Klaus Wildenhahn

2015.WildenhahnHeute Abend wird in der Akademie der Künste der Film HARLEM THEATER (1968) von Klaus Wilden-hahn gezeigt. Anschließend moderiere ich ein Gespräch mit Jeanine Meerapfel, Gisela Tuchtenhagen und Klaus über dokumentarische Filmarbeit in den 1960er und 70er Jahren. – Im Verbrecher Verlag ist gerade ein neues Buch von Klaus Wildenhahn erschienen: „Abendbier in flacher Gegend“. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Gedichten und Notizen, wie sie der Autor in größeren Abständen publiziert. Es sind literarische Miniaturen, die sich mit seiner dokumentarischen Arbeit verbinden lassen. Sie handeln diesmal von der Adventszeit in Hamburg, von Berlin in verschiedenen Jahren, zu unterschiedlichen Jahreszeiten, von London und Hamburg in den 50ern, von Früh-schichten, von der Arbeit auf einer geschlossenen Station, der Rückkehr nach Deutschland und den ersten Erfahrungen beim NDR-Fernsehen, mit einem Zeitsprung ins Jahr 1975. Dann folgt ein Filmtext von 1991: NOCH EINMAL HH4: REEPERBAHN NEBENAN. Dann: der Weg zur Arbeit im NDR im Januar 95, ein halbes Jahr vor Beginn der Rentenzeit, und wie sich die Arbeit im Schneideraum geändert hat. Dann: Gedanken in zwei Kaffeehäusern im August, September, Oktober 2010, und der Sprung nach Ostende, gefolgt von einem Zeitsprung in den Juni 2012. Die Wohnung in Ostende hatte für Klaus eine große Bedeutung. Wir lesen poetische Beobachtungen, persönliche Erinnerungen. Es sind Blicke in die Denkwelt eines großen Dokumentarfilmregisseurs, der in der Bundesrepublik für dieses Genre eine Schlüsselrolle gespielt hat. Ich habe viel von ihm gelernt, ich fühle mich eng mit ihm verbunden (zum Beispiel in unserer Verehrung des japanischen Regisseurs Yasujiro Ozu). Unsere gemeinsame Freundin Eva Orbanz hat ein schönes Vorwort für das Buch geschrieben. Mehr zum Buch: book/detail/779

DIE BESTEIGUNG DES CHIMBORAZO

2015.DVD.ChimborazoDer Film zeigt erstaunlich detailgenau eine historische Expedition im Jahre 1802 in Ecuador. Dort versuchen der deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt, der Franzose Aimé Bonpland und der einheimische Aristokrat Carlos Montúfar die Besteigung des Chimborazo, der damals als der höchste Berg der Welt galt. Sie erreichen zwar nicht die Spitze des Berges, aber sie machen existentielle Erfahrungen. In Rückblenden auf dem beschwerlichen Weg erzählt der Film die Jugend Alexander von Humboldts, zeigt seinen Erkenntnisdrang, seine ersten Reisen und seine Lebensträume. Jan-Josef Liefers spielt die Rolle mit großer Empathie. Rainer Simon hat den Film 1988/89 in einer deutsch-deutschen Co-Produktion realisiert, an der das ZDF beteiligt war. Ein schönes Dokument ist eine frühe Filmszene in einem Berliner Salon, in der einige der bekanntesten Filmkritikerinnen und -kritiker der DDR zu sehen sind: Günter Agde, Wieland Becker, Michael Hanisch, Günter Netzeband, Rosemarie Rehahn, Erika Richter (die auch Dramaturgin des Films war), Hans-Joachim Rother, Regine Sylvester, Jutta Voigt und Margit Voss. Beeindruckend finde ich die Kameraarbeit von Roland Dressel. Als Bonusmaterial enthält die DVD von Absolut Medien u.a. den Film DER RUF DES FAYU UJMU (2002) von Rainer Simon und ein Zeitzeugengespräch mit Simon von Michael Hanisch (22 Minuten). Mehr zur DVD: Die+Besteigung+des+Chimborazo

ZEIT DER STÖRCHE / DER TRAUM VOM ELCH

2015.DVD.StörcheDer Regisseur Siegfried Kühn ist kürzlich achtzig Jahre alt geworden. Er hat für die DEFA in den 1970er und 80er Jahren elf Filme realisiert, in denen oft Außenseiter die Prota-gonisten waren. Beeindruckt hat mich vor allem DAS ZWEITE LEBEN DES FRIEDRICH WILHELM GEORG PLATOW (1973) mit Fritz Marquardt als Schrankenwärter, der einen neuen Beruf erlernen will. Bei Icestorm sind jetzt mehrere Kühn-Filme auf DVD erschienen. ZEIT DER STÖRCHE (1971) nach einem Roman von Herbert Otto erzählt eine Liebesgeschichte aus verschiedenen Perspektiven. Die blonde, attraktive Lehrerin Susanne Krug (Heidemarie Wenzel) lernt auf einer Urlaubsreise den Bohrarbeiter Christian (Winfried Glatzeder) kennen, der sie beharrlich umwirbt. Sie erliegt seinem Charme, trennt sich von ihrem Lebensgefährten Wolfgang, einem etwas biederen Wissenschaftler, muss aber bis zum Happyend einige Umwege machen, weil Christian manche ihrer Handlungsweisen missversteht. Es wird in diesem Film viel geredet, geraucht, gefeiert, aber natürlich auch gearbeitet; große Bedeutung hat in diesem Zusammenhang ein Erdgasbohrturm. Und die Störche verkörpern die Regelhaftigkeit des Jahresablaufs. Beeindruckend ist die bewegliche Kameraführung von Erich Gusko. Als „Bonusfilm“ enthält die DVD Siegfried Kühns Psychodrama DER TRAUM VOM ELCH (1985). Auch hier geht es – wieder nach einem Roman von Herbert Otto – um die Suche nach dem „richtigen“ Lebenspartner, um die Sehnsucht nach einer Liebesbeziehung. Im Mittelpunkt steht die 30jährige Anna (Katrin Saß), eine Anästhesieschwester, die eine gescheiterte Ehe hinter sich hat und in einen Mann verliebt ist, den sie nur zweimal im Jahr sehen kann. Sie nennt ihn „Elch“. Ihre engste Freundin Anette (Marie Gruber) bringt sich um, weil sie das Leben mit dem Maler Ludwig (Christian Steyer) nicht erträgt. Es ist ein erstaunlich pessimistischer Film, der zwischen der Welt des Krankenhauses und Ludwigs Malerstudio keinen Ort für ein individuelles Glück findet. In Nebenrollen sind Klaus Piontek und Dagmar Manzel zu sehen. Zum Bonusmaterial der DVD gehört auch ein 10-Minuten-Gespräch mit dem Regisseur Siegfried Kühn über die Schwierigkeiten bei der Realisierung der beiden Filme. Mehr zur DVD: zeit-der-storche-bonusfilm-der-traum-vom-elch-sparkauf.html

Der Photograph Wim Wenders

9783829606967Im Düsseldorfer Museum Kunstpalast ist seit kurzem (und noch bis zum 30. August) eine beeindruckende Aus-stellung ausgewählter Photographien von Wim Wenders zu sehen. Es handelt sich um 79 großformatige Werke, die analog, ohne Kunstlicht, ohne Stativ entstanden sind. Das Spektrum reicht von den frühen Schwarz-Weiß-Photographien über die monumentalen Landschaftspanoramen bis hin zu einigen im letzten Jahr entstandenen Aufnahmen. Im August wird Wim seinen 70. Geburtstag feiern. Die Berlinale hat ihn bereits im Februar mit einem Goldenen Ehrenbären und einer Hommage geehrt, das MoMA in New York zeigte die Hommage im März, das Düsseldorfer Filmmuseum veranstaltet seit einer Woche eine Retrospektive seiner Filme. Und in den Kinos läuft sein neuester Film EVERY THING WILL BE FINE, den ich auf der Berlinale gesehen habe und der mir sehr gut gefallen hat. Auch die Düsseldorfer Ausstellung empfehle ich ausdrücklich. Der Katalog ist bei Schirmer/Mosel erschienen, herausgegeben von Beat Wismer, Generaldirektor der Stiftung Museum Kunstpalast, und Wim Wenders. Die Druckqualität der Abbildungen ist natürlich hervorragend. Von Beat Wismer stammen „Einleitende Bemerkungen zur retrospektiven Ausstellung“. Hubertus von Amelunxen würdigt Wim Wenders als Photographen. Laura Schmidt sucht nach Verbindungen zwischen den Filmen und den Photographien von Wim. Und er selbst denkt darüber nach, was das Photographieren für ihn bedeutet („Nicht ausser 8 lassen, was es alles gibt“). Mehr zum Buch: info.php?products_id=764

Grenzgänge zwischen Literatur und Film

2015.Grenzgänge kleinerSeine Grenzgänge nicht nur zwischen Film und Literatur, sondern auch zwischen Film und Musik mit Seitenblicken zu Kunst und Philosophie sind so bewundernswert, weil sie den Horizont der Wahr-nehmung von Film und Filmgeschichte erweitern und damit unsere Erkenntnisse vergrößern. Das beweist auch der vorliegende Textband, in dem uns Thomas Koebner 14 Aufsätze aus den Jahren 2007 bis 2012 und zwei bisher unveröffentlichte Essays zugänglich macht. Vier Kapitel strukturieren das Buch: 1. Motive und Genres. Da geht es zuerst, ausgelöst durch Hermann Brochs Roman, um die Schlafwandler, die Hypnotisierten im deutschen Stummfilm, um Cesare im CALIGARI, um das Doppelleben in DER ANDERE, um Werner Krauss in GEHEIMNISSE EINER SEELE, um Ellen in NOSFERATU und um ihre Sinnbildhaftigkeit. Es folgen die Boten aus dem Jenseits, bei Lessing, bei Schiller, bei Döblin, in Sjöströms DER FUHRMANN DES TODES, Langs DER MÜDE TOD, bei Bergman und Josef von Baky, bis hin zum Auftritt von Asphodel in Altmans A PRAIRIE HOME COMPANION. Ein großer Bogen. Dann: die Schlachtinszenierung, bei Griffith, Milestone, Eisenstein, Kubrick, Bodartschuk, Kurosawa, Malick, Gibson, Spielberg und in King Vidors ‚Mutter’ aller Antikriegsfilme, THE BIG PARADE. Es folgt ein Essay zum Motiv des grotesk-hässlichen Menschen, ausgehend von Tersites, dem hässlichsten Mann Trojas, mit vielen Filmbeispielen (natürlich fehlt THE HUNCHBACK OF NOTRE DAME nicht), endend mit dem Mimen in Wagners „Ring der Nibelungen“. Schließlich noch: „Skeptische Notizen zum Motiv des Rassenwahns“. Hier dominiert die Literatur den Film. 2. Randexistenzen. Hier geht es um die Entdeckung polarer Eiswelten (in Mary Shelleys „Frankenstein“-Roman, in den Bildern von Gustav Doré und Caspar David Friedrich, in den Filmen von Arnold Fanck, Charles Frend, Robert Flaherty, Zacharias Kunuk), um den Fluchtpunkt Wüste (bei Salomon Gessner, André Gide, in zahlreichen Filmen, darunter in John Fords THREE GODFATHERS, bis hin zu UNE HISTOIRE DU VENT von Joris Ivens und Marceline Loridan), um die Sturmflut (mit vielen Verweisen auf THE HURRICANE von John Ford). 3. Bilderkunst. Das sind fünf Essays: über die Künstlerbiografien CAMILLE CLAUDEL, FRIDA und SÉRAPHINE, über Bildkompositionen im Film, über die Verständlichkeit von Filmbildern als Konsequenz ihrer Montage (mit einer schönen Passage zu Yasujiro Ozu), über die Lichtinszenierung in Filmen Stanley Kubricks und über den „Blick aus dem Fenster“ als symbolisches Arrangement in der Malerei, in der Literatur und im Film. 4. Filmische Stile. Ich nenne nur noch die Namen der Protagonisten: Joseph Roth, Frank Borzage, Ingmar Bergman. Eigentlich ist dies ein „Filmbuch des Monats“. Aber das ist in diesem Monat ja schon ein anderes Buch von Thomas Koebner… Also machen wir es einfach zum „Buch der Woche“. Jeder Text wird von einem Foto eingeleitet. Coverfoto: Motiv aus dem Film HIMMEL ÜBER DER WÜSTE von Bernardo Bertolucci. Mehr zum Buch: literatur-und-film.html

Games / Game Design / Game Studies

2015.GamesIn Berlin findet seit gestern die „International Games Week“ statt, sie ist ein Treffpunkt der Computer-spielszene, es gibt zehn Veranstaltungsorte in der Stadt, darunter sind die Französische Botschaft, das Kino International und die Alte Feuerwache in Friedrichshain. Die Spiele-Industrie ist weiterhin ein dynamisch wachsender Medienmarkt. Wer sich für das Phänomen interessiert, sollte unbedingt die Einführung von Gundolf S. Freyermuth lesen, die gerade bei Transcript erschienen ist. Freyermuth, Gründungsdirektor des „Cologne Game Lab“ und Professor für Media Studies an der „internationalen filmschule Köln“, ist für mich der beste denkbare Autor für einen reflektierten Einführungstext, der Geschichte, Gegenwart und Zukunftsaussichten verbindet. Er klärt Begriffe, verweist auf vorliegende Forschungen, hat eigene Meinungen und verirrt sich nicht im Labyrinth einer pessimistischen Kulturkritik. Seine Mediengeschichte der Spiele in der Neuzeit liest sich spannend, weil sie ihr Thema mit vielen Beispielen (etwa: Fußball) konkretisiert und verschiedene Entwicklungsphasen nachvollziehbar datiert: die „prozedurale Wende“ (seit den 1950er Jahren), die „hyperepische Wende“ (seit den 1970er Jahren), die „hyperrealistische Wende“ (seit den 1990er Jahren) mit dem Ausblick auf eine „hyperimmersive Wende“ (mit Fragezeichen). Ein „Intermezzo“ gilt dem Verhältnis von Spiel und Film, ihrer Konkurrenz, Kollaboration und Konvergenz, den audiovisuellen Rivalitäten im 20. Jahrhundert und den Modi audiovisuellen Erzählens, ausgehend vom Theater, der Erfindung des Kinos, dem Aufkommen des Fernsehens bis in die Gegenwart der digitalen Audiovisionen. Immer wieder werden dabei konkrete Beispiele genannt, die uns als Leser durch die Jahrzehnte führen. Das zweite Kapitel handelt vom „Game Design“, von seiner Geschichte, seiner Theorie und Praxis. Im dritten Kapitel werden uns „Game Studies“ vermittelt, die das Spiele-Thema auf eine theoretische Ebene heben, sozial- und geisteswissenschaftliche Aspekte erörtern und schließlich zu den Forschungsperspektiven führen, mit denen man sich durchaus auseinandersetzen kann. Im „Epilog“ geht es um die Games-Ausbildung in Deutschland und um Konsequenzen der Akademisierung. Der Anhang enthält Literaturquellen, eine Filmographie und eine Gamographie. Auf Abbildungen wurde verzichtet. Der Text ist bildhaltig genug. Mehr zum Buch: games-game-design-game-studies

Berlin wird feministisch

2015.Berlin feministischCristina Perincioli, geboren in der Schweiz, gehörte als Studentin der DFFB ab 1969 zur so genannten „Wochenschau-Gruppe“. Die hatte – nach der Relegation von 18 Studenten – der Dozent Klaus Wilden-hahn gegründet, um mit konkreten dokumentarischen Projekten auf die labile Situation der Film- und Fernsehakademie zu reagieren. Wir waren insgesamt acht „Mitglieder“: neben Klaus und Cristina die Studentin Gisela Tuchtenhagen, der Student Rolf Deppe, dessen Ehefrau Gardi (die später als Studentin aufgenommen wurde), der Student Rainer Etz, der Absolvent Thomas Mitscherlich und ich als Studienleiter, der wenig Ahnung vom Filmemachen hatte. Wir haben gemeinsam Filme angeschaut, im Schneideraum Material bearbeitet und über Themen diskutiert. Daraus entstanden die Filme WOCHENSCHAU II und WOCHENSCHAU III und etwas später DER HAMBURGER AUFSTAND, OKTOBER 1923. Cristina gehörte zwei Jahre zur Gruppe, dann drehte sie ihren Abschlussfilm FÜR FRAUEN – 1. KAPITEL. Jetzt hat sie ein Buch über ihre persönlichen Erfahrungen in den Jahren 1968 bis 74 publiziert, das sich mit Berichten, Dokumenten und vielen Fotos zu einem Spektrum der Frauenbewegung erweitert. 27 Aktivistinnen der Gründungszeit kommen mit längeren Zitaten zu Wort. Wir erfahren Genaues über die Gründung des „Sozialistischen Frauenbundes Westberlin“ (SFB), der „Homosexuellen Aktion Westberlin“ (HAW), des Berliner Frauenzentrums und vieler anderer Initiativen. Cristina bekannte und engagierte sich als lesbische Frau, sie beschreibt die persönlichen Schwierigkeiten der frühen Jahre, sie grenzte sich damals ab von Helke Sander, deren Arbeit sie aber sehr respektiert, sie berichtet über die Realisierung ihrer Filme und über das Leben in jener Zeit. Es ist ein Blick ins Berlin der 1960er und 70er Jahre, subjektiv in der Bewertung vieler Ereignisse, reich an zeitgenössischen Stimmen und Material. Ich fand die Lektüre spannend und sehr informativ. Mehr zum Buch: Berlin_wird_feministisch.html

Vier deutsche Revuefilme

2015.DVD.Revuefilme„Wir tanzen um die Welt“ hieß die Retrospektive der Berlinale 1979. Gezeigt wurden damals 24 deutsche Revuefilme aus der Zeit zwischen 1933 und 45, es gab ein Buch im Hanser Verlag mit Texten u.a. von Lothar Prox, Carla Rhode, Dietrich Steinbeck, Ula Stöckl und Karsten Witte, zusammengestellt von Helga Belach. Ein frühes Standardwerk aus dem Hause der Deutschen Kinemathek. – Vier deutsche Revuefilme sind jetzt als DVD-Box bei Black Hill (Vertrieb: Koch Media) erschienen. GASPARONE (1937), inszeniert von Georg Jacoby, ist eine relativ amüsante Operette (Musik: Carl Millöcker) mit Marika Rökk, Johannes Heesters und Leo Slezak in den Hauptrollen. Der Räuberhauptmann „Gasparone“ ist in Wahrheit ein Regierungsrat (Heesters), der im Staat Olivia die Korruption bekämpfen soll. Und das Mädchen Ita (Rökk) tanzt sich ins Herz von Sindolfo (Heinz Schorlemmer), dem Sohn des Polizeipräfekten (Slezak). Mit vielen damals prominenten Nebendarstellern (Oskar Sima, Rudolf Platte, Elsa Wagner, Edith Schollwer, Ursula Herking). Film im Film ist das Thema von ES LEUCHTEN DIE STERNE (1938), inszeniert von Hans H. Zerlett, mit La Jana, Vera Bergmann, Carla Rust und Ernst Fritz Fürbringer in den Hauptrollen. Ein Blick hinter die Kulissen, viele eindrucksvolle Tanzszenen, eine wunderbare Berlin-Sequenz (Kamera: Georg Krause). „Zerlett löst die Handlung selbst auf zur Revue, in der die individuellen Stränge sich dem Gesamtkunstwerk des Films, das da entsteht, unterordnen müssen.“ (Karsten Witte). Beeindruckend. Der Film EINE NACHT IM MAI (1938), inszeniert von Georg Jacoby, mit Marika Rökk als Tochter eines Hotelbesitzers und Victor Staal als Kellner ist eine Verwechslungskomödie, bei der einem die Hauptdarstellerin gelegentlich auf die Nerven geht – aber dafür entschädigen die Tanzszenen, die Berlin-Bilder, die Kameraführung (Robert Baberske) und die Musik von Peter Kreuder. Natürlich ist der vierte Film, WIR MACHEN MUSIK (1942), der anspruchsvollste. Hier hat Helmut Käutner Regie geführt. Ilse Werner spielt die Kunstpfeiferin und Schlagersängerin Anni Pichler, Viktor de Kowa den Komponisten Karl Zimmermann, der sich eher mit „ernster“ Musik beschäftigt. Daraus entstehen viele Dialog-Konflikte, die von flotten Musiknummern unterbrochen werden. – Alle Filme in Schwarzweiß. Sie wurden nicht digitalisiert, aber die Ausgangsmaterialien hatten noch eine erstaunlich gute Qualität. Und da es in der Box kein Booklet gibt, ist das oben genannte Buch nützlich, sofern man es im Regal stehen hat. Mehr zur DVD: 1008131&nav1=FILM

Uniform, Männlichkeit und photographische Medien

2015.Geborgte SpiegelMit dieser Dissertation (sie wurde von der Autorin „behutsam überarbeitet“) hat Stella Donata Haag 2012 an der FU Berlin promoviert. Ein spannendes Thema, beeindruckende Analysen, viele neue Erkenntnisse. Es geht zunächst in einer „Semiologie der Uniform“ um Kleidung, Narzissmus, das Militär als Schule der Männlichkeit und die Uniform als „psychisches System“. Dann kommt Kaiser Wilhelm II. ins Bild, der sich bekanntlich gern in repräsentativen Uniformen für Photographen und Kameraleute in Pose warf (das Kapitel heißt „Des Kaisers neue Kleider. Die Uniform und die Pornographie der Macht“). Wichtiger Übergang zu den Filmanalysen ist das Verhältnis zwischen „Uniform und Narration“. Hier ist ein eigener Textteil der Geschichte des Filmkostüms gewidmet. Die erste ausführliche Analyse gilt dem Film FOOLISH WIVES (1920/21) von Erich von Stroheim und dem dort dargestellten Fetischismus. Ein umfangreiches Kapitel ist dem Star Hans Albers und seiner Rollenkleidung (zum Beispiel in BOMBEN AUF MONTE CARLO, TRENCK, DER PANDUR, GROSSE FREIHEIT NR. 7) gewidmet. Ein Schwerpunkt der Untersuchung ist dann der Film der Weimarer Republik. Hier kommen zunächst die verschiedenen Genre ins Spiel: der historische Kostümfilm (FRIDERICUS REX), die Operetten- und Musikfilme, der Militärschwank, der Antikriegsfilm (NIEMANDSLAND) und die Gesellschaftskritik im Drama MÄDCHEN IN UNIFORM. Den Abschluss bilden zwei vorbildliche Filmanalysen: die ironische Selbstdekonstruktion des Portiers in F. W. Murnaus DER LETZTE MANN (1924) und die postwilhelminische Kleinbürger-tragödie um den Polizisten Holk und die Juwelendiebin Else in Joe Mays ASPHALT (1929). Im Anspruch und in der Realisierung eine hervorragende, wissenschaftlich fundierte Arbeit. Mit Abbildungen in guter Qualität. Coverfoto: Emil Jannings in DER LETZTE MANN. Mehr zum Buch: der-geborgte-spiegel.html

69 Hotelzimmer

2015.69 HotelsDer österreichische Filme-macher Michael Glawogger ist vor einem Jahr in Liberia überraschend an Malaria gestorben. Seine Dokumen-tarfilme (u.a. MEGACITIES, WORKINGMAN’S DEATH, WHORES’ GLORY) handeln vom Zustand der Welt. In seinen Spielfilmen (zum Beispiel NACKT-SCHNECKEN, SLUMMING, CONTACT HIGH) mischen sich komödiantische Elemente mit sozialen Konflikten. Posthum ist jetzt in der „Anderen Bibliothek“ das Buch „69 Hotelzimmer“ von Michael Glawogger erschienen. Die 95 Kurzgeschichten erzählen von Reisen in die weite Welt, von Erlebnissen in Hotels, von seltsamen Überraschungen und originellen Begegnungen. Sie sind jeweils drei bis fünf Seiten lang, haben oft eine Pointe, über die man lachen kann, oder einen Schlusssatz, über den man nachdenken muss. Die Lektüre macht süchtig, aber man sollte nicht mehr als fünf Geschichten hintereinander lesen. Fritz Göttler hat in der Süddeutschen Zeitung eine wunderbare Rezension des Buches publiziert. Ich zitiere eine Passage daraus: „(Das Buch) setzt das Glück der Glawogger-Filme literarisch fort, die atemraubende Unbefangenheit des Blicks, die kompakte Beschreibung, die Fernes unerwartet vertraut, Naheliegendes irritierend fremd macht. Ein Reisebuch, das keinen Ausgangspunkt hat und keinen Zielpunkt und das auch den Mythos von der Selbstverwirklichung on the road desavouiert. ‚Der Reisende ist ein Fluchttier’, er will unabhängig bleiben, immer auf dem Sprung, wie auf einem Eckplatz im Kino. Mehr als vom Reisen und von den roads erzählt Glawogger vom Innehalten, von den Momente des temporären Unterschlupfens, in großen und kleinen, modernen und heruntergekommenen Hotels, von der Einsamkeit und den Erwartungen, die sie provoziert, von den Schocks der Realität auf den Straßen der Stadt, und wie man sich dagegen wappnet mit Erinnerungen und erfundenen Geschichten. Das Buch ist ein Glawogger-Labor, man spürt beim Lesen, wie die Vitalitätsschübe in den Filmen sich entwickeln, schaut der Geburt der Glawogger-Kinovisionen zu in aller Welt.“ (SZ, 21./22.3.2015). Ich bin von dem Buch genauso begeistert wie Fritz, aber er kann seine Begeisterung noch intensiver beschreiben. Andrea Glawogger hat das Buch ihres verstorbenen Mannes auf den Weg gebracht, von Eva Menasse stammt ein sehr schönes Nachwort. Mehr zum Buch: 69-Hotelzimmer::678.html