Harun Farocki: Texte 2001-2014

Dies ist der sechste Band mit Texten von Harun Farocki, der im Juli 2014 gestorben ist. Dokumentiert sind 73 Beiträge zu Katalogen, diversen Publi-kationen und für die Website new filmkritik. Das thematische Spektrum ist wieder sehr breit, die Länge der Texte unter-schiedlich zwischen einer halben und 44 Seiten. Ich nenne zehn Texte, die mich besonders beeindruckt haben. 1. „Bilder-schatz“ (2001, über ein Projekt zur Geschichte des Kinos). 2. „Bildtexte“ (2002, Fotos und Kommentare zu ausgewählten Filmen von Farocki). 3. „Erkennen und Verfolgen“ (2004, was man auf Bildern erkennen kann). 4. „Ewigkeiten bei TAS“ (2004, über das Fußballspielen). 5. „Popstar mit Brille“ (über Rainer Werner Fassbinder). 6. „Einseitig perforiert, schmaler Steg“ (2005, über Filme auf 16 mm). 7. „Somewhere over the Rainbow: ARIEL (2008, über den Film von Aki Kaurismäki). 8. “Auf zwölf flachen Schirmen“ (2007, Tagebucheintragungen zur eigenen Filmarbeit). 9. „Lerne das Einfachste!“ (2010, über das Filmemachen). 10. „Über das Dokumentarische (2014). Mit einem Nachwort des Herausgebers Volker Pantenburg. Man kann sich in dieses Buch stundenlang vertiefen und dabei viel lernen. Mehr zum Buch: de/publikationen/farocki-band-6

„Ich bin zu zart für diese Welt“

Dies ist der zweite Band der Tagebücher des Schauspielers Manfred Krug. Es geht um die Jahre 1998 und 1999. Krug spürt die Folgen seines Schlaganfalls. Er spielt weiterhin den Kommissar Paul Stoever im Hamburger Tatort, sein Partner ist Charles Brauer; es fällt ihm schwer, sich die Dialoge zu merken. Er pendelt zwischen Hamburg und seinem Wohnort Berlin, publiziert das Buch „66 Gedichte – was soll das?“ über seinen 1997 verstorben Freund Jurek Becker, fährt zur Frankfurter Buchmesse, wo er heftiges Nasenbluten bekommt und ins Krankenhaus muss. Seine Autobiografie „Abgehauen“ wird von Frank Beyer mit Peter Lohmeyer verfilmt. Krugs Kommentar ist abschätzig. Es werden in den beiden Jahren viele Geburtstagsfeste gefeiert, oft beteiligt er sich daran lustlos, weil er sich müde und zerschlagen fühlt. Andererseits verbringt er zahlreiche Nächte bei Diener mit verschiedenen Freunden und seiner Frau Ottilie. Eine wichtige Rolle spielt seine Tochter Marlene, die aus der Beziehung mit der Schauspielerin Petra Duda entstanden ist. Sie wohnt mit ihrer Mutter im Hinterhaus. Sein Vater stirbt. Er hat zuvor ein langes Gespräch mit ihm geführt, das er transkribiert. Krug träumt viel, oft von Jurek Becker. Er schaut sich im Fernsehen viele alte Filme an, die ihn beeindrucken oder langweilen. Er kommentiert die politischen Geschehnisse. Im letzten Eintrag heißt es: „Boris Jelzin, der alte Tanzbär, tritt zurück und übergibt an das schmale Jüngelchen Wladimir Putin, der jetzt gerade den Krieg in Tschetschenien führt und damit Pluspunkte bei den Russen macht.“ Herausgegeben mit einem Nachwort von Krista Maria Schädlich. Lesenswert. Mehr zum Buch: ich-bin-zu-zart-fuer-diese-welt/

FREIBAD (2022)

Der Film von Doris Dörrie ist komisch und dramatisch. Im Freibad Melusine treffen sich sehr unterschiedliche Frauen und geraten schnell in Streit. Die Hauptfiguren sind Eva (Andrea Sawatzki), ein früherer Schlagerstar und Feministin, die gegen ihr Alter kämpft, ihre Freundin Gabi (Maria Happel), verheiratete Lehrerin mit einem kleinen Hund, die junge Türkin Yasemin (Nilam Farooq), die im neuen Burkini badet, die Bademeisterin Steffi (Lisa Wagner), die von den Frauen zunehmend genervt ist und schließlich kündigt, der Wurstverkäufer Kim und die Besitzerin des Bades, Rocky. Es beginnt mit einem Polizeieinsatz, für den sich niemand verantwortlich fühlt, und endet mit der Umstellung von Kalbswürstchen auf vegane Wurst. Für heftige Konflikte sorgt der Nachfolger von Steffi, Nils (Samuel Schneider), ein Mann aus Berlin. So ist das Freibad eigentlich ein Kampfplatz, auf dem ein Clash der Kulturen stattfindet. Bei Constantin ist jetzt die DVD des Films erschienen, die man sich ansehen kann, auch wenn es im Film viele Klischees gibt. Mehr zur DVD: constantin-film.de/home-entertainment/freibad/

Filmmythos Wachau

Die Wachau mit dem Donautal zwischen Melk und Krems in Niederösterreich westlich von Wien war Schauplatz vieler Filme vor allem in den 1950er Jahren. Hier eine kleine Aus-wahl: DAS KIND DER DONAU (1950) von Georg Jacoby mit Marika Rökk, DORT IN DER WACHAU (1957) von Rudolf Carl mit Wolf Albach-Retty und Gerlinde Locker, VIER MÄDELS AUS DER WACHAU (1957) von Franz Antel mit Isa und Jutty Günther, Alice und Ellen Kessler, DER SCHÖNSTE TAG MEINES LEBENS (1957) von Max Neufeld mit Paul Hörbiger, HEIMWEH … DORT WO DIE BLUMEN BLÜH’N (1957) von Franz Antel mit Sabine Bethmann und Rudolf Prack, DIE LINDENWIRTIN VOM DONAUSTRAND (1957) von Hans Quest mit Marianne Hold und Claus Holm, MARIANDL (1961) von Werner Jacobs mit Cornelia Froboess und Rudolf Prack. Auch für ausländische Filme wie IVANHOE (1952) von Richard Thorpe mit Robert Taylor oder THE CARDINAL (1961) von Otto Preminger mit Tom Tyron und Romy Schneider fanden Dreharbeiten in der Wachau statt. Das Buch von Stefan Schmidl beschreibt die wichtigsten Filme und vermittelt Hintergründe. Mit zahlreichen Abbildungen. Sehr lesenswert. Mehr zum Buch: hollitzer.at/buch/filmmythos-wachau

Charly Hübner

Carsten Johannes Markus „Charly“ Hübner, geboren 1972 in Neustrelitz, hat 1997 sein Studium an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ abgeschlossen, stand in Berlin, Frankfurt, Zürich, Köln und Hamburg auf der Bühne, ist seit 2010 als Kommissar Buckow im Rostocker Polizeiruf 110 eine Fernsehlegende und war in mehr als fünfzig Kinofilmen zu sehen, zum Beispiel in DAS LEBEN DER ANDEREN (2006) von Florian Henckel von Donnersmarck, DER ROSA RIESE (2008) von Rosa von Praunheim, BORNHOLMER STRASSE (2014) von Christian Schwochow, 3 TAGE IN QUIBERON (2018) von Emily Atef und RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH (2022) von Andreas Dresen. Hans-Dieter Schütt hat mit Charly Hübner im letzten Sommer mehrere Gespräche geführt, über sein Leben, seine Arbeit, sein Denken und Fühlen. Die Lektüre der 120 Seiten (mit Fotos) ist unterhaltsam und beeindruckt durch kluge Antworten auf viele Fragen. Zu lesen sind außerdem eine Einleitung von Hans-Dieter Schütt, die Laudatio von Christian Tschirner zur Verleihung des Gertrud-Eysoldt-Ringes an Charly Hübner, eine Hommage von Heinz Strunk und Texte von Tobias Rempe und Charly Hübner. Demnächst kommt der Film SOPHIA, DER TOD UND ICH ins Kino, bei dem Charly Hübner Regie geführt hat. Mehr zum Buch: 2621c960-c4cc-440b-a568-74702233cef9

In einer Galaxie – weit, weit entfernt

Jörg Petersen beschäftigt sich in seinem Buch mit den Hinter-gründen des STAR WARS-Phänomens. Im Mittelpunkt steht die Genese der Filme. Dies sind in chronologischer Reihen-folge der Entstehung: Episode IV, EINE NEUE HOFFNUNG (1977), Episode V, DAS IMPE-RIUM SCHLÄGT ZURÜCK (1980), Episode VI, DIE RÜPCKKEHR DER JEDI-RITTER (1983), Episode I, DIE DUNKLE BEDROHUNG (1999), Episode II, ANGRIFF DER KLONKRIEGER (2002), Episode III, DIE RACHE DER SITH (2005), Episode VII, DAS ERWACHEN DER MACHT (2015), Episode VIII, DIE LETZTEN JEDI (2017), Episode IX, DER AUFSTIEG SKYWALKERS (2019) und die beiden Spin-Off-Filme ROGUE ONE (2016) und SOLO (2018). Die anschaulichen Filmbeschreibungen werden mit kulturellen Referenzen erweitert. Sie vermitteln Hintergründe, die den Blick auf die Filme erweitern. Natürlich spielen auch die Produktionsbedingungen eine wichtige Rolle. Ein abschließendes Kapitel verfolgt die Spuren von STAR WARS in der Popkultur, in verschiedenen Ländern, in Romanen, Comics, Merchandising und im Disney-Universum. Die Informationen des Autors sind beeindruckend, das Buch ist nicht nur für STAR WARS-Fans lesenswert. Mehr zum Buch: http://emmerich-books-media.de/htm/150_de.html

Abschied von Walter Krieg

Der Dokumentarfilmregisseur Walter Krieg ist am 31.Januar in Berlin verstorben. Er stammte aus Gummersbach, absolvierte in den 1970er Jahren die Deutsche Film- und Fernsehakademie und realisierte anschließend zahlreiche mittellange Dokumentationen. In den letzten zwanzig Jahren arbeitete er vor allem für die Reihe 37 Grad des ZDF. Walter gehörte seit über vierzig Jahren der von Helene Schwarz gegründeten Skatgruppe an. Er war ein kluger Spieler, der ungern die Ramschrunden absolvierte und lieber reizte. Er wurde 73 Jahre alt. Wir werden ihn in unserer Runde sehr vermissen. Mehr zu den Filmen von Walter Krieg: walter-krieg-dokumentarfilm.de

DER BESTE FILM ALLER ZEITEN (2022)

Im Original trägt der Film den Titel „Competencia oficial“. Der Superlativ des deutschen Titels verweist bereits auf sein Genre: die Satire. Erzählt wird die Geschichte eines Milliardärs, der der Menschheit etwas Bleibendes hinterlassen will. Das könnte etwa eine Brücke sein oder eben der beste Film aller Zeiten. Er erwirbt die Rechte an einem berühmten Roman, engagiert eine sehr bekannte Regisseurin, einen Filmstar und einen Theaterschauspieler, stellt eine große Halle als Atelier zur Verfügung und erwartet ein Meisterwerk. Natürlich funktioniert das alles nicht und endet im Desaster. Leider kann man im Film der argentinischen Regisseure Gastón Dupra und Mariano Cohn selten lachen und hat Mitleid mit Penélope Cruz als Regisseurin, Antonio Banderas als Filmstar und Oscar Martinez als Theaterschauspieler. Es sind zu viele Klischees aus der Filmszene, die hier gezeigt werden, und zu wenig originelle Pointen, die den Zuschauer überraschen. Bei StudioCanal sind DVD und Blu-ray des Films erschienen. Nur für Fans simpler Komödien sehenswert. Mehr zur DVD: studiocanal.de/?s=Der+beste+Film+aller+Zeiten

Das lächerliche Ernste

Der südkoreanische Regisseur Hong Sangsoo hat in den ver-gangenen 26 Jahren 28 Spiel-filme gedreht, die auch interna-tional Resonanz haben. Bei der Berlinale bekam er 2020 den Preis für die beste Regie, 2021 den Preis für das beste Dreh-buch und 2022 den Großen Preis der Jury. 2023 ist leider kein Film von ihm im Wettbewerb zu sehen. Das 100-Seiten-Buch von Sulgi Lie analysiert das Werk von Hong Sangsoo auf höchstem Niveau. Die Filmbeschreibungen sind präzise, der individuelle Stil des Regisseurs wird erkennbar, auch kleine Schwächen werden nicht verheimlicht. Brutale Männer, sensible Frauen und Alkohol spielen eine wichtige Rolle ins Hongs Filmen. Vor allem französische Filme beeinflussen ihn, speziell von Robert Bresson und Eric Rohmer. Meine persönlichen Lieblingsfilme sind WOMAN ON THE BEACH (2006), IN ANOTHER COUNTRY (2012), RIGHT NOW, WRONG THEN (2015) und INTRODUCTION (2021). Das Buch von Sulgi Lie hat mich sehr beeindruckt. Mit einem Vorwort von Pierre-Emmanuel Finzi. Ohne Abbildungen. Mehr zum Buch: lestudio.at/publikationen/edition-hss/

Zeitreisen in Zelluloid

16 Texte zum Motiv der Zeit-reise im Film. Matthias Hurst unternimmt regressive Reisen durch die Zeit. Hans J. Wulff erschließt das motivische Feld der Zeitreise-Filme. Arno Ruß-egger erinnert an die unter-schiedlichen Verfilmungen des Romans „The Time Machine“ von H. G. Wells (1895). Bei Marcus Stiglegger geht es um filmische Zeitreisen in der Steampunk-Ära, bei Jörg Helbig um den Film GROUNDHOG DAY. Tobias Helbig befasst sich mit Zeitschleifen in Video-spielen. Angela Krewani sieht in Woody Allens MIDNIGHT IN PARIS Nostalgie und Selbsterkenntnis. Susanne Bach erkennt in BACK TO THE FUTURE die verlorene Unschuld der 1950er Jahre. Susanne Reichl entschlüsselt die postfeministischen Beziehungswirren in Zeitreise-Romcoms. Klaudija Sabo stellt Chris Markers LA JETÉE und Terry Gilliams TWELVE MONKEYS gegenüber. Sabrina Gärtner beschäftigt sich mit palindromischem Erzählen im Film. Désirée Kriesch dringt in Christopher Nolans TENET ein. Simon Spiegel richtet seinen Blick auf THE TERMINATOR und TERMINATOR 2: JUDGMENT DAY. Martin Hennig gendert in Zeitreisenarrativen am Beispiel von PREDESTINATION. Hanns Christian Schmidt unternimmt Zeitreisen im Marvel-Universum, Andreas Rauscher im STAR TRECK-Universum. Alle Texte haben ein hohes Niveau. Band 18 der Reihe „focal point“. Mehr zum Buch: http://www.wvttrier.de