Das Kino der frühen 1960er Jahre

2013.Krise„Im Zeichen der Krise“ war der Titel des 25. Filmhistorischen Kongresses in Hamburg im vergangenen Jahr. Jetzt ist bei edition text + kritik das Buch dazu erschienen. Zwölf Beiträge sind hier dokumentiert. Es geht u.a. um die Zeitschrift Filmkritik und ihren brutalen Umgang mit den Regisseuren Helmut Käutner und Rudolf Jugert (Autor: Thomas Brandlmeier), um die Filme von Will Tremper (Jan Gympel), die filmischen Subversionsversuche von Wolfgang Neuss (Klaus Kreimeier), die Kurzfilme der „Münchner Gruppe“ 1964/65, also von Klaus Lemke, Rudolf Thome und Max Zihlmann (Karlheinz Oplustil), um das Literarische Colloquium in Berlin als Filmproduzent (Michael Töteberg), Ausstattungsstrategien im deutschen Filmen der frühen 60er (Donata Haag), den Mauerbau im DEFA-Spielfilm 1962-67 (Ralf Forster), Egon Günthers Film LOTS WEIB (Evelyn Hampicke) und um die DDR-Zeitschrift film – Wissenschaftliche Mitteilungen 1964/65 (ein schöner Text von Wolfgang Gersch). Ich habe alle genannten Beiträge gern gelesen, weil sie die damalige Zeit sehr konkret in Erinnerung rufen. Ein interessantes Dokument ist im Anhang der Propagandaplan für eine gesteuerte Pressearbeit zu dem DEFA-Film LOTS WEIB. Redaktion des Bandes: Johannes Roschlau. Mit akzeptablen Abbildungen. Mehr zum Buch: detail.php/931908

Woody Allens Dialog mit der russischen Literatur

2013.AllenIn den deutschen Kinos ist noch immer der neue, bewundernswerte Woody Allen-Film BLUE JASMINE mit Cate Blanchett zu sehen. Die Literatur über Allen ist fast unüberschaubar. Im Harrassowitz Verlag ist kürzlich eine sehr spezielle, aber hoch interessante Dissertation erschienen. Sie handelt von Woody Allens intertextuellem Dialog mit der russischen Literatur. Sibille Rigler analysiert nach wohltuend kurzen theoretischen Vorüberlegungen vier Filme: LOVE AND DEATH (1975), SEPTEMBER (1987), CRIMES AND MISDEMEANORS (1990) und MATCH POINT (2005). Ihre literarische Spurensuche fördert erstaunlich viele Querverbindungen zwischen Allens Filmen und den russischen Autoren Čechov, Dostojewskij und Tolstoj zutage. Am intensivsten scheint Allens Beziehung zu Dostojewskij zu sein, er ist in drei der vier Filme eine dominante thematische Quelle. Bei Čechov lässt sich dies vor allem in SEPTEMBER nachweisen. Kleine Kapitel behandeln sehr einleuchtend spezielle Phänomene, die viel mit Allens Filmen zu tun haben: Humor und Judentum, das Pathetische und das Banale, das Metaphysische und das Physische, Ereignishaftigkeit, Subtexte, Theodizee, Antitheodizee und das Problem der Freiheit. Die Filme werden sehr konkret analysiert, die Autorin verirrt sich nicht im Labyrinth wissenschaftlicher Definitionen, sondern argumentiert werkbezogen. Das macht die Lektüre für Woody Allen-Fans interessant. Keine Abbildungen. Mehr zum Buch: title_609.ahtml

Zur Geschichte des Farbfilms

2013.Farbfilm NS-ZeitDie Farbfilm-Retrospektive der Berlinale 1988 ist mir noch in bester Erinnerung – und das grundlegende Buch von Gerd Koshofer „Color. Die Farben des Films“ hat bis heute Bestand. Die Dissertation von Dirk Alt ist mehr als doppelt so dick und konzentriert sich auf den nationalen Aspekt des Themas, auf die frühen Farbfilmverfahren und die NS-Propaganda 1933-1945. Der Autor hat hervorragend recherchiert und viel neues Material gefunden. Seine Recherche ist bewundernswert. Dank des Engagements des belleville-Verlegers Michael Farin ist auch ein brilliant gedrucktes Buch daraus geworden, gewidmet „Dem unbekannten Kameramann“. Nach einer Darstellung der technischen Voraussetzungen teilt der Autor seine Darstellung in die Bereiche „Experimentelle Anwendung 1933 bis 1940“ und „Industrielle Anwendung 1941 bis 1945“. Es gibt zunächst ein „Schattendasein“ des Farbfilms 1933/34, dann die „Glaubenssache“ 1935/36, dann den „Wettlauf“ 1937-39 und schließlich den „langen Weg in die Lichtspielhäuser“ 1939-41. Im zweiten Teil geht es um die Werbe-, Zeichentrick- und Kulturfilme, die Spielfilme, die Wehrmachtsfilme, die Kriegsberichterstattung, die Wochenschau und am Ende um den farbigen Schmalfilm. Viele Jahre hat der Autor geforscht, es gibt 2.060 Quellenhinweise, im Geleitwort stellt Dirk Alt bescheiden fest, dass er natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, und am Ende bittet er alle Leser, ihm bisher verborgene Materialien zur Verfügung zu stellen. Er bleibt an seinem Thema dran. Der Anhang listet eine 750 Titel umfassende Filmografie aller für die Aufführung in Deutschland zugelassenen Farbfilme von 1933 bis 1945 auf. Mehr zum Buch: scripts/buch.php?ID=549

DER TIGER VON ESCHNAPUR / DAS INDISCHE GRABMAL (1938)

2013.Eschnapur:GrabmalDer Roman „Das indische Grabmal“ von Thea von Harbou wurde 1918 publiziert. Die Autorin war damals dreißig Jahre alt und hatte bereits zehn Romane veröffentlicht. Die erste Verfilmung (Drehbuch: Harbou und Fritz Lang) wurde 1921 als Zweiteiler von Joe May inszeniert. 16 Jahre später realisierte Richard Eichberg, ebenfalls in zwei Teilen, die zweite Verfilmung. Eichberg war in vielen Genres zuhause, er drehte erfolgreiche Unterhaltungs-filme, manche Kritiker unterstellen ihm einen Hang zum Kitsch. Die beiden Filme spielen in Eschnapur und Berlin mit einer Reise um die Welt, es geht um Macht, Liebe und Eifersucht, um Feuer und Wasser, um Architektur, Gesang und indische Traditionen aus deutscher Sicht; wir sehen Tiger, Elephanten und Krokodile. Am Ende findet die Maharani Sitha nach ihrem Opfertod Ruhe in einem feudalen Grabmal, und der Intrigant Ramigani stirbt nach einer Revolte einen gerechten Tod. Mit Frits van Dongen, Alexander Golling, La Jana, Hans Stüwe und Gustav Dießl sowie dem Komikerpaar Theo Lingen und Gisela Schlüter. 2 x 90 Minuten in Schwarzweiß. Unterhaltsam auf der Höhe der Zeit. Friedemann Beyer hat zur DVD-Edition ein schönes Booklet konzipiert. Die dritte Verfilmung entstand 1958 unter der Regie von Fritz Lang in Farbe für Artur Brauner. Mehr zur DVD: ASIN=B00BMGKIGC

2 x Film und Theologie

2013.Räume, KörperEs gibt zwei neue Bände in der Reihe „Film und Theologie“, der eine handelt von konfessionellen Filmikonographien, der andere von kultureller und religiöser Identitätssuche. In dem Buch „Räume, Körper und Ikonen“ haben mich vor allem fünf der insgesamt 15 Texte interessiert: Georg Seeßlens Essay „Gottes Bild im Lichtspielhaus“ handelt von der komplexen Beziehung zwischen Religion und Film. Es geht einerseits um die Bibel als Drehbuchvorlage und um die Darstellung von Protagonisten aus dem Klerus, aber andererseits auch, genereller, um transzendentalen Stil und Berührungspunkte zwischen Kirche und Kino. Karsten Visarius hat sich noch einmal mit Paul Schraders Buch „Transcendental Style in Film“ beschäftigt und moniert dessen zu enge Lesart von Yasujiro Ozu, speziell von TOKIO MONO-GATARI. Reinhold Zwick schreibt zunächst über „Gesichter Marias im Jesusfilm“ und dann, sozusagen als Nahaufnahme, über die transfigurative Maria in Pasolinis EDIPO RE. Joachim Valentin beschäftigt sich mit den Räumen, die sich in Jim Jarmuschs Filmen jenseits der Alltagsrealität öffnen. Das Titelbild stammt aus dem Film DIE KOMMISSARIN (1967) von Aleksandr Askoldov.

2013.Lost in TransitionAuch in dem Buch „Lost in Transition“ fand ich fünf der elf Texte besonders eindrucksvoll: In Walter Leschs Essay „Verloren in Lüttich“ geht es um die Identitätssuche in den Filmen von Jean-Pierre und Luc Dardenne. Reinhold Zwick und Lukas Ricken reflektieren in zwei Texten über die Identitätsprozesse in Sofia Coppolas LOST IN TRANSLATION, wobei dieser Film natürlich für den metaphorischen Buchtitel gesorgt hat. Marie-Therese Mäder schreibt über das muslimische Opferfest als Schlüssel zur Identiätskonstruktion in Fatih Akins Film AUF DER ANDEREN SEITE. Und bei Stefanie Krauß geht es in dem Aufsatz „Grenzgänger in Zwischenräumen“ um den Film ELEPHANT von Gus Van Sant. Die theologische Perspektive der Texte wird den Filmen durchaus gerecht. Titelbild aus dem Film AUF DER ANDEREN SEITE. Mehr zu den beiden Büchern: raeume-koerper-und-ikonen.html und lost-in-transition.html

San Francisco

2013.San FranciscoDie Golden Gate Bridge, Fisherman’s Wharf, die kurvenreiche Lombard Street, der Union Square, die Cable Cars: es gibt viele Sehenswürdigkeiten in San Francisco. Die Stadt in Kalifornien war auch Schauplatz von vielen Filmen, die uns in Erinnerung geblieben sind. In der Reihe „World Film Locations“ hat Scott Jordan Harris jetzt einen Band ediert, der auf jeweils zwei Seiten 46 San-Francisco-Filme auflistet, die filmhistorische Bedeutung haben, angefangen mit einem anderhalb Minuten langen Dokument vom Erdbeben 1906 bis zu Steven Soderberghs CONTAGION (2011). Drei Höhepunkte sind für mich THE MALTESE FALCON (1941) von John Huston, DARK PASSAGE (1947) von Delmer Daves und THE CONVERSATION (1974) von Francis Ford Coppola. Natürlich gibt es auch San-Francisco-Szenen bei Alfred Hitchcock: in VERTIGO und THE BIRDS. Das Titelbild des Buches erinnert an DIRTY HARRY (1971) von Don Siegel mit Clint Eastwood. Zwischen die Filme sind sieben kurze, informative Essays montiert, die größere Zusammenhänge darstellen. Reiselektüre für einen Besuch in San Francisco. Mehr zum Buch: view-Book,id=5040/

Günter Reisch

2013.Günter ReischVor einem Jahr (genau: am 24. November 2012) wurde der frühere DEFA-Regisseur Günter Reisch 85 Jahre alt. Wenn man so will, ist das Buch ein verspätetes Geburtstags-geschenk. Der Herausgeber Michael Grisko hat es mit spürbarer Zuneigung zusammengestellt. Von Ralf Schenk und Dieter Wiedemann stammen ein Grußwort und ein Glückwunschtext. Der Geehrte selbst schreibt eine lange Antwort auf die Frage „Warum wollte ich Filme machen – und warum dann diese?“. Weitere Autoren sind Guido Altendorf (über MAIBOWLE), Michael Wedel (über EIN LORD AM ALEXANDERPLATZ), Günter Agde (über ANTON DER ZAUBERER) und Dorett Molitor (über die Sammlung Günter Reisch). Ralf Schenk ist natürlich auch mit einem Filmtext vertreten, er handelt von Reischs wohl bestem Film, WOLZ – LEBEN UND VERKLÄRUNG EINES DEUTSCHEN ANARCHISTEN. Michael Grisko hat sich auch als Autor und Gesprächspartner sehr engagiert, von ihm stammen die Texte zu allen anderen Reisch-Filmen und Interviews mit Hans Müncheberg und Andreas Dresen. Über das Buch kann Günter Reisch durchaus glücklich sein. Mehr zum Buch: zwischen-historienfilm-und-gegenwartskomoedie.html

DIE HERREN MIT DER WEISSEN WESTE (1970)

2013.Weisse WesteMit seinem selbst produzierten Film HEIMLICHKEITEN hatte sich Wolfgang Staudte Ende der 1960er Jahre maßlos verschuldet. So nahm er dankbar das Angebot von Horst Wendlandt an, eine „Gaunerkomödie“ zu drehen, für die ihm hervorragende Schauspieler zur Verfügung standen. Martin Held spielt einen pensionierten Oberlandesgerichts-rat, der mit seinem Freundeskreis (dazu gehören Heinz Erhardt, Herbert Fux, Walter Giller, Rudolf Platte, Willy Reichert und Rudolf Schündler) einen raffinierten Ganoven (Mario Adorf) zur Strecke bringt. Auch wenn uns Dramaturgie und Tempo des Films etwas konventionell erscheinen, liefert er einen amüsanten Blick in das Westberlin jener Jahre, als die Studentenbewegung ins Laufen kam, von der hier natürlich nichts zu sehen ist. Immerhin war Staudte kurz zuvor noch Dozent an der dffb. Hannelore Elsner spielt eine weibliche Hauptrolle. Die sechs Darsteller der Herren mit den weißen Westen sind inzwischen gestorben. Aber im Film wirken sie noch sehr lebendig. Pidax hat in der Reihe seiner Film-Klassiker eine DVD herausgebracht. Mehr zur DVD: products_id=395

Jerry Lewis

2013.Jerry LewisMorgen endet die Jerry-Lewis-Retrospektive der Viennale im Österreichischen Filmmuseum. Inzwischen habe ich die von Astrid Ofner und Hans Hurth heraus-gegebene Publikation gelesen und kann sie natürlich allen Jerry-Lewis-Fans nur empfehlen. Das 200-Seiten-Buch ist zweigeteilt. Der erste Teil enthält Texte und Essays: u.a. Überlegungen von Chris Fujiwara (Autor eines JL-Buches) über die Gegenwärtigkeit von Jerry Lewis, Auszüge aus „The Total Film-Maker“, Reflexionen des französischen JL-Experten Robert Benayoun, einen aktuellen Beitrag von Jonathan Rosenbaum, ein Gespräch zwischen Peter Bogdanovich und JL aus dem Jahr 2000, ein kleines JL-Lexikon von Aumont/Comolli/Lavarthé/Narboni/Pierre aus dem Weihnachtsheft der Cahiers du Cinéma 1967, Auszüge aus der Love-Story „Dean & Me“ (2005) und einen Text von David Ehrenstein über Frank Tashlin und JL. Im zweiten Teil werden die 30 Filme der Retrospektive mit alten und neuen Texten gewürdigt; darunter sind viele längere Zitate aus den Cahiers und Positif, aus der New York Times und der Filmkritik, aber auch neue Texte, u.a. von Ann Dettmar, Julia Bantzer, Johannes Beringer und Peter Nau. An der Textauswahl war Stefan Flach beteiligt. Der Band ist Frieda Grafe (1934-2002) gewidmet, die Jerry Lewis sehr geliebt hat. Von ihr ist der wunderbare Text über THE GEISHA BOY aus der Süddeutschen Zeitung (1973) abgedruckt. Mehr zum Buch: jerry-lewis.html

Herbert Achternbusch

2013.AchternbuschMorgen wird der Autor, Filme-macher und Maler Herbert Achternbusch 75 Jahre alt. Aus der deutschen Kinolandschaft ist er inzwischen verschwunden, aber nicht aus dem filmhistorischen Gedächtnis. In den 1970er und 80er Jahren hat er – beginnend mit dem ANDECHSER GEFÜHL (1974) – in jedem Jahr mindestens einen Film gedreht. Sein Christus-Film DAS GESPENST (1982) wurde zum Konfliktfall, als der damalige Innenminister Zimmermann ihm die Filmförderung aberkannte. Den letzten Film, DAS KLATSCHEN DER EINEN HAND (2002) hat dann aber kaum noch jemand gesehen. Zum Geburtstag ist jetzt bei edition text + kritik ein wunderbares Buch über HA erschienen. Der Autor Manfred Loimeier, Privatdozent in Heidelberg und eigentlich Spezialist für afrikanische Literaturen, nennt es im Untertitel „Annäherung an das künstlerische Gesamtwerk von Herbert Achternbusch“. Es geht dabei auf hohem Niveau um die bildreiche Sprache von HAs Prosa, um seine Theaterfiguren, seine Filme, seine Malerei und sein künstlerisches Umfeld. Natürlich sollte der Leser eine gewisse Affinität zu Achternbuschs Sprache, seiner Bild- und Denkwelt haben. Denn es ist ein eigenes Universum, in dem man sich da bewegt. Der Anhang listet auf 50 Seiten die Quellen auf, die dem Autor zur Verfügung standen. Ein schönes Geburtstagsgeschenk für den Jubilar und seine Fans. Mehr zum Buch: neu_werke_literatur