Theater der Zeit

Die Zeitschrift Theater der Zeit hat mit der Januar-Nummer ihr Gesicht verändert. Der Re-launch ist vor allem in der Grafik zu erkennen, die Vielfalt der Themen ist nicht davon betroffen. Weiterhin gibt es einen monatlichen Schwer-punkt. Das ist diesmal „Bühne & Film“. Drei Texte sind in diesem Zusammenhang zu lesen: ein Porträt des Schauspielers Charly Hübner von Hans-Dieter Schütt, ein Essay über die soziologische Bedeutung des Stars von Bernd Stegemann und ein Gespräch von Thomas Irmer mit Thomas Wendrich, der vom Schauspieler zum Drehbuchautor gewechselt ist. Von Johannes Odenthal stammt ein reich illustrierter Aufsatz über Achim Freyer: „Die Erfindung des Theaters aus der Malerei“. Stefan Keim porträtiert die die Regisseurin Selen Kara. Der abgedruckte Theatertext ist „Die fünf Leben der Irmgard Keun“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, das am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt wurde und Episoden aus der Vita der Schriftstellerin erzählt. Es gibt Kritiken, Reportagen (über den Brandschutz), Nachrufe und Festivalberichte. Das Theater ist in der Zeitschrift weiterhin sehr präsent. Mehr zur Zeitschrift: produkt/e3fc3323-99bd-4839-88d6-723a5f850975

TOKYO STORY

Seit 30 Jahren gibt es die Reihe „BFI Film Classics“, in der auf jeweils rund 100 Seiten ein wichtiger internationaler Film gewürdigt wird. Der jüngste Band ist dem Film TOKYO MONOGATARI (1953) von Yasujiro Ozu gewidmet, der für mich eine herausragende Be-deutung hat. Ich habe ihn erstmals 1963 in einer kleinen Ozu-Retrospektive der Berlinale gesehen und seither mehrfach im Kino oder auf dem Bild-schirm. Die Hauptdarstellerin Setsuko Hara gehört zu meinen Lieblingsschauspielerinnen. Alastair Phillips analysiert den Film in einem beeindruckenden Text, beschreibt die Arbeitsweise des Regisseurs Ozu, erzählt anschaulich die Handlung des Films, konfrontiert die Handlungsorte Tokyo und Onomichi, informiert über die Rezeption in Japan und weltweit. Natürlich weist er am Ende auch auf den Film TOKYO-GA von Wim Wenders und dessen Ozu-Verehrung hin. Das Buch motiviert dazu, den Film bald wieder anzuschauen. Die Coverabbildung stammt von Yuko Shimizu. Mehr zum Buch: tokyo-story-bfi-film-classics-paperback.html

MÖRDER HINTER DER TÜR (1971)

Der Psychothriller von Nicolas Gessner konfrontiert zwei starke Darsteller im Milieu der Psychiatrie. Anthony Perkins spielt den Neurologen Laurence, der darunter leidet, dass seine Frau ihn betrügt. Als ein Mann mit Gedächtnisverlust (Charles Bronson) in die Klinik eingeliefert wird, versucht Laurence, ihn als Killer einzusetzen. Die Handlung hat viele überraschende Wendungen, die gut inszeniert und beeindruckend montiert sind. Der Film ist inzwischen fünfzig Jahre alt, aber noch immer sehenswert. Bei Plaion Pictures ist jetzt ein Mediabook erschienen. Neben Blu-ray und DVD enthält es einen Audiokommentar des Regisseurs, eine Einführung des französischen Filmhistorikers Jean-Baptiste Thoret und einen ausführlichen Text von Stefan Jung als Booklet mit Blick auf den Film aus psychoanalytischer und filmtheoretischer Perspektive. Sehr zu empfehlen. Mehr zur DVD: der-moerder-hinter-der-tuer-mediabook-blu-ray-dvd

Premierenfieber

In den 1950er Jahren entwickelte sich Hannover zu einer lebendigen Kinometropole. Hier fanden zahlreiche Uraufführungen deutscher Filme statt. Zu den Premieren kamen die Stars und wurden vom Publikum gefeiert. Das Buch von Peter Struck dokumentiert mit beeindruckenden Fotos die Ereignisse vor den Kinos. Wir sehen Brigitte Horney 1950 bei der Uraufführung von MELODIE DES SCHICKSALS, Marika Rökk 1951 bei der Premiere von DIE CSARDASFÜRSTIN, Hans Albers 1952 bei der Premiere von BLAUBART, Walter Giller 1953 bei der Uraufführung von SCHLAGERPARADE, Vico Torriani 1954 bei der Uraufführung von GUITARREN DER LIEBE, Harald Juhnke 1955 bei der Premiere von HELDENTUM NACH LADENSCHLUSS, Curd Jürgens 1955 bei der Uraufführung von DES TEUFELS GENERAL, Maria Schell 1956 bei der Premiere von GERVAISE, Liselotte Pulver 1957 bei der Premiere von DIE ZÜRCHER VERLOBUNG, Ruth Leuwerik und Dieter Borsche 1957 bei der Urauf-führung von KÖNIGIN LUISE, Nadja Tiller 1958 bei der Uraufführung von DAS MÄDCHEN ROSEMARIE. Zu den wichtigsten Kinos in Hannover gehörten damals die Weltspiele, das Theater am Aegi, der Europa-Palast, die Grenzburg-Lichtspiele, das Metropol-Theater, der Gloria-Palast. Peter Struck beschreibt kenntnisreich den Aufstieg Hannovers zur Premierenhauptstadt der Nachkriegszeit und charakterisiert die Kinoarchitektur. Die meisten Fotos stammen von Wilhelm Hauschild. Ein schönes Buch zur Kinogeschichte. Mehr zum Buch: public/index.php?ID_Section=2&ID_Product=1516

Mörderjagd mit Hexenschuss

Dies ist der fünfte Kriminal-roman von Hartmann Schmige, der über neunzig Drehbücher für TATORT, EIN FALL FÜR ZWEI, WOLFFS REVIER, DOPPELTER EINSATZ, SPERLING und DER STAATSANWALT geschrieben hat. Diesmal gibt es einen Helden, der die Kraft zur Serie hat: Knarr, ehemals Hausmeister, wegen Rückenproblemen in Frührente, ständig vom Hexenschuss bedroht, wird zum Privatdetektiv. Er ist ein großer Kenner von Kriminalfilmen und TV-Krimis. Das hilft ihm bei seinen Ermittlungen. In zwei Fällen kann er sich erfolgreich engagieren. Wer hat den Diamantensammler Sander ermordet? War der Tod der reichen Frau Schiller ein selbstverschuldetes Unglück oder ein Mord? Die Zusammenarbeit mit dem Hauptkommissar der Berliner Mordkommission Felix Wolland wird dabei immer enger, auch wenn Knarr mit seinen ständigen Hinweisen auf Filme oder Fernsehserien alle nervt. Das Stück „Julius Caesar“ von William Shakespeare spielt eine wichtige Rolle. Und die Liebesbeziehungen aller Beteiligten sorgen für überraschende Wendungen. Auch die Berliner Kulturpolitik ist durch eine Schlüsselfigur präsent. Der Roman ist sehr originell. Immer wieder muss man herzhaft lachen. Und viele Leichen bleiben auf der Strecke. Ich bin sehr gespannt auf die Fortsetzung. Mehr zum Buch: www.hartmann-schmige.de/detektiv-knarr

The Feminist Film Guide

In chronologischer Folge werden in diesem Buch 100 Filme präsentiert, deren Hauptfiguren zwei (oder mehr) Frauen sind, die miteinander reden über etwas anderes als einen Mann. Jedem Titel ist eine Doppelseite gewidmet, links mit den Credits und einer Zeichnung von Bea Crespo, rechts mit einem Text von Mallory Andrews. Der älteste Film stammt von King Vidor: THE PATSY (1928), gefolgt von THE WILD PARTY (1929) von Dorothy Arzner. Der jüngste Film ist BARB & STAR GO TO VISTA DEL MAR (2021) von Josh Greenbaum. Zwei deutsche Filme haben es unter die 100 geschafft: MÄDCHEN IN UNIFORM (1931) von Leontine Sagan und DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT (1972) von Rainer Werner Fassbinder. Man entdeckt viele Filme, an die man sich gern erinnert, zum Beispiel QUEEN CHRISTINA (1933) von Rouben Mamoulian und NINOTCHKA (1939) mit Greta Garbo, THE WOMEN (1939) von George Cukor, REBECCA (1942) von Alfred Hitchcock mit Joan Fontaine, BLACK NARZISSUS (1947) von Michael Powell und Emeric Pressburger, ALL ABOUT EVE (1950) von Joseph L. Mankiewicz mit Bette Davis, CARMEN JONES (1954) von Otto Preminger mit Dorothy Dandridge, IMITATION OF LIFE (1959) von Douglas Sirk mit Lana Turner, CLÉO DE 5 À 7 (1962) von Agnès Varda mit Corinne Marchand, LA NOIR DE… von Ousmane Sembene, TAUSENDSCHÖNCHEN von Věra Chytilová, PERSONA von Ingmar Bergman mit Bibi Anderson und Liv Ullmann, alle aus dem Jahr 1966, CÉLINE ET JULIE VONT EN BATEAU (1972) von Jacques Rivette, JEANNE DIELMAN, 23, QUAI DU COMMERCE, 1080 BRUXELLES (1975) von Chantal Akerman, der gerade zum besten Film aller Zeiten gewählt wurde. Das ist für mich allerdings TOKYO MONOGATARI von Yasujiro Ozu. Ozu kommt im Buch nicht vor, der japanische Film ist insgesamt ausgelassen. Die Lektüre des Buches ist dennoch inspirierend. Coverabbildung: THELMA & LOUISE. Mehr zum Buch: www.smithstreetbooks.com/?s=The+Feminist+Film+Guide

Claire Denis

Sie ist eine der großen Regisseu-rinnen des französischen Films. Sie bevorzugt eigenwillige Formen, die geprägt sind von Blicken, Gesten und Körperlichkeit. Der neueste Band aus der Reihe „Im Dialog: Psychoanalyse und Filmtheorie“ versammelt zwölf Beiträge zu ihrem Werk, eingeführt von Gerhard Schneider. Bei Marcus Stiglegger geht es um das gesamte Œvre von Denis, um Sensualismus, Berührung, Geruch und Geschmack und das Moment der Fremdheit: „Die Haut des Films“. Zehn Texte sind einzelnen Filmen gewidmet. Sie stammen von Sabine Wollnik (über CHOCOLAT, 1988, im postkolo-nialen Blick), Andreas Hamburger (über BEAU TRAVAIL, 1999, diesseits von Afrika), Andreas Jacke (über TROUBLE EVERY DAY, 2001, WHITE MATERIAL, 2009, AVEC AMOUR ET ACHARNE-MENT, 2022, in drei separaten Texten), Lutz Goetzmann (über L’INTRUS, 2002), Timo Storck (über 35 RUM, 2008, als Spätstadien des Ödipuskonflikts und LES SALAUDS, 2013, mit Blick auf Disruption und Komposition), Marie-Luise Waldhausen & Christoph E. Walker (über UN BEAU SOLEIL INTÉRIEUR, 2017, auf der Suche nach dem richtigen Mann) und Lioba Schlösser (über HIGH LIFE, 2018, und das Motiv des Recyclings). Dietrich Stern unternimmt am Ende einen Hör-Spaziergang durch einige Filme von Claire Denis. Mit Abbildungen in akzeptabler Qualität. Sehr lesenswerter Band. Mehr zum Buch: .psychosozial-verlag.de/catalog/product_info.php/products_id/3172

ZWISCHEN UNS (2022)

Der dreizehnjährige Felix ist ein Autist. In der Schule rastet er immer wieder aus, und seine Mutter Eva versucht alles, ihn gegen Lehrerinnen und Mit-mütter in der Schule zu verteidigen. Das Zimmer von Felix zuhause ist eine kleine, rote Höhle, in deren Wärme er sich häufig zurückzieht. Dem Nachbarn Pelle, der in einer Fischhandlung arbeitet, gelingt es, das Vertrauen von Felix zu gewinnen, dessen Lieblings-beschäftigung das Zeichnen ist. Am Ende gibt es radikale Lösungen für die Zukunft von Felix. Dies ist das Regiedebüt von Max Fey, der bisher vor allem als Editor gearbeitet hat. Er hat auch das Drehbuch geschrieben und konnte mit starken Schauspielerinnen und Schauspielern arbeiten. Liv Lisa Fries spielt die Mutter Eva, Jona Eisenblätter ihren Sohn Felix, Thure Lindhardt den Nachbarn Pelle, Corinna Harfouch eine Psychologin, Lena Urzendowsky eine Betreuerin. Bei EuroVideo ist jetzt die DVD des Films erschienen. Sehr sehenswert. Mehr zur DVD: 211060,zwischen-uns,tv-kino-film.html

Peter Schreiner

Er ist einer der großen Unbekannten des öster-reichischen Films. Peter Schreiner (*1957) war nach seiner Ausbildung an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien zunächst als Kameramann u.a. für Bärbel Neubauer, Margaretha Heinrich, Niki List und Christian Jordan tätig. GRELLES LICHT (1982) hieß sein erster Dokumentarfilm. Dann folgten ERSTE LIEBE (1983), AUF DEM WEG (1990), I CIMBRI (1991), BLAUE FERNE (1995), BELLAVISTA (2006), TOTÓ (FATA MORGANA (2013), LAMPEDUSA (2015) und GARTEN (2018). Olaf Möller beschreibt die Filme von Peter Schreiner mit großer Zuneigung. Protagonisten sind meist Freunde, Bekannte oder Familienangehörige. Schreiner ist für Regie, Kameraführung, Schnitt und Produktion verantwortlich. Das Buch ist ein schönes Porträt. Mit vielen Abbildungen und Dokumenten. Band 9 der Edition „Film Geschichte Österreich“, publiziert vom Filmarchiv Austria. Mehr zum Buch: shop/peter-schreiner/

Im Strom der Bewegungsbilder

Eine Dissertation, die an der Technischen Universität Dresden entstanden ist. Jonas Hänel beschreibt darin Film-, Bildungs- und Pflegeprozesse ausgehend von Michael Hanekes LIEBE/AMOUR (2012). Der Film erzählt die Geschichte des älteren Pariser Ehepaares Georges und Anne, dessen Leben sich fundamental nach dem Schlaganfall von Anne verändert. Hänels Text bewegt sich auf einem hohen theoretischen Niveau. Im Mittelteil beschreibt er präzise die 61 Sequenzen von Hanekes Film: Krankheit und Reorganisation der Ehebeziehung (Seq. 1-18), Suizidversuch, Ohnmacht und wiederkehrende Reorganisations-prozesse (Seq. 19-34), wiederkehrender Krankheitseintritt und erneute Reorganisation (Seq. 35-49), Gewalt, Mord und unabgeschlossenes Werden (Seq. 50-61). Drei Sequenzen werden genau analysiert: Kämmen – Anne und eine professionelle Pflegerin (Seq. 47), Duschen – Anne und eine professionelle Pflegerin (Seq. 42), Essen und Trinken – Pflegebeziehungen zwischen Georges und Anne (Seq. 41). Diese Sequenzen wurden zwei Schülerinnen und einem Schüler gezeigt, deren Reaktionen aufgezeichnet wurden. Jonas Hänel ist gelernter Krankenpfleger, er lehrt Pflegewissenschaft und Pflegedidaktik an der TU Dresden. Sein Text hat einen großen Erkenntniswert. Mit einem Geleitwort von Olaf Sanders. Mehr zum Buch: im-strom-der-bewegungsbilder/?number=978-3-8376-6481-2