Figurationen von Solidarität

Der Untertitel des Buches heißt „Algerien, das Kino und die Rhythmen des anti-kolonialen Internationalismus“. Ausgangs-punkt war ein Forschungs-projekt, das 2014 von Elisabeth Büttner initiiert wurde und im Dezember 2016 zu einer Tagung in Wien führte, an der die Initia-torin nicht mehr teilnehmen konnte, weil sie im Februar des Jahres verstorben ist. Viktoria Metschl hat jetzt als Co-Heraus-geberin das Projekt im Sinne ihrer Kollegin zu einem guten Ende gebracht. Das Buch ist eine Collage von Essays, Gedichten, Songtexten, Fotos, Reden und Cartoons. Hier sind einige Texte, die mir besonders gut gefallen haben: Daho Djerbal informiert über das algerische Kino vor der Herausfor-derung der Unabhängigkeit („Vom kolonialen zum emanzipierten Subjekt“). Petra Löffler reflektiert über das Kino als „kleine“ Kunst („Genealogien des Minoritär-Werdens“). Bei Todd Shepard geht es um „Die extreme Rechte und den Wiederaufschwung des sexuellen Orientalismus in Frankreich nach 1962“. Sudeep Dasgupta richtet seinen Blick auf Figurationen des Gemeinschaftsbildes („’Displacement’ und / in Substitution“). Atef Botros al-Attar äußert sich zur Verschiebung des öffentlichen Widerstandsraums im heutigen Ägypten („Von der Straße zum Gefängnis“). Alle Texte haben ein hohes theoretisches Niveau, die vielfältigen Abbildungen eine akzeptable technische Qualität. Erschienen bei Vorwerk 8.Mehr zum Buch: 242&am=6

50 Jahre Verlag der Autoren

Am 8. Februar 1969 wurde in der Schloßstraße 125 in Frankfurt am Main, in der Wohnung von Karlheinz Braun, beschlossen, den Verlag der Autoren zu gründen, eine genossen-schaftliche Vereinigung, die sich von den Interessen der privaten Verlage unabhängig machen wollte. Anfang April 1969 wurde der Verlag gegründet, der in diesem Jahr fünfzig Jahr alt wird. Das ist natürlich ein guter Anlass, auf die erfolgreiche Arbeit zurückzublicken. Das Buch „Fundus“, herausgegeben von Wolfgang Schopf und Marion Victor, will keine traditionelle Festschrift sein, aber es ist eine wunderbare Dokumentation der Aktivitäten des Verlages, es ist eine Würdigung der Autorinnen und Autoren, die sich damals auf individuelle und kreative Weise emanzipiert haben. Dies betrifft die Bereiche Literatur, Theater und Film. Eine zentrale Rolle spielte über alle Jahrzehnte Karlheinz Braun, eine Schlüsselfigur der Institution. Das Buch führt uns chronologisch durch die Jahre. Bilder und Texte rufen Konflikte in Erinnerung, die es natürlich auch gab. Wichtige Personen, die in der Publikation eine besondere Rolle spielen, sind Peter Handke und Botho Strauß, Hans Magnus Enzensberger und Urs Widmer, Heiner Müller und Barbara Honigmann, aus dem Filmbereich: Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders, Peter Steinbach und Edgar Reitz, Alfred Behrens und Peter Lilienthal, Helma Sanders-Brahms und die Zeitschrift Revolver. Wichtig sind das Vorwort der Herausgeber und ihre editorische Notiz im Anhang. Hilfreich ist das Personenregister, interessant die Liste lieferbarer Bücher. 1988 habe ich zusammen mit Eric Rentschler das Buch „Augenzeugen. 100 Texte neuer deutscher Filmemacher“ im Verlag der Autoren publiziert. Das Cover, ein mit Filmsteifen umwickeltes Gesicht, fand ich schrecklich. Bei der Neuauflage 2001 unter dem Titel „Der alte Film war tot“ wurde es verändert. Das Buch ist noch lieferbar. Im vergangenen Jahr bekam ich 2,24 € Autorenhonorar. Ich fühle mich mit dem Verlag sehr verbunden. Mehr zum Buch: buch.html?book=9955

ADEL VERPFLICHTET (1949)

Vor sechzig Jahren wurde diese makabre Komödie bei den Film-festspielen in Venedig uraufge-führt. Einen Preis bekam sie damals nicht. Ich habe den Film 1958 zum ersten Mal gesehen und war begeistert. Er erzählt die Geschichte der Herzogfamilie von Chalfont zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Hauptfigur ist Louis Mazzini D’Ascoyne, der zehnte Herzog, der sein Amt allerdings erst antreten kann, nachdem er sieben Würdenträger und eine Trägerin aus dem Weg geräumt hat. Denn sein Anspruch wird von der Familie negiert, weil seine Mutter mit einem italienischen Opernsänger durchgebrannt ist und von der Familie verstoßen wurde. Sein Vater hat bei der Geburt von Louis einen Herzschlag erlitten. Als die Mutter viele Jahre später stirbt, darf sie nicht in der Familiengruft bestattet werden. Louis, der sein Brot als Verkäufer verdient, nimmt systematisch Rache. Die Personen der Familie D’Ascoyne , die von ihm umgebracht werden, sind ein Bankier, ein Fotograf, ein Pfarrer, eine Suffragette, ein General, der Sohn des Bankiers und der Herzog selbst; der Achte, ein Admiral, geht mit seinem Schiff unter. Alle acht Figuren werden von Alec Guinness gespielt, seine Verwandlungskunst ist phänomenal, Maskenbild und Kostüme sind herausragend. Die Komik des Films ist eng mit den englischen Ritualen verbunden, die vor hundert Jahren ihre eigenen Spielregeln hatten. Darsteller des Louis Mazzini ist Dennis Price, der auch große Qualitäten hat. Bei Studio Canal ist jetzt eine DVD des Films erschienen, die ich mit großem Vergnügen angeschaut habe. Zu den Extras gehören ein Featurette über Dennis Price, eine Dokumentation über die Ealing Studios, ein Audiokommentar u.v.a. Mehr zur DVD: adel_verpflichtet-digital_remastered

THE MULE (2018)

Im kommenden Jahr kann Clint Eastwood hoffentlich bei bester Gesundheit seinen 90. Geburts-tag feiern. Seit Mitte der 60er Jahre ist er auf der Leinwand präsent, seine erste Regie hat er 1971 geführt (SADISTICO), 38 Filme hat er inzwischen reali-siert, meist spielte er auch die Hauptrolle. Sein jüngster Film, THE MULE, erzählt die Geschichte des fast neunzig-jährigen Taglilienzüchters Earl Stone, der Insolvenz anmelden und sein Haus verlassen muss. Bei der Hochzeit seiner Enkeltochter bekommt er ein Jobangebot, bei dem er nur einen Truck zu fahren hat. Er wird zum Drogenkurier für ein mexikanisches Kartell. Weil er sich sehr individuell verhält und Auszeiten für seine Familie nimmt, die er bisher vernachlässigt hat, gerät er in Schwierigkeiten mit seinen Auftraggebern und wird außerdem von der Drug Enforcement Adminstration beobachtet. Das endet für ihn böse, auch wenn er zuguterletzt wieder Taglilien pflegen darf. Die Geschichte wird spannend, aber auch lakonisch erzählt, es ist wunderbar, Eastwood bei den unterschiedlichen Tätigkeiten zuzuschauen und sich dabei an all die Filme zu erinnern, in denen er zu sehen war. Bei Warner ist jetzt eine DVD des Films erschienen, die ich vor allem denen empfehle, die den Film nicht im Kino gesehen habe. Zu den Specials gehört ein „Making-of“. Mehr zur DVD: the_mule.html

Das Kino am Jungfernstieg

Die Autorin Micaela Jary ist die Tochter des Filmkomponisten Michael Jary und hat eine große Affinität zum Kino. Der erste Teil ihres neuen Romans (der zweite Teil erscheint 2020) spielt im kalten Winter 1946/47 in Hamburg und erzählt die konfliktreiche Geschichte einer Familie, der ein Kino am Jungfernstieg gehört. Hauptfigur ist die Schnittmeisterin Lili Paal, Tochter von Robert und Sophie Wartenberg, die kurz vor Kriegsende geheiratet hat und nach Berlin gezogen ist. Jetzt arbeitet sie bei der DEFA. Ihr Vater ist im Krieg gestorben, ihre Mutter lebt bei der Familie ihrer Stiefschwester Hilde, die sich wenig um sie kümmert. So beschließt sie, nach Hamburg zu fahren, wo sie seit drei Jahren nicht mehr war. Mit Hilfe des englischen Filmoffiziers John Fontaine kann sie Berlin verlassen und findet in Hamburg desaströse Verhältnisse vor. Das alte Kino ist in keiner guten Verfassung, Hilde und ihr Mann Peter wollen die technische Einrichtung verkaufen und einen Tanzsaal einrichten, der Vorführer Hans leistet Widerstand. Die kranke Sophie weiß von den Konflikten nichts und gibt nur noch schwache Lebenszeichen von sich. Aktiv greift Resa, die Tochter von Hilde und Peter, ins Geschehen ein. Sie will Schauspielerin werden. Lili und der jetzt in Hamburg tätige John Fontaine suchen nach verstecktem Material des letzten Ufa-Films, das sie auf einem kleinen Boot in Lübeck finden. Und eine Schlüsselrolle spielt der Regisseur Leon Caspari, der viele Ähnlichkeiten mit Helmut Käutner hat. – Natürlich kann man einen Roman durch Zuspitzungen spannend machen. Aber die Autorin übertreibt den Aktionismus der beteiligten Personen, Gut und Böse werden ohne Zwischentöne charakterisiert und konfrontiert, die emotionalen Wellen schlagen hoch. Nach 360 Seiten ist man doch etwas erschöpft und freut sich auf ein Jahr Pause bis zur Fortsetzung. Mehr zum Buch: TB/e539482.rhd

Politiken des Populären

Elf Texte, in denen populäre Kultur auf ihre politischen Implikationen in medialen Erscheinungsformen befragt wird. Thomas Meder richtet seinen Blick auf Caravaggios „Medusa“, Woodstock und die Gefahren des medialen Effekts. Jan Distelmeyer begibt sich auf die Suche nach der Gegenwart des Computers. Hannah Schoch sieht zirkulierende Bildformeln zwischen Ost und West und verknüpft sie mit Shakespeares „The Animated Tales“. Tim Slagman äußert sich zum Monströsen in Peter Jacksons Tolkien-Verfilmungen. Drehli Robnik fragt nach dem „Geist der Atopie“. Bei Tim Trausch geht es um die Aktualisierung nationaler Mythen im Main-Melody-Film. Lukas Foerster beschäftigt sich mit den Sehnsüchten in dem Film ROMANCING IN THIN AIR von Johnnie To. Harald Steinwender gibt einen Überblick über den italienischen Polizei- und Gangsterfilm 1968-1980. Vera Cuntz-Lang unternimmt ein queer reading der beiden Filme FANTASTIC BEASTS AND WHERE TO FIND von David Yates und LOGAN: THE WOLVERINE von James Mangold. Lisa Andergassen befasst sich mit Konstruktionen von Gender und Schwarzsein in BLACK EMMANUELLE (1974) von Just Jaeckin mit Sylvia Kristel. Ivo Ritzers abschließender Beitrag hat den Titel: „Kulturwissenschaft (re)Assigned): Transmediale Identitätspolitik, post-postkoloniale Theorie und post-afrikanische Diaspora“. Alle Text haben ein relativ hohes theoretisches Niveau. Mit Abbildungen. Mehr zum Buch: 9783658229221

Wien – Eine Stadt als Filmkulisse

Auf fünfzig Filme, die in Wien gedreht wurden und die Stadt präsent machen, mussten sich Andreas Ungerböck und Michael Pekler für dieses Buch beschränken. Sie werden in alphabetischer Reihenfolge vorgestellt. In der Regel ist jedem Film eine Doppelseite gewidmet. Mit drei Seiten privilegiert sind DER DRITTE MANN (1949) von Carol Reed, JAMES BOND 007 – DER HAUCH DES TODES (1987) von John Glenn, DER KARDINAL (1963) von Otto Preminger, die TV-Serie KOTTAN ERMITTELT (1976-83) von Peter Patzak, MISSION IMPOSSIBLE – ROGUE NATION (2015) von Christopher McQuarrie, MUSEUM HOURS (2012) von Jem Cohen, DER NACHTPORTIER (1974) von Liliana Cavani, SCORPIO, DER KILLER (1973) von Michael Winner und WILDE MAUS (2017) von Josef Hader. Die drei ältesten Filme sind VORSTADTVARIETÉ (1935) von Werner Hoch-baum, BURGTHEATER von Willi Forst und HEUT’ IST DER SCHÖNSTE TAG IN MEINEM LEBEN von Richard Oswald (beide 1936). Die beiden Autoren, wohnhaft in Wien, sind filmkundig und können gut schreiben. Sie vergleichen Einst und Jetzt, erzählen gelegentlich kleine Anekdoten und haben uns zu einem schönen Reiseführer verholfen. Mit Abbildungen in sehr guter Qualität. Coverfoto: BEFORE SUNRISE von Richard Linklater. Mehr zum Buch: wien-eine-stadt-als-filmkulisse.html

stumm filme schauen

Die österreichische Autorin Sissi Tax lebt seit vielen Jahren in Berlin und ist sehr kinoaffin. Sie spielt mit der Sprache und mit Gedanken. 54 mal geht es in ihrem neuen Buch um „stumm filme schauen“. Ich zitiere den ersten Eintrag: „stumm filme schauen bedarf mehrerer vermögen. Es bedarf des vermögens der hingabe, der vorstellung und der einbildung, allen dreien sollte ein gewisses etwas eignen. jenes gewisse etwas freilich, dem eigensinn zugrunde liegt. ein solcher eigensinn, der sogar unter den härtesten bedingungen und grauslichsten umständen nicht zugrunde zu gehen beliebt, der das hingabevermögen zum glitzern, das vorstellungsvermögen zum strahlen und das einbildungsvermögen zum schillern bringt. und somit dem stummen ganzen gehörigen glanz verleiht.“ Mehr zum Buch: stumm-filme-schauen

SEITENSPRUNG (1979)

Der Debütfilm von Evelyn Schmidt spielt in der DDR der späten 1970er Jahre. Edith und Wolfgang leben in relativem Wohlstand, haben einen fünf-jährigen Sohn und der Seiten-sprung von Wolfgang, aus dem es eine inzwischen zwölfjährige Tochter gibt, ist von Edith fast vergessen. Gelegentlich besucht der Vater Sandra und ihre Mutter. Dann verunglückt die Mutter tödlich und Sandra wird Teil ihrer Stieffamilie. Damit beginnen Konflikte des Zusammenlebens, die auch nicht zu einem wirklichen Happyend führen. Der Film gibt Einblicke in das Leben in der DDR in jener Zeit aus der Perspektive einer Frau und lässt uns an psychischen Prozessen teilnehmen, die nicht immer nachvollziehbar sind. Mit Renate Geißler und Uwe Zerbe als Edith und Wolfgang sind die Hauptrollen gut, aber nicht prominent besetzt. Evelyn Schmidt gehörte zu den begabtesten Regisseurinnen der DEFA, ihren Film DAS FAHRRAD (1982) schätze ich sehr, ihren Debütfilm finde ich interessant. Bei Icestorm/Spondo ist jetzt eine DVD des Films erschienen. Mehr zur DVD: seitensprung.html

THE VICE (2018)

Das Biopic THE VICE über den amerikanischen Politiker Dick Cheney lief außer Konkurrenz bei der letzten Berlinale. Mich hat der Film sehr beeindruckt. Der Autor und Regisseur Adam McKay (von ihm stammt auch der Film THE BIG SHORT) hat eine originelle Form gefunden, die Lebensgeschichte des frühe-ren amerikanischen Vize-Präsi-denten zu erzählen. Es gibt viele überraschende Wendungen, satirische Zuspitzungen und auch emotionale Momente. Natürlich wird man an die historischen Augenblicke der amerikani-schen Terrormaßnahmen und des Einmarsches in den Irak erinnert, für die Cheney als Berater des Präsidenten mitverantwortlich war. Der zeitliche Bogen spannt sich zwischen 1963, als er wegen Trunkenheit am Steuer verhaftet wurde, bis 2012, als ihm ein neues Herz implantiert wurde. Das Tempo des Films ist durch die Montage beschleunigt, es gibt wenig ruhige Momente. Ein spezieller Glücksfall ist Christian Bale als Darsteller der Titelfigur. Er hat sich für den Dreh die notwendige Körperfülle angegessen und wurde im Studio perfekt maskiert. Phänomenal! Auch Sam Rockwell als George Bush und Steve Carell als Donald Rumsfeld sind beeindruckend. Der Film war für acht Oscars nominiert. Am Ende gab es leider nur einen Trostpreis: den Oscar für Make-Up und Maske. Bei Universum Film ist jetzt die DVD des Films erschienen. Sie enthält als Special Features deleted Scenes, ein Making of und das Featurette „The Music of Power“. Auch beim zweiten Sehen hat der Film noch viele Überraschungen. Mehr zur DVD: vice-der-zweite-mann.html