DAS PIANO (1993)

Für das Drehbuch zu diesem Film erhielt Jane Campion 1994 den Oscar, Holly Hunter wurde als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. Im Jahr zuvor bekam der Film die „Goldene Palme“ in Cannes. Er erzählt die Geschichte der schottischen Witwe Ada, die Mitte des 19. Jahrhunderts mit ihrer neunjährigen Tochter Flora nach Neuseeland fährt, um eine arrangierte Ehe mit dem ihr unbekannten Stewart einzugehen. Ada ist seit ihrer Jugend stumm und eine leidenschaftliche Klavierspielerin. Die Ankunft in Neuseeland beginnt konfliktreich, Stewart ist enttäuscht von seiner künftigen Frau, sein Freund Baines findet sie anziehend. Das Klavier kann zunächst nicht transportiert werden und Ada wirkt verzweifelt. Baines erwirbt das Klavier und will von Ada unterrichtet werden. Damit macht er Stewart eifersüchtig. Die dann folgende Dreiecksgeschichte von Ada, Stewart und Baines mit der ratlosen Flora dazwischen nimmt dramatische Dimensionen an, als Stewart Ada einen Finger abhackt. Aber es gibt ein metaphorisches Happyend. Holly Hunter als Ada, Sam Neill als Stewart, Harvey Keitel als Baines und Anna Paquin als Flora sind herausragend. Auch nach dreißig Jahren ist der Film höchst sehenswert. Bei StudioCanal ist jetzt die DVD des Films erschienen. Sehr zu empfehlen. Mehr zur DVD: www.studiocanal.de/title/das-piano-1993/

Porno – Theo – Kolossal

2022 wäre Pier Paolo Pasolini 100 Jahre alt geworden. Er starb in der Nacht zum 2. November 1975. Es gab im Frühjahr bereits mehrere Publikationen über ihn. Die wohl interessanteste ist jetzt im Schüren Verlag erschienen. Im Blickpunkt steht sein letztes Filmprojekt, das als umfang-reiches Treatment überliefert ist. Es erscheint zum ersten Mal in deutscher Übersetzung. Der alter Gelehrte Eduardo aus Neapel (er sollte von Eduardo De Filippo gespielt werden) macht sich zusammen mit seinem Diener Ninetto (geplant: Ninetto Davoli) auf die weite Reise von Neapel nach Sodom (Rom), Gomorra (Mailand), Numantia (Paris) bis in die archaische Stadt Ur im Morgenland zwischen Euphrat und Tigris. Sie erleben Komisches, Seltsames und Apokalyptisches. Die Lektüre des 50-Seiten-Treatments ist sehr spannend. Das Heraus-geberduo Reinhold Zwick und Dagmar Reichardt bereichert den Band mit zwei 60-Seiten-Texten, die Pasolinis Projekt entschlüsseln. Sehr lesenswert. Mehr zum Buch: titel/722-porno-theo-kolossal.html

Die filmische Stadtlandschaft in Potsdam

Seit 110 Jahren gibt es das Filmstudio Babelsberg in Potsdam. Hier wurden Filme wie METROPOLIS und DER BLAUE ENGEL gedreht, MÜNCH-HAUSEN und DIE FEUERZANGENBOWLE, DIE LEGENDE VON PAUL UND PAULA und SOLO SUNNY, INGLORIOUS BASTERDS und FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE. Die filmische Straßenlandschaft in Potsdam ist Palimpsest, kulturelle Arena und performativer Raum. Anna Luise Kiss informiert über ihre Geschichte. 42 Straßen und Plätze sind nach Filmschaffenden benannt, Man findet sie vor allem in Groß Glienicke, Drewitz und Babelsberg. Straßenpläne erleichtern die Suche. Groß Glienicke wird vom „Heinz-Sielmann-Ring“ umschlossen, vier Wege tragen die Namen Maly Delschaft, Edith Schollwer, Ida Wüst und Käthe Haack. Drewitz hat mit 21 Namen die meisten filmbezogenen Straßen. Am längsten ist hier die „Konrad-Wolf-Allee“. Außerdem gibt es u.a. die Fritz-Lang-Straße, die Friedrich-W-Murnau-Straße, die Erich-Pommer-Straße, die Slatan-Dudow-Straße, die Paul-Wegener-Straße, die Conrad-Veidt-Straße, die Hans-Albers-Straße, die Wolfgang-Staudte-Straße, den Ernst-Busch-Platz, den Hertha-Thiele- und den Ernst-Lubitsch-Weg. In Babelsberg findet man 15 Filmstraßen, darunter die „Marlene-Dietrich-Allee“, die Josef-von-Sternberg-Straße, die Georg-Wilhelm-Pabst-Straße, die Heinrich-George-Straße, die Emil-Jannings-Straße, die Zarah-Leander-Straße, die Lilian-Harvey-Straße (aber keine Willy-Fritsch-Straße), den Heinz-Rühmann-Weg und den Billy-Wilder-Platz. Auch der höchst lebendige Quentin Tarantino hat hier schon eine Straße. Alle 42 Personen werden in kurzen Texten porträtiert. Mit vielen Abbildungen. Eine ideale Begleitung für einen Spaziergang durch Groß Glienicke, Drewitz und Babelsberg. Mehr zum Buch: kiss-die-filmische-strassenlandschaft-in-potsdam-pdf

Tote Städte, Geisterstädte, Städte aus der Retorte

Fünfmal geht es um „Grund-sätzliches“, siebenmal um „Exemplarisches“. In sechs Texten spielt der Film eine wichtige Rolle. Sabine Scharnowski beschäftigt sich mit der leblosen Stadt als Schreckensvision und Wunschvorstellung. Sie verweist dabei auf die drei Verfilmungen von Richard Mathesons Roman „I am Legend“: THE LAST MAN ON EARTH (1964), THE OMEGA MAN (1971) und I AM LEGEND (2007) und auf die Geisterstadt in Nikolaus Geyrhalters Film HOMO SAPIENS (2016). Edit Király richtet ihren Blick auf Ruinen, Zonen und verlassene Orte. Ihr Filmbeispiel ist STALKER von Andrej Tarkowskij. Birgit Ziener beschreibt Naturzerstörung und Versöhnung in der Geisterstadt in den Animes von Studio Ghibli. Für Thomas Koebner ist Augentäuschung ein Leitmotiv in literarischen und filmischen Abbildungen Venedigs. Seine Autoren sind Paul Heyse, Hugo von Hofmannsthal, Thomas Mann, Daphne du Maurier und Ian McEwan. Die Verfilmungen der zwei Erzählungen von du Maurier und McEwan, DON’T LOOK NOW von Nicolas Roeg und THE COMFORT OF STRANGERS von Paul Schrader, werden in diesem Zusammenhang präzise beschrieben. Ausgehend von Don DeLillos Roman „Underworld“ befasst sich Jürgen Heizmann mit der South Bronx als Ikone urbanen Verfalls. Wichtige Filme zu diesem Thema sind für ihn FORT APACHE: THE BRONX von Daniel Petrie und WOLFEN von Michael Wadleigh. Matthias Bauer unternimmt eine filmische Reise durch Geisterstädte, die ihn u. a. zu L’AVVENTURA, L’ECLISSE und ZABRISKIE POINT von Michelangelo Antonioni, GHOST TOWN GOLD von Joseph Kane, THE TREASURE OF THE SIERRA MADRE von John Huston, YELLOW SKY von William A. Wellman, QUANTEZ von Harry Keller und LAND OF PLENTY von Wim Wenders führt. Es ist der für mich schönste Text. Aber auch alle anderen machen scheinbar tote Städte lebendig. Ein sehr lesenswerter Band aus der Reihe „Projektionen“, herausgegeben von Hans Richard Brittnacher. Mehr zum Buch: Details.aspx?ISBN=9783967076479#.YuvVFi-21Hc

Im Sinne der Materialität

Wie denken und urteilen wir aus heutiger Sicht über Filme mit der theoretischen Perspektive von Siegfried Kracauer? Leonie Hunter und Felix Trautmann haben bei Bertz + Fischer ein sehr lesenswertes Buch mit zwölf Texten herausgegeben, das konkrete Antworten gibt. Beeindruckend zu Beginn: ein 30-Seiten-Gespräch mit Heide Schlüpmann über ihre persönlichen Erfahrungen im Umgang mit Kracauers Theorie. Sechs Texte haben mir besonders gut gefallen. Nora Neuhaus befasst sich mit Kulissenwelt und Wirklichkeitserfahrung im Film nach Kracauer und schlägt einen Bogen vom CABINET DES DR. CALIGARI zu SOLARIS von Tarkowski und HIGH LIFE von Claire Denis. Leonie Hunter und Almut Poppinga analysieren die romantische Komödie MAID IN MANHATTAN (2002) von Wayne Wang „through Kracauer’s Lenses“. Sebastian Staab und Franziska Wildt reflektieren über die Anarchie des Virtuellen und erkennen einen Zusammenhang zwischen Karl Grunes DIE STRASSE (1923), Chuck Russels DIE MASKE (1994), Christopher Nolans THE DARK KNIGHT RISES (2010) und Todd Phillips‘ JOKER (2019). Daniel Fairfax empfand die Lektüre der „Theorie des Films“ 2022 als „a bittersweat experience“. Bei Lena Appel und Anneliese Ostertag geht es um „The Premise of the Real in Color, Ornament, and Film“ in Op Art, Alfonso Cuarons Schwarzweißfilm ROMA und den aggressiven Farben in SPRING BREAKERS von Harmony Korine. Felix Trautmann äußert sich zur Politik eines post-anthropozentrischen Realismus in Kracauers Filmtheorie und dem Film LEVIATHAN (2012) von Lucien Castsing-Taylor und Véréna Paravel). Auch die anderen Texte sind lesenswert. Mehr zum Buch: imsinnedermaterialitaet

CLIFF WALKERS (2021)

Der Film von Zhang Yimou sollte eigentlich auf der Berlinale 2021 gezeigt werden, aber er war damals angeblich noch nicht fertig. Und er kam dann auch später nicht ins Kino. Nun ist er auf DVD und Blu-ray zu sehen. Schauplatz des spannenden Geschehens ist die Mandschurei 1932 während der japanischen Herrschaft. Zwei Paare – der Journalist Xianchen und seine Ehefrau Yu, ihr Kollege Chuliang und seine Freundin Lan – landen dort mit Fallschirmen, um einen chinesischen Gefangenen zu befreien, der Zeuge schrecklicher Kriegsverbrechen war und darüber aussagen soll. Xianchen und Lan, Chuliang und Yu machen sich in getrennter Formation auf den Weg. Ihre Gegner sind der sadistische Gao Bin und seine japanischen Kumpanen. Und dann gibt es noch den Doppelagenten Zhou. Die Konfrontationen sind brutal, es finden Nahkämpfe und Folterungen statt. Meist ist es Nacht und es fällt Schnee. Es ist manchmal nicht ganz leicht, die Orientierung zu behalten und die Schauplätze zu erkennen. Aber – wie immer bei Zhang Yimou – ist die Atmosphäre beeindruckend realisiert und die Präsenz der Kontrahenten bemerkenswert. DVD und Blu-ray sind jetzt bei Plaion Pictures (vormals Koch Media) erschienen. Sehenswert. Mehr zur DVD und Blu-ray demnächst unter: www.plaionpictures.com

Marilyn Monroe (3)

Noch eine Biografie zu ihrem 60. Todestag. Sie stammt von der spanischen Zeichnerin und Autorin María Hesse und erzählt Marilyn Monroes Vita in der Ich-Form. Der erste Satz lautet „Ich bin zwar keine Waise, aber ich bin wie ein verlassenes Mädchen aufgewachsen.“ So werden wir in der größten denkbaren Nähe durch ihr Leben geführt, erfahren viel über ihr Denken und Fühlen. Die drei Ehen mit James Dougherty, Joe DiMaggio und Arthur Miller spielen natürlich eine große Rolle, aber auch die Arbeit als Fotomodell und die Mitwirkung in Filmen zunächst als Nebendarstellerin, dann in Hauptrollen in NIAGARA, BLONDINEN BEVORZUGT und WIE ANGELT MAN SICH EINEN MILLIONÄR? Das Verhältnis zur Produktionsfirma Fox ist nicht einfach, weil sie vor allem als Glamourgirl besetzt wird. Sie verlegt ihren Wohnsitz nach New York, nimmt Schauspielunterricht bei Lee und Paula Strasberg und kann künftig ihre Rollen selbst wählen. Die letzten drei Kapitel haben Filmtitel zur Überschrift: BUS STOP, DER PRINZ UND DIE TÄNZERIN, MISFITS. Der letzte Satz heißt: „Es gibt eine Zukunft, und ich kann es kaum erwarten, bis sie eintritt.“ (S. 172). Die Zeichnungen von María Hesse wirken oft leicht verfremdet, haben aber auch eine große Nähe zu ihrer Protagonistin. Ein empfehlenswertes Buch. Mehr zum Buch: maria-hesse-marilyn-t-9783458682219

Marilyn Monroe

Heute vor sechzig Jahren ist sie in Los Angeles gestorben. Das schönste Buch zu diesem Anlass ist im Taschen Verlag erschienen. Es verbindet die Aufnahmen von Bert Stern mit der von Norman Mailer verfassten Biografie. Bert Stern (1929-2013) hat Marilyn Monroe sechs Wochen vor ihrem Tod an drei Tagen in Schwarzweiß und Farbe fotografiert. „The Last Sitting“ wurden die Bilder für die Modezeitschrift Vogue später genannt. Sie dominieren das Buch. Der Text von Norman Mailer (1923-2017) entstand 1973. Ursprünglich als Essay geplant, wurde daraus ein Romanbiografie, die sich einige Freiheiten nimmt, aber höchst lesenswert ist. Im Buch wird sie von kleinen Abbildungen von Magazin-Covern und Filmplakaten begleitet, die auf die einzelnen Lebensphasen verweisen. Mailer hat den Text handschriftlich verfasst, einige Faksimiles sind abgedruckt. Das Zusammenspiel von Text und Bildern ist ideal, die Druckqualität hervorragend. Man kann sich von dem Buch nur schwer trennen, wenn man es aufgeschlagen hat. Am besten legt man es während der Lektüre auf einen Tisch, denn als Großformat 28 x 34 cm wiegt es schwer. Das Buch erschien erstmals 2011, die Neuauflage ist sehr zu begrüßen. Mehr zum Buch: norman_mailer_bert_stern_marilyn_monroe.htm

Marilyn und die Sterne von Hollywood

Zu Marilyn Monroes 60. Todes-tag erscheinen zahlreiche Bücher, einige neue und manche älteren in überarbeiteter Form. Meist sind es Bildbände, die an den mythischen Star erinnern. Unterhaltsam ist der Roman „Marilyn und die Sterne von Hollywood“ von Claudia & Nadja Beinert, der auf die Jahre 1942 bis 1946 zurückblickt. Norma Jeane Baker befand sich schon als Kind in einer schwierigen Lage, weil ihre Mutter psychisch krank war und sich kein Vater für sie verantwortlich fühlte. Mit zehn Jahren übernimmt Gladys McKee, eine enge Freundin der Mutter, die Vormundschaft. 1942 heiratet Norma 16jährig den Nachbarn Jim Dougherty. Häufig geht sie ins Kino. Sie arbeitet zeitweilig in einer Rüstungsfabrik und wird dort von dem Fotografen David Conover entdeckt. Vor der Kamera verliert sie alle Selbstzweifel. Das erste Foto von ihr erscheint im November 1944 in dem Magazin Yank. Der Roman lässt eine erstaunliche Nähe zu seiner Protagonistin spüren. Die Hintergründe und Personen sind sehr gut recherchiert. Insofern: wer eine Phase von MMs Leben kennenlernen will, die weniger bekannt ist, sollte dieses Buch lesen. Mehr zum Buch: marilyn-und-die-sterne-von-hollywood/978-3-7466-3916-1

Strahlend und bewegt: Setsuko Hara

Sie hat in über 100 Filmen wichtige Rollen gespielt und wurde bei uns als Haupt-darstellerin in sechs Filmen von Yasujiro Ozu bekannt. Ich habe sie für mich bei einer Ozu-Retrospektive der Berlinale 1963 entdeckt und seither gehört sie zu meinen Lieblings-schauspielerinnen. Sie starb 2015 im Alter von 95 Jahren. Allerdings hat sie sich nach Ozus Tod 1963 vom Film und aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen. Ihr Lächeln bleibt unvergesslich. Rainer Landvogt beschreibt in seinem Buch Setsuko Hara in ihren frühen Filmen von 1935 bis 1949. Sie begann ihre Karriere im Alter von 15 Jahren, spielte 1936 eine Hauptrolle in der deutsch-japanischen Koproduktion DIE TOCHTER DES SAMURAI von Arnold Fanck, drehte sechs Filme unter der Regie von Satsuo Yamamoto, fünf unter Kajiro Yamamoto und Kunio Watanabe. Dreimal war Akira Kurosawa ihr Regisseur. Landvogt informiert ausführlich über 22 Filme, ihre Produktionshintergründe, Setsuko Haras Rollen und die Resonanz. Das Spektrum der Filme ist breit, man findet auch Komisches, Historisches und Propagandistisches. Sie konnte alles. Und nicht nur lächeln. Eine Kommentierte Filmografie schließt den Band ab. Mehr zum Buch: buch/strahlend-und-bewegt