Das richtige Bild

Michael Bertl (*1963) ist Kameramann und Autor, hat in den letzten Jahren für Sandra Nettelbeck, Johannes Schmid, Oliver Schmitz und Christiane Balthasar gearbeitet und leitet seit zehn Jahren die Abteilung Bildgestaltung an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Seine „Gedanken zur Gestaltung von bewegten Bildern“ sind Reflexionen auf hohem Niveau. Sein erster Befund: „Alle machen Bilder und keiner sieht sie sich an. Diese Bilderflut und die damit veränderte Art des Sehens stellen einen vorläufigen Endpunkt der Evolution der Bilder dar.“ (S. 12). Was sehen wir, was empfinden wir, wenn wir Bilder betrachten? Vier Kapitel strukturieren das Buch: Bewegung und Dauer, Licht und Erinnerung (mit 25 Seiten das längste Kapitel), Farbe und Berührung, Bild und Vertrauen. Diese Basiseinführung in die Welt der bewegten Bilder ist eine spannende Lektüre, wenn man sich Zeit zum Nachdenken nimmt. Keine Abbildungen – und das ist auch gut so. Mehr zum Buch: 684-das-richtige-bild.html

Grindhouse-Kino

Seit 2007 gibt es im Mann-heimer Cinema Quadrat die Filmreihe „Grindhouse Double Feature“: jeden Monat zwei B-Movies hintereinander – Horror, Action, Western, Science-Fiction, Sex. Harald Mühlbeyer hat 80 Filme aus dem Programm ausgewählt, die er auf unterhaltsame Weise beschreibt. Sie stammen zumeist aus Japan, den USA, Italien oder Hongkong. Auch vier deutsche Filme sind dabei: ZINKSÄRGE FÜR GOLDJUNGEN (1973) von Jürgen Roland, DIE KLEINE MIT DEM SÜSSEN PO (1975) von Hans-Georg Keil (Pseudonym für Georg Tressler), DIE SÄGE DES TODES (1983) von Jess Franco und FLUCHTWEG ST. PAULI (1971) von Wolfgang Staudte. Man kann auch Entdeckungen machen, zum Beispiel UN CONDÉ (1970) von Yves Boisset, GRAND SEFT AUTO (1977) von Ron Howard, I CRUDELI (1967) von Sergio Corbucci oder DER MANN AUF DEM DACH (1976) von Bo Widerberg. Und man wird neugierig auf FLASHMAN – DER UNSICHTBARE (1967) von Mino Loy, THE LOVE REBELLION (1967) von Joseph W. Sarno, STERNENKRIEG IM WELTALL (1978) von Kinji Fukasaku oder MANIAC COP (1988) von William Lustig. Mühlbeyer hat einen guten Blick für Qualitäten in der Dramaturgie, Darstellung und Kameraführung, er ist mit der Filmgeschichte vertraut und verliert sich nicht in unwichtigen Details. Das lesenswerte Buch ist in seinem Verlag erschienen. Mehr zum Buch: buecher/grindhouse-kino.html

THE ADVENTURES OF ROBIN HOOD (1938)

Dieser inzwischen klassische Abenteuerfilm hatte seine Premiere, als ich auf die Welt kam. Ich habe ihn zum ersten Mal gesehen, als ich zwölf Jahre alt war. Schauplatz des Films ist England im Jahre 1191. König Richard Löwenherz ist abwe-send, weil er bei der Rückkehr vom Kreuzzug in Österreich gefangen gehalten wird. Sein machthungriger Bruder John übernimmt die Herrschaft und wird von seinem Berater Sir Guy von Gisbourne tatkräftig unterstützt. Beide bereichern sich unrechtmäßig. Zum größten Gegner wird Robin Hood, der alle Mittel einsetzt, um die Unterdrückung im Lande zu bekämpfen. Dies gelingt ihm in vielen Varianten, bis am Ende Richard Löwenherz zurückkehrt und wieder auf den Thron kommt. Robin Hood erhält zur Belohnung Lady Marian zur Frau, die im Hintergrund eine wichtige Rolle gespielt hat. Regie bei dem frühen Technicolor-Film führten damals Michael Curtiz und William Keighley. Errol Flynn als Robin Hood, Olivia de Havilland als Marian, Basil Rathbone als Guy von Gisbourne und Claude Rains als Prinz John haben eine starke Präsenz. Die Musik stammt von Erich Wolfgang Korngold. Bei Pidax ist jetzt eine Blu-ray des Films erschienen, die Farben kommen hervorragend zu Geltung. Unbedingt sehenswert. Mit einem Audiokommentar von Rudy Behlmer, vier Dokumentationen und diversen anderen Extras. Mehr zur Blu-ray: Robin-Hood-Koenig-der-Vagabunden-Blu-ray::2084.html

Klassische Filmtheorie

In sieben Texten und beispiel-haften Filmanalysen erschließt der Band die klassischen Film-theorien der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Bei Daniel Wiegand geht es um „Film als Kunst“. Analysiert wird der japanische Film TRÄUME JEDE NACHT von Mikio Naruse. Barbara Wurm beschäftigt sich mit Montage-theorien. Analyse: KINOGLAZ von Dziga Vertov. Margrit Tröhler erinnert an theoretische Konzeptionen des Dokumen-tarischen vor 1950. Filmbeispiel: DRIFTERS von John Grierson. Guido Kirsten richtet seinen Blick auf klassische Realismustheorien. Film: BRÜDER von Werner Hochbaum. Chris Tedjasukmana informiert über soziologische Filmtheorien. Film: METROPOLIS von Fritz Lang. Karl Sierek befasst sich mit der Anthropologie des Kinos. Seine Filmbeispiele: SUNSET BOULEVARD von Billy Wilder, LETTER FROM AN UNKNOWN WOMAN von Max Ophüle und THE SHANGHAI GESTURE von Josef von Sternberg. Matthias Wittmann äußert sich zur Filmpsychologie. Film: THE GENERAL von Buster Keaton. Die Verbindung der Texte mit einer konkreten Filmanalyse ist äußerst hilfreich. Mit umfangreichen Literaturhinweisen und Abbildungen in akzeptabler Qualität. Coverfoto: SNOW PEOPLE (1928) von King Vidor. Mehr zum Buch: 1885/klassische-filmtheorie

Monroe – ein Hollywoodmärchen

In einer Graphic Novel erzählen Bernard Swysen (Text) und Christian Paty (Zeichnungen) die Lebensgeschichte der Holly-woodlegende Marilyn Monroe, beginnend 1916 mit der ersten Schwangerschaft und Heirat ihrer damals 15jährigen Mutter Gladys Pearl Monroe. Als Norma Jean Mortensen am 1. Juni 1926 in Los Angeles zur Welt kommt, ist sie das ungewollte Kind in der zweiten Ehe ihrer Mutter, wächst bei Pflegeeltern auf und hat eine schwierige Kindheit und Jugend. Die Höhen und Tiefen der folgenden Jahre sind extrem. 1942 heiratet sie den Nachbarn James Dougherty, die Ehe wird 1946 geschieden. Sie arbeitet zunächst als Fotomodell und bekommt dann einen Vertrag bei 20th Century Fox, der zu kleinen Filmrollen führt. Sie nimmt den Namen Marilyn Monroe an. Schauspiel- und Gesangsunterricht professionalisieren sie, aber die Karriere lässt auf sich warten. Auch die Beziehungen zu Männern verlaufen eher unglücklich. In ASPHALT JUNGLE, ALL ABOUT EVE und CLASH BY NIGHT spielt sie Nebenrollen. Fritz Lang regt sich darüber auf, dass sie zu den Dreharbeiten immer zu spät kommt. Dann lernt sie den Baseballstar Joe DiMaggio kennen, dessen Karriere zu Ende ist, und bekommt größere Rollen in DON’T BOTHER TO KNOCK und MONKEY BUSINESS. Sie heiratet DiMaggio, lässt sich aber nach neun Monaten wieder scheiden, weil er eifersüchtig auf ihre Erfolge ist. Mit NIAGARA beginnt 1953 ein steiler Aufstieg. Es folgen GENTLEMEN PREFER BLONDES, HOW TO MARRY A MILLIONAIRE, RIVER OF NO RETURN und THE SEVEN YEAR ITCH. In New York lernt sie 1955 den Schriftsteller Arthur Miller kennen, zu dem eine enge Beziehung entsteht. Sie heiraten ein Jahr später. Ihre weiteren Filme sind BUS STOP (mit Don Murray), THE PRINCE AND THE SHOWGIRL (mit Laurence Olivier), SOME LIKE IT HOT (Regie: Billy Wilder), LET’S MAKE LOVE (mit Yves Montand), THE MISFITS (mit Clark Gable, nach einem Drehbuch von Arthur Miller). Die Ehe mit Miller wird 1961 nach vielen Streitigkeiten geschieden. 1962 singt sie bei der Geburtstagsfeier für John F. Kennedy im Madison Square Garden in New York „Happy Birthday, Mr. President“. Die Arbeiten an ihrem letzten Film SOMETHING’S GOT TO GIVE müssen aus Krankheitsgründen mehrfach unterbrochen werden. MM stirbt am 4. August 1992. In Brentwood/L.A.). Die Graphic Novel ist wunderbar gezeichnet, wir können lesen, was Marilyn denkt und sagt, bis sie uns am Ende im Alter von gerade mal 36 Jahren verlässt. Nicht nur für Fans zu empfehlen. Mit einem Vorwort von Mylène Demongeot und der Trauerrede ihres Schauspiellehrers Lee Strasberg bei ihrer Beerdigung. Mehr zum Buch: monroe-ein-hollywoodmaerchen-ydchap002

Große US-Western

Reinhard Marheinecke und Peter L. Stadlbaur sind große Westernfans. Das macht ihre Bücher „Präriebanditen“ und „Schießerei am O. K. Corral“ so lesenswert. Ihr neues Buch ist eine Hommage an große Western aus der Zeit zwischen 1941 und 1971. Sie haben zwanzig Titel ausgewählt und dabei auf Filme von John Ford und Howard Hawks verzichtet. Die folgenden zehn Texte haben mir besonders gut gefallen: über SEVEN MEN FROM NOW von Budd Boetticher, THE TEXAS RANGERS von Phil Karlson, THE GREAT NORTHFIELD MINNESOTA RAID von Philip Kaufman, WINCHESTER 73 und MAN OF THE WEST von Anthony Mann, THE LEFT HANDED GUN von Arthur Penn, ESCAPE FROM FORT BRAVO und BAD DAYS AT BLACK ROCK von John Sturges, THE SUNDOWNERS von George Templeton und MAN WITHOUT A STAR von King Vidor. In den Texten gibt es viele Verweise auf andere Filme, biografische Informationen, kurze Sequenzanalysen und originelle Assoziationen. Von Reinhard Marheinecke stammt ein einleitender Essay zur Geschichte des Westernfilms. Das Cover der Illustrierten Film-Bühne oder eines anderen Programmhefts eröffnet jeden Beitrag. Mit SW-Abbildungen in guter Qualität. Cover-Abbildung: THE GUNFIGHTER von Henry King mit Gregory Peck. Mehr zum Buch: https://buchfindr.de/autoren/stadlbaur-peter-l/

In der Männer-Republik

Im Kino ist zurzeit der Doku-mentarfilm DIE UNBEUG-SAMEN von Torsten Körner zu sehen. Ich finde ihn hervor-ragend. Der Blick zurück in die Bonner Republik, als Frauen zunächst noch keine Ministe-rinnen werden konnten, ist erschreckend. In beeindrucken-den Interviews erinnern sich u.a. Herta Däubler-Gmelin (SPD), Marie-Elisabeth Klee (CDU), Ursula Männle (CSU), Christa Nickels (Die Grünen), Ingrid Matthäus-Maier (FDP/SPD), Carola von Braun (FDP), Renate Schmidt (SPD) und Rita Süßmuth (CDU) an den Kampf um Gleichberechtigung. Historische Aufnahmen zeigen Auftritte im Parlament von Aenne Brauksiepe (CDU), Hildegard Hamm-Brücher (FDP), Waltraud Schoppe und Petra Kelly (Die Grünen). Dabei werden die eigenen Erinnerungen an diese Zeit aktiviert. Zeitgleich mit dem Film ist die Paperback-Ausgabe des Buches „In der Männer-Republik“ von Torsten Körner (*1965) publiziert worden. Es vertieft die Filmeindrücke durch umfangreiche Porträts der oben genannten Frauen und ausführliche Hinweise auf Protagonistinnen, die im Film nicht vorkommen, zum Beispiel Marie-Elisabeth Lüders, Annemarie Renger, Elisabeth Schwarzhaupt, Antje Vollmer, Jeanette Wolff. Interessante Lektüre in einer Zeit, in der wir uns von einer Bundeskanzlerin verabschieden. Coverabbildungen: Rita Süßmuth, Petra Kelly, Angela Merkel. Mehr zum Buch: in-der-maenner-republik-9783462001846

LA DOLCE VITA (1960)

Dies ist der wohl bekannteste und populärste Film von Federico Fellini. Er wurde 1960 in Cannes uraufgeführt und mit der „Goldenen Palme“ ausge-zeichnet. Schauplatz: Rom. Thema: die High Society. Hauptfigur ist der Boulevard-Journalist Marcello Rubini, den wir bei seiner Arbeit und in seiner Freizeit begleiten. Zu Beginn schwebt er mit einem Helikopter über Rom und beobachtet die Ankunft einer Christusstatue im Vatikan. In einem Nachtclub begegnet er der wohlhabenden Maddalena, mit der er die Nacht verbringt. In seine Wohnung zurückgekehrt, findet er dort seine Verlobte Emma, die einen Suicidversuch unternommen hat. Er bringt sie ins Krankenhaus. In Rom trifft der Filmstar Sylvia ein, der von den Reportern umworben wird. Marcello tanzt mit ihr bei einer abendlichen Party, sie baden nachts im Trevi-Brunnen. Dies ist die berühmteste Szene des Films. Der Reigen durch die Stadt setzt sich fort, es gibt Konflikte, immer neue Begegnungen und Konstellationen, die wir mit Marcello erleben. Am Ende befinden wir uns am Strand eines Landhauses, wo weiter gefeiert wird, Marcello mittendrin. Der fast dreistündige Film ist noch immer sehr unterhaltsam, hat große Momente und glänzt durch herausragende Darsteller und Darstel-lerinnen: Marcello Mastroianni als Reporter Marcello, Anita Ekberg als Star Sylvia, Anouk Aimée als Maddalena, Yvonne Furneaux als Emma, Lex Barker als Verlobter von Sylvia. Adriano Celentano spielt einen Rocksänger. Bei Studio Canal ist jetzt eine restaurierte Fassung des Films als DVD erschienen. Zu den Extras gehört der Dokumentarfilm THE TRUTH ABOUT LA DOLCE VITA von Giuseppe Pedersoli mit Aufnahmen von den Dreharbeiten (82 Minuten). Mehr zur DVD: das_suesse_leben-digital_remastered

DIE FRAU MEINER TRÄUME

Im Sommer 1944 wurde der Ufa-Film von Georg Jacoby in Berlin uraufgeführt. Er war beim Publikum außerordentlich erfolgreich. Marika Röck als Hauptdarstellerin, Wolfgang Lukschy und Walter Müller als ihre Partner, die Agfa-Color-Farben und das Genre Revue-film haben den Erfolg sehr befördert. Ein entscheidender Faktor war aber die Musik von Franz Grothe. Lieder wie „In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine“, „Ach, ich liebe alle Männer“ und „Ich warte auf Dich“ wurden zu Schlagern der Saison. Die Liebesgeschichte zwischen dem Revuestar Julia Köster (Röck) und dem Oberingenieur Groll (Lukschy), begleitet von dem Ingenieur Forster (Müller) und der Jungfer Luise (Grete Weiser) ist originell, die Kameraführung (Konstantin Tschet) hat große Qualitäten. Joseph Goebbels fand den Film „ordinär und zu plump“ (Felix Moeller in „Der Filmminister“, S. 280). Die gesamte Partitur der Filmmusik ist jetzt in einem Buch dokumentiert, das im Verlag des Filmarchivs Austria erschienen ist. In einem zwölfseitigen Essay beschreibt Stefan Schmidt Kontext, Struktur und Semantik von Franz Grothes Filmmusik. Ein beeindruckender Text. Dies ist der erste Band der neuen Reihe „Filmmusik in historisch-kritischen Editionen“, herausgegeben von Stefan Schmidt. Ich bin gespannt auf die nächsten Bände. Mehr zum Buch: filmarchiv.at/bestellen/shop/die-frau-meiner-traeume/

Katastrophe

Im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main ist zurzeit die Ausstellung „Katastrophen“ zu sehen. Sie wurde von Stefanie Plappert kuratiert, die auch für die Redaktion des Katalogs verantwortlich zeichnet. Ihre Einführung ist eine „kulturelle Imaginationsgeschichte der Klimakatastrophe“. Weitere Katastrophenbetrachtungen stammen von Jörg Trempler (Katastrophe im Bild), Volker Mosbrugger (Naturkatastro-phen), Solveig Nitzke (Katastrophen in der Literatur) und Jacob Lillemose (Postapokalyp-tische Bildwelten in Katastrophenfilmen). Sechs Phasen strukturieren die Katastrophenbilder der Ausstellung: Idylle, Warnsignale, Katastrophe, Rettungsbemühungen, Apokalypse, Neuanfang. 19 Fachleute äußern sich dann zu der Frage „Was kommt nach der Katastrophe?“, darunter die Literaturwissenschaftlerin Mirjam Wenzel, der Neurowissenschaftler Adrian M. Owen Obe, die islamische Theologin Muna Tatari, die Politikwissenschaftlerin Dr. Gülistan Gürbey, der Weihbischof Rolf Lohmann, der Technikphilosoph Armin Grunwald, die Bestatterin Susanne Jung, die Biologin Gülcan Nitsch, der Psychologe Richard Wiseman, die freie Künstlerin Ankabuta, die Atmosphärenforscherin Mira Pöhlker, die Umweltaktivistin Tina Velo und der Journalist Bernd Ulrich. Der Anhang enthält eine Auswahl-Filmografie und -Bibliografie. Die Abbildungen haben eine sehr gute Qualität. Der Katalog ist unbedingt lesenswert, die Ausstellung ist noch bis Januar 2022 zu sehen. Mehr zum Katalog: www.dff.film/ausstellung/katastrophe/#katalog