Inszenierte Realität

Wie realistisch wurde in Gegen-wartsfilmen der DEFA in den 70er und 80er Jahren die Situ-ation der Menschen dargestellt? Klaus-Dieter Felsmann unter-sucht dies an 21 Filmen. Es geht um Arbeitswelten, um Kinder- und Jugendfilme, um die Span-nungen zwischen Individuum und Gesellschaft. Unter den ausgewählten Filmen findet man KENNEN SIE URBAN? (1970) von Ingrid Reschke, DIE TAUBE AUF DEM DACH (1973/2010) und ALLE MEINE MÄDCHEN (1979) von Iris Gusner, BANKETT FÜR ACHILLES (1975) von Roland Gräf, DACH ÜBERM KOPF (1980) von Ulrich Thein, SABINE KLEIST, 7 JAHRE… (1982) und ERSCHEINEN PFLICHT (1983) von Helmut Dziuba, DER NACKTE MANN AUF DEM SPORTPLATZ (1973) von Konrad Wolf und GLÜCK IM HINTERHAUS (1979) von Herrmann Zschoche. Die Beschreibungen sind präzise und ohne Nostalgie. Gespräche mit den Szenenbildnern Dieter Adam, Harry Leupold und Paul Lehmann, der Szenenbildnerin Susanne Hopf, den Kostümbildnerinnen Barbara Braumann und Christiane Dorst, dem Kameramann und Regisseur Jürgen Brauer sowie der Autorin und Dramaturgin Gabriele Herzog geben Aufschluss über die Arbeitsbedingungen in jener Zeit. „Authentisches Erzählen unter widersprüchlichen Bedingungen“ heißt das Eingangskapitel. Mit Abbildungen in guter Qualität. Das Geleitwort stammt von Ralf Schenk. Beigefügt ist eine DVD des Films EINE SONDERBARE LIEBE (1984) von Lothar Warneke. Mehr zum Buch: /inszenierterealitaet

DIE LETZTE KUGEL TRIFFT (1964)

Ein Western mit Audie Murphy. Der hochdekorierte Kriegsheld spielt unter der Regie von R. G. Springsteen den ehemaligen Texas Ranger Logan, der als glücklich verheirateter Farmer ein friedliches Leben führt. Bei einem Besuch in der Stadt er-lebt er einen dramatischen Banküberfall, bei dem die Mehrzahl der Räuber getötet wird. Dem Chef der Bande gelingt die Flucht, weil Logan im entscheidenden Moment nicht geschossen hat: als er erkannte, dass dies sein ehemaliger Kumpel Sam Ward ist. Die Verfolgung von Ward führt zu Konflikten zwischen den Verfolgern. Die Konstellationen verändern sich noch einmal, als ein Spähtrupp von Apachen zum Angriff übergeht. Am Ende des 80-Minuten-Films gibt es den erwarteten Showdown. Murphys Partner/Gegner Sam Ward wird von Darren McGavin gespielt. Hinter der Kamera stand Joseph F. Biroc. DVD und Blu-ray des Films sind jetzt bei Koch Media erschienen. Mehr zur DVD: bullet_for_a_badman_dvd/

VARDA PAR AGNÈS (2018)

Sie war eine der großen franzö-sischen Filmemacherinnen, die fiktiv, dokumentarisch und experimentell gearbeitet hat. Als sie 2019 in Paris gestorben ist, war sie neunzig Jahre alt. Die „Grand-Mère de la Nouvelle Vague“. 2017 erhielt sie den Ehren-Oscar für ihr Lebens-werk. Ihr letzter Film bilanziert ihr Lebenswerk. Auf der Bühne eines Opernhauses sitzend, erzählt sie assoziativ und an-schaulich, wie ihr künstlerisches Werk entstanden ist. Drei Begriffe hatten dabei eine große Bedeutung: Inspiration, Kreation und Teilen. Als ihre Komplizinnen sieht sie die Kamerafrau Nurith Aviv, die Schauspielerinnen Jane Birkin und Sandrine Bonnaire. Natürlich spielte auch ihr Mann Jaques Démy eine große Rolle, er starb 1990. Sie war eine überzeugte Feministin. Zu ihren schönsten Filmen zählen für mich CLEO DE 5 À 7 (1961), LE BONHEUR (1965) und das Porträt von Jane Birkin JANE B. PAR AGNÈS V. (1987). Ihr Werk teilt sich eine analoge (1954-2000) und eine digitale Phase (2000-2018). Man hört ihr zu, man erinnert sich an ihre Filme, und man verneigt sich. Bei good!movies ist jetzt die DVD ihres letzten Films erschienen. Unbedingt sehenswert. Mehr zur DVD: varda-par-agn-s.html

Das Leben ist kein Drehbuch

Einführungen ins Filmemachen gibt es in großer Zahl. Dies ist die jüngste. Sie stammt von Malte Wirtz, der 2015 mit sei-nem Debütfilm VOLL PAULA! sehr erfolgreich war. Der Unter-titel des Buches heißt „Filme machen ohne Geld“. Ganz ohne Geld geht es natürlich nicht. Die 29 Kapitel heißen u.a. „Der 1. Akt / Das Drehbuch“, „Story – Improvisation / Keine Improvi-sation?“, „Die Zuschauer / Sind sie ein Teil des Films?“, „Der Einstiegs-Punkt / Wann fängt ein Film wirklich an?“, „Der 2. Akt / Wie halte ich die Span-nung?“, „Junges Team vs. erfahrenes Team?“, „Streitigkeiten, Rebellion“, „Welche Kamera ist die richtige?“, „Kürzen und Verdichten / Wie funktioniert Humor?“, „Der Mittelpunkt / Was verändert sich, wenn man die Hälfte der Geschichte geschafft hat?“, „Aussage, Rhythmus, Bilder“, „Let’s talk about money“ / Wieviel Geld brauche ich?“, „Warum überhaupt einen Film machen?“, „3. Akt / Das Finale beginnt“, „Wer spielt den König? / McGuffin & Furcht“, „Eine bunte Tüte voller Tipps“, „Das Ende finden“. Der Text lässt sich gut lesen, es gibt Zeichnungen von Oliver Vilzmann (auch die Titelabbildung stammt von ihm). Und auf Seite 120 steht nur ein Wort: „Ende“. Mehr zum Buch: das-leben-ist-kein-drehbuch.html

Willi Kollo

Er war „Autor und Komponist für Operette, Revue, Kabarett, Film und Fernsehen“ – so der Untertitel der umfänglichen Biografie von Wolfgang Jansen. Willi Kollo (1904-1988), Sohn des Komponisten Walter Kollo, hatte seine kreativste Zeit in den 1920er, 30er und 40er Jahren, er arbeitete mehr für die Bühne als für das Kino. Von seinen 13 Kompositionen für lange Spielfilme sind WIR TANZEN UM DIE WELT (1939) und ZWEI IN EINER GROSSEN STADT (1942) am bekanntesten. Jansen hat Kollos Lebensgeschichte detailliert recherchiert, kleine Porträts informieren über Personen, mit denen er eng zusammengearbeitet hat. Auch die politischen Hintergründe der vier Phasen (Weimarer Republik, NS-Zeit, Nachkriegszeit, Bundesrepublik) werden konkret vermittelt. Kollo agierte in der NS-Zeit als Mitläufer. Jedem der neun Lebenskapitel sind ausgewählte Dokumente angefügt. Die Musikbeschreibungen sind anschaulich formuliert und machen den Erfolg seiner Kompositionen nachvollziehbar. Umfangreiches Werkverzeichnis im Anhang. Keine Abbildungen. Mehr zum Buch: cf08dacd56a4df5c3a4e4e02ec60219f

Das Kapital der Stars

Eine Dissertation, die am Insti-tut für Kommunikations- und Medienforschung an der Deut-schen Sporthochschule Köln entstanden ist. Stephan Klä-sener untersucht darin Wirkung und Ursache der Stargenese. Im Mittelpunkt stehen die Bereiche Film, Popmusik, Sport. Aber zunächst wird die Entwicklung und Differenzierung von Be-rühmtheit geklärt: als Spiegel sich wandelnder Ideale und Medien. Der Held war der charaktergebende Vorfahre des Stars. Wie wird man zu einem Celebrity-Idol? Der Star lässt sich aus unterschiedlichen wissenschaft-lichen Perspektiven betrachten: kulturwissenschaftliche, soziologisch, ökonomisch, kommunikationswissenschaftlich, sozialpsychologisch. Die Medien gelten als Gradmesser und Katalysatoren gesellschaftlicher Relevanz. Es gibt primäre Star-Qualitäten: Image, Leistung, Attrakti-vität, Aura, und sekundäre: Erfolg, Kapital. Die Tätigkeitsbereiche der Star-Typologie sind Film, Musik, Sport, Politik. Eine empirische Analyse des Autors erfolgte durch eine quantitative Fragebogenaktion. Bei der Bewertung öffentlicher Personen spielen offensichtlich Stereotypisierungen eine maßgebliche Rolle. 76 Tabellen vermitteln die Ergebnisse grafisch, der Text kommentiert sie. Mit Abbildungen und einem umfangreichen Literaturverzeichnis. Mehr zum Buch: das-kapital-der-stars.html

Bienenstich und Hakenkreuz

Animationsfilme von Walt Disney wurden von Hitler und Goebbels sehr geschätzt. Als Disney 1935 Europa besuchte, kam er auch nach Deutschland und warb für sein Projekt SNOW WHITE AND THE SEVEN DWARFS nach dem Märchen der Brüder Grimm, das Ende 1937 in den USA Premiere hatte. Als Leni Riefenstahl 1938 Hollywood besuchte, war Disney der einzige Produzent, der sie empfing. Aber der Import des Schneewittchen-Films scheiterte dann aus politischen Gründen. Das führte zu dem Plan, eine eigene Trickfilmfirma zu gründen. Unter dem Protektorat des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda wurde im August 1941 die „Deutsche Zeichenfilm GmbH“ gegründet, die zunächst in Berlin und ab 1944 in Dachau, nicht weit entfernt vom Konzentrationslager, ihre aufwendige Arbeit verrichtete. Als Direktor fungierte Karl Neumann, er kam aus der Wurst- und Fleischbranche. Es wurde viel Geld investiert, denn vor allem das Phasenzeichnen galt als personalaufwendig. Aber die Ergebnisse waren bescheiden. Das Großprojekt „Die Biene Maja“ scheiterte, der einzige vollendete Film war ARMER HANSI, ein Kurzfilm. Rolf Giesen beschreibt in seinem gut recherchierten Buch die Firmengeschichte von der Gründung bis 1945 und die Übernahme des Projekts PURZELBAUM INS LEBEN durch die DEFA. Es kommen viele Zeitzeugen zu Wort, die zwischen 1988 und 1990 von J. P. Storm interviewt worden sind. Der Anhang enthält ausgewählte Kurzbiografien. Mit Abbildungen in Schwarzweiß und Farbe. Mehr zum Buch: zeichentrick_aus_dachau.html

THE SPOILERS (1942)

Ein Goldgräberfilm nach dem Roman von Rex Beach, der in Deutschland zwei Titel hatte, zuerst DIE FREIBEUTERIN, später STAHLHARTE FÄUSTE. Nome in Alaska im Jahr 1900. Die charismatische Cherry Malotte (Marlene Dietrich) betreibt einen erfolgreichen Saloon. Sie ist mit dem Claim-besitzer Roy Glennister (John Wayne) liiert, der mit dem Schiff von einer Reise zurückkehrt, begleitet von der Nichte des Richters, Helen Chester, um die er sich sehr kümmert. Das trübt die Beziehung zwischen Cherry und Roy. Dies will der sehr ambivalente Gold-Kommissar Alexander McNamara (Randolph Scott) für sich ausnutzen, der überraschend in Nome aufgetaucht ist und an Cherry Interesse zeigt. Die Konflikte um Claimbesitz und Schürfrechte eskalieren. Sie enden mit der berühmtesten Saloon-Prügelei der Westerngeschichte. Der Film von Ray Enright ist sehr unterhaltsam, auch die Nebenrollen sind gut besetzt, die Kameraführung von Milton R. Krasner hat höchste Professionalität. Bei Koch Media sind jetzt DVD und Blu-ray des Films erschienen. Zum Bonusmaterial gehören der Trailer und eine Bildergalerie. Mehr zur DVD: _the_spoilers_dvd/

SYNONYMES (2019)

Der Film des israelischen Regisseurs Nadav Lapid gewann bei der Berlinale 2019 den Goldenen Bären. Er beschreibt mit großer Radikalität die Identitätssuche des jungen Israeli Yoav, der in Paris ein neues Leben beginnen will, das nicht mehr mit der hebräischen Sprache und jüdischen Tradi-tionen verbunden sein soll. Die von ihm gemietete Wohnung ist bei seiner abendlichen Ankunft leer geräumt. Während er sich im Badezimmer aufhält, werden ihm sein Gepäck und seine Kleidung gestohlen. Er findet Unterstützung bei einem jungen Paar im Haus, dem Industriellensohn Emile und der Musikstudentin Caroline. Auf den Straßen von Paris nutzt er ein Französischwörterbuch, um Synonyme zu lernen. Kurzfristig findet er einen Job in der israelischen Botschaft, aber er verursacht dort ein Chaos, als er bei strömendem Regen wartende Besucher ins Haus lässt und „offene Grenzen“ einfordert. Auch die Tätigkeit als Pornodarsteller, um etwas Geld zu verdienen, führt zu Konflikten vor und hinter der Kamera. Nach sieben Monaten scheint die Assimilierung in Paris für Yoav gescheitert. Die gezeigten Episoden sind sehr zugespitzt, die Kamera ist immer nahe bei der Hauptfigur, die von dem athletischen Tom Mercier beeindruckend verkörpert wird. Es gibt viele komische Situationen, Paris ist sehr präsent, und die Botschaft heißt am Ende: man kann seine Vergangenheit nicht wie ein Kleidungsstück abstreifen. Bei Absolut Medien ist jetzt die DVD des Films erschienen. Sehenswert. Mehr zur DVD: film/7051/Synonymes

KINO von Ricarda Roggan

Ein ungewöhnliches Buch. Kein Text (nicht einmal Innentitel oder Impressum), ausschließ-lich Fotos. Sie stammen von der Fotografin Ricarda Roggan, die in den neunziger Jahren im Kino amerikanische Filme abfotografiert hat. Zu sehen sind Landschaften, Autos, Straßen, Hotels, Tankstellen, Hubschrauber, Explosionen, aber auch Menschen, die meist lachen und mit sich selbst beschäftigt sind. Die Bilder sind unscharf, sie wurden offenbar mit einer Kleinbildkamera aufgenommen, auf der Leinwand herrscht vor allem Bewegung. Subjektive Wahrnehmungen im Kino. Mehr zum Buch: http://spectorbooks.com/kino