Weihnachtsgeschenk 4: ein Buch über Rosa

2014.RosaSpätestens zu Ostern fragt Rosa von Praunheim in unserer Skatrunde, ob wir uns denn schon hinreichend Gedanken über Weihnachtsgeschenke gemacht haben. Das Thema beschäftigt uns auch über den Sommer – und jetzt wird es wirklich ernst. Wenn wir heute Abend wieder Skat spielen (unseren sogenannten „Weihnachtsskat“) habe ich für alle am Tisch ein wunderbares Geschenk: das neue Buch über Rosa von Praunheim. Es ist gerade im Mühlbeyer Filmbuchverlag erschienen. Der Autor Julius Pöhnert hat mit dem Text 2009 in Mainz das Diplom in Mediendramaturgie erworben. Für die Publikation wurde er erweitert und aktualisiert. Pöhnert schreibt über Rosas Filme als Zeitdokumente, als Werke eines provokanten Künstlers, als Bestandteile der Schwulenbewegung, als Selbstdarstellungen. Er zitiert Rosa aus dessen zahlreichen Publikationen, hat die kritische Resonanz auf die Filme eingearbeitet und für seinen Text eine einleuchtende Struktur gefunden. Ausgangspunkt ist Rosa von Praunheim als Künstler, seine Ausbildung, sein Weg zum Filmemachen, seine Beeinflussung durch andere Künstler, die Verbindung von Privatheit und Öffentlichkeit in seinen Filmen. Dann geht es um visuelle Auffälligkeiten, um Farbe, Kitsch und bewussten Dilettantismus. Es werden Fragen nach „schwuler Ästhetik“ gestellt und nach Rosas Vermischung von Spiel- und Dokumentarfilm. Ein eigenes Kapitel handelt von „Menschenbildern“, von Frauen, Schwulen, Nazis und Spießern und von „Gegensätzen“, von Leere und Fülle, Lebenslügen und Lebenszielen, von „Normalität“ und „Perversion“. Und schließlich kommt Rosas „Aktivismus“ zur Sprache: in der frühen Schwulenbewegung, im Zusammenhang von AIDS, in Verbindung mit seinen Outing-Aktionen in den 1990er Jahren. Ein Nachwort summiert die Erkenntnisse. Das Literaturverzeichnis im Anhang ist umfangreich. Ganz am Ende des Buches findet man eine interessante Übersicht der Kameramänner und -frauen in Rosas Filmen. (Natürlich ist für mich Elfi Mikesch die beste.) Das Buch ist ein schönes Weihnachtsgeschenk nicht nur für Schwule. Für die Skatrunde ist natürlich das größte Weihnachtsgeschenk, dass Helene wieder mitspielen kann. Mehr zum Buch: provokation-in-rosa.html

Weihnachtsgeschenk 3: Frauen der 1920er Jahre

2014.Frauen 20erEin Weihnachts-geschenk für Freundinnen und Freunde, die noch nicht alles über die 1920er Jahre wissen. Dies ist einerseits ein klassisches „Coffee Table Book“, weil zunächst die Fotos dominieren, die auch in bester Qualität gedruckt sind, aber es lohnt sich, die Texte des Autors Thomas Bleitner zu lesen, der 18 Frauen porträtiert: die Autorinnen Zelda Fitzgerald und Dorothy Parker, die Publizistin Nancy Cunard, die Malerin Tamara de Lempicka, die Mode-Ikone Luisa Casati, die Modeschöpferinnen Coco Chanel und Elsa Schiaparelli, die Fotografinnen Lee Miller und Claude Cahun, die Schauspielerinnen Clara Bow und Louise Brooks, die Tänzerinnen Anita Berber, Josephine Baker und Lavinia Schulz, die Sängerin, Schauspielerin und Malerin Alice Prin, genannt Kiki de Montparnasse, die Flugpionierin Amelia Earhart, die Tennisspielerin Suzanne Lenglen, die Automobilsportlerin Clärenore Stinnes. Die Auswahl ist subjektiv, hat aber das internationale Spektrum im Blick. Thomas Bleitner hat Literaturwissenschaft studiert, ist Mitinhaber einer Hamburger Buchhandlung und scheint mit der Kulturgeschichte der 20er Jahre bestens vertraut zu sein. Seine Texte haben einen persönlichen Stil, sind informativ und bekommen durch die Abbildungen die notwendige Anschaulichkeit. Coverfoto: ein Zwillingspaar auf der Champs-Élysées; der Fotograf wird nicht genannt. Mehr zum Buch: frauen-der-1920er-jahre

Weihnachtsgeschenk 2: Brigitte Bardot

2014.BardotIm September hat sie ihren 80. Geburtstag gefeiert. Ihre große Zeit waren die 1950er und 60er Jahre. Ihre Karriere begann mit dem Film ET DIEU CRÉA LA FEMME/ UND IMMER LOCKT DAS WEIB (1956) von Roger Vadim. Brigitte Bardot hat rund 40 Filme gedreht und sich 1973 vom Filmgeschäft verabschiedet. Ihre Popularität hat dafür gesorgt, dass sie auch in den folgenden Jahr-zehnten, zum Beispiel als Tierschützerin, immer wieder in den Schlagzeilen war. (Das ist aber ein spezielles Kapitel.) Sie war nie meine Lieblingsschauspielerin, aber ihre Filme LA VÉRITÉ von Henri-George Clouzot, LE MÉPRIS von Jean-Luc Godard und VIVA MARIA! von Louis Malle habe ich sehr geschätzt. Das Buch von Ginette Vincendeau mit dem Untertitel „The Life. The Legend. The Movies“ („unofficial and unauthorized“) ist in seiner Aufmachung, seinen Beilagen und seinem Anspruch etwas Besonderes. In kleinen eingehefteten Taschen enthält es Reproduktionen von Plakaten, Postkarten, Presseheften, Kostümentwürfen, Manuskripten und anderen Dokumenten. Das ist liebevoll gestaltet und nostalgisch gedacht. Die Autorin ist Professorin am King’s College in London, Autorin für Sight and Sound und hat ein beeindruckendes Buch über Jean-Pierre Melville geschrieben. Ihr Text hat eine Haltung zur Protagonistin und ist nicht nostalgisch, sondern reflektiert. Sie weiß, über wen sie schreibt. Wem man das Buch zu Weihnachten schenken kann? Menschen, die sich mit Kulturgeschichte beschäftigen, den Film ernst nehmen, ein Interesse an schauspielerischen Mythen haben und einen englischen Text lesen können. Sie müssen nicht unbedingt für Brigitte Bardot geschwärmt haben. Mehr zum Buch: =brigitte_bardot

Weihnachtsgeschenk 1: Mode im Kino

2014.Mode 1Weibliche Filmstars hatten in allen Jahr-zehnten eine große Nähe zu den Mode-schöpferinnen und -schöpfern ihrer Zeit. Das war und ist nicht nur bei den Oscar-Preisverleihungen zu sehen, sondern auch in den Filmen selbst, sofern sie Geschichten erzählen, in denen die Heldinnen elegante Kleider tragen dürfen. Zwar waren in Hollywood die Costume Designer der einzelnen Studios für den Outfit der Darstellerinnen zuständig. Aber es gab darüber hinaus immer enge Verbindungen zur Modewelt. Gelegentlich fühlten sich die Stars auch von den Studio-Designern in ihrem Aktionsradius eingeschränkt, in ihren Kostümen versteckt. Im Buch von Véronique Le Bris, auf Deutsch gerade bei Edel Books erschienen, dominieren deutlich die Bilder. Sie erinnern an die großen Stars mit ihren unverwechselbaren Kleidern in ihren schönsten Filmen. 46 europäische und amerikanische Schauspielerinnen, beginnend mit Louise Brooks, endend mit Uma Thurman, werden mit einem kurzen biografischen Text, einer Würdigung ihrer künstlerischen Leistung und vielen großformatigen Fotos porträtiert. Schwarzweiß und Farbe mischen sich dabei. Privatfotos sind für Hintergründe genutzt. Zehn Modeschöpfern/innen sind eigene Texte gewidmet: Jean Patou, Paul Poiret, Jeanne Lanvin (Hutmacherin), Elsa Schiaparelli, Christian Dior, Paco Rabanne, Yves Saint Laurent, Thierry Mugler, Karl Lagerfeld, Hubert de Givenchy. Das Vorwort stammt von dem französischen Filmkritiker Philippe Azoury. Coverfoto: Audrey Hepburn in BREAKFAST AT TIFFANY’S; Kostüme: Hubert de Givenchy. Dies ist ein schönes Weihnachtsgeschenk vor allem für Frauen, die noch einen Blick für die Mode im Film und eine Erinnerung an die großen Stars haben. Mehr zum Buch: mode-im-kino/

Film Noir (1): MINISTRY OF FEAR

2014.LangDer Film von Fritz Lang nach einem Roman von Grahame Greene wurde 1943 gedreht. Ray Milland spielt den aus der Nervenheilanstalt entlassenen Stephen Neale, der in eine Kette mysteriöser Ereignisse verwickelt wird, beginnend mit dem Gewinn einer Torte bei einem Volksfest, die ihm gestohlen wird und sich später als Versteck für einen Mikrofilm erweist. Ein angeblicher Bücherkoffer entpuppt sich als Sprengstoff-behäter, der explodiert. Ein Hypnosezirkel ist die Versammlung von Verschwörern. Ein bei einer Séance Erschossener lebt später wieder. Und Stephen Neale hat alle Mühe, sich in diesem Labyrinth zurechtzufinden. Immerhin gewinnt er eine Partnerin, die Sekretärin Carla, gespielt von Marjorie Reynolds, in die er sich verliebt. Die Handlungsorte in London und Umgebung sind in der Regel dunkel oder liegen im Zwielicht. Es herrscht Krieg. Die Kamera von Henry Sharp ist immer auf der Suche nach Kontrasten und verborgenen Geheimnisen. Ein sympathischer Buchhändler erweist sich als Mörder, ein Blinder kann in Wahrheit gut sehen, es gibt nicht eine Wahrsagerin mit Namen Mrs. Ballanes, sondern zwei, die sehr unterschiedlich aussehen. Die Angst vor Nazi-Spionen prägt das Klima des Films. Auch wenn sich Fritz Lang und der Autor Grahame Greene später von dem Film eher distanziert haben: er hat in der Atmosphäre (weniger in der Logik der Handlung) seine großen Vorzüge. Die gerade erschienene DVD von Koch Media ist brillant in der Bildqualität. Das sieht man vor allem, wenn man den englischen Trailer des Bonusmaterials zum Vergleich nimmt. Das Booklet von Thomas Willmann informiert sehr konkret über Produktionshintergründe, Resonanz und die formalen Aspekte des Films. Mehr zur DVD: ministerium_der_angst_dvd/

Musical- und Tanzfilm

2014.Musical„All Singing, All Dancing“ heißt die Filmreihe mit Hollywood-Musicals 1933-1957 im Berliner Kino Arsenal, die heute Abend beginnt. Zur Eröffnung ist THE PIRATE (1948) von Vincente Minnelli zu sehen, mit Judy Garland und Gene Kelly in den Hauptrollen. Daniel Kothen-schulte hält die Einführung. 22 Filme stehen bis Ende Januar auf dem Programm. Da trifft es sich gut, dass bei Reclam in der Reihe „Filmgenres“ gerade der Band „Musical- und Tanzfilm“ erschienen ist, herausgegeben von Dorothee Ott und Thomas Koebner. Mehr als 100 Filme aus der Zeit zwischen 1930 (DIE DREI VON DER TANKSTELLE) und 2012 (ROCK OF AGES) werden in bewährter Weise vorgestellt. Insgesamt 19 Autorinnen und Autoren sind daran beteiligt, die meiste Arbeit haben sich die Herausgeber gemacht: Thomas Koebner schreibt über 26 Filme, Dorothee Ott über 24. Besonders gefallen haben mir die Texte von Thomas Koebner über deutsche Tonfilm-Operetten und die Comédie musicale, von Andreas Friedrich über THE WIZARD OF OZ, von Norbert Grob über HOT BLOOD, von Dorothee Ott über die Filme mit Fred Astaire und Ginger Rogers und von Ursula Vossen über die Tanzfilme von Carlos Saura. Es ist der 17. Band in der Reihe der „Filmgenres“. Wenn man jetzt das Arsenal mit dem Buch in der Tasche besucht, wird man nur in drei Fällen im Stich gelassen: man findet keinen Text zu THE PIRATE und zu GUYS AND DOLLS und nichts Substantielles zu ZIEGFIELD FOLLIES. Die Bewährungsprobe haben die Herausgeber aus meiner Sicht damit bestanden. Coverfoto: SINGIN’ IN THE RAIN. Mehr zum Buch: Musical__und_Tanzfilm

Autobiographical Turn

2014.Autobiographical TurnAusgangspunkt für diese sehr interessante Publikation war ein Symposium der University of Toronto 2008: „Autobiogra-phical Non-Fiction Film: The German Context“. Diskutiert wurde dort der Trend im deutschen Film, das eigene Leben in Dokumentarfilmen zu thematisieren und das „Ich“ sichtbar und hörbar zu machen. Für die jetzt vorliegende Veröffentlichung sind die Texte durch viele Quellenhinweise ergänzt und erweitert worden, außerdem wurde auch der Schweizer Film in die Untersuchung einbezogen. Die zwölf Beiträge sind von einer internationalen Perspektive geprägt und wirken sehr reflektiert. Die Kulturwissenschaftlerin Angelica Fenner (Toronto) und die Medienwissenschaftlerin Robin Curtis (Düsseldorf) schaffen in ihrer Einführung die Basis dafür (“The Difficulties of Saying ‚I’ in the German Context“) und konkretisieren dies in einem Gespräch mit der Filmemacherin und Künstlerin Hito Steyerl. Christopher Pavsek (Vancouver) setzt sich mit den sehr persönlichen Filmen von Sylvia Schedelbauer auseinander. Marcy Goldberg (Zürich) analysiert den Film HANS IM GLÜCK des kürzlich verstorbenen Schweizer Regisseurs und Kameramanns Peter Liechti. Anna Stainton (Toronto) verfolgt die Spuren von Helke Misselwitz in dem Dokumentarfilm WINTER ADÉ. Feng-Mei Heberer (University of Southern California) befragt die in Deutschland arbeitenden Filmemacher Wayne Yung, kate hers und Ming Wong, die alle aus Asien stammen, nach den Ich-Bezügen in ihren experimentellen Videoarbeiten. Rembert Hüser (Frankfurt am Main) analysiert den Dokumentarfilm FREMD GEHEN von Eva Heldmann. Dagmar Brunow (viele Jahre Filmdozentin in Schweden) schreibt über den Film WIR HABEN VERGESSEN ZURÜCKZUKEHREN von Fatih Akin. Tobias Ebbrecht-Hartmann (Jerusalem) setzt sich mit zwei autobiografischen Dokumentarfilmen auseinander: WINTERKINDER von Jens Schanze und 2 ODER 3 DINGE, DIE ICH VON IHM WEISS von Malte Ludin. Beide sind persönliche Konfrontationen mit der Nazi-Vergangenheit der Familie. Waltraud Maierhofer (University of Iowa) und Angelica Fenner untersuchen den umstrittenen Schweizer Film SIEBEN MULDEN UND EINE LEICHE von Thomas Haemmerli. Bei Carrie Smith-Prei (University of Alberta) geht es um den Film BRINKMANN ZORN von Harald Bergmann. Steve Choe (University of Iowa) konfrontiert die Selbstinszenierungen von Wim Wenders in Filmen wie LIGHTNING OVER WATER mit seinen filmhistorischen Texten in dem Band „Emotion Pictures“. Patrick Sjöberg (Karlstad) erinnert an die Selbstdarstellung von Rainer Werner Fassbinder in DEUTSCHLAND IM HERBST. Lesenswert. Coverfoto: HANS IM GLÜCK. Mehr zum Buch: Product=14619

Ken Adam

2014.Ken AdamHeute wird im Museum für Film und Fernsehen in Berlin die Ken Adam-Ausstellung „Bigger Than Life“ eröffnet. Der Production Designer hat der Deutschen Kine-mathek vor zwei Jahren seine Sammlung übereignet. Sie bildet die Basis für die Präsen-tation. Aber die Fotos, Dokumente und Entwürfe sind nur die eine Seite der Ausstellung – beeindruckend ist vor allem die Visualisierung in den eigentich sehr begrenzten Räumen im 1. und 2. Stock des Filmhauses. Erstmals ist auch wieder der seit acht Jahren geschlossene Spiderman-Bereich einbezogen, als „Ken Adams Welt“, in der er an der Konzeption des legendären War Rooms für Stanley Kubricks DR. STRANGELOVE arbeitet. Sehr gelungen sind die Raumvisionen zu den Themen „Villen und Apartments“, „Verliese und Labore“, „Machtzentren und Versammlungsräume“, „Tempel und Kathedralen“, „Wasser und Luft“. Es gibt überzeugende Medien-Installationen und am Ende den biografischen Raum „Berlin und London“ und den in die Zukunft weisenden Bereich „Inspiration und Wirkung“. Dies ist eine der aufwendigsten Ausstellungen der Kinemathek in ihrer Geschichte. Zur Eröffnung werden die Staatsministerin Monika Grütters und der inzwischen 93jährigen Ken Adam mit seiner Frau Laetizia erwartet. Auch der Katalog hat große Qualitäten. Er überrascht mit einem Grußwort von Daniel Libeskind und führt die Leserinnen und Leser durch Ken Adams Leben und Werk mit Texten von Silke Ronneburg („Das erste Leben des Ken Adam“), Jana Scholze („London – Permanenz in Impermanenz“), Jon Yader („Los Angeles und das zweite Maschinenzeitalter“), Boris Hars-Tschachotin („Praktiken des Entwerfens“ und „Lines in Flow – eine Medieninstallation“), Rainer Rother (zum Filmdesign von PENNIES FROM HEAVEN), Andreas Platthaus („Die Zeichnungen in ihrer Wechselwirkung mit Cartoon und Comic“), Kristina Jaspers („Ken Adams antike Weltwunder“), Peter Mänz („Die Berlin-Filme“), Gerhard Midding („Ken Adam on Location“), Marcel Bächtiger („Formensprache und Rauminszenierung in den Szenenbildern“), Eileen Rositzka („Kriegstechnologie und fantastische Gadgets“), Carolin Höfler/Matthias Karch („Handzeichnungen und Kopfräume“). Die Abbildungen sind exzellent. Die Ausstellung ist bis zum 17. Mai 2015 zu sehen. Mehr zum Katalog: bigger_than_life/product-3206.html

Gyula Trebitsch

2014.TrebitschEr gehörte zu den erfolgreichsten und kreativsten Produzenten in der Bundesrepublik. Im November wäre er 100 Jahre alt geworden. In der Reihe der „Hamburger Köpfe“ des Verlages Ellert & Richter ist zum Geburtstag eine höchst lesenswerte Biografie von Gyula Trebitsch erschienen, verfasst von Michael Töteberg und Volker Reißmann. Sie erzählt die beeindruckende Lebensgeschichte eines filmbessenen Ungarn, der mit 22 Jahren die Firma „Objectiv Film kft“ gründete, die im Auftrag der Ufa in Budapest Spielfilme produzierte. Ab 1939 musste Trebitsch aufgrund der „Judengesetze“ die Geschäftsleitung niederlegen, wurde dann zum Arbeitsdienst eingezogen, konnte fliehen und hielt sich illegal in Ungarn auf, bis er 1944 nach Deutschland deportiert wurde und die Zeit von November 1944 bis zur Befreiung in verschiedenen KZ-Lagern verbrachte. Diese Erlebnisse haben sein Geschichtsbewusstsein geprägt und später auch entsprechende Filmprojekte beeinflusst. 1947 gründete er zusammen mit Walter Koppel die „Real-Film“. Zu ihren größten Erfolgen gehörte DER HAUPTMANN VON KÖPENICK mit Heinz Rühmann. Ab 1959 trennten sich die Wege: Koppel drehte Kinofilme, Trebitsch gründete das „Studio Hamburg“ und sah das Fernsehen als seine Zukunft. Die beiden Autoren beschreiben die folgenden Jahrzehnte mit großer Genauigkeit, widmen so wichtigen Projekten wie DIE SENDUNG DER LYSISTRATA mit Romy Schneider, EIN ZUG NACH MANHATTAN mit Heinz Rühmann und DIE GESCHWISTER OPPERMANN von Egon Monk die notwendige Aufmerksamkeit und geben ihrem Text mit vielen Trebitsch-Zitaten eine eindrucksvolle Lebendigkeit. Vor neun Jahren, im Dezember 2005, ist Gyula Trebitsch in Hamburg gestorben. Zahlreiche Abbildungen rufen sein Leben und seine Arbeit in Erinnerung. Mehr zum Buch: 978-3-8319-0585-0

Die Coen-Brüder

2014.Coen BrüderIn den vergangenen 30 Jahren haben sie 16 Filme realisiert. Die Brüder Joel (*1954) und Ethan (*1957) Coen gelten als eigen-willige und sehr erfolgreiche Geschichtenerzähler. Im März war ihnen das 12. Mannheimer Filmseminar gewidmet, bei dem sich in jedem Jahr Psycho-analytiker und Filmwissen-schaftler mit einem Regisseurs-Werk auseinandersetzen. Jetzt ist bereits die dokumentierende Publikation erschienen. Sie enthält zwölf Texte, die sich den Coen-Filmen aus unterschiedlicher Perspektive nähern. Der Filmpublizist Manfred Riepe setzt sich in seinem klugen Essay sehr grundlegend mit dem Kernmotiv der Filme auseinander, dem hartnäckigen Scheitern, konkret: mit den „haarsträubenden Geschichten männlicher Verlierertypen“. Die anderen Texte sind vorwiegend einzelnen Filmen gewidmet. Katharina Leube-Sonnleitner und Marcus Stiglegger analysieren BARTON FINK, sie aus psychoanalytischer, er aus filmtheoretischer Perspektive. Mechthild Zeul schreibt sehr konkret über die Mischung von Gewalt und Komik in FARGO (das ist noch immer mein persönlicher Lieblingsfilm der Coen-Brüder). Peter Bär verweist auf das Spiel mit Homers ‚Odyssee’ in O BROTHER, WHERE ART THOU? und auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund der späten 1930er Jahre. Die Filmwissenschaftlerin Christina Mathes interpretiert unter der schönen Überschrift „Mann ohne Eigenschaften“ THE MAN WHO WASN’T THERE mit dem Anti-Helden Ed Crane. Der Psychoanalytiker Andreas Homburger beschäftigt sich mit dem wohl erfolgreichsten Film der Brüder, NO COUNTRY FOR OLD MEN (dafür bekamen sie 2008 drei Oscars). Dirk Blothner macht psychoanalytische Anmerkungen zu BURN AFTER READING. Isolde Böhme untersucht den spezifisch jüdischen Kontext in A SERIOUS MAN, einem Film mit autobiografischem Background. Ralf Zwiebel entdeckt die Struktur der rückblickenden Erzählung im Remake von TRUE GRIT, nach dem Roman von Charles Portis. Der letzte Beitrag stammt von Dieter Stern und setzt sich mit der Musik in den Coen-Filmen auseinander. Die Lektüre des Buches ist spannend, die Abbildungen sind drucktechnisch grenzwertig. Coverfoto: die Coen-Brüder bei der Berlinale 2011. Mehr zum Buch: 9jkrl4te0kffgg2aci1a8t3e7