Zwei DEFA-Filme

Bei den Filmjuwelen sind zwei DVDs mit DEFA-Filmen erschie-nen, die in Koproduktion mit Frankreich entstanden sind. DIE ABENTEUER DES TILL ULEN-SPIEGEL (1956) ist die Verfilmung eines Romans von Charles de Coster, Regie führte der Schauspieler Gérard Philipe, der natürlich auch die Hauptrolle spielt. Als Vermittler zur DEFA (und Co-Regisseur) fungierte damals Joris Ivens. Wir erleben Tragik und Komik im Konflikt zwischen den Niederlanden und Spanien im 16. Jahrhundert. Till, dessen Vater als Rebell von den Spaniern hingerichtet wird, engagiert sich für den aufständigen Prinzen von Oranien und wird Hofnarr beim Herzog Alba. Bis es zu einem Happyend kommt, müssen viele Konflikte bewältigt werden. Der Film wirkt heute sehr „überdreht“, es gibt kaum Momente der Ruhe, die Pointen sind vorhersehbar, und Philipe spielt sich sehr in den Vordergrund. Interessant sind einige Darsteller in Nebenrollen: Erwin Geschonneck als wasserscheuer Heerführer Stahlarm, Wilhelm Koch-Hoge als Prinz von Oranien, Jean Vilar als Alba, Nicole Berger als Tills Geliebte Nele. Hinter der Kamera (Farbe) stand Christian Matras, die Musik stammt von Georges Auric.

Auch TRÜBE WASSER (1960) ist ein historischer Film, der allerdings keine komischen Momente hat. Er spielt in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts und porträtiert den früheren Offizier Philippe Brideau, der nach der Niederlage Napoleons zum Spieler und Trinker wird. Er verliert seine Geliebte, eine Künstlerin, kungelt, intrigiert, wird Partner einer reichen Erbin, heiratet eine Adlige, legt sein Geld in Staatspapieren an und verliert am Ende alles, als die Regierung Karls X. stürzt. Hauptdarsteller ist Jean Claude Pascal als Philippe Brideau, der mit großer Routine seine unsympathische Rolle spielt. Auch hier sind interessante Nebendarsteller zu sehen: Erika Pelikowsky als Brideaus Mutter, Ekkehard Schall als sein Bruder Joseph, Gerhart Bienert als sein Onkel. Regie führte Louis Daquin, der als überzeugter Kommunist in Frankreich nicht geschätzt wurde, hinter der Kamera (schwarzweiß) stand Eugen Klagemann. Beeindruckend: die Musik von Hanns Eisler. Die Booklets zu beiden Filmen von Ralf Schenk sind vorbildlich in ihrem Informationsgehalt speziell zur Produktions-geschichte. Mehr zu den DVDs: 1550767537&sr=1 /28%3A-pidax

„Fortschrittlich“ versus „reaktionär“

Eine Dissertation, die an der Universität Leipzig entstanden ist und für die Publikation „umfassend“ gekürzt wurde. Zu bewältigen sind jetzt nur noch 640 Seiten. Claudia Böttcher untersucht darin „Deutungs-muster des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in historischen Dokumentationen des DDR-Fernsehens“. Auf 130 Seiten werden der „theoretische Rahmen“, der „methodische Rahmen“ und die „theoretisch-methodische Kondensierung“ formuliert. 380 Seiten bean-spruchen die Analysen. Insgesamt 548 historische Dokumentationen wurden von der Autorin zunächst quantitativ ausgewertet, einzelne wurden anschließend qualitativ analysiert. Es geht dabei um vier Zeiträume: die Jahre 1952 bis 1955 („Die ideologische Verhärtung des Widerstandsdiskurses“), 1956 bis 1967 („Aufbruch dogmatischer Darstellungsweisen“), 1968 bis 1979 („Konsolidierung und Differenzierung des Widerstands-diskurses“), 1980 bis 1989 („Öffnung und umfassende Erweiterung des Widerstandsdiskurses). 1.875 Anmerkungen und Quellenverweise. 70 Seiten Anhang. Ich verneige mich mit Respekt vor dem Fleiß der Autorin. Mehr zum Buch: fortschrittlich-versus-reaktionaer

Die Marx-Brothers und die Commedia dell’arte

Eine Examensarbeit, die an der Universität Mainz entstanden ist. Simon Born sucht darin nach Verbindungen zwischen dem Spiel italienischer Wander-truppen in der Renaissance und dem amerikanischen Komiker-quartett, das zwischen 1929 und 1949 13 Kinofilme realisiert hat. Es ist zwar nicht nachzuweisen, ob die Marx Brothers je von ihren italienischen Vorgängern gehört haben, aber es gibt erstaunliche Parallelen in der Figurenkonstellation, die der Autor mit großer Sachkenntnis beschreibt. Er stellt zunächst die Bezüge zur Commedia dell’arte in der Aufführungspraxis des American Vaudevilles her und verortet die Marx-Brothers im American Vaudeville. Dann analysiert er die Komik der Marx Brothers und formuliert zwei Annäherungen von comedian comedy und anarchistic comedy. Im zentralen Kapitel geht es um die Masken der Marx Brothers, ihr Spiel und die Verbindungen zwischen Leinwand und Bühne. Der historische Bogen, den der Autor herstellt, führt zu vielen neuen Erkenntnissen. Mit 24 Abbildungen in unterschiedlicher Qualität. Mehr zum Buch: 3848750120 oder product=39220

Die Filme von Hans Wintgen

Zwischen 1980 und 1991 hat er für die DEFA elf Dokumentarfilme gedreht, die weitgehend unbekannt sind. Ich habe keinen von ihnen gesehen. Die Filme von Hans Wintgen (*1949) handeln von Kindheit (WENN DIE ELTERN GELD VERDIENEN), Jugend (IN BERLIN 16.10.89-4.11.89, ein Gruppenfilm, ZUCHTHAUS BRANDENBURG, zusammen mit Thomas Heise, FRANK), Familie und Beruf (GUTE NACHT, SCHUSTER, GESCHIEDEN, DANKE, ICH TRINKE NICHT), Alter (JOHANNA JUST, DER ROTE MILAN), Sterben und Tod (GESPRÄCHE IN EINER STRAHLEN-THERAPEUTISCHEN KLINIK). Behutsamkeit gehörte für ihn zu einer programmatischen ästhetischen Haltung. Das machte ihn zu einem Außenseiter. Anne Barnert erzählt in ihrem Buch seine Lebens-geschichte („Wichtig war immer die Genauigkeit“), beschreibt mit großer Sensibilität Inhalt und Form der Filme, macht neugierig darauf. Band 17 der Reihe „Filit“, herausgegeben von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen. Mehr zum Buch: detail/955

Axel Corti

Im vergangenen Dezember hat das Filmarchiv Austria anlässlich seines 25. Todestages eine Retrospektive der Filme des österreichi-schen Regisseurs Axel Corti veranstaltet. Das dazu publizierte Buch ist eine schöne Hommage. Insgesamt 22 Texte erinnern an das umfängliche Werk. 13 Beiträge sind einzelnen Filmen gewidmet. Zu den Autorinnen und Autoren gehören Hans Christian Leilich, Michelle Koch, Alejandro Bachmann, Lukas Foerster, Olaf Möller, Elisabeth Streit. Sylvia Szely beschäftigt sich mit Cortis Dokumentarspielen, Patrick Holzapfel geht auf lokale Entdeckungsreisen rund um die Axel-Corti-Gasse, bei Martin Thomson geht es um Flüchtlingstrilogie WOHIN UND ZURÜCK, über die sich auch der Drehbuchautor Georg Stefan Troller in einem Interview äußert. Persönliche Erinnerungen stammen von Peter Simonischek, Gabriel Barylli, Max von Sydow, Hubert Canaval und der Witwe Cecily Corti. Der Anhang enthält eine präzise recherchierte Filmografie. Mit zahlreiche Abbildungen in guter Qualität. Der Herausgeber Florian Widegger hat hervorragend gearbeitet. Band 5 der neuen Buchreihe des Filmarchivs Austria. Coverfoto: Axel Corti bei den Dreharbeiten zu DER FALL JÄGERSTÄTTER (1971). Mehr zum Buch: axel-corti/

David Fincher

Immer wieder überrascht uns die Schweizer Zeitschrift DU mit einem Themenheft über einen Filmregisseur. Zuletzt war es im Dezember 2017 Martin Scorsese. Jetzt (Nr. 889, Februar 2019) sehen wir David Fincher auf dem Cover mit verschlossenen Augen. Es geht um sein „Kino der Finsternis“. Sechs Texte und zwei Fincher-Interviews bilden die Wortebene. Erik Messerschmidt sieht fünf visuelle Elemente, die David Finchers Filme ausmachen. Phil de Semlyen hat sich mit dem Grafiker Kyle Cooper über die Titelsequenz zu SEVEN unterhalten. Fred Schruers war auf dem Set von THE GAME und konnte den Perfektionisten Fincher beobachten. Kai Mihm fragt nach den Gefühlen der Figuren in FIGHT CLUB. Georg Seeßlen versucht, das Verwirrspiel der Erzählungen von Fincher zu entziffern. Joshua Rothman interpretiert GONE GIRL als Ausformung moderner Paarbeziehungen. Fincher sieht eine Verarmung im aktuellen Blockbuster-Kino. In zwei Gesprächen äußert er sich über die Anstrengungen des Filmemachens, die ästhetische Qualität des Zufalls und seine Empathie für Mark Zuckerberg, über den er mit SOCIEL NETWORK ein Biopic realisiert hat. David Finchers 26 Favoritenfilme werden am Ende von Benedikt Sarreiter kurz erläutert. Sensationell ist wieder die Bildebene mit großen Fotos aus acht Fincher-Filmen. Mehr zur Zeitschrift: du-magazin.com

Die Oscars

Es gab wie erwartet einige Überraschungen in der vergangenen Nacht bei der Verleihung der Oscars für das Jahr 2018. Dass zum Beispiel Olivia Coleman für ihre Darstellung in THE FAVOURITE als Actress in a Leading Role ausgezeichnet würde, hatten nur wenige erwartet (Favoritin war Glenn Close). Der Film darf insgesamt eher als Verlierer gelten: zehn Nominierungen, ein Oscar. Bei BOHEMIAN RHAPSODY (fünf Nominierungen, vier Oscars) ist das Ergebnis positiver. Die Zeremonie, in diesem Jahr ohne Moderator, dauerte nur drei Stunden und 15 Minuten, die Werbepausen waren wieder nervig, aber es gab berührenden Momente, zum Beispiel bei den Dankesreden von Rami Malek, Olivia Coleman und dem Auftritt von Barbra Streisand. – An der Oscar-Wette haben in diesem Jahr 40 Personen teilgenommen. Gewinner sind Wolfgang Höbel, Holly-Jane Rahlens und Henri Höbel (18 richtige Voraussagen). Mit insgesamt 15 richtigen Prognosen bin ich auf Platz vier gelandet, zusammen mit acht anderen, darunter Thomas Häberle, Tobias Kniebe und Angela Schmitt-Gläser. Das finde ich angesichts der zahlreichen Überraschungen akzeptabel. Wir müssen noch einige der ausgezeichneten Filme im Kino sehen. Foto: Rami Malek, Olivia Coleman, Regina King, Mahershala Ali. Mehr zu den Ergebnissen: gewinnerinnen-und-gewinner-a-1251810.html

Oscar-Nacht

In der kommenden Nacht werden in Hollywood die „Oscars“ für das Jahr 2018 verliehen. Es ist die 91. Preisverleihung. Sie wird ab 2.30 Uhr live auf Pro7 übertragen. Es gibt in diesem Jahr keinen Moderator, weil der vorgesehene Kevin Hart abgesagt hat. Er war wegen schwulenfeindlicher Äußerungen in die Kritik geraten. Wir haben uns wieder an der Oscar-Wette beteiligt, die von Artur und Teresa Althen in der Tradition ihres Vaters Michael organisiert wird. Die Prognosen sind uns in diesem Jahr besonders schwer gefallen. Hier sind meine Vermutungen in den 21 wichtigsten Kategorien: ROMA (Best Picture). Alfonso Cuarón (Directing). Rami Malek (Actor in a Leading Role). Glenn Close (Actress in a Leading Role). Mahershala Ali (Actor in a Supporting Role). Regina King (Actress in a Supporting Role). Deborah Davis, Tony McNamara/THE FAVOURITE (Writing, Original Screenplay). Charlie Wachtel, David Rabinowitz, Kevin Willmott, Spike Lee/BLACKkKLANSMAN (Writing, Adapted Screenplay). Alfonso Cuarón/ROMA (Cinematography). Hank Corwin/VICE (Film Editing). Fiona Cromble, Alice Felton/THE FAVOURITE (Production Design). Sandy Powell/THE FAVOURITE (Costume Design). Greg Cannon, Kate Biscoe, Patricia DeHaney/VICE (Makeup and Hairstyling). ROMA (Foreign Language Film). SPIDER-MAN: INTO THE SPIDER-VERSE (Animated Feature Film). FREE SOLO (Documentary, Feature). Ludwig Goransson/BLACK PANTHER (Music, Original Score). „Shallow“ (Music, Original Song). Benjamin A. Burtt, Steve Boeddecker/BLACK PANTHER (Sound Editing). Paul Massey, Tim Cavaign, John Casali/BOHEMIAN RHAPSODY (Sound Mixing). DeLeeuw, Port, Earl, Sudick/AVENGERS: INFINITY WAR (Visual Effects). Im vergangenen Jahr bin ich mit 20 richtigen Vorhersagen mit fünf anderen auf Platz zwei gelandet. Die Nacht wird wieder spannend. Mehr zu den Nominierungen: com/nominees

The B-Film

Ein Buchhinweis mit kleiner Verspätung. Die 80-Seiten-Publikation erschien im vergangenen Oktober zur Retrospektive der Viennale. Sie informiert über die dort gezeigten 51 Filme aus den Jahren 1935-1959. Initiator des Themas war der Film-historiker Haden Guest, von dem auch die Mehrzahl der Texte stammt. Seine Einlei-tung „An Archaeology of the B-Film, 1935-1959“ hat spürbare Empathie. Ein Essay von Imogen Smith über den B-Noir, der Nachdruck eines Textes von Nick Grinde aus The Penguin Film Review Nr. 1 vom 1. August 1946 und ein Statement von Joe Dante („A Movie Lover’s Dream“) führen in das Thema ein. Auf jeweils ein bis zwei Seiten werden in chronologischer Reihenfolge die in Wien gezeigten Filme vorgestellt, beginnend mit THE CRIME OF DR. CRESPI von John H. Auer, endend mit RIDE LONESOME von Budd Boetticher. Zu den Autoren gehören Gustavo Beck, Hartmut Bitomsky, Chris Fujiwara, Guy Maddin, Olaf Möller, Arturo Ripstein und Michael Schlesinger. Alle Texte in englischer Sprache. Das Coverfoto stammt aus dem Film THE MAN THEY COULD NOT HANG (1939). Mehr zum Buch: 1539765527239

Helmut Käutner

Fast zeitgleich mit der Werkanalyse von René Ruppert, meinem Filmbuch des Monats Dezember 2018 (kaeutner/), ist das Buch „Helmut Käutner. Cineast und Pazifist“ von Bernhard Albers im Rimbaud Verlag erschienen, ein großforma-tiger Band mit 500 Abbil-dungen, der „von Film zu Film“ den deutschen Regisseur in Erinnerung ruft. Dies geschieht faktenreich mit vielen Informationen über die Produktions-hintergründe, aber auch mit kritischen Anmerkungen zu manchen formalen Lösungen. Häufig wird aus dem Interview des Regisseurs mit Edmund Luft zitiert, das im Käutner-Buch der Deutschen Kinemathek und der Akademie der Künste aus dem Jahr 1992 dokumentiert ist. Auf die Fernsehseharbeiten wird nicht eingegangen, sie sollen offenbar in einem eigenen Buch gewürdigt werden. Im „Epilog“ wird an Käutners Karl May-Darstellung im Film von Hans-Jürgen Syberberg erinnert. Der Bilderreichtum des Bandes – Szenen- und Werkfotos, Werbematerial, Plakate, Autogrammkarten – ist überwältigend. Coverabbildung: Arbeitsfoto von den Dreharbeiten zu DES TEUFELS GENERAL (1955) mit Curd Jürgens, Käutner und Viktor de Kowa. Mehr zum Buch: die-kinofilme-1939-1970/