Computeremotion

Mit dem Film TOY STORY, produziert von den Pixar Studios im Auftrag der Walt Disney Company begann 1995 die Ära des computergenerierten Animationsfilms. Meike Uhrig richtet ihren Blick speziell auf das Gesicht in diesem Filmbereich. Sie hat 134 Titel ermittelt, die zwischen 1995 und 2014 in Deutschland ins Kino kamen, und 65 für eine genauere Analyse ausgewählt. Die meisten Filme stammen aus den USA, aber es gibt auch Produktionen aus Japan, Dänemark, Russland und Deutschland, hier zum Beispiel LISSI UND DER WILDE KAISER (2007) von Michael Herbig, KONFERENZ DER TIERE (2010) von Reinhard Kloos und Holger Tappe, KEINOHRHASE UND ZWEIOHRKÜKEN von Till Schweiger. Die Mehrzahl der Filme sind den Genres Abenteuer, Komödie, Familie und Fantasy zuzuordnen. Im Hauptteil auf 120 Seiten sammelt die Autorin Beispiele für die Gesichtsausdrucksformen anders, süß, schön, seltsam und tot. Zahlreiche Abbildungen sind hilfreich für die Konkretisierung. Eine beeindruckende Untersuchung. Mehr zum Buch: buch/computeremotion

Lebensbilder auf Zelluloid

Biopics aus den Bereichen Zeitgeschichte und Politik, Wissenschaft und Technik, Kunst und Sport sind international sehr populär. Günter Helmes untersucht in seiner Studie deutschsprachige biographische Spielfilme der 1950er Jahre, zehn aus der BRD, zehn aus der DDR. Im Mittelpunkt der westdeutschen Filme stehen König Ludwig II., die Zarentochter Anastasia, Ferdinand Sauerbruch, der Physiker Ernst Abbe, Wernher von Braun, Sebastian Kneipp, Gustav Stresemann, der Massenmörder Bruno Lüdke und der ermittelnde Kommissar Werner Peters, Wolfgang Amadeus Mozart und Lola Montez. Auf der ostdeutschen Seite sind es Ernst Thälmann, Thomas Müntzer, Tilman Riemenschneider, der Erfinder Johann Friedrich Böttger, der Chirurg Ignaz Semmelweis, der Arzt Robert Mayer, der Humorist Adolf Glaßbrenner, die Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters, der Rennfahrer Manfred von Brauchitsch und der Ringer Werner Seelenbinder. Helmes beschreibt sehr einleuchtend die Unterschiede der Filme aus der BRD und der DDR. Lesenswerter Rückblick in die 50er Jahre. Keine Abbildungen. Mehr zum Buch: lebensbilder-auf-zelluloid,28463.html

Isabelle Huppert

Heute wird die französische Schauspielerin Isabelle Huppert mit dem Goldenen Ehrenbären der Berlinale ausgezeichnet. Ihr ist in diesem Jahr die Hommage gewidmet. Sie hat seit 1971 in über 100 Kinofilmen Haupt-rollen gespielt. Ich erinnere mich gern an DIE SPITZEN-KLÖPPLERIN (1977) von Claude Goretta, VIOLETTE NOZIÈRE (1978) von Claude Chabrol, DER SAUSTALL (1981) von Bertrand Tavernier, PASSION (1982) von Jean-Luc Godard, MALINA (1991) von Werner Schroeter, DIE KLAVIERSPIELERIN (2001) und LIEBE (2008) von Michael Haneke. Zu ihren großen Qualitäten gehören Vielseitigkeit und Wandlungsfähigkeit. Bei der Berlinale war sie in sieben Filmen im Wettbewerb zu sehen, für die Komödie 8 FEMMES von François Ozon erhielt sie 2002 mit ihren sieben Kolleginnen den Silbernen Bären als beste Darstellerin. Heute Abend wird im Berlinale-Palast ihr neuester Film À PROPOS DE JOAN von Laurent Larivière gezeigt. Da sie an Corona erkrankt ist, kann sie den Ehrenbären nicht persönlich in Empfang nehmen. Sie wird aus Paris zugeschaltet. Mehr zur Hommage: artistic-directors-blog/isabelle-huppert.html

Alexander Kluge 90

Heute ist der 90. Geburtstag des Schriftstellers und Filme-machers Alexander Kluge zu feiern. Er war 1962 einer der Initiatoren des Oberhausener Manifests, hat über 40 kurze und lange Kinofilme gedreht, darunter sein Meisterwerk ABSCHIED VON GESTERN (1966), unzählige Bücher mit kurzen und langen Geschichten veröffentlicht und von 1987 bis in die 2000er Jahre bei RTL ein unabhängiges Kulturmagazin moderiert. Mehrfach hat er mich als Gast eingeladen. Es waren schöne Gespräche u.a. über die Siodmak Brüder und Friedrich Wilhelm Murnau. Suhrkamp ist der Hausverlag von Alexander Kluge und zu seinem Geburtstag sind zwei neue Bücher erschienen. (Foto: Markus Kirchgessner)

„Das Buch der Kommentare“ ist ein sehr persönlicher Gang durch die Geschichte in zwölf Stationen, der assoziativ Geschehnisse kommentiert, aus den eigenen Tagebüchern zitiert und viele Ereignisse in Erinnerung ruft. Halberstadt, wo er geboren wurde, spielt hier eine große Rolle. Ausgangs-punkt ist der düstere Advent 2020. Berührend ist der Abschied von seiner Schwester Alexandra, die 2017 in Berlin gestorben ist. Sie war Ärztin und Hauptdarstellerin u.a. in dem Film ABSCHIED VON GESTERN. Die Abwahl Donald Trumps und der Sturm aufs Kapitol sind dramatische Ereignisse. „Wohin fliehen, wenn die Erde zerstört sein wird?“ heißt ein Kapitel. Es gibt Kommentare zu Jürgen Habermas, Gerhard Richter und einer Zeichnung von Siegmund Freud. Zahlreiche Abbildungen konkretisieren die Texte. Mehr zum Buch: das-buch-der-kommentare-t-9783518430248

DIE ARTISTEN IN DER ZIRKUSKUPPEL: RATLOS hieß ein Film von Alexander Kluge, der 1968 mit dem Goldenen Löwen der Filmfestspiele in Venedig ausgezeichnet wurde. „Zirkus. Kommentar“ heißt ein neues Buch von ihm. Die sieben Kapitel heißen: „Das Virus als Verwandlungskünstler“, „Am Grenzübergang brüllten die Tiere / Im Zirkuszelt erlöschen die Lichter“, „Arbeit / Können! Zirkus / Kunst“, Entstehung der Hochbauweise von New York aus dem Geiste der Vergnü-gungsparks“, „Die Neugier auf das ‚wahre Wilde‘“, „Tiere im Bombenkrieg“, „Er rettete das Liebste, was er besaß, und zugleich eine Nachhut von zwölf Elefanten“. Wieder bewegen wir uns assoziativ durch Kluges Gedankenwelt und erfahren, begleitet von vielen Abbildungen, Wissenswertes nicht nur über den Zirkus. Mehr zum Buch: zirkus-kommentar-t-9783518430231

Das literarische Debüt von Alexander Kluge war der Band „Lebensläufe“ (1962). Es sind erfundene und reale Geschichten, die hier erzählt werden. Eine Bruchstelle ist das Jahr 1945. Demnächst erscheint bei Suhrkamp eine Neuauflage mit einem Kommentar von Thomas Combrink über die Entstehungs- und Rezeptions-geschichte des Buches mit vielen interessanten Informationen. Mehr zum Buch: lebenslaeufe-t-9783518189467

KOMM MIT MIR IN DAS CINEMA – DIE GREGORS

Heute wird im Delphi der Dokumentarfilm über das Ehepaar Erika und Ulrich Gregor von Alice Agneskirchner uraufgeführt. Es ist eine Reise durch siebzig Jahre Filmgeschichte, beginnend in den 1950er Jahren an der Freien Universität Berlin, wo Ulrich Filmvorführungen initiierte und Erika kennenlernte. 1963 gründeten sie die „Freunde der Deut-schen Kinemathek“, 1970 das Kino „Arsenal“ in der Welserstraße und 1971 das „Internationale Forum des jungen Films“ als Sektion der Berlinale. Sie sind seit 60 Jahren verheiratet. Viele Wegbegleiter kommen in dem Film zu Wort, darunter Wim Wenders, Alexander Kluge, Helke Sander, Rosa von Praunheim, Jim Jarmusch und Michael Verhoeven. Zu sehen sind Ausschnitte aus vierzig Filmen, u.a. von Andy Warhol, Aki Kaurismäki, Jutta Brückner, Rudolf Thome und Claude Lanzmann. Archivmaterial macht die 60er und 70er Jahre präsent. Ich bin sehr gespannt auf den Film. Mehr zum Film: https://diegregors-derfilm.de/#content

No Angels

Drei herausragenden amerika-nischen Darstellerinnen ist die Retrospektive der Berlinale gewidmet: Mae West, Rosalind Russell und Carole Lombard. Eigentlich hätte sie bereits im vergangenen Jahr stattfinden sollen, aber sie wurde corona-bedingt verschoben. Die Publikation von Rainer Rother wurde im letzten Sommer bei edition text + kritik veröffent-licht. Jetzt kann man 27 Filme aus den Jahren 1932 bis 1943 im CinemaxX 8 und im Zeug-hauskino sehen. Meine Favoriten sind BELLE OF THE NINETIES von Leo McCarey, GO WEST YOUNG MAN von Henry Hathaway und I’M NO ANGEL von Wesley Ruggles mit Mae West, FOUR’S A CROWD von Michael Curtiz, HIS GIRL FRIDAY von Howard Hawks und THE WOMEN von George Cukor mit Rosalind Russell, HANDS ACROSS THE TABLE von Mitchell Leisen, NOTHING SACRED von William A. Wellman und TO BE OR NOT TO BE von Ernst Lubitsch mit Carole Lombard. Die „leading female comedians” haben damals mit allen großen Regisseuren zusammengearbeitet. Ein klug gewähltes Retro-Thema. Mehr zur Retrospektive: news-themen/news/detail_111946.html

Berlinale

Heute wird mit dem Film PETER VON KANT von François Ozon die 72. Berlinale eröffnet. Sie findet in einer sehr speziellen Situation statt, die von Hygienebestimmungen und Maßregeln geprägt ist. Zum Besuch der Pressevorführungen sind aktuelle Testergebnisse notwendig. Ich bin noch unsicher, wie oft ich mich auf den Weg in den Berlinale-Palast mache. Es ist meine 61. Ber-linale. Im Wettbewerb sind 18 Filme zu sehen, darunter A E I O U – DAS SCHNELLE ALPHABET DER LIEBE von Nicolette Krebitz, AVEC AMOUR ET ACHAR-NEMENT von Claire Denis, LEONORA ADDIO von Paolo Taviani, LA LIGNE von Ursula Meier, RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH von Andreas Dresen, RIMINI von Ulrich Seidl, THE NOVELIST’S FILM von Hong Sangsoo, UN ÉTÉ COMME ÇA von Denis Coté. In der Jury sitzen unter dem Vorsitz des Regisseurs M. Night Shyamaian die deutsche Filmemacherin Anna Zohra Berrached, die Autorin Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe, der japanische Regisseur Ryusuke Hamaguchi, der brasilianisch-algerische Regisseur Karim Ainouz, der französisch-tunesische Produzent Said Ben Said und die dänisch-amerikanische Schauspielerin Connie Nielsen. Die Preisvergabe erfolgt bereits am kommenden Mittwoch. Auch in den anderen Sektionen sind viele interessante Filme zu sehen. Mehr zum Programm der Berlinale: programm/berlinale-programm.html

Hellmuth Costard

In seinem Kurzfilm BESON-DERS WERTVOLL (1968) ließ er einen Penis die Rede des CDU-Bundestagsabgeordneten Hans Toussaint sprechen. In seinem Dokumentarfilm FUSSBALL WIE NOCH NIE (1970) beobachtete die Kamera nur den englischen Spieler George Best 90 Minuten auf dem Spielfeld. Den Film DER KLEINE GODARD AN DAS KURATORIUM JUNGER DEUTSCHER FILM (1978) drehte er im Super-8-Format. Hellmuth Costard (1940-2000) war ein provokanter und experimentell arbeitender Filmemacher. Lars Henrik Gass hat jetzt bei Brinkmann & Bose ein wunderbares Buch über ihn herausgegeben. Über 100 Texte, Fotos, Zeichnungen und Briefe dokumentieren den Ideenreichtum, das Spektrum der technischen Interessen und den Durchsetzungswillen. Es gibt Kommentare von Costard zur Filmpolitik, zu Super8, zum Fernsehen, zu Technik und Bildung, zur Sunmachine. Filmstills erinnern an seine zehn wichtigsten Filme. Zu lesen sind Briefe an den DFFB-Direktor Heinz Rathsack, den WDR-Redakteur Georg Alexander, den Konkret-Chefredakteur Klaus Rainer Röhl, den Regisseur Hans Jürgen Pohland (mit Comic-Zeichnungen zu einem „Sissi“-Projekt), den ZDF-Redakteur Eckart Stein, den WDR-Fernsehspiel-Chef Günter Rohrbach, den Produzenten Gyula Trebitsch, den Regisseur Richard Lester, das Kuratorium junger deutscher Film, den Multikünstler Joseph Beuys, den NRW-Forschungsminister Hans Schwier und den Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine. Das Vorwort des Herausgebers Gass würdigt Costard auf eindrucksvolle Weise. Das Buch erschließt ein kreatives Werk und erinnert an einen nicht mehr präsenten Künstler. Mehr zum Buch: http://www.brinkmann-bose.de

Die Tage- und Notizbücher von Patricia Highsmith

Die Schriftstellerin Patricia Highsmith (1921-1995) hat 22 Romane geschrieben, die zahlreiche Verfilmungen inspiriert haben, viele Kurz-geschichten verfasst und über fünfzig Jahre lang Tagebuch geführt: über ihre Begegnungen, Projekte, Beziehungen. Anna von Planta, Lektorin des Diogenes Verlages, hat die geschätzt 8.000 hand-schriftlichen Seiten auf 1.300 Druckseiten komprimiert und mit vielen Anmerkungen versehen. Fünf Phasen strukturieren das Buch: Leben und Schreiben in New York (1941-1950), Zwischen den USA und Europa (1951-1962), England oder der Versuch, sesshaft zu werden (1963-1966), Rückkehr nach Frankreich (1967-1980), Lebensabend in der Schweiz (1981-1995). Man findet sehr interessante Hinweise auf ihre Begegnungen mit Alfred Hitchcock, der ihren ersten Roman „Strangers on a train“ (1950) verfilmt hat. Am Drehbuch war Raymond Chandler beteiligt. Originell ist die Beschreibung eines Treffens mit Wim Wenders („zuerst schweigsam, in sich gekehrt“) und Peter Handke („er hat ein wirklich kraftloses Gesicht“) in Paris 1974. „Peter sagte: ‚Jedes Mal, wenn ich eines Ihrer Bücher zu lesen beginne, habe ich das Gefühl, das Sie das Leben lieben, dass Sie leben wollen.‘ Das gefällt mir!“ Wenders hat ihren Roman „Ripley’s Game“ verfilmt (DER AMERIKANISCHE FREUND, 1977). Berührend: ihre Trauer über das Ende ihrer Beziehung mit Tabea Blumenschein. Man kann in dem Buch blättern und liest sich sofort fest. Man kann auch gezielt jemanden suchen, denn es gibt ein Personenregister. Mit einem Nachwort von Joan Schenker, Autorin der Biografie „Die talentierte Miss Highsmith“. Mehr zum Buch: microsites/patriciahighsmith.html

DIE WILBY-VERSCHWÖRUNG (1975)

Ein Melodram über die Apartheit in Südafrika. In Kapstadt wird Shack Twala (Sidney Poitier) nach zehnjähriger Haft vorzeitig entlassen. Seine Anwältin Rina Van Niekirk (Prunella Gee) war erfolgreich. Aber die Staatssicherheit bleibt ihm auf den Fersen. Mit Hilfe des befreundeten Jim Keogh (Michael Caine) gelingt die Flucht über Johannesburg nach Botswana. Dort werden sie von Wilby Xaba, dem Vorsitzenden des „Black Congress“ erwartet. Aber auch Major Horn, Beamter der Stadtsicherheit, ist nach Botswana gekommen, um Wilby nach Südafrika zu entführen. Der Showdown ist spannend. Ralph Nelson hat den Film als britische Produktion vorwiegend in Kenia gedreht. Flucht und Verfolgung sind gut inszeniert, die Bilder aus Afrika beeindruckend. Herausragend: die Darsteller. Bei Koch Media ist die DVD des Films erschienen. Sehr empfehlenswert. Mehr zur DVD: the_wilby_conspiracy_dvd/