26. August 2016
Der Zeichentrickfilm
In seiner Einleitung beklagt der Autor das Fehlen wissenschaft-licher Erkenntnisse mit Blick auf „1) die grundlegende medien-theoretische Unterscheidung des Zeichentrickfilms vom Realfilm, 2) zeichentrickspezifische Kommunikationspotentiale, 3) die Entwicklung neuer film-wissenschaftlicher Definitions- und Beschreibungskategorien, die den speziellen Möglichkeiten und Eigenheiten des Zeichen-trickfilms Rechnung tragen, 4) sowie mediensemiotische und kognitive Theorien zur Rezeption des Zeichentrickfilms.“ (S. 14). Die theoretischen Ansprüche von Matthias C. Hänselmann sind entsprechend hoch, und er nutzt 650 Druckseiten, um ihnen gerecht zu werden. Sein Text ist in fünf Kapitel strukturiert: I. Ausgangslage und Grunddefinitionen. II. Die Grundlagen der allgemeinen Zeichentrick-semiotik. III. Das Darstellungssystem des Zeichentrickfilms. IV. Das diegetische System des Zeichentrickfilms. V. Die Grundlagen der Zeichentricknarratologie. Berücksichtigt werden sowohl narrative Unterhaltungsfilme wie auch illustrative Musikvideos und experimentelle Kunstfilme. In seinen Analysen ist der Autor sehr konkret und anschaulich, in der Terminologie und den entsprechenden Verweisen auf die Literatur dominieren Abstraktionen. 193 Abbildungen in guter Qualität helfen beim Verständnis des Textes. Mehr zum Buch: titel/484-der-zeichentrickfilm.html
25. August 2016
Musik in Zeichentrickfilmen von Walt Disney
Eine Dissertation, die an der Universität Mainz entstan-den ist. Britta Heiligenthal untersucht darin die spezielle Bedeutung der Musik in den Animationsfilmen von Walt Disney. „Was ist die Bild-Ton-Beziehung, wie berührt sie unterbewusst die Zuschauer, wie unterstützt sie Handlung, Atmosphäre, Figuren, Situationen im Film, wodurch fördert sie das Miterleben des Zuschauers und sein Eintauchen in die Handlungswelt des Films?“ (S. 14). Die Autorin analysiert drei Filme aus dem Walt Disney Studio aus unterschiedlicher Zeit: SNOW WHITE AND THE SEVEN DWARFS (1937), THE JUNGLE BOOK (1967) und BEAUTY AND THE BEAST (1991). Ihre 15 Motiv-Stationen bei der SNOW WHITE-Analyse sind: Ouvertüre / Die böse Königin / Schneewittchen / Mordauftrag / Mordversuch und Flucht / Neue Freunde / Frühjahrsputz / Zwergen-Mine / Zurück im Haus der Zwerge / Verwandlung der bösen Königin / „Silly Song“ / Der vergiftete Apfel / Aufbruch der Zwerge / Besuch der Hexe, Mord und Jagd / Totenwache, Erlösung und Happy End. Ähnlich aufgefächert sind die musikalischen Haltepunkte bei den beiden anderen Filmen. Die Autorin verfügt über die große Fähigkeit, die Filmmusik und ihre Beziehung zu den Handlungsmomenten genau zu beschreiben. Es gibt keine Abbildungen aus den Filmen, aber gelegentlich Notenbeispiele für spezielle Motive. Wenn die Musik zu effektvoll oder aufdringlich ist – vor allem in den späteren Filmen – wird das auch kritisiert. Man müsste sich die drei Filme anschauen und parallel den Text des Buches lesen. Ich werde das demnächst mit dem Schneewittchen-Film ausprobieren, den ich seit meiner Kindheit sehr schätze. Britta Heiligenthal ist inzwischen als Regisseurin großer Musical-Produktionen tätig. – Band 72 der „Reihe Filmstudien“, die inzwischen im Nomos Verlag in Baden-Baden erscheint. Mehr zum Buch: productview.aspx?product=25454
23. August 2016
Pioniere des Comic
Comic und Film sind auf mehrfache Weise verbun-den. Sie wurden fast zeitgleich – Ende des 19. Jahrhunderts – zu einem Massenmedium, sie bestehen aus Bildfolgen, sie sind kadriert, sie erzählen Geschichten. In der Frankfurter Schirn ist zurzeit eine Ausstellung über die Pioniere des amerikanischen Comics zu sehen (noch bis 18. September). Der Katalog zur Ausstellung, heraus-gegeben von Alexander Braun und Max Hollein im Hatje Cantz Verlag, ist unbedingt zu empfehlen. Es waren Zeitungsseiten, die in den USA für eine große Verbreitung der Comics sorgten. Im Katalog werden sechs Zeichner, die es zu großem Ansehen brachten, in umfangreichen Porträts vorgestellt: Winsor McCay (1869-1934) ist vor allem mit zwei Serien berühmt geworden: „Dream of the Rarebit Fiend“ (ab 1904) und „Little Nemo in Slumberland“ (ab 1905), sie erschienen im New York Herald. Lyonel Feininger (1871-1956) zeichnete 1906 von Berlin aus für die Chicago Sunday Tribune zwei Serien: „The Kin-der-Kids“ und „Wee Willie Winkie’s World“; die Zusammenarbeit dauerte allerdings nur ein halbes Jahr, aber die abgedruckten Beispiele sind beeindruckend. Charles Forbell (1885-1946) erfand 1913 die Serie „Naughty Pete“, die als besonders frech galt, für den New York Herald. Cliff Sterrett (1883-1964) war mit dem Comic „Polly and Her Pals“ für Sonntagszeitungen aus dem Hearst-Konzern ab 1912 über viele Jahrzehnte erfolgreich. Er reagierte auf Kunststile der Zeit (Expressionismus, Kubismus) und hat später auch die Zeichner des Disney-Studios beeinflusst. George Herriman (1880-1944) hat mit der Serie „Krazy Kat“ ab 1913 Katze und Maus in den Comic eingeführt. Bei Frank King (1883-1969) spielten Vater Walt und Sohn Skeezix in der Serie „Gasoline Alley“, die er ab 1918 für die Chicago Tribune zeichnete, die Hauptrollen. Die Texte zu den sechs Porträts stammen von Alexander Braun. Ein Gastbeitrag des Malers Thomas Scheibitz „Parallelbilder, Fantasie oder optischer Humor“ stellt den Comic in größere Zusammenhänge. Die meist farbigen Abbildungen des Katalogs sind wunderbar. Coverabbildung: „Little Nemo in Slumberland“ (1908). Mehr zum Buch: pioniere-des-comic–6669-0.html
21. August 2016
Filme von Jürgen Böttcher
Vor anderthalb Monaten, am 8. Juli, wurde Jürgen Böttcher 85 Jahre alt. Dank der „Edition Filmmuseum“ gibt es jetzt end-lich die Möglichkeit, das Werk dieses großen Dokumentaristen in seiner ganzen Komplexität zur Kenntnis zu nehmen. Es lohnt sich! Auf drei Doppel-DVDs sind insgesamt 18 Dokumentarfilme, drei Experimentalfilme und sein einziger Spielfilm, JAHRGANG 45, verfügbar. Jürgen Böttcher war über viele Jahrzehnte sowohl als Maler (Strawalde) wie als Filmemacher tätig. Am engsten ist diese Verbindung in den drei Filmen POTTER’S STIER, VENUS NACH GIORGIONE und FRAU AM KLAVICHORD (1981) zu spüren, in denen er zusammen mit dem Kameramann Thomas Plehnert Kunstpostkarten seiner Lieblingsmaler filmisch bearbeitet hat. Auch die Tonebene der drei Filme ist experimentell. Der Zyklus trägt den Titel VERWANDLUNGEN.
Bei den Dokumentarfilmen kann man zwischen Bött-chers früher Phase (1960 bis 1977) und dem DEFA-Spätwerk unterscheiden, wie es Claus Löser in seinem unbedingt lesenswerten Essay in zwei Booklets tut. Der früheste Film stammt aus dem Jahr 1960, ist sein Diplomfilm NOTWENDIGE LEHRJAHRE und zeigt Beobachtungen auf einem Jugendwerkhof. In dem Gruppenporträt DREI VON VIELEN (1961) besucht er seine Dresdner Künstler-freunde; der Film wurde damals verboten. Für das Außenministerium entstanden Filme wie IM PERGAMON-MUSEUM (1962) und TIERPARKFILM (1967), die den Blick vor allem auf die Besucher richten. Mit OFENBAUER (1962) beginnt die große Serie seiner Filme aus der Arbeitwelt. Dies sind STARS (1963), DER SEKRETÄR (1967), EIN VERTRAUENSMANN (1968), WÄSCHERINNEN (1972), RANGIERER (1984) und DIE KÜCHE (1986). WÄSCHERINNEN und RANGIERER gehören für mich zu den beeindruckendsten DEFA-Dokumentarfilmen, die ich kenne. Auch das Porträt MARTHA (1978) über eine Trümmerfrau in Berlin ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Eine Entdeckung ist auch IN GEORGIEN (1987), ein abendfüllender Dokumentarfilm. Der Spielfilm JAHRGANG 1945, der zu den Verbotsfilmen der Jahre 66/67 gehörte, ist in der Zensurfassung und in zwei unterschiedlichen Tonfassungen zu sehen und zu hören. Jürgen Böttcher hat im Übrigen alle Filme auf 35mm gedreht. Das Bonusmaterial der DVDs enthält zwei Zeitzeugengespräche mit Böttcher von Katrin und Ferdinand Teubner aus dem Jahr 2015 und das Porträt DER MALER UND FILMEMACHER JÜRGEN BÖTTCHEN – STRAWALDE von Hans-Peter Dürhager. Mehr zur DVD: Frau-am-Klavichord—In-Georgien.html
19. August 2016
Peter Falk
Er arbeitete als Lieutenant bei der Mordkommission des Los Angeles Police Departement, kam immer in seinem alten Peuegot im zerknit-terten Trenchcoat zum Tatort, meist begleitet von seinem Basset namens „Hund“. Sein Name: Columbo. In dieser Rolle ist der Schauspieler Peter Falk (1927-2011) berühmt geworden. Aber er hat zwischen 1958 und 2008 auch in 44 Kino-filmen mitgespielt. Über sein Leben, seine Filme und „Die Kunst Columbo zu sein“ informiert die kürzlich erschienene Biografie von Uwe Killing. Falk wurde als Sohn jüdisch-osteuropäischer Aus-wanderer in New York geboren, verlor mit drei Jahren durch einen Tumor sein rechtes Auge, besuchte High School und College, nahm Schauspielunterricht, sammelte Off-Broadway Bühnenerfahrungen und spielte für Nicholas Ray in WIND ACROSS THE EVERGLADES seine erste Rolle in einem Kinofilm. Es folgten kleinere und dann auch größere Rollen u.a. bei Frank Capra, Joseph Strick, Stanley Kramer, Clive Donner, Sidney Pollack und John Cassavetes. 1968 trat er erstmals als Inspektor Columbo in dem Fernsehfilm PRESCRIPTION MURDER auf. Dies war die Initialzündung für die Serie, die zunächst von 1971 bis 1978 und dann noch einmal von 1989 bis 2002 für NBC realisiert wurde. Es gibt insgesamt 69 Episoden, viele davon sind abendfüllend. Ein eigenes, sehr schönes Kapitel hat Uwe Killing der Zusammenarbeit von Peter Falk und Wim Wenders in dem Film DER HIMMEL ÜBER BERLIN gewidmet. Falk reagierte positiv auf einen Anruf von Wenders, kam für eine Woche Drehzeit nach Berlin und spielte einen amerikanischen Schauspieler, der an einem Kinofilm über den Aufstieg der Nationalsozialisten mitwirkt und als Ex-Engel dem verliebten Engel Damiel (Bruno Ganz) behilflich ist, ein Mensch zu werden. Auch in der Fortsetzung – IN WEITER FERNE, SO NAH! – spielte Peter Falk mit. Ich habe die Biografie mit großem Interesse gelesen. Mehr zum Buch: die-kunst-columbo-zu-sein.html
18. August 2016
Der magische Raum
Hinderk M. Emrich (*1943) ist Hirnforscher, Nervenarzt, Philosoph, Hochschullehrer und stark an Film interessiert. Edgar Reitz (*1932), dessen Hauptwerk die mehr als 60stündige HEIMAT-Trilogie ist, gilt unter den deutschen Filmemachern als besonders reflektiert. Der vorliegende Band dokumentiert vier Gespräche, die Emrich und Reitz in den Jahren 2009 und 2010 geführt haben. Eingeleitet wird das Buch von dem Vortrag „Raum nehmen und die Ethik des Raumes im Film“, den Emrich 2010 an der HFF in Babelsberg gehalten hat; hier geht es u.a. um die Filme THE TRIAL von Orson Welles, HAMMERSMITH IS OUT von Peter Ustinov, TRÄUME von Akira Kurosawa, LETZTES JAHR IN MARIENBAD von Alain Resnais, VATER UND SOHN von Alexander Sokurov, RITUALS IN TRANSFIGURED TIME von Maya Deren und CHUNGKING EXPRESS von Wong Kar-wei. Dann folgen die Gespräche über „Die Anfänge der filmischen Erzählkunst“ (Hannover, 24. Juni 2009), „Die Epiphanie des Konkreten“ (München, 10. und 11. Dezember 2009), „Der Film als Sprache ohne Begriffe“ (München 28. Februar 2010) und „Sind Erzählräume dreidimensional?“ (Hannover, 20. September 2010). Natürlich erzählt Edgar Reitz von seinen eigenen Erfahrungen beim Filmemachen. Aber es kommen auch zahlreiche andere Filme zur Sprache. Eingefügt in die Texte sind kurze Zitate zu Themen wie Kathedrale, Erinnerungsarbeit, Bewegung, optische Identifikation, Nähe, Blicke, Montage, Gewalt, Parallelkosmos, Kontinuität, Geburt der Filmsprache, Film als Kunst, Darstellung von Greuel, die von Erwin Panowsky, Jean-Marie Peters, Béla Balázs, André Bazin, Claude Lanzmann, Thomas Elsaesser und Malte Hagener, Siegfried Kracauer und Susanne Kaul stammen. Mehr zum Buch: der-magische-raum.html
17. August 2016
Telling Images
Fabienne Liptay, die mit einer interessanten Arbeit über Märchen im Film an der Universität Mainz promoviert wurde, war von 2007 bis 2013 Juniorprofessorin für Film-geschichte an der Universität München und ist seit 2014 Professorin für Filmwissen-schaft an der Universität Zürich. Einer ihrer Forschungsschwer-punkte ist die Bildlichkeit des Films. Diesem Thema widmet sich auch ihre neueste Publikation, die kürzlich im Diaphanes Verlag erschienen ist. Zehn Essays fügen sich zu einer komplexen Gesamt-betrachtung. Sie behandeln die Filme CODE INCONNU (2000) von Michael Haneke („Unverständliche Bilder“), TROIS COULEURS: BLEU (1993) von Krzysztof Kieslowski („Nachdenkliche Bilder“), HUNGER (2008) von Steve McQueen („Unreine Bilder“), LA DOUBLE VIE DE VÉRONIQUE (1991) von Krzysztof Kieslowski („Veronikabilder“), LE SCAPHANDRE ET LE PAPILLON (2007) von Julian Schnabel („Potentielle Bilder“), THE LIMITS OF CONTROL (2009) von Jim Jarmusch („Bildwürdige Bilder“), BIS ANS ENDE DER WELT (1991) von Wim Wenders („Ikonoklastische Bilder“), PUNCH-DRUNK LOVE (2002) von Paul Thomas Anderson („Antagonistische Bilder“), WALTZ WITH BASHIR (2008) von Ari Folman („Unverfügbare Bilder“) und IN FILM NIST/DIES IST KEIN FILM (2011) von Jafar Panahi („Selbstverneinende Bilder“). Liptays Analysen sind immer nahe an den Filmsequenzen und werden von der Autorin durch Verweise auf die wissenschaftliche Literatur abgesichert. Sie erschließen sich auch, wenn man sie nicht hintereinander liest. Nach jedem Text sind farbige Fotos in guter Qualität abgedruckt. Coverfoto: CODE INCONNU. Mehr zum Buch: telling-images-3373
16. August 2016
Charlton Heston
Er hat, in den 1950er und 60er Jahren, große Rollen gespielt: Moses in THE TEN COMMANDMENTS von Cecil B. DeMille, Judah in BEN HUR von William Wyler, EL CID im Film von Anthony Mann, Johannes der Täufer in THE GREA-TEST STORY EVER TOLD von George Stevens, Major Dundee in SIERRA CHARRIBA von Sam Peckinpah, Michelangelo in THE AGONY AND THE ECSTASY von Carol Reed, den Astronauten George Taylor in PLANET OF THE APES von Franklin J. Schaffner. Er gehörte aber – anders als Humphrey Bogart, Henry Fonda, William Holden, Gregory Peck oder James Stewart – nie zu meinen Lieblingsschau-spielern. Ich fand ihn meist zu kraftstrotzend, er agierte für mich ohne Zwischentöne. Im Fachverlag für Filmliteratur von Reinhard Weber ist gerade ein Buch über Charlton Heston (1923-2008) erschienen, das noch einmal seine Filme und sein Leben in Erinnerung ruft. Jenna Eatough, Hans Reinhardt und Andrea Rennschmid haben gut recherchiert. Ihre Biografie (rund 30 Seiten) dokumentiert Hestons schauspielerische Karriere, nennt auch viele Rollenangebote, die er abgelehnt hat, und geht am Ende ausführlich auf sein Engagement als Bürgerrechtler und als Präsident der National Rifle Association ein; sein Auftritt in Michael Moores Film BOWLING FOR COLUMBINE hat seinem Image sehr geschadet. Die kommentierte Filmografie (rund 190 Seiten) enthält Inhaltsangaben, Produktionshintergründe und Reaktionen zu den 70 Filmen, in den Charlton Heston mitgespielt hat. Die Texte des Buches „Charlton Heston. Seine filmischen Werke“ von Reinhardt und Rennschmid (1993) wurden für die neue Publikation vollständig überarbeitet. Beeindruckend sind auch die zahlreichen Fotos in bester Druckqualität. Nicht nur für Charlton Heston-Fans eine interessante Lektüre. Mehr zum Buch: 20Filmografie
14. August 2016
DER APFEL IST AB (1948)
Die alte Geschichte von Adam und Eva, neu erzählt von Helmut Käutner, nach Motiven einer musikalischen Komödie aus dem Jahr 1936. Käutners zweiter Nach-kriegsfilm – nach dem Episodenfilm IN JENEN TAGEN – ist pures Kabarett. Es gibt einen realen Ausgangspunkt: die Direktionsetage des Apfelsaftfabrikanten Adam Schmidt in München kurz nach Kriegsende. Schmidt wird von zwei Frauen (seiner Ehefrau Lilith und seiner Freundin Eva) geliebt und kann sich nicht zwischen ihnen entscheiden. Er beschließt, sich das Leben zu nehmen, aber der Sprung von einer Brücke und der Versuch, sich zu erhängen, misslingen. So landet er zusammen mit seinem Dackel Männe in einem Sanatorium. Hier beginnt, architektonisch und im Spiel der Protagonisten, endgültig die Kunstwelt. Die Behandlung des Patienten Schmidt durch den Psychiater Professor Petri endet schnell, weil er verbotenerweise in einen Apfel gebissen hat. Aber die letzte Straßenbahn ist weg, und so verbringt Adam Schmidt die Nacht im Wartesaal des Sanatoriums. Im Traum kommt er zunächst in den Himmel zu Petrus und Luzifer, wo gerade Eva erschaffen wird, dann mit Eva ins Paradies, in die Hölle und wieder ins Paradies, wo aus der Schlange die Verführerin Lilith wird, und schließlich mit einer Mischung aus Eva und Lilith auf die Erde. Dann wacht Adam auf, geht zur Straßenbahn und trifft Lilith-Eva an der Haltestelle. Sie fahren mit der Bahn in die Stadt. Ende. Das alles ist kabarettistisch, also sehr pointiert gespielt von Bobby Todd (Adam), Joana Maria Gorvin (Lilith), Bettina Moissi (Eva), Helmut Käutner (Petri/Petrus), Arno Assmann (Luzifer). Die Kameraführung von Igor Oberberg wirkt elegant und ist insofern dem Sujet angemessen. Beeindruckend sind die Bauten vor allem der Traumsequenzen. Sie stammen von Wolfgang Znamenacek. Und für die Spezial-Effekte war der unvergessene Theo Nischwitz verantwortlich. Der Film ist jetzt erstmals bei den Filmjuwelen als DVD erschienen. Das Booklet von Roland Mörchen ist sehr lesenswert. Mehr zur DVD: Filmjuwelen/dp/B01AMU3LRQ
12. August 2016
Filmstile
Ein beeindruckendes Lehrbuch. Die vier Autoren – Christoph Hesse, Oliver Keutzer, Roman Mauer, Gregory Mohr – sind Absolventen der Mainzer Filmwissenschaft, also geprägt vom hermeneutischen Blick auf die Geschichte des Mediums. Fünf Kapitel strukturieren das Buch. Zunächst geht es um Stiltheorien der Filmwissen-schaft: Russischen Formalis-mus, André Bazin, Siegfried Kracauer, David Bordwell, postmoderne Kunstauffas-sungen, Barry Salt. Dann folgen die Stilepochen mit ausgewählten Nationalstilen: Stummfilm (Frühes Kino, Deutscher Expressionismus, Französischer Impressionismus, Sowjetisches Montagekino, Neue Sachlichkeit), Tonfilm der 1930er und 40er Jahre (Klassisches Hollywoodkino, Sozialistischer Realismus, Poetischer Realismus, NS-Propagandafilm), Kino der Moderne der 1940er bis 70er Jahre (Italienischer Neorealismus, Nouvelle Vague, British New Wave, New Hollywood, Neuer Deutscher Film), Postmoderne und Postklassik der 1980er und 90er Jahre (Blockbuster, Postmoderne, Cinéma du Look, US-Independent), die Gegenwart (Digitalisierung, Berliner Schule, New French Extremity); zwei eigenständige Texte handeln vom Dokumentarfilm und vom Experimentalfilm. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit Individualstilen: Regie, Drehbuch, Kamera und Licht, Schauspiel, Montage, Filmmusik und Sound-Design, Architektur und Ausstattung. Dann richtet sich der Blick auf stilistische Kontinuität: Realismus, Fantastik, Surrealismus, Minimalismus, Opulenz. Zum Schluss wird etwas genereller die Stilistik audiovisueller Medien definiert: Kino, Fernsehen, Neue Medien. Jeder größere Abschnitt endet mit Hinweisen auf exemplarische Filme und Einführungsliteratur. Der Text, den die vier Autoren gemeinsam verantworten, ist für mich vorbildlich in seiner Konkretisierung und Gewichtung. Für alle, die in den Bereichen Film- und Kulturwissenschaft und Medienpädagogik tätig sind, eine sehr empfehlenswerte Lektüre. Die Abbildungen sind leider von unterschiedlicher Qualität, vor allem die schwarzweißen Screenshots wirken oft zu dunkel. Mehr zum Buch: book/9783531184975