Scenario 9

2015.Scenario 9Ein Kegler würde jetzt wohl sagen „Alle Neune!“. Und sich über den Wurf freuen. Aber das Kegeln ist nicht meine Welt, und so sage ich mit einer Verbeugung vor dem Heraus-geber Jochen Brunow: der neunte Band von „Scenario“ ist da, und es gibt Grund zur Freude. In einer Veranstaltung im Museum für Film und Fernsehen wird heute der neue Film- und Drehbuchalmanach präsentiert. Er ist wieder mit Unterstützung der Deutschen Filmakademie erschienen, und die Präsidentin Iris Berben wird heute ausgewählte Texte daraus lesen. Die Auswahl wird ihr nicht ganz leicht gefallen sein, denn es gibt wieder viele interessante Beiträge. Das Werkstattgespräch hat Jochen Brunow zum zweiten Mal (nach Ruth Toma in „Scenario 2“) mit einer Autorin geführt: mit Heide Schwochow, der Mutter des Regisseurs Christian Schwochow, die bisher fünf Drehbücher geschrieben hat, zuletzt BORNHOLMER STRASSE (2014). Sie stammt aus der DDR, hat verschiedene Ausbildungen absolviert und kann sehr reflektiert über ihre Arbeit als Autorin sprechen. Die vier „Essays“ stammen von dem dffb-Absolventen Paul Salisbury („Mein Weg vom Tagträumer zum Drehbuchautor in nur 360 Monaten“), Thomas Knauf („Erinnerungen an eine Filmschule“ – zum 60. Geburtstag der HFF Konrad Wolf), Sascha Arango („Erzählen und Verschweigen oder vom Drehbuch zum Roman und wieder zurück“ – ein glänzend formulierter Erfahrungsbericht über seinen erfolgreichen Ausflug in die Literatur, zum Verlag Random House) und Gerhard Midding (über Jean-Claude Carrière und sein Buch „Der Kreis der Lügner“). Das „Journal“ von Xao Seffcheque erzählt die Entstehungsgeschichte seines Films DIE KLEINEN UND DIE BÖSEN und dokumentiert vor allem seine Beharrlichkeit. In der Rubrik „Backstory“ ist zunächst, eingeleitet von Gerhard Midding, der überarbeitete Nachruf von Bertrand Tavernier auf den amerikanischen Drehbuchautor David Rayfiel (1923-2011) dokumentiert. Dann folgt ein hervorragend recherchierter Text von Michael Töteberg über die Mitarbeit des Autors Hans Werner Richter am Drehbuch des Film VON GOTT UND DEN MENSCHEN (1955) von Erich Engel und Richters Versuch, seine Erfahrungen in der Filmwelt in einem satirischen Hörfunkfeature („Pipapo – Die Geschichte eines Drehbuchs“, 1955) zu verarbeiten, das nach der Erstsendung im NWDR durch juristische Einsprüche im Giftschrank landete und später in Vergessenheit geriet. Auch eine Fernsehversion von Michael Kehlmann (unter dem Titel DIE WEICHEN SIND FALSCH GESTELLT, 1956) wurde verhindert. Die „Lesezeichen“ führen zu den Büchern „Erzählstimmen im aktuellen Film“ von Christina Heiser (Jochen Brunow verbindet dies mit eigenen Überlegungen zur Voice-over-Narration), „Der Klang des Films“ von Peter Rabenalt (rezensiert von Elke Rössler), „Der Tramp und die Bombe“ von James Agee und „Verzehrt“ von David Cronenberg (beide Texte von Manuela Reichart) und diversen Titeln im Lektürestreifzug von Andreas Resch. Das Drehbuch des Jahres, „In den Gängen“, stammt von Thomas Stuber und Clemens Meyer und wurde gestern von der Kulturstaatsministerin Monika Grütters ausgezeichnet. Coverfoto: NOVEMBERKIND. – Nun freuen wir uns auf „Scenario 10“.

Helga Reidemeister 75

2015.ReidemeisterHeute wird die Dokumentaristin Helga Reidemeister 75 Jahre alt. Sie ist Absolventin der Deutschen Film- und Fern-sehakademie, wurde 1973 an die dffb aufgenommen; ich war damals Mitglied der Prüfungs-kommission, also kenne ich sie jetzt schon über 40 Jahre. Ich habe viele (nicht alle) Filme von ihr gesehen, ich bewundere ihr Engagement, ihre Beharr-lichkeit, ihre Empathie. Besonders beeindruckt haben mich ihre Filme DREHORT BERLIN (1987), LICHTER AUS DEM HINTERGRUND (1998) und ihr zweiter Afghanistan-Film MEIN HERZ SIEHT DIE WELT SCHWARZ – EINE LIEBE IN KABUL (2009). Seit vielen Jahren ist sie im In- und Ausland als Dozentin tätig und hat inzwischen eine Honorarprofessur an der Filmakademie in Ludwigsburg. Sie wird von Studentinnen und Studenten geliebt, weil sie sozusagen mit dem Herzen filmt, ganz nah bei den Menschen, meist Frauen, für die sie sich engagiert. Ihre Dokumentarfilme sind nicht „beobachtend“, sie sucht den engen Kontakt zu den Protagonisten, sie ist parteilich. Zu ihrem Geburtstag wurde ihr neuester Film, SPLITTER AFGHANISTAN, in der Akademie der Künste uraufgeführt, im Arsenal war der Film VON WEGEN „SCHICKSAL“ zu sehen, und im Bundesplatz-Kino gibt es noch bis Ende März eine Werkschau mit Einführungen und Gesprächen. Britta Hartmann und Gerlinde Waz haben in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinemathek eine sehr schöne und informative Broschüre über Helga Reidemeister herausgegeben, die ich ausdrücklich empfehle. Liebe Helga, ich gratuliere Dir sehr herzlich zu Deinem 75. Geburtstag!

Kino „International“

2015.Kino InternationalIm Mai 1961, als der Bau des Kinos „Inter-national“ begann, hieß die Straße zwischen Alexander-platz und Straußberger Platz noch Stalinallee, im November 1963, als es mit dem sowjetischen Film OPTI-MISTISCHE TRAGÖDIE eröffnet wurde, war die Adresse Karl-Marx-Allee 33. Inzwischen gehört es zur Yorck Kinogruppe, hat vor gut einem Jahr sein 50jähriges Bestehen gefeiert, gilt als gesichert für die nahe Zukunft und ist bei vielen Kinobesuchern sehr beliebt. Der Architekt und Stadtplaner Dietrich Worbs hat jetzt im Gebr. Mann Verlag ein hervorragend recherchiertes Buch über die Geschichte des „International“ publiziert. Sehr detailliert werden Bauplanung, Realisierung und Gestaltung des Gebäudes geschildert. Vor allem die Platzierung des Kinosaals im ersten Stock galt als ungewöhnlich. Der Architekt Josef Kaiser war für die Planung verantwortlich. Das Buch vermittelt interessante Informationen über sein Leben und seine Arbeit. In der DDR-Zeit war das „International“ das große Premierentheater. Ich erinnere mich persönlich an viele Besuche in den 60er und 70er Jahren. Worbs widmet ein eigenes, umfangreiches Kapitel den Premieren der DEFA-Filme SPUR DER STEINE (30. Juni 1966), LOTTE IN WEIMAR (6. Juni 1975), SOLO SUNNY (17. Januar 1980) und COMING OUT (9. November 1989) im „International“. Er zitiert Zeitzeugen und dokumentiert die Presseresonanz. Auch dem Fassaden-Relief „Aus dem Leben der heutigen Menschen“ gilt ein Kapitel. Am Ende, für die Zeit ab 1990, geht es noch um Denkmalschutz, Treuhand-Verwaltung, Verkauf und Erhaltung des Kinos. Viele Abbildungen in bester Qualität. Coverfoto: Erik-Jan Ouwerkerk, 2014. Ein Kinobuch, wie man es sich wünscht. Mehr zum Buch: 302711&verlag=3

Robert Siodmak

2015.Siodmak1998 war die Retrospektive der Berlinale dem Regisseur Robert Siodmak (und seinem Bruder, dem Drehbuchautor Curt Siodmak) gewidmet. Die Publikation ist als Monografie kaum zu übertreffen. Im Frühjahr 2014 fand im Zeughaus-kino eine fast vollständige Robert Siodmak-Retrospektive statt. Frederik Lang, Kurator dieser Retrospektive, hat jetzt aus den acht dort gehaltenen Filmeinführungen ein kleines, sehr lesenswertes Büchlein gemacht, das im Schüren Verlag erschienen ist. Von Wolfgang Jacobsen stammt eine liebevolle „Vorbemerkung“, die Siodmaks Gesamtwerk im Blick hat. Chris Wahl beschäftigt sich mit Siodmaks Sprachversionsfilmen für die Ufa. Frederik Lang führt in die in Japan wiedergefundene deutsche Fassung von STÜRME DER LEIDENSCHAFT ein (den Film habe ich hier zum ersten Mal gesehen, er hat mich sehr beeindruckt) und vergleicht die deutsche Fassung von VORUNTERSUCHUNG mit Albert Bassermann mit der französischen Version AUTOUR D’UNE ENQUÈTE mit Jean Périer. Karl Prümm macht interessante „Anmerkungen“ zu der musikalischen Komödie LA CRISE EST FINIE!. Ralph Eue vermittelt einige Fakten und Überlegungen zum Dschungelfilm COBRA WOMAN (1943, auch: Coverfoto). Lukas Foerster formuliert kurz, aber überzeugend „Seh-Eindrücke zu CHRISTMAS HOLIDAY“; der damalige Einführungstext von Norbert Grob zu Siodmaks Bedeutung für den Film Noir stand leider nicht zur Verfügung. Und Claudia Mehlinger sieht Siodmaks Gerhart-Hauptmann-Verfilmung DIE RATTEN mit Maria Schell aus heutiger Perspektive. Von Frederik Lang stammt eine Übersicht über die Filme der Retrospektive mit Cast und Credits in Minimalform, Herkunft der Kopie und kurzen Texten zu den Filmen. Ein kleines, feines Robert Siodmak-Buch. Mehr zum Buch: 442–robert-siodmak.html

PANZERKREUZER POTEMKIN / OKTOBER

2014.DVD.PotemkinNatürlich stehen in meinem DVD-Regal die Eisenstein-Filme PANZER-KREUZER POTEMKIN (1925) und OKTOBER (1928), ich glaube, sie stammen von der Firma Icestorm, und ich habe sie seit mindestens zehn Jahren. Schließlich sind es legendäre Filmklassiker, die man einfach besitzen muss. Die neue DVD in der Edition Filmmuseum bietet etwas Neues und Besonderes: sie präsentiert die originale deutsche Schnittfassung des POTEMKIN mit der von Helmut Imig rekonstruierten Orchestermusik von Edmund Meisel (70 Minuten) und die von Meisel selbst verantwortete Tonfassung von 1930 mit nachträglich aufgenommenen Geräuschen und Dialogen (49 Minuten). Von dem Film OKTOBER, der in Deutschland unter dem Titel ZEHN TAGE, DIE DIE WELT ERSCHÜTTERTEN zu sehen war, gibt es von der deutschen Fassung nur noch ein Fragment von 35 Minuten. Die rekonstruierte Originalfassung, die auf der DVD mit der von Frank Strobel und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin eingespielten Musik von Edmund Meisel zu sehen und zu hören ist, dauert 116 Minuten. Es ist spannend, die unterschiedlichen Fassungen zu sehen, hilfreiche Kommentare enthält das Booklet mit Beiträgen von Thomas Tode, Richard Siedhoff und Stefan Drössler (von ihm stammt eine sehr informative „Chronologie Sergej Eisenstein – Edmund Meisel“). Zum Bonusmaterial gehört der Kurzfilm VINTIK-SPINTIK / DIE KLEINE SCHRAUBE (1927) von Vladislav Tvardoskij. An der DVD-Edition waren viele Institutionen und Personen beteiligt, ich nenne mal die Institutionen, die auf dem Cover genannt werden: Filmmuseum München, Österreichisches Filmmuseum, Deutsche Kinemathek, Technisches Museum Wien, Deutsches Filminstitut, Gosfilmofond, ZDF/Arte. Die Kooperation hat sich gelohnt. Mehr zur DVD: Potemkin—Oktjabr-.html

Wolf Suschitzky

2014.SuschitzkyEr hat als Fotograf auf allen Kon-tinenten gearbeitet, wurde in Wien geboren, lebt seit 1934 in London, war viele Jahre auch als Kameramann tätig und ist, man kann es kaum glauben, 102 Jahre alt. Bei Synema in Wien ist jetzt ein neuer Band mit 170 Foto-grafien von Wolf Suschitzky erschienen, aus der Zeit von 1930 bis 2001, von ihm selbst zusammengestellt und kurz kommentiert, sieben Kapiteln zugeordnet: Telling Stories in Pictures, Sights, Tender Accomplices, Memories, At Work, Artists and their Craft, My Point of View. Es sind Schwarzweißfotos von Straßen, Menschen, Tieren, aus Fabriken, Zoos und entfernten Ländern, interessiert an der Realität. Es gibt wunderbare Porträts zu sehen und weite Blicke über Flüsse, Städte und Märkte. Elf Fotos, die mir besonders gefallen: die Porträts der Schauspielerinnen Deborah Kerr (1941), Virginia McKenna (1953) und Moira Lister (1957), der Schauspieler Michael Caine (1970) und Vincent Price (1973), der Regisseure Paul Rotha (1949) und Harry Watt (1960), des Schriftstellers Gore Vidal (1982), ein Foto von H. G. Wells an seinem Schreibtisch in London (1939), ein Blick über die Themse in London 1952, die Augen eines Mädchens in Trinidad 1960. Zwei schöne Texte über Wolf Suschitzky stammen von Amanda Hopkinson und Julia Winckler. Michael Omasta und Brigitte Mayr haben das Buch herausgegeben. Coverfoto: Hamstead Heath Fair, London, Ostern 1949. Mehr zum Buch: section769846.html

Johnny Depp

2014.Johnny DeppIn den Kinos ist er zurzeit als TEILZEITGAUNER Charlie Mortdecai zu sehen und demnächst als Wolf in INTO THE WOODS. Und weil Johnny Depp auch bei uns ein beliebter Schauspieler ist, gibt es jetzt bei Bastei Lübbe eine Biografie über ihn. Sie ist, wie man so sagt, flott formuliert, aber gut recherchiert. Der Autor Thomas Fuchs hat vor zwei Jahren eine Mark Twain-Biografie publiziert. Sie konzentrierte sich mehr auf dessen Leben als auf sein Werk. Und so ähnlich ist es auch bei Depp. Aber das gleitet selten in die Trivialität oder ins ganz Private ab, sondern schildert die Erfolge und Misserfolge des Schauspielers, der ja immer an Experimenten interessiert war und sich häufig in seinen Erwartungen geirrt hat. Die großen Erfolge, das waren EDWARD SCISSORHANDS (1990) von Tim Burton, WHAT’S EATING GILBERT GRAPE (1993) von Lasse Hallström, PIRATES OF THE CARIBBEAN (2003) von Gore Verbinsky mit zwei Folgefilmen von Verbinsky und einem von Rob Marshall, ALICE IN WONDERLAND (2010) von Tim Burton, sein größter Misserfolg war wohl sein Regiefilm THE BRAVE (1997). Man kann den Informationen von Thomas Fuchs vertrauen, er schildert sehr konkret die Produktions-hintergründe der Filme mit Johnny Depp, und wer bisher noch nicht alles über diesen Schauspieler wusste, ist mit diesem Buch gut bedient. Mehr zum Buch: johnny-depp/id_2778864

Bildbau im Film

2014.BildbauHeute Abend wird im Berliner Museum für Film und Fern-sehen, moderiert von Hans von Trotha,  das Buch „Der Bildbau im Film“ präsentiert. Der Autor Boris Hars-Tschachotin hat als einer der beiden Kuratoren die Ausstellung über Ken Adam mitverantwortet. Und Ken Adam ist auch ein großes Kapitel in seinem Buch gewidmet. Es ist kaum zu glauben, dass es sich bei dieser aufwendigen, abbildungsreichen Publikation um eine Dissertation handelt, mit der der Autor vor vier Jahren, betreut von Horst Bredekamp und Wolfgang Mühl-Benninghaus, an der Humboldt-Universität in Berlin promoviert hat. Thema der beeindruckenden Arbeit sind „Die Zeichnungen der Production Designer von METROPOLIS, DR. STRANGELOVE und TROY“, also von Erich Kettelhut und Erich Hunte für Fritz Lang 1925/26, von Ken Adam für Stanley Kubrick 1962/63 und von Nigel Phelps für Wolfgang Petersen 2002/03. Hars-Tschachotin, Kunsthistoriker, Regisseur und Installationskünstler, hat sich intensiv mit den künstlerischen Aufgaben eines Production Designers beschäftigt. Das wird in seinem ersten Kapitel deutlich, das ihre unterschiedlichen Wege zum Film beschreibt: aus der Richtung der Bühnenbildner, der Architekten und der Maler. Im METROPOLIS-Kapitel geht es vor allem um die Entwürfe der „Großen Geschäftsstraße“, die von Kettelhut und Hunte unterschiedlich konzipiert wurde, wobei sich Fritz Lang am Ende für Huntes Konzept entschied. Im DR. STRANGELOVE-Kapitel steht natürlich der War Room im Mittelpunkt und, damit verbunden, der Prozess der Raumkonzeptuierung und die symbiotische, aber schwierige Zusammenarbeit zwischen Adam und Kubrick. Im TROY-Kapitel wird der Director’s Cut des Films für die Analysen zugrunde gelegt. Es handelt sich bei TROY (TROJA) um den Stoff der „Ilias“ von Homer. Wichtig war die Vorarbeit des Drehbuchautors David Benioff. Der Prävisualisierungsvorgang war aufwendig, gedreht wurde vor allem auf Malta und in Mexiko. Kernbilder des Films sind Tor und Stadtmauer. Auch für die Arbeit von Nigel Phelps spielt das „sketchbook“ eine große Rolle. In seinem Schlusskapitel geht Hars-Tschachotin noch einmal grundsätzlich auf die Filmzeichnung als Basiswerk des Production Designers ein. In einem „Ausblick“ macht er sich Gedanken über den Beruf im digitalen Zeitalter. Der Anhang enthält ein Interview mit dem Production Designer Alex McDowell. Coverfoto: Ken Adam bei der Arbeit an DR. STRANGELOVE. Mehr zum Buch: 300051&verlag=3

DEFA after East Germany

2014.DEFA after GermanyEinerseits schaut dieses Buch aus amerikanischer Perspektive auf die DEFA in der Wendezeit und danach, andererseits kommen viele damals Beteiligte aus Deutschland zu Wort. Die Herausgeberin Brigitta B. Wagner spielt dabei die Rolle der Moderatorin. Sie hat auch die Veranstaltung „Making History ReVisible: East German Cinema after Unification“ 2010 an der Indiana University initiiert, die zur Ausgangsbasis für diese Publikation wurde. Fünf Teile strukturieren das Buch: I. Sketching DEFA’s Past and Present, II. Film in the Face of the Wende, III. Migrating DEFA to the FRG, IV. Archive and Audience, V. Reception Material. Ich greife einige Texte heraus, die mir besonders gefallen haben: Wolfgang Kohlhaases „Thoughts for Indiana“, das Interview mit Andreas Dresen von Brigitta Wagner und der Essay von Barton Byg über das Nachleben des DDR-Films im Teil I. Knut Elstermanns Erinnerungen an die Wende im Film, die Erfahrungen von Peter Kahane als Regisseur in den Jahren 1989/90, die Interviews mit Eduard Schreiber und Jörg Foth im Teil II. Die Geschichte der Firma Ö-Film, erzählt von Katrin Schlösser und Frank Löprich, das Interview mit dem Filmförderer Klaus Keil von Brigitta Wagner, die Texte von Johannes von Moltke, Jennifer M. Kapczynski und der Herausgeberin Wagner zum Wendefilm im Teil III. Die Reminiszenzen von Helmut Morsbach an die Gründung der DEFA-Stiftung und von Thomas Krüger an den Umgang mit DEFA-Filmen im Zusammenhang mit politischer Bildung im Teil IV. Teil V dokumentiert ausgewählte Pressestimmen zu 17 DEFA-Filmen der Jahre 1987 bis 1994, von VORSPIEL von Peter Kahane bis zu BURNING LIFE von Peter Welz mit jeweils einem einführenden Kommentar aus amerikanischer Sicht. Zielgruppe des Buches sind vor allem englischsprachige Kulturwissenschaftler und Filmhistoriker. Aber auch aus deutscher Sicht enthält es viele interessante Informationen. Am Ende ist ein kleines Kapitel dem Verhältnis zwischen Volker Schlöndorff und der DEFA gewidmet. Wir erinnern uns… Coverfoto: VERRIEGELTE ZEIT. Mehr zum Buch: Product=14635

Mechanische Verlebendigung

2014.Mechanische Verlebendigung„Mechanische Verlebendigung“ klingt als Titel für eine Publikation über ästhetische Erfahrung im Kino etwas spröde, ist aber konsequent aus den theoretischen Funda-menten des Textes abgeleitet. Es handelt sich hier um die Disser-tation von Chris Tedjasukmana, mit der er an der Freien Universität in Berlin promoviert hat. Sie ist in ihrem ersten Teil eine Passage durch die Werke der wichtigsten Filmtheoretiker und -philosophen über Bewegung, Bild und Illusion, beginnend mit Henri Bergson und Gilles Deleuze, fortgeführt mit Walter Benjamin und Siegfried Kracauer, Béla Balázs und Jean Epstein, Maurice Merleau-Ponty und Michael Foucault, André Bazin, Edgar Morin und Roland Barthes. Es geht als Denkprozess und im Ergebnis um „Die Erfahrung verlorener Möglichkeiten“, um „Gedächtnis, Gefühle und Geschichte im Kino“. Während im ersten Teil konkrete Filmbeispiele nur gelegentlich ins Spiel gebracht werden, stehen sie im zweiten Teil im Mittelpunkt der Analysen. Die vier Kapitel heißen „Rainer Werner Fassbinder und das Scheitern nach 1968“, „Hito Steyerl, Alexander Kluge und der Stadtraum im Filmraum, „AIDS und ästhetische Trauer bei Gregg Bordowitz und Tom Joslin / Peter Friedman“ und „Todd Haynes und die Wiedererfindung der sexuellen Revolution“. Bei Fassbinder konzentriert sich der Autor auf die beiden Filme NIKLASHAUSER FAHRT (1970) und WARNUNG VOR EINER HEILIGEN NUTTE (1971), bei Hito Steyerl auf DIE LEERE MITTE (1998), bei Alexander Kluge auf IN GEFAHR UND GRÖSSTER NOT BRINGT DER MITTELWEG DEN TOD (1974/75), bei Gregg Bordowitz auf FAST TRIP, LONG DROP (1993), bei Joslin/Friedman auf SILVERLAKE LIFE (1993), bei Todd Haynes auf VELVET GOLDMINE (1998), verweist aber auch auf andere Filme der genannten Regisseure. Die Filmanalysen haben mich bei der Lektüre des Buches besonders beeindruckt. Mehr zum Buch: 978-3-7705-5803-2.html