Peter Goedel

Heute Abend wird im Zeughauskino mit dem Film DAS TREIBHAUS (1987) eine Werkschau ausgewählter Filme von Peter Goedel eröffnet, die Peter Nau zusammen-gestellt hat. Die Filme dieses Regisseurs sind sehr reflektiert, haben oft eine enge Beziehung zur Literatur und zur Musik, sie beeindrucken durch ihre Bildkraft. Die Werk-schau trägt den Titel „Schauplätze geistiger Erfahrung“ und ist bis zum 14. Juli zu sehen. Peter Goedel ist mehrfach zu Gast. „Das unbekannte Meisterwerk“ nennt Peter Nau seine Publikation zur Filmreihe, die soeben im Wiener Verlag Synema erschienen ist. In 26 Miniaturen beschreibt der Autor die Besonderheiten der Filme von Peter Goedel, Besonders schön finde ich seine Texte über den Dokumentarfilm TALENTPROBE (1980), die Spielfilme DAS TREIBHAUS (1987) nach dem Roman von Wolfgang Koeppen und TANGER – LEGENDE EINER STADT (1997) mit Armin Mueller-Stahl. Ein Zitat aus dem Vorwort: „Die Stoffe lösen sich bei ihm aus der Konservierung, in der sie historisch zu werden drohen: der lebendige Augenblick, in dem die Bild- und Tonaufnahme erfolgt, ist immerzu mit im Spiel. Bei den Gesprächspartnern wirkt das Unausgesprochene, das Geheimnis ihrer Begabung an ihrem Auftreten mit und führt die Filme ins Freie.“ Die Abbildungen haben eine sehr gute Qualität. Informationen zur Werkschau: schauplaetze-geistiger-erfahrung.html. Die Publikation ist im Buchhandel zu beziehen oder bei office@synema.at

Frankfurt wie im Film

Unter den 99 Kinofilmen, die hier mit Schauplätzen in Frankfurt am Main in Verbindung gebracht werden, ist nur einer wirklich dort ge-dreht worden: DAS MÄDCHEN ROSEMARIE von Rolf Thiele mit Nadja Tiller. Abgebildet ist die Ecke Bethmannstraße/Kaiserstraße vor dem Frankfurter Hof mit einem eleganten, modernen BMW. Alle anderen Fotos dokumentieren Fassaden, Häuser und Straßen der Mainmetro-pole, die von Maria Jerchel und Jens Peter Kutz mit Momenten der internationalen Filmgeschichte visuell in Verbindung gebracht werden. Das funktioniert manchmal gut, zum Beispiel beim Gewerbe-gebiet Kalbach und PARIS, TEXAS, dem Oberforsthaus in Niederrad und NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS, dem Messeturm und KING KONG UND DIE WEISSE FRAU, dem Hauptbahnhof und HUGO CABRET, der Kanalisation und dem DRITTEN MANN, der Stadtbücherei und dem HIMMEL ÜBER BERLIN, dem Eisernen Steg und BRIDGE OF SPIES, dem Liebieghaus und PSYCHO, dem Unter-mainkai und GRAND BUDAPEST HOTEL. Aber es leuchtet mir nicht ein bei der Hundertwasser-Kindertagestätte und CITIZEN KANE, der Schwanheimer Düne und THE WIZARD OF OZ, dem Neubaugebiet Europaviertel und LA DOLCE VITA, dem Hauptfriedhof und EASY RIDER, dem Treppenaufgang Honsellbrücke und PANZERKREUZER POTEMKIN, dem Luftbrückendenkmal und CASABLANCA, dem Alten Polizeipräsidium und SISSI, dem Opernplatz und ROMAN HOLIDAY, der Goethestraße und BREAKFAST AT TIFFANY’S, dem Bethmann’-schen Pavillon und GONE WITH THE WIND, der postmodernen Architektur in der Saalgasse und dem CABINET DES DR. CALIGARI, der St. Bonifatiuskirche und den NIBELUNGEN. Trotzdem: ein schöner Stadtführer durch Frankfurt. Mehr zum Buch: view/1/267.html

LIEBELEI (1933) / LOLA MONTEZ (1955)

Er war einer der großen Regisseure des deutschen Films. Max Ophüls, geboren 1902 in Saarbrücken, ge-storben 1957 in Hamburg, hatte seinen Durchbruch mit dem Film LIEBELEI (1933) und drehte mit LOLA MONTEZ (1955) seinen letzten und international wohl bekanntesten Film. Wie schön, dass es jetzt diese beiden Filme in der Edition Filmmuseum in rekon-struierter, digitalisierter Fassung gibt. LIEBELEI erzählt die Ge-schichte der Beziehung eines Leutnants (Wolfgang Liebeneiner) und einer jungen Sängerin (Magda Schneider) im Wien der Jahrhundertwende. Sie wird abrupt zerstört, als der Leutnant bei einem Duell stirbt, das ihm ein Baron (Gustaf Gründ-gens) aufzwingt. Das Mädchen nimmt sich das Leben. Gegen den Ton des Jahres 1933 opponiert der Film mit einer ganz individuellen Melodie. Als der Film am 16. März 1933 in Berlin Premiere hat, ist Ophüls schon nach Paris emigriert. LOLA MONTEZ ist ein Biopic über die Tänzerin (Martine Carol), die eine Affäre mit Franz Liszt (Will Quadflieg) hatte, eine Maitresse von Ludwig I. von Bayern (Adolf Wohlbrück) war und am Ende im Zirkus auftritt. Hier ist Peter Ustinov ihr Präsentator. Alle Episoden erzählt der Film in Rückblenden. Gedreht wurde in CinemaScope. Hinter der Kamera stand Christian Matras. Ein großes Alterswerk von Max Ophüls. Zum Bonusmaterial gehört der Dokumentarfilm DEN SCHÖNEN GUTEN WAREN (1990) von Martina Müller, die Dokumentation LOLA MONTEZ – VERSIO-NEN UND FASSUNGEN (2016) und der Audiobeitrag „Gedanken über Film“ (1956) von Max Ophüls. Das Booklet enthält informative Beiträge von Martina Müller und Stefan Drössler. Mehr zur DVD: Liebelei—Lola-Montez.html

Zeigen und Verbergen

Eine Dissertation, die an der Universität Potsdam entstanden ist. Katrin von Kap-herr unter-sucht darin den „Doppelgestus der digitalen Visual Effects im Hollywood-Kino“. Sie spannt einen historischen Bogen von den traditionellen Special Effects zu den digitalen Visual Effects, informiert in einem Rückblick über visuelle Unterhaltungs-formen des 19. Jahrhunderts sowie über Präsentationsformen und Inszenierungen des frühen Films, richtet ihren Blick auf Praktiken und Diskurse des Zeigens und Verbergens in den Begleitmedien der Effekte und in ihrer filmtheoretischen Behandlung. In ihren Analysen konzentriert sie sich dann auf Digitale Körper und Virtuelle Kamera als Visual Effect. Ihre wichtigsten Filmbeispiele sind WHO FRAMED ROGER RABBIT? (1988), FORREST GUMP (1994), S1M0NE (2002), KING KONG (2005), AVATAR (2009) und THE CURIOUS CASE OF BENJAMIN BUTTON (2008) im Hinblick auf die digitalen Körper, FIGHT CLUB (1999), PANIC ROOM (2002), DICK TRACY (1990), THE LORD OF THE RINGS (2001, 2002) und TROY (2004) im Hinblick auf die virtuelle Kamera. Besonders die Gegen-überstellung von früheren Matte Paintings und modernen digitalen Lösungen ist sehr eindrucksvoll. Inspirierend waren für die Autorin der Text „Das Kino der Attraktionen“ (1996) von Tom Gunning und das Buch „Visual Effects“ (2008) von Barbara Flückinger. Sie hat eine positive Einstellung zu den digitalen Entwicklungen und erkennt die großen Möglichkeiten nicht nur für das Hollywood-Kino. Mein persönliches Interesse an Special Effects wurde spätestens durch die Zusammenarbeit mit Rolf Giesen bei der Ausstellung und Retrospektive der Berlinale 1985 geweckt. Ich habe damals viel von Rolf gelernt. Er wird auch im vorliegenden Buch gewürdigt, dessen Lektüre ich sehr spannend fand. Mit zahlreichen Abbildungen in akzeptabler Qualität. Mehr zum Buch: zeigen-und-verbergen/

Wilhelm Roth (2)

Zu seinem 80. Geburtstag im Februar 2017 hat der Filmkriti-ker und Redakteur Wilhelm Roth ein Heft mit ausgewählten Texten publiziert: „Film, Theater, Leben“. Ich habe es mit großer Bewunderung gelesen: wilhelm-roth-wird-80/ . Jetzt gibt es ein zweites Heft, und wieder ist man überrascht, wie breit das Interessenspektrum dieses Autors gespannt ist und mit welcher Sensibilität er über Personen und Werke schreibt. Der Einstieg (inklusive Coverab-bildung) ist eine Verneigung vor dem Bildermacher und Erzähler Wim Wenders (drei Texte). Drei Beiträge sind dann der Fotografie gewidmet: dem Werk von Robert Frank, den Magnum-Fotografen und der wunderbaren Barbara Klemm. Es folgt das Thema Krimi und Film: hier geht es um Leonardo Sciascia und den italienischen Mafiafilm und die Belgrad-Krimis von Schünemann & Volic. Umfangreich ist der Komplex Theater und Oper u.a. mit Erinnerungen an Klaus Michael Grüber, Buchtipps zu Claus Peymann, Luc Bondy und Michael Thalheimer, Geburtstagstexten zum 65. der Bühnenbildnerin Anna Viebrock und des Opernintendanten Bernd Loebe, zum 70. der Schauspielerin Angela Winkler, zum 75. des Schauspielers Bruno Ganz, einer Würdigung des neuen BE-Intendanten Oliver Reese. DVD-Kritiken gelten speziell „Kafka geht ins Kino“, der „Edition Filmmuseum“ anlässlich der 100. Ausgabe, sowie Marcel Ophüls, Volker Koepp und James Benning. „Zeitzeugnis, Zeitanalyse“ heißt die Rubrik für Texte über Romane im Zeitungsformat des Rowohlt Verlages 1946-49, den Dichter Stefan Zweig, den Dokumentarfilmer Joris Ivens, den Autor Alfred Andersch, den Schriftsteller Ernst Glaeser, den Nobelpreisträger Nagib Machfus und den kurdisch-türkischen Dichter Yasar Kemal. Acht Texte sind schließlich der Musik gewidmet, u.a. geht es da um den Dirigenten Michael Gielen, den Geiger Gidon Kremer, die Jazzmusiker Miles Davis und Albert Mangelsdorff, die Sängerin Brigitte Fassbaender, die Komponisten Claude Debussy und John Cage. Viele Abbildungen, schönes Layout. Lieber Willi, eine Nummer 3 muss folgen! Wer ein persönliches Interesse an der Publikation 2 hat, darf sich wieder beim Herausgeber melden: wilhelmroth@web.de .

Zeitgeschichte sehen

Sabine Moller ist als Gedächt-nisforscherin und Geschichts-didaktikerin an der Humboldt Universität zu Berlin tätig. In einem von der DFG geförderten Projekt hat sie „Die Aneignung von Vergangenheit durch Filme und ihre Zuschauer“ untersucht. Dies geschah u.a. durch aus-führliche Interviews, die sowohl in Deutschland wie in den USA stattfanden. Zwei Filme stehen nach der theoretischen Fundie-rung zunächst im Fokus: FOR-REST GUMP (1994) von Robert Zemecki mit Tom Hanks als laufstarkem, aber nicht sehr intelligentem Helden, der Amerika mehrfach im Dauerlauf durchquert und mit zahlreichen berühmten Persönlichkeiten zusammentrifft, und GOOD BYE, LENIN! (2003) von Wolfgang Becker mit Daniel Brühl und Katrin Sass, der eine Familiengeschichte aus der Wendezeit in Berlin erzählt. Beide Filme rekapitulieren in gebrochener Form wichtige Ereignisse der Zeitgeschichte. In umfangreichen Zitaten dokumentiert die Autorin die Aneignung der Filme durch eine Studentengruppe, eine Historikerin, einen Filmwissenschaftler, einen Kommunikationswissenschaftler, einen Geschichtslehrer, eine pensionierte Englischlehrerin und weitere Einzelpersonen in den USA, einen Bürgerrechtler, eine Kulturwissen-schaftlerin und einige andere Personen aus Deutschland. Die Reaktionen sind im Generellen wie im Detail sehr unterschiedlich. Als Kontrasthorizont wird der Film SCHINDLERS LISTE (1993) von Steven Spielberg gegenübergestellt. Auch hier gibt es divergierende Beobachtungen und Meinungen. Drei „Aneignungsfilme“ werden im zweiten, kürzeren Teil des Buches untersucht: THE WATERMELON WOMAN (1996) von Cheryl Dunye (hier geht es um „die Überschreitung dokumentarischer Realität“), ARARAT (2002) von Atom Egoyan („Grenzen von Genrekino und Metareflexion“) und AUFSCHUB (2007) von Harun Farocki („Ausstellung von Bildern und historischer Erfahrung“). Der Text des Buches ist reflektiert und erkenntnisreich. Mit vielen Abbildungen in sehr guter Qualität. Coverfotos: Screenshot aus FORREST GUMP und AUFSCHUB. Mehr zum Buch: zeitgeschichtesehen.html

Fritz Lang-Box

Sechs Stummfilme von Fritz Lang sind jetzt in restaurierten Fassungen in einer Box erschie-nen, die von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung herausgegeben wurde. In chronologischer Reihenfolge handelt es sich um die folgen-den Titel: DER MÜDE TOD (1921). Texte im Booklet von Guido Altendorf (zum Film), Anke Wilkening (zur Restau-rierung), Nina Goslar (zur Musik von Cornelius Schwehr). Umfangreiches Bonusmaterial zur Restaurierung und zur Begleitmusik. – DR. MABUSE, DER SPIELER (1922). Zwei Teile. Booklet von Norbert Grob (über das Verhältnis des Regisseurs zu seinem Film). Bonusmaterial: Dokumentation über „Die Meta-morphosen des Dr. Mabuse“ von Hans Günther Pflaum. – DIE NIBELUNGEN (1924). Zwei Teile. Booklet mit Texten von Anke Wilkening (über den Film und die Restaurierung) und Nina Goslar (über die Musik von Gottfried Huppertz). Bonusmaterial: Dokumen-tation „Das Erbe der Nibelungen“ von Guido Altendorf und Anke Wilkening (2010, 69 min.) – METROPOLIS (1927). Booklet von Karen Naundorf (über den Film, seine Rekonstruktion, die Digitalisierung und die Musik). Bonusmaterial: Dokumentation über die Restaurierung von Christian Ehrhardt, über die Auffindung von Material in Lateinamerika von Evangelina Loguercio, Diego Panich und Sebastian Yablon, Arbeitsbeispiele der digitalen Bildrestaurierung. – SPIONE (1928). Booklet von Guido Altendorf. Bonusmaterial: Feature „Spione – ein kleiner Film, aber mit viel Action“ von Guido Altendorf und Anke Wilkening. – FRAU IM MOND (1929). Booklet von Oliver Hanley. Bonusmaterial: Dokumentation von Gabriele Jacobi. – Auch wenn der eine oder andere Film als DVD schon in meinem Regal steht: die Box bekommt einen Ehrenplatz. Einziger Einwand: die Abbildungen in den Booklets sind in der Qualität unterirdisch. Mehr zur DVD-Box auf der Website der FWMS: node/131 (und dann weiter suchen).

Keine Ruhe nach dem Sturm

Unter den neuen Publikationen über das Jahr 1968 und die Zeit danach hat mich besonders das Buch „Keine Ruhe nach dem Sturm“ von Ulrike Heider beein-druckt. Es ist eine Autobiografie der Autorin (*1947), die in Frankfurt am Main aufwuchs, sich dort an der Studenten-bewegung beteiligte, in den 1970er Jahren zur Hausbesetze-rin wurde, 1978 als Politologin promovierte, Lehraufträge in Frankfurt und Kassel übernahm und seit 1982 als Schriftstellerin und Journalistin arbeitet. 1988 ging sie nach New York und war Visiting Scholar an der Columbia University. Seit 2012 lebt sie in Ber-lin. Sie verfügt über ein großes Erinnerungsvermögen, kann Menschen und Situationen sehr gut beschreiben und vermittelt mit ihrem persön-lichen Blick ein authentisches Zeitbild. Sie erzählt nicht chronologisch, aber die Orts- und Zeitwechsel sind gut nachzuvollziehen. Eine beson-dere Spannung entsteht durch die Konfrontation ihrer Erfahrungen in Deutschland und den USA. 300 sehr lesenswerte Seiten. Mit wenigen Abbildungen und einem Glossar am Ende des Bandes, der jetzt bei Bertz + Fischer in einer überarbeiteten Neuauflage erschienen ist. Mehr zum Buch: keineruhe.html

Maoismus

Das neue Heft der Konstanzer Zeitschrift AugenBlick ist dem Thema Maoismus gewidmet. Für die Herausgabe und Redaktion dieser Ausgabe zeichnet Bernd Stiegler verantwortlich. Sie enthält sechs interessante Beiträge. Der französische Filmwissenschaftler François Albera beschäftigt sich mit der Rezeption Maos im französi-schen Film der 60er Jahre. Raimar Zons untersucht den Film LA CHINOISE von Jean-Luc Godard und stellt Verbin-dungen zu Brecht her. Bei Bernd Stiegler geht es um die Verfilmung der Peking-Oper TAKING TIGER MOUNTAIN BY STRATEGIE (1970) von Xie Tieli und die Neuinterpre-tationen von Brian Eno (Album, 1974) und Tsui Hark (Film, 2015). Zwei Arien sind mit Noten dokumentiert. Philipp Goll hat 2014 ein Gspräch mit Harun Farocki über dessen Film DIE WORTE DES VORSITZENDEN (1967) geführt, das hier publiziert wird. Angela Elbing und Morten Paul haben 24 verschiedene Exemplare der Mao-Bibel auf einem Podest mit Blumenschmuck fotografiert. Slovoj Žižek äußert sich zu dem Sozialdrama STILL LIFE (2006) von Jia Zhangke. Alle Abbildungen in guter Qualität. Ein interessantes Heft. Mehr zur Zeitschrift: 590-maoismus.html

Die Totengräber

Die zehn Wochen vor Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933 waren eine spannende Zeit in Deutschland. Die historisch gut ausgebildeten Journalisten Rüdiger Barth und Hauke Frie-drichs haben sie – Tag für Tag – rekonstruiert und erzählen sehr konkret, was sich damals ereignet hat. Hauptpersonen sind der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg, der umstrittene Reichskanzler Franz von Papen, der im Schatten agierende Wehrminister General Kurt von Schleicher, Adolf Hitler, Joseph Goebbels und Hermann Göring. Sie werden zu den „Totengräbern“ der deutschen Demokratie. Zeitungsschlagzeilen leiten die Tagestexte ein, sie stammen vorzugsweise aus dem Völkischen Beobachter, der Vossischen Zeitung, der Roten Fahne, dem Angriff, der Täglichen Rundschau. Die Ereignisse werden im Präsens erzählt. Es gibt zahlreiche Protagonisten, die mit Zitaten aus Briefen und Tagebüchern ins Spiel gebracht werden: der amerikanische Gewerkschaftsfunktionär Abraham Plotkin, der sich gerade in Berlin aufhält; die Gesellschafts-reporterin der Vossischen Zeitung, Bella Fromm; der französische Botschafter in Berlin, André François-Poncet; der Kunst-Mäzen Harry Graf Kessler, der intensiv Tagebuch geführt hat; der Theater- und Filmkritiker Alfred Kerr; der Sohn des Reichspräsidenten, Oskar von Hindenburg; der Verleger Alfred Hugenberg; der Staatssekretär und Leiter des Präsidialbüros Otto Meissner; das Ehepaar Anneliese und Joachim von Ribbentropp; der eigenwillig operierende NSDAP-Funktionär Georg Strasser. Eine geschickte Montage macht das Buch zu einer spannenden Lektüre. Natürlich spielt auch die Kultur eine Rolle; namentlich u.a. mit Hans Albers, Elisabeth Bergner, Paul Czinner, Alfred Döblin, Berta Drews und Heinrich George, Therese Giehse, Gustaf Gründgens, Christopher Isherwood, Oskar Loerke, Carl von Ossietzky, Leni Riefenstahl, Kurt Tucholsky, Carl Zuckmayer. Lesenswert. Ein schöner Text von Andreas Kilb in der FAS hat mich auf das Buch aufmerksam gemacht. Mehr zum Buch: die_totengraeber/9783103973259