooks) in Pabst TAGEBUCH EINER VERLORENEN. Das vierte Kapitel („Ich möchte etwas Böses sehen … etwas ganz, ganz Böses …!“) handelt von Verbrechen und Verbrechern. Acht Filme werden in diesem Zusammenhang genauer untersucht: WACHSFIGURENKABINETT von Paul Leni, VON MORGENS BIS MITTERNACHTS von Karlheinz Martin, PHANTOM und SCHLOSS VOGELÖD von F. W. Murnau, DR. MABUSE, DER SPIELER und SPIONE von Fritz Lang und DER BETTLER VOM KÖLNER DOM von Rolf Randolf. Im fünften und letzten Kapitel geht es um die Gestalt des Doppelgängers in DER STUDENT VON PRAG von Henrik Galeen (mit einem Blick auf die erste Verfilmung 1913), METROPOLIS von Fritz Lang und, zum Schluss, DAS CABINET DES DR. CALIGARI von Robert Wiene. Beeindruckend am Text von Ioana Crãciun finde ich ihre Vertrautheit mit der deutschen Literatur, ihren Blick „von außen“ und ihre Sensibilität in den Bildbeobachtungen. Mehr zum Buch: Dekonstruktion_des_Buergerlichen/

THE PLAYER von Robert Altman

2015.DVD.The PlayerRobert Altman (1925-2006) ist für mich einer der Großen des amerika-nischen Films. Neben M*A*S*H, NASHVILLE und SHORT CUTS ist THE PLAYER (1992) ein Film, den ich besonders liebe. Bei KSM ist jetzt eine DVD des Films erschienen. Das Drehbuch hat Michael Tolkin geschrieben. Das Thema heißt Hollywood. Die Hauptfigur ist Griffin Mill (Tim Robbins), ein Produzent, der unter Erfolgsdruck steht und mit seiner Macht, über die Realisierung von Projekten zu entscheiden, anonyme Feinde hat. Drohbriefe spitzen seine schwierige Lage zu. Beim Treffen mit einem abgelehnten Autor kommt es zu Handgreiflichkeiten, der Autor stirbt, aber die Drohungen enden nicht. Der Film hat satirische Momente, es gibt Cameo-Auftritte von mehr als 50 Stars, darunter sind Harry Belafonte, Karen Black, Cher, Peter Falk, Jeff Goldblum, Anjelica Huston, Jack Lemmon, Nick Nolte, Julia Roberts, Susan Sarondon, Rod Steiger, Lily Tomlin und Bruce Willis. Zu den Extras der DVD gehören ein Audiokommentar von Robert Altman und Michael Tolkin, ein Interview mit Altman, einige nicht verwendete Szenen, der Trailer und eine Bildgalerie sowie ein Booklet. Mehr zur DVD: php?id=3565

Remakes and Remaking

2015.RemakesIn der Filmliteratur sind Remakes ein beliebtes Thema. Der vorliegende Band, herausgegeben von Rüdiger Heinze und Lucia Krämer, kommt aus dem Bereich der American Studies, alle Beiträge sind in englischer Sprache formuliert. Im Kapitel „Intra-medial Intracultural Remaking“ geht es um Remake-Vergleiche amerikanischer Produk-tionen. Oliver Lindner stellt RISE OF THE PLANET OF THE APES (2011) von Rupert Wyatt dem vierten Film der „Apes Saga“, CONQUEST OF THE PLANET OF THE APES (1972) von J. Lee Thompson gegenüber, Michael Butter vergleicht THE MANCHURIAN CANDIDATE (1962) von John Frankenheimer mit dem Remake von Jonathan Demme (2004), Johannes Fehrle den Western 3:10 TO YUMA (1957) von Delmer Daves mit dem Remake von James Mangold (2007). In allen Fällen sind die Unterschiede zwischen den Filmen eklatant. Im Kapitel „Intra-medial Transcultural Remaking“ öffnen sich die Horizonte transkulturell: Lucia Krämer beschäftigt sich mit indischen Remakes von amerikanischen Western Filmen, Martin Lüthe analysiert die Unterschiede zwischen dem amerikanischen Film THE DEPARTED (2006) von Martin Scorsese und dem in Hongkong realisierten Film INFERNAL AFFAIRS (2002) von Wai-Keung Lau und Alan Mark. Im dritten Kapitel, „Inter-medial Remaking“, werden midiale Grenzen aufgelöst. Bei Till Kinzel geht es um die sieben Verfilmungen des klassischen englischen Romans „Oliver Twist“ von Charles Dickens, die erste stammt aus dem Jahr1921 (von Millard Webb), die vorerst letzte aus dem Jahr 2005 (von Roman Polanski). Maria Marcsek-Fuchs untersucht die unterschiedlichen Interpretationen von Prokofievs „Romeo und Julia“ in den Choreographien von Lavrovsky, Cranko, MacMillan, Neumeier und Nureyev zwischen 1940 und 1977. Sabine N. Meyer sieht eine filmische Nähe zwischen AVATAR (2010) von James Cameron und DANCES WITH WOLVES (1990) von Kevin Costner. Martin Butler schließt den Band mit seiner Reflexion über das Online-Projekt STAR WARS UNCUT: A NEW HOPE (2010) und die Möglichkeit des Web 2:0. Mehr zum Buch: remakes-and-remaking

Klassiker des polnischen Films

2015.Polnische FilmklassikerDer erste Band einer neuen Reihe: „Klassiker des osteuropäischen Films“. Neun Herausgeberinnen und Herausgeber zeichnen dafür verantwortlich, für die „Klassiker des polnischen Films“ sind dies Christian Kampkötter, Peter Klimczak und Christer Petersen. Als Zielgruppe sollen nicht Fachleute erreicht werden, sondern ein „breites Publikum“, das allerdings eine gewisse Neugierde mitbringen muss. 25 polnische Spielfilme werden hier zu Klassikern erklärt, beginnend mit DIE LETZTE ETAPPE (1948) von Wanda Jakubowska, endend mit DER TAG EINES SPINNERS (2002) von Marek Koterski. Bekannt sind mir natürlich die vier Filme von Andrzej Wajda, die drei Filme von Krzysztof Kieslowski, die zwei Filme von Aleksander Ford und der jeweils eine ausgewählte Film von Wojciech Jerzy Has (DIE HANDSCHRIFT VON SARAGOSSA), Agnieszka Holland (FIEBER), Jerzy Kawalerowicz (MUTTER JOHANNA VON DEN ENGELN), Krzysztof Krauze (DIE SCHULD), Roman Polanski (DAS MESSER IM WASSER) und Krysztof Zanussi (TARNFARBEN). Die Filme von Marek Piwowski, Grzegoru Królikiewicz, Stanislaw Bareja, Juliusz Machuski, Piotr Szulkin und Wladyslaw Pasikowski kenne ich nicht. Die Texte im Buch machen in der Tat neugierig. Sie wirken sachkundig, erzählen den Plot, verorten die Regisseure in einem Kontext. „Die ihrem Anspruch nach ebenso wissenschaftlichen wie populärwissenschaftlichen Beiträge stammen von Autorinnen und Autoren aus der Slawistik, den Kultur-, Medien- und Filmwissenschaften“, heißt es auf dem Buchumschlag. Einzelhinweise fehlen leider. Auch auf Abbildungen wurde verzichtet. Dennoch: empfehlenswert. Mehr zum Buch: klassiker-des-polnischen-films.html

Carl Laemmle

2015.LaemmleVor zwei Jahren hat Udo Bayer eine Biografie über den Gründer der Universal-Studios, Carl Laemmle aus Laupheim, im Verlag Königshausen & Neumann publiziert. Laemmle (1867-1939) war eine Schlüsselfigur der frühen Geschichte des amerikanischen Kinos; er stammte aus dem schwäbischen Laupheim, wanderte 1884 in die USA aus, machte den bilderbuchhaften Aufstieg vom Laufburschen für einen Drugstore zum Geschäftsführer einer Textilfirma, wurde ein Kinopionier in Chicago und gründete 1912 die „Universal Motion Picture Manufacturing Company“, die Ende der 1910er Jahre als „Universal Pictures“ zu den „Big Five“ in Hollywood gehörte. Der Historiker Bayer hatte bei seiner Biografie aus einer archivarischen Fülle schöpfen können. Das hat ihn jetzt animiert, dem Text-Buch eine Laemmle-Biografie in Bildern und Dokumenten folgen zu lassen, die bei Hentrich & Hentrich erschienen ist. 178 Fotos, Plakate, faksimilierte Briefe und Telegramme, Zeitungs- und Zeitschriftenartikelartikel fügen sich zu einer außergewöhnlichen Familiengeschichte, denn dem Pionier Carl folgten zahlreiche andere Familienangehörige in die USA und in die Filmbranche. Zu allen Bildern und Dokumenten gibt es kurze Kommentare. Von Wolfgang Jacobsen stammt ein schönes Vorwort, von Bayer eine kurze Einführung. Der ganze Band in Deutsch und Englisch. Mehr zum Buch: nach-hollywood.html

Nachkriegskino in Deutschland

2015.ReflektionenEs gab in den letzten Jahren immer wieder Publikationen zum Nachkriegskino in Deutschland, ich erinnere nur an „Nachkriegskino“ von Gerhard Bliersbach, „Rubble, Ruins and Romanticism“ von Martina Moeller, „Trümmerfilme“ von Robert R. Shandley, aber diese historische Phase bietet der Filmforschung noch viel Stoff zur Bearbeitung. Das wird bei der Lektüre des Bandes „Reflexionen des beschädigten Lebens?“ deutlich. Er basiert auf einer Tagung, die im Juli 2012 in Frankfurt am Main stattgefunden hat. In ihrem Vorwort erinnert Claudia Dillmann an die frühen Aktivitäten des Deutschen Filmmuseums („Zwischen Gestern und Morgen“ hieß 1989 eine Publikation, die Hilmar Hoffmann und Walter Schobert herausgegeben haben). Die 14 Beiträge des vorliegenden Buches stammen zum Teil von erfahrenen Filmhistorikern (Jan-Christopher Horak, Bernhard Groß, Stephen Lowry), aber vor allem von jungen Autorinnen und Autoren, die mit einem neuen Blick auf die Periode schauen (zum Beispiel Christian Pischel, Sarah Kordecki oder Maja Figge). Auch die Herausgeber Bastian Blachut, Imme Klages und Sebastian Kuhn gehören zu dieser neuen Generation. Ich greife einige Texte heraus, die mich besonders interessiert haben: Chris Horaks Beitrag zur Nachkriegs-Remigration in Deutschland basiert natürlich auf seinen früheren Forschungen. Auch Stephen Lowry hat sich zum Thema „Stars im westdeutschen Nachkriegskino“ schon mehrfach geäußert. Interessant fand ich die Analysen von Daniel Jonah Wolpert über „Freitod und Neubeginn in den deutschen Filmen der unmittelbaren Nachkriegszeit“, also die Suizide u.a. in EHE IM SCHATTEN, IN JENEN TAGEN und ZWISCHEN GESTERN UND HEUTE, die der Autor sehr rigoros als Schlusspunkte interpretiert, die einen Neubeginn ermöglichen sollen. Auch der Text von Maja Figge über „Generische und rassisierte Überblendungen in DIE GOLDENE PEST“ basiert auf einer detaillierten Filmanalyse. Christian Pischel untersucht „Audiovisuelle Figurationen der Masse in den DEFA-Filmen der 1950er Jahre“, speziell in DIE UNBESIEGBAREN, DAS LIED DER MATROSEN und ERNST THÄLMANN I. Seine Bild- und Ton-Beobachtungen sind sehr differenziert. Judith Kretzschmar thematisiert den Heimatfilm in der DDR mit Konrad Wolfs EINMAL IST KEINMAL als zentralem Filmbeispiel. Einen Blick über die Grenzen wirft Massimo Perinelli mit seinem Text „Achtung! Tedeschi! Trümmerfilm, Neorealismus und das Bild der Deutschen im italienischen Nachkriegsfilm“. In der Summe: ein sehr lesenswertes Buch. Mehr zum Buch: VXBKmByWFgs

Dziga Vertov

2015.DVD.VertovDas Österreichische Filmmuseum hat eine besonders intensive Verbindung zum Werk des sowjetischen Regisseurs Dziga Vertov (1895-1954). Peter Konlechner war zu seiner Direktorenzeit der Initiator dazu, Alexander Horwath setzt sie fort. In der „Edition Film-museum“ erschien 2005 die DVD der SIMFONIJA DONBASSA / DIE DONBASS-SINFONIE (1930), 2010 eine Doppel-DVD von ŠESTAJA CAST’ MIRA / EIN SECHSTEL DER ERDE (1926) und ODINNADCATYJ / DAS ELFTE JAHR (1928). Jetzt sind TRI PESNI O LENINE / DREI LIEDER ÜBER LENIN (1934) an der Reihe. Der Film entstand zum zehnten Todestag Lenin. Die drei Lieder sollen in verschiedenen Regionen der UdSSR zu Ehren ihres Gründers vom Volk gesungen worden sein. Historisches Material verbindet sich mit neuen, von Vertov gedrehten Szenen. Der Film wird hier erstmals auch in den von Vertov überarbeiteten Stumm- und Tonfilm-Fassungen publiziert. Zum Bonus-Material gehören die KINOPRAVDA No. 21 und No. 22 von Vertov sowie der Film DZIGA VERTOV von Peter Konlechner, der 1974 entstanden ist und nie ausgestrahlt wurde. Er informiert chronologisch über den Aufstieg und Fall des großen sowjetischen Regisseurs und enthält Ausschnitte aus einem Interview mit Vertovs Witwe Elizaveta Svilova, die auch seine Assistentin war. Im Booklet kann man in Deutsch und Englisch informative Texte von Adelheid Heftberger lesen, der Kuratorin der Sammlung Dziga Vertov im Österreichischen Filmmuseum. Mehr zur DVD: Tri-pesni-o-Lenine.html

Edmund Meisel

2015.MeiselEdmund Meisel (1894-1930) war einer der wichtigsten Filmkom-ponisten in der Weimarer Republik. Er hat die Musik zu den deutschen Fassungen von Eisensteins PANZER-KREUZER POTEMKIN und OKTOBER komponiert, aber auch zu Walther Ruttmanns BERLIN – DIE SINFONIE DER GROSSSTADT und zu Friedrich Zelniks DER ROTE KREIS. Werner Sudendorf hat vor dreißig Jahren biografische Materialien über ihn publiziert. Aber die Erinnerungen an ihn sind lückenhaft. Martin Reinhart (Wien) und Thomas Tode (Hamburg) haben sich, inspiriert durch die wiederentdeckte „Wiener Fassung“ des PANZERKREUZER POTEMKIN, auf eine intensive Spurensuche begeben und sind dabei fündig geworden. Sie entdeckten Schallplatten und Filmmaterial in Wien, Frankfurt und Paris. „131 Minuten Meisel“ heißt die Überschrift von Reinharts Text in der vorliegenden Publikation. Er fügt sich mit vier anderen Beiträgen und sieben historischen Texten zu einem genaueren Bild des Komponisten. Co-Herausgeber Thomas Tode schreibt über den PANZERKREUZER POTEMKIN und seine Filmmusik im Spiegel der zeitgenössischen deutschen Presse („The Soul of a Century“). Von Fiona Ford wird ein Auszug aus ihrer Dissertation dokumentiert („Edmund Meisel’s POTEMKIN Score – A Close Reading“). Tode und Reinhart referieren über die Nachkriegsfassungen des PANZERKREUZER POTEMKIN. Und Fiona Ford gibt einen „Bibliographical Survey“. Auch die „Pressemeldungen“ zu Edmund Meisel aus den Jahren 1925 bis 1931 sind lesenswert. Wie schade, dass der Komponist im Alter von nur 36 Jahren an einer Blinddarmentzündung gestorben ist. Mit zahlreichen Abbildungen. Mehr zur Publikation: 978-3-205-20073-4.html

Claude Sautet

2015.Sautet 2Im Berliner Arsenal beginnt heute eine Retrospektive der Filme von Claude Sautet (1924-2000). Gezeigt werden bis 30. Juni seine 13 Filme, zum Teil in unterschiedlichen Fassungen. – Im Schüren Verlag ist gerade die erste deutschsprachige Monografie über Sautet erschienen. Sie stammt von Bettina Karrer, es handelt sich um ihre in Mainz geschriebene Dissertation. Der Text ist gut strukturiert und erschließt durch seine Analyse das Werk eines großen Regisseurs, der lange unterschätzt wurde. Karrer stellt Sautet zunächst in einen film-historischen Kontext, definiert seine Kinokonzeption, sie erkennt in seinem Werk „ein fragmentarisches Selbstporträt“. Dann geht es um narrative Strategien und Strukturen (Drehbuch, Dramaturgie, Erzählmodus, Montage), um „Erzählbausteine“, um die Strategien der Kamera und Lichtsetzung. Ein eigenes Kapitel ist den „Klangwelten“ gewidmet. Der Fokus richtet sich anschließend auf die Bildmotive (Klimatografische Zeichen, Bewegungs- und Übergangsindikatoren, Wanddekor). Es gibt eine „Topografie der Schauplätze“ (Paris, unterwegs in Frankreich, auf der Straße, Baustellen, Wohnsituationen und Innenräume). Besonders beeindruckend sind die Farbanalysen. Die letzten vier Kapitel konzentrieren sich auf „Figurenkonzeption“, „Interaktionsmuster“, „Kommunikation“ und „Seelen in Not“, das heißt auf das Personal, die Darsteller, das Verhältnis von Mann und Frau, auf Blicke, auf die Emotionalität. Das Resümee zu Sautet lautet schließlich, von der Autorin wunderbar formuliert: „Das Werk, widersprüchlich, skeptisch-melancholisch und voller Leben, eine Herzensangelegenheit, ein dissonantes Trotzdem. Seine Konstituenten: Zärtlichkeit, Ehrlichkeit. Ohnmacht, Schmerz, Sehnsucht. Und Hoffnung; trotzdem.“ (S. 360). Eine beeindruckende, bis ins Detail genaue Analyse mit vielen Quellenverweisen. Respekt! Die Abbildungen sind klug ausgewählt und auch in den kleinen Formaten gut erkennbar. Ich vermisse eine Filmografie und ein Register der Filmtitel. Coverfoto: MAX ET LES FERRAILLEURS (1971). Mehr zur Retrospektive: 5520/2796.html . Mehr zum Buch: claude-sautet.html

Günter Reisch

2015.ReischSeine Erinnerungen aufzuschreiben, war ihm offenbar eine Herzens-angelegenheit. Er wollte noch einmal den Ablauf seines Lebens, die Realisierung seiner Filme so in Erinnerung rufen, wie sie aus seiner Sicht stattgefunden haben. Ganz vollenden konnte er diese Autobiografie nicht. Als Günter Reisch am 24. Februar 2014 im Alter von 86 Jahren starb, fehlte noch das letzte Kapitel. Beate Reisch und Peter Warnecke haben die Lücken mit Dokumenten gefüllt. – „Günter R. will Regisseur werden“, stand auf dem Abiturzeugnis 1947. Er wurde Regisseur, drehte insgesamt zwanzig Filme: Komödien und historische Filme. Drei schätze ich persönlich besonders: EIN LORD AM ALEXANDERPLATZ (1967), WOLZ – LEBEN UND VERKLÄRUNG EINES DEUTSCHEN ANARCHISTEN (1973) und DIE VERLOBTE (1980, Co-Regisseur: Günther Rücker). In 15 Kapiteln erzählt Günter Reisch sein Leben, beginnend mit Kindheit und Jugend, den Lehrjahren bei Gerhard Lamprecht und Kurt Maetzig, den Debüts im Kino (JUNGES GEMÜSE, 1956) und im Theater („Krieg und Frieden“ 1958 in Rostock). Dann folgen die Realisierung des fünfteiligen Fernsehfilms GEWISSEN IN AUFRUHR (1961, gemeinsam mit Hans-Joachim Kasprzik), der Komödie ACH, DU FRÖHLICHE…, des ersten Liebknecht-Film SOLANGE LEBEN IN MIR IST (1965), die Erfahrungen beim 11. Plenum im Dezember 65, die Zusammenarbeit mit Erwin Geschonneck beim LORD AM ALEXANDERPLATZ, die Verfilmung von Alfred Kurellas Erinnerungsbuch „Unterwegs zu Lenin“, der zweite Liebknecht-Film TROTZ ALLEDEM! (1972), der Anarchistenfilm WOLZ, die Komödie ANTON DER ZAUBERER mit Ulrich Thein, das politische Drama DIE VERLOBTE mit Jutta Wachowiak, eine schwere Erkrankung und schließlich der letzte Film, WIE DIE ALTEN SUNGEN… (1987). Danach hat Günter Reisch vor allem unterrichtet, und verschiedene seiner Schüler erzählen davon. Eingeleitet wird das Buch mit einer Laudatio von Rudi Jürschik zu Reischs 85. Geburtstag, der Anhang enthält eine Biografie und eine Filmografie. Viele Abbildungen, einige stammen von Günter Reisch, der ein leidenschaftlicher Fotograf war. Mehr zum Buch: will-regisseur-werden.html