Deutschland 1966

Bildschirmfoto 2016-02-11 um 21.36.47Heute beginnt die Retro-spektive der Berlinale, die dem deutschen Film des Jahres 1966 gewid-met ist. Die begleitende Publikation, herausge-geben von Connie Betz, Julia Pattis und Rainer Rother, finde ich beein-druckend. Sie enthält sieben Essays und sechs „Dokumente“. Die Essays stammen von Bert Rebhandl („Anpas-sung und Bewusstwerdung. Filmische Sondierungen in der Bundes-republik Deutschland“), Ralf Schenk („Das schlimme Jahr. Die verbotenen DEFA-Filme von 1965/66 und ihre Vorgeschichte“), Andreas Kötzing („Blinde Flecken. Das Jahr 1966 und die deutsch-deutschen Filmbeziehungen“), Klaudia Wick („Am Ende der Anfangsjahre. Deutsches Fernsehen in Ost und West zwischen Etablierung und Neuorientierung“), Britta Hartmann („Bilder und Stimmen aus ferner Gegenwart. Die Dokumentarfilme des Jahres 1966“), Claudia Lenssen („Frauen-Rollen-Bilder 1966. Die Gleich-zeitigkeit des Ungleichzeitigen“) und Claus Löser („Das andere Kino. Ein Blick auf die spielerischen und experimentellen Filme des Jahres 1966“). Alle Autorinnen und Autoren sind für ihr Thema kompetent und insofern bestens ausgewählt. Sehr interessant sind die „Dokumente“, die vor allem aus faksimilierten Briefen, Texten und Aktenvermerken bestehen. Sie werden von Ralf Dittrich (zu BERLIN UM DIE ECKE), Barbara Barlet (zu DER VERLORENE ENGEL), Ilka Brombach (zu den Auswirkungen des 11. Plenums auf die Filmhochschule Babelsberg), Peter C. Slansky (zur Entwicklung der Filmausbildung in der Bundesrepublik Deutschland), Christiane von Wahlert (zur FSK und dem Kampf um die Sittlichkeit) kommentiert. Das letzte Dokument stammt von Harun Farocki: „Als ich 22 war“; es wurde vermutlich 1979 geschrieben, sollte in der Zeitschrift Filmkritik veröffentlicht werden und ist hier erstmals publiziert. Die Lektüre all dieser Dokumente fand ich besonders spannend. Coverfoto: MAHLZEITEN von Edgar Reitz. Mehr zur Publikation deutschland-1966

Gedreht in Mecklenburg-Vorpommern

2015.Stilles Land.MeckpomFriedrich Wilhelm Murnau hat seinen NOSFERATU-Film in Wismar gedreht, Roman Polanski den GHOST-WRITER auf der Insel Usedom und Michael Haneke Teile vom WEISSEN BAND in Johannstorf. Mecklen-burg-Vorpommern ist seit den 1920er Jahren ein beliebter Drehort. Das Buch „Stilles Land und großes Kino“ führt uns durch den deutschen Norden und hundert Jahre Filmgeschichte. 250 Film- und Fernseh-produktionen, die in Meckpom entstanden sind, werden vorgestellt. Geografisches Ordnungsprinzip sind die sechs Landkreise, die Landeshauptstadt Schwerin und die Hansestadt Rostock. Die Filme und Fernsehproduktionen werden dann in der Regel chronologisch abgehandelt. Eingefügt sind kleine Kästen „Für Insider“, „Zum Drehort“ und „Filmprominenz“. Mitgearbeitet haben – neben dem Herausgeber Marco Voss – Juliane Voigt, Frank Burkhard Habel, Frank Schlösser, Christa Eichbaum und Heiko Kreft. Ihre Texte sind informativ und den Filmen zugeneigt. Großen Anteil an der positiven Wirkung des Buches haben die brillanten Abbildungen. Mit Recht wurde das Buch gefördert durch das Ministerium für Wirtschaft, Bau und Tourismus Mecklenburg-Vorpommern und die DEFA-Stiftung. Coverfoto unten: WHISKY MIT WODKA von Andreas Dresen. Mehr zum Buch: 9783356018639.html

Ivo Barnabò Micheli

2015.Ivo Barnabò MicheliEr war ein Filmemacher, der vor allem gesell-schaftskritische Künstler porträtiert hat. Ivo Barnabò Micheli (1942-2005) arbeitete in Deutschland und Italien. Sein Werk umfasst rund 30 Produktionen, die er vorwiegend für die italienische RAI und den WDR realisiert hat. Zu seinen bekanntesten Filmen gehört A FUTURA MEMORIA, eine Annäherung an Pier Paolo Pasolini. Andere Porträts waren Cesare Zavattini, Heinrich Böll, Bruno Ganz, Roberto Rossellini, Karl Kraus und George Tabori gewidmet. Im Folio Verlag ist jetzt ein Buch über Micheli erschienen, das der Historiker Joachim Gatterer und Jessica Alexandra Micheli , die Tochter des Regisseurs, herausgegeben haben. Es enthält vier Texte: Anmerkungen zu Michelis Biografie und eine Charakterisierung seiner Filmporträts von Joachim Gatterer, eine sehr persönliche Hommage von Wilfried Reichart und einen Essay zur „Reise als Leitmotiv in den Filmen und im Leben von Ivo Barnabò Micheli“ von seiner Tochter. Beeindruckend sind die Abbildungen und Dokumente, darunter ein Interview mit Mario Adorf. Auch in der optischen Präsentation spürt man die Sorgfalt und Zuneigung der Herausgeber. Eine Filmografie bildet den Abschluss. Mehr zum Buch: 978-3-85256-682-5

WAS HEISST HIER ENDE?

2016.DVD.Was heißt hier Ende?Vor einem Jahr wurde bei der Berlinale der Film WAS HEISST HIER ENDE? von Dominik Graf uraufgeführt: eine berüh-rende Dokumentation über unseren Freund, den Filmkritiker Michael Althen, der 2011 im Alter von 48 Jahren gestorben ist. Kolleginnen und Kollegen – darunter Wolfgang Höbel, Andreas Kilb, Tobias Kniebe, Peter Körte, Doris Kuhn, Stephan Lebert, Harald Pauli, Milan Pavlovic, Evelyn Roll, Claudius Seidl und Anke Sterneborg – , die Filmemacher Romuald Karmakar, Caroline Link, Christian Petzold, Tom Tykwer und Wim Wenders, seine Eltern, seine Kinder Artur und Teresa, seine Witwe, Bea Schnippenkoetter, erinnern sich in dem Film an vieles, was Michael zu einem besonderen Menschen machte. Auch er selbst ist in dokumentarischen Aufnahmen zu sehen und zu hören. Er hatte mit Dominik Graf zwei Filme gemacht: DAS WISPERN IM BERG DER DINGE und MÜNCHEN – GEHEIMNISSE EINER STADT. Aus dem München-Film werden auch längere Ausschnitte gezeigt. Im vergangenen Sommer kam der Film WAS HEISST HIER ENDE? in die Kinos, jetzt ist bei Good!Movies die DVD des Films erschienen. Sie enthält die deutsche und die englische Fassung. Mehr zur DVD: caid=81&genre=&b=w

Pedro Costa

2016.CostaDem portugiesischen Regisseur Pedro Costa (*1958) ist das neue Heft der Film-Konzepte gewidmet, das diesmal Malte Hagener und Tina Kaiser herausgegeben haben. Acht Textbeiträgen würdigen im Überblick oder in der Analyse einzelner Filme das bisherige Werk von Costa. Paulo Cunha & Daniel Ribas stellen ihn in den Zusammenhang des neuen portugiesischen Kinos und charak-terisieren seine Ausnahmeposition. Ilka Brombach vermittelt Costas Idee des „gemeinschaftlichen Filmemachens“, das bei ihm im kleinen Team geschieht. Volker Pantenburg untersucht sehr detailliert seinen zweiten Film, CASA DE LAVA (1994). Ulrich Köhler konzentriert sich in einem kurzen Text auf NO QUARTO DA VANDA (2000), bei Annika Weinthal geht es um „Gesten der Widerständigkeit in JUVENTUDE EM MARCHA“ (2006), Daniel Eschkötter reflektiert über „Costas Nachleben“ und stellt seinen jüngsten Film CAVALO DINHEIRO (2014) in Beziehung zu seinen früheren Filmen. Tina Kaiser begründet ihre Bewunderung für den Regisseur und verbindet sie mit Verweisen auf frühe, berühmte Filmtheoretiker wie Epstein, Arnheim und Kracauer. Besonders interessant ist die Dokumentation eines Textes von Pedro Costa, der auf einer Masterclass an einer japanischen Filmhochschule beruht und Bezüge zu Ozu und Mizoguchi herstellt. Eine interessante Lektüre über einen Protagonisten eines neuen realistischen Kinos. Mehr zum Heft: VrIhPhzxmT0

Medien im Krieg – Krieg in den Medien

2015.Medien im KriegJörg Becker ist Honorar-professor für Politik-wissenschaft an der Universität Marburg und engagierter Friedens-forscher. In seinem Buch thematisiert er zunächst den Medienkrieg um Afghanistan (2001), die Vermarktung der ex-jugoslawischen Kriege durch US-amerikanische PR-Agenturen (1991-2002), die Bericht-erstattung über den Irakkrieg in den deut-schen und türkischen Zeitungen, die Bericht-erstattung über die Tibetkrise und die chinesische Olympiade in deutschsprachigen Massenmedien (2008), den georgisch-russischen Medienkrieg (2008-2010) und die Foto-Ästhetik im südsudanesischen Krieg (2014). Bilder stehen im Mittelpunkt seines zweiten Kapitels: Schockfotos, Folter und Terrorismus. Dann geht es um die „Modernen Medienkriege“ (Angriffe auf Mediengebäude als Kriegsverbrechen, NGOs im Geflecht von Kriegspropaganda, Benneton in Bosnien und die kostenlose Jugendzeitschrift der NATO, Mirko). Dann nimmt der Autor die Gender-Frage ins Blickfeld, beispielhaft in der Geschlechterlogik der Afghanistan-Berichterstattung und dem Missbrauch der Frauen in der Kriegsbildberichterstattung. Das Schlusskapitel handelt von „Vielfalt und Contra-Flow, Prävention und Friede“. Intensive Recherchen und Forschungen geben Jörg Beckers Buch ein glaubhaftes Fundament. Viele konkrete Beispiele vor allem aus den Medienbereichen Presse und Fernsehen sichern die Behauptungen ab. Das Thema verliert leider nicht an Aktualität. Mehr zum Buch: book/9783658074760

Die DEFA-Verbotsfilme

Bild 1Vor fünfzig Jahren fand in Ostberlin das 11. Plenum des ZK der SED statt, in dessen Folge zahlreiche DEFA-Filme verboten oder in der Produktion abgebrochen wurden. Dies ist wird auch in der Retrospektive der kommenden Berlinale thematisiert und dort mit der damaligen Situation des westdeutschen Films kontrastiert. Zu den Verbotsfilmen ist kürzlich bei Bertz + Fischer eine sehr empfehlenswerte Publikation erschienen, die ich schon vorgestellt habe (verbotene-utopie/). Icestorm bietet jetzt eine DVD-Box mit zehn Filmen an, die damals vom Verbot betroffen waren. Ich nenne noch einmal die Titel und die Regisseure, weil es sich lohnt, sie alle wieder anzuschauen (die meisten waren bereits als DVD verfügbar): DAS KANINCHEN BIN ICH von Kurt Maetzig, DENK BLOSS NICHT, ICH HEULE von Frank Vogel, DER FRÜHLING BRAUCHT ZEIT von Günter Stahnke, DER VERLORENE ENGEL von Ralf Kirsten (übrigens der einzige Film mit historischer Thematik), KARLA von Herrmann Zschoche (mit der wunderbaren Jutta Hoffmann), WENN DU GROSS BIST, LIEBER ADAM von Egon Günther, SPUR DER STEINE von Frank Beyer (inzwischen wohl der bekannteste der Filme), HÄNDE HOCH ODER ICH SCHIESSE von Hans-Joachim Kasprzik, JAHRGANG 45 von Jürgen Böttcher (sein einziger Spielfilm) und BERLIN UM DIE ECKE von Gerhard Klein (nach einem Drehbuch von Wolfgang Kohlhaase). So kann man eine eigene kleine Retrospektive zu Hause veranstalten. Mehr zur DVD-Box: defa-verbotsfilme-sparkauf.html

Das Bild der DDR in Literatur, Film & Internet

2015.Bild der DDRDer Band versammelt acht Beiträge zu einem Symposium, das im Oktober 2014 in der Stiftung Ettersberg in Erfurt stattgefunden hat. Es ging dabei um „25 Jahre Erinnerung und Deutung“. Ich lasse die Referate zum Bereich Literatur beiseite und würdige die Beiträge zu Film, Fernsehen & Internet. Gerhard Jens Lüdeker (Bremen) schlägt einen Bogen von den späten DEFA-Filmen der Wendezeit zum TV-Zweiteiler DER TURM (2012) und konstatiert, dass zwischen Ost und West eine Medienentwicklung „vom Dissens zum Konsens“ stattgefunden hat. Eine Reihe anderer, thematisch einschlägiger Filme werden dabei erwähnt. Matthias Steinle (Paris) widmet sich der Darstellung der DDR im deutschen Dokudrama und untersucht sehr differenziert die Bilder und Töne u.a. der Filme DER TUNNEL (2001) von Roland Suso Richter, ZWEI TAGE HOFFNUNG (2003) von Peter Keglevic, DEUTSCHLANDSPIEL (2000) und DER AUFSTAND (2003) von Hans-Christoph Blumenberg und DIE MAUER – BERLIN ’61 (2006) von Hartmut Schoen. Sabine Moller (Berlin) vergleicht die unterschiedliche Rezeption der Spielfilme GOOD BYE, LENIN! (2003) von Wolfgang Becker und DAS LEBEN DER ANDEREN (2006) von Florian Henckel von Donnersmarck in Deutschland und in den USA. Besonders interessant fand ich den Beitrag von Irmgard Zündorf, Lena Eggers, Anina Falasca und Julia Wigger über die Präsenz der DDR im Internet: „Zwischen Ostalgie und kritischer Aufarbeitung“. Sie stellen exemplarisch vier Websites vor und analysieren sie: drei öffentlich geförderte und eine privat finanzierte. Dies sind www.berlin-mauer.de (betreut vom Rundfunk Berlin-Brandenburg), www.freiheit-und-einheit.de (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung), www.revolution89.de (Robert Havemann-Gesellschaft) und www.mauerfall-berlin.de (privat betrieben). Hinzu kommt der Verweis auf ausgewählte soziale Netzwerke und Foren. Die Befunde zur Geschichtsvermittlung auf diesen Seiten sind kritisch, vor allem: die DDR wird nicht differenziert genug dargestellt. Am Ende des Bandes findet man noch ein Protokoll der Abschlussdiskussion des Symposiums, an der u.a. der Autor und Filmhistoriker Claus Löser und der Präsident der Bundeszentrale für Politische Bildung Thomas Krüger teilgenommen haben. Ein aufschlussreiches Buch. Mehr zum Buch: 978-3-412-50148-8.html

Harry Potter que(e)r

2015.Harry PotterDie acht Harry Potter-Filme waren von 2001 bis 2011 dominante Kinoerfolge, sie werden dem Fantasy-Genre zugeordnet und haben bis heute eine große Fan-gemeinde. Mir persönlich sind sie eher fremd, ich habe zwei oder drei damals gesehen und mir nicht so sehr viel Gedanken darüber gemacht. Vera Cuntz-Leng untersucht in ihrer Dissertation, mit der sie an der Universität Tübingen promoviert wurde, die Geschlechterspezifik der Hauptfiguren. Es geht in ihrem analytischen Teil um Territorien, Konfigurationen, Transformationen, Metamorphosen und Maskeraden und im Schlusskapitel um die Medienfetischisierung. Im Grundlagenkapitel werden zu Beginn das Genre des Fantasyfilms, Geschichte und Theorie des „Queer Reading“ und die Fanpraxis des „Slash“ historisch definiert und wissenschaftlich abgesichert. Für Potter-Liebhaber/innen sicherlich eine interessante Lektüre. Mit Abbildungen und einem Glossar. Mehr zum Buch: harry-potter-queer?c=738

Joseph Beuys und das bewegte Bild

2016.BuysVor dreißig Jahren ist Joseph Beuys, einer der wichtigsten deutschen Künstler der Nachkriegs-zeit, in Düsseldorf gestorben. Sein Nach-ruhm ist groß, sein Diktum „Jeder Mensch ist ein Künstler“ gilt inzwischen fast als Gemeinplatz, der Ham-burger Bahnhof in Berlin ist ein Pilgerort für „Beuysianer“, Andres Veiel dreht zurzeit einen Dokumentarfilm über ihn. Das bewegte Bild – der Film – hat im Werk von Joseph Beuys immer eine große Rolle gespielt. Der Kunsthistoriker Ulf Jensen hat zu diesem Thema seine Dissertation an der Humboldt-Universität in Berlin verfasst, die jetzt in überarbeiteter Form im Verlag De Gruyter erschienen ist. Ich finde sie in der Präsentation der Werke und in der Analyse sehr beeindruckend. Beginnend mit der „Fettplastik 1952“, bei der Buys eine Bienenwachsplatte, ein Grasgeflecht und einen Filmstreifen kombinierte, entdeckt der Autor die Bedeutung des Filmmaterials in der Kunst von Buys, der selbst nie gefilmt, fotografiert oder ein Video aufgenommen hat. Die Präsentation auf der documenta 6 in Kassel 1977, die dem Verhältnis zwischen Kunst und technischen Medien gewidmet war, spielt eine besondere Rolle. Auch die Zusammenarbeit mit dem Filmemacher Lutz Mommartz wird natürlich ausführlich dargestellt. Jensen nutzt für seine Sicht die filmanalytische Perspektive, das heißt: er untersucht Einstellungsfolgen, Kamera-bewegungen und abgebildete Motive. Die formale Diversität des Materials ist auf die unterschiedlichen Quellen zurückzuführen, aus denen das Material stammt. 193 Abbildungen zeigen uns diese Vielfalt, die in einem Verzeichnis im Anhang nachgewiesen wird. Ein exzeptionelles Buch! Coverabbildung: Vitrine 1981, unbetitelt. Mehr zum Buch: OoC4Fj&result=3