23. März 2016
Melodramatischer Eskapismus
Eine Magister-Arbeit im Fach Deutsche Literatur der Berliner Humboldt-Universität. Amadeus Haux (*1989) wurde damit für den Humboldt-Preis nominiert. Es geht um Eskapismus, Affekt-Ökonomien und Exit-Optionen, aber vor allem um drei Melodramen: MAGNIFICENT OBSESSION (1954) von Douglas Sirk, ANGST ESSEN SEELE AUF (1974) von Rainer Werner Fassbinder und GEGEN DIE WAND (2004) von Fatih Akin. Natürlich zitiert der Autor zuerst das Diktum „Motion is emotion“ von Douglas Sirk, diese eingängige Gleichsetzung von Bewegung und Gefühl. Er konfiguriert in seiner Einleitung die Konstanten des Melodrams und nennt die Konflikte der Protagonisten, die oft von einer Romeo-und-Julia-Logik gekennzeichnet sind, in der die Paare familiär verstrickt sind. Seine Analysen der drei Filme sind ausführlich, präzise und beziehen am Ende auch die Rezeption ein. Auch die Informationen zu Douglas Sirk (Detlef Sierck), Rainer Werner Fassbinder und Fatih Akin sind umfassend. Band 64 der „Marburger Schriften zur Mediendramaturgie“. Cover: kleine Fotos der Darstellerinnen Jane Wyman, Brigitte Mira, Sibel Kekilli, weinend. Mehr zum Buch: melodramatischer-eskapismus.html
22. März 2016
Kapitulation im Kino
Das Jahr 1945 war 1990 das Thema der Berlinale-Retrospektive. Sie fand im Jahr der deutschen Einigung statt und ist mir noch sehr präsent. Die Lektüre des Buches „Kapitulation im Kino. Zur Kultur der Besatzung im Jahr 1945“ von Ina Merkel, Professorin für Gesellschaftswissen-schaft und Philosophie am Institut für Europä-ische Ethnologie/ Kultur-wissenschaft der Universität Marburg fand ich sehr spannend. Die Autorin beschreibt ausführlich die Situation in Deutschland bei Kriegsende. Es geht ihr dabei nicht nur um den kulturellen Bereich, sondern auch um die existentiellen Fragen des Lebens, der Familien, der Ernährung, der traumatischen Erfahrungen und – im Gegenblick – um die programmatischen Ziele der Alliierten, die sich ja keineswegs einig waren in ihren Forderungen an die deutsche Bevölkerung. Sieben Kapitel strukturieren das Buch: „Deutschland 1945. Ein surrealistisches Tableau of Disaster“, „Sexuelle Libertinage und ungebändigtes Vergnügen“, „Den Frieden gewinnen“, „Zur Kultur des Kinobesuchs“, „Das Kino der Alliierten“, „Die Spielfilme der Alliierten“, „Das Publikum wird beobachtet“. Die Darstellung konzentriert sich auf die Zeit von Mai bis Dezember 1945. In dieser Zeit kamen 79 Spielfilme und 14 Doku-mentarfilme in die deutschen Kinos. Es waren 32 sowjetische, 23 amerikanische, 18 französische und sechs britischer Spielfilme, weil die Russen am schnellsten auf die vorhandenen Gegebenheiten reagierten. 19 Spielfilme und drei Dokumentarfilme werden exemplarisch aufgeschlüsselt und interpretiert. Die Autorin hat auch die Rezeption der Filme sowohl in der Presse wie in Zeitzeugen-berichten erforscht. Ihr Text ist nahe an der damaligen Realität. Sie hat das Buch ihren Eltern gewidmet: „Kriegskinder, Zeit ihres Lebens passionierte Kinogänger“. Im Literaturverzeichnis gibt es keinen Verweis auf das Buch zu unserer Retrospektive. Hätte die Lektüre ihren Text verändert? Ich glaube nicht. Er hat seine ganz eigenen Qualitäten. Mehr zum Buch: programm/kapitulation/
20. März 2016
Das Historienepos HELENA
Der Filmregisseur Manfred Noa (1893-1930) hatte seinen ersten großen Erfolg mit der Lessing-Verfilmung NATHAN DER WEISE (1922) mit Werner Krauß in der Titelrolle. 1923 – also in der Inflationszeit – realisierte er in München den zweiteiligen Monumentalfilm HELENA, der zwar international ein Erfolg wurde, aber die Bavaria in ihren ersten Ruin trieb. Erzählt wird nach Motiven der Ilias die Liebesgeschichte zwischen Helena, die mit Menelaos, dem König von Sparta vermählt ist, und Paris, dem Sohn von Priamos, dem König von Troja. Die Liebe zwischen Helena und Paris führt zum Trojanischen Krieg, der mit der Verwüstung von Troja endet, die im Film spektakulär inszeniert ist. Sehr spannend ist auch das Wagenrennen in einer Arena im ersten Teil des Films. Ansonsten wirkt der Film eher konventionell, wenn man ihn mit den fast zeitgleich entstandenen NIBELUNGEN von Fritz Lang vergleicht. Die Besetzung war international: Helena wurde von der Italienerin Edy Darclea gespielt, Paris von dem Russen Wladimir Gaidarow, Achill von dem Italiener Carlo Aldini, Andromache von der Deutschen Hanna Ralph. Albert Bassermann (Aisakos), Adele Sandrock (Hekabe), Albert Steinrück (Priamos), Carl de Vogt (Herakles) spielten wichtige Rollen. Odysseus (Otto Kronburger) taucht erst im zweiten Teil und eher am Rande auf. – Von HELENA ist keine deutsche Originalfassung überliefert. Im Filmmuseum München hat man im vergangenen Jahr eine Rekonstruktion abgeschlossen, bei der eine viragierte Nitrokopie der Cinémathèque suisse als Basismaterial diente. Sie musste aus vielen anderen Quellen ergänzt werden. Auch die Herstellung der Zwischentitel, die nicht erhalten sind, war offenbar mühsam. Sie wirken erstaunlich authentisch. Die Musik stammt von Joachim Bärenz & Christian Roderburg; sie passt sich gut dem Geschehen und dem Filmrhythmus an. Eine DVD ist jetzt in der Edition Filmmuseum erschienen. Der Text im Booklet zur Produktions-geschichte und zur Rekonstruktion stammt von Stefan Drößler und ist sehr informativ. Mehr zur DVD: Helena–Der-Untergang-Trojas.html
18. März 2016
Das andere Fernsehen?!
„Quality Television“ ist ein seit einiger Zeit viel ver-wendeter Begriff, der vor allem mit den englischen und amerikanischen Serien verknüpft wird. Bei Transcript ist jetzt ein Sammelband erschienen, in dem sich vorwiegend junge Autorinnen und Autoren (meist in den 80er Jahren geboren) über das aktuelle Qualitäts-fernsehen Gedanken machen. 15 Texte fügen sich zu drei Kapiteln: „Theorien des anderen Fernsehens“, „Fallstudien zur Qualitäts-frage“ und „Von Comedy zur Quality“. Judith Lehmann sieht sich „An den Rändern der Serie und des Quality TV“ um. Martin Lampprecht schlägt einen Bogen von Seriephilie zur Cinephilie der 1950er Jahre. Sönke Hahn reflektiert über „Enden und Nicht-Enden im Fernsehen“. Nora Hannah Kessler beobachtet eine Komplizenschaft der Zuschauer mit den Bösen („Der Antiheld als Held“). Margaret Hass schreibt über „Weight, Gender, and Visual Pleasure in Quality Television“. Hans-Joachim Backe beschäftigt sich mit der Serie LUTHER, Annemarie Opp und Benjamin Schaper in zwei Texten mit der Serie SHERLOCK, Kathrin Kazmaier mit der Serie PARADE’ END nach der Romantetralogie von Ford Madox Ford und Dominik Schmitt mit der seriellen Weiterentwicklung des Films FARGO der Coen Brothers („Wellcome to Coenville“). Bei Anette Pankratz geht es um „Britische Sitcoms, Qualitätsdiskurse und das Populäre“. Daniel Kazmaier widmet sich der Latenz in der Sitcom FRIENDS, Julien Bobineau der narrativen Entwicklung der amerikanischen Sitcom HOW I MET YOUR MOTHER, Désirée Kriesch sieht die 30 ROCK-Episode „Greenzo“ als Persiflage auf NBCs Umweltschutz-Initiative und Solange Landau entdeckt postmoderne Verweisstrukturen in der Animationsserie UGLY AMERICANS. Die meisten Texte sind konkret in den Analysen und gut lesbar. Gelegentlich dominieren Zitate und wissenschaftliche Absicherungen. Die Literatur zu aktuellen Fernsehserien wächst. Mehr zum Buch: das-andere-fernsehen?c=738
17. März 2016
Werner Herzog
Laurie Ruth Johnson ist Associate Professor of German, Comparative and World Literature an der University of Illinois in Urbana. In ihrem Buch „Forgotten Dreams“, das kürzlich bei Camden House erschienen ist, untersucht sie die Einflüsse der Romantik auf das Werk von Werner Herzog. Ihre Analyse unterteilt sie in fünf Kapitel: „Image and Knowledge“ (Bild und Wissen – konkretisiert in CAVE OF FORGOTTEN DREAMS, THE WILD BLUE YONDER, FITZCARRALDO und INVINCIBLE), „Surface and Depth“ (Oberfläche und Tiefe – in den Filmen ENCOUNTERS AT THE END OF THE WORLD, THE WHITE DIAMOND, LITTLE DIETER NEEDS TO FLY und SCHWINGEN DER HOFFNUNG – JULIANES STURZ IN DEN DSCHUNGEL), „Beauty and Sublimity“ (Schönheit und Erhabenheit – in den Filmen GASHERBRUM – DER LEUCHTENDE BERG, AGUIRRE, DER ZORN GOTTES, DIE GROSSE EKSTASE DES BILDSCHNITZERS STEINER und LA SOUFRIÈRE), „Man and Animal“ (Mensch und Tier – in GRIZZLY MAN, STROSZEK und NOFERATU), „Sound and Silence“ ( Klang und Stille – in LAND DES SCHWEIGENS UND DER DUNKELHEIT, HERZ AUS GLAS, HAPPY PEOPLE: A YEAR IN THE TAIGA, INTO THE ABYSS: A TALE OF DEATH, A TALE OF LIFE). Herzogs deutsche und amerikanische Filme, seine Spielfilme und seine Dokumentarfilme werden in gleicher Weise berücksichtigt. Natürlich ist die Autorin mit Herzogs Werk bestens vertraut. Viele Querverweise sichern ihre Erkenntnisse ab. Die 25 farbigen Abbildungen sind überwiegend Screenshots, aber auch Gemälde (zum Beispiel von Caspar David Friedrich, Jacob van Ruisdal und Hercules Segers). Das Coverfoto stammt von Jürgen Sack und zeigt den Natursteinbogen Pont d’Arc in Südfrankreich. Das Buch von Laurie Ruth Johnson erweitert die Herzog-Literatur um wichtige Aspekte. Mehr zum Buch: Product=15069
16. März 2016
Neue Texte über Fassbinder
Michael Töteberg hat vor kurzem den Band der Literatur-Zeitschrift Text + Kritik über Rainer Werner Fassbinder, der erstmals 1989 erschienen ist, in einer zweiten Auflage als Neufassung mit elf aktuellen Beiträgen herausgegeben. Sie stammen von Georg Klein (über den Fernsehzwei-teiler WELT AM DRAHT), Töteberg (Fassbindertheater), Senta Siewert (RWF, Fatih Akin, Oskar Roehler und die Medienkunst), Ilka Brombach (WARNUNG VOR EINER HEILIGEN NUTTE und FONTANE EFFI BRIEST), Chris Tedjasukmana (zur Aktualität RWFs), Johannes Binotto (Fassbinders Happy Ends und Hollywoods Hoffnung), Michael Grisko (zur Familienserie ACHT STUNDEN SIND KEIN TAG), Karl Kröhnke (BOLWIESER), Werner C. Barg (DESPAIR), Alexandra Vasa (BERLIN ALEXANDERPLATZ), Volker Woltersdorff (Homosexuelle Minderheiten und Fassbinders Filme), Manfred Hermes („Der zweite Tod von RWF“). Ich bin immer wieder überrascht, dass im Kosmos RWF noch so viele neue Entdeckungen zu machen sind. Man muss als Herausgeber nur die richtigen Autorinnen und Autoren dafür finden. Mit ausgewählter Bibliografie und Zeittafel. Mehr zum Buch: 64366#.VuRPuCiJbV4
15. März 2016
Texte von Hans-Christoph Blumenberg
1984 hat er die Fronten gewechselt und wurde Filmemacher. Davor war er Filmkritiker. Zuerst beim Kölner Stadt-Anzeiger, dann, von 1976 bis 1983, bei der Zeit. Ich habe Hans-Christoph Blumenbergs Texte immer mit großem Respekt gelesen, weil er meist mit Empathie und selten gnadenlos über deutsche und internationale Filme geschrieben hat. Zwei Bände mit Aufsätzen und Kritiken erschienen 1980 und 1984 in der Reihe „Fischer Cinema“. Sie stehen seither griffbereit in meinem Regal. Jetzt sind sie neu aufgelegt worden. „Kinozeit“ enthält 72 Texte in chronologischer Folge. Ich nenne zwölf, die ich mit Bewunderung wieder gelesen habe: über Jacques Rivette („Phantom über Paris“), Rainer Werner Fassbinder („Schreie und Flüstern – Zwischenbilanz nach 28 Filmen“), neue Filme von Bertolucci, Bellocchio und Lina Wertmüller („Linke Träume von Hollywood“), Federico Fellini („Cazzomàs auf dem Planet der Frauen“), DEUTSCHLAND IM HERBST („Lage der Nation“), Hellmuth Costard („Kino der dritten Art“), Niklaus Schilling („Unheimliche Heimat“), Jean Renoir („Das Gleichgewicht der Welt“), Klaus Lemke („Alle Träume werden wahr“), John Wayne („Ein Mann der Wildnis“), Alfred Hitchcock („Über die dunklen Phantasien eines kleinen fetten Mannes“) und SOLO SUNNY von Konrad Wolf und Wolfgang Kohlhaase („Widerstand gegen den Alltag“). Was für ein thematisches Spektrum! In seiner Vorbemerkung äußert sich Blumenberg über den Beruf des Filmkritikers.
„Gegenschuß“ enthält 55 Aufsätze, Kritiken, Porträts und Interviews, thematisch geordnet: „“Deutsche Bilder“, „Amerikanische Bilder“, „Antipodische Bilder“, „Begegnungen, Gespräche“, „Marktplätze“, „Politik & Poesie“. Auch hier gibt es natürlich Lieblingstexte von mir: über neue Filme aus Deutschland („Im Tal der toten Augen“), über Rudolf Thome und seinen Film BERLIN CHAMISSOPLATZ („Eine Liebe in Deutschland“), über Helma Sanders-Brahms und DEUTSCHLAND, BLEICHE MUTTER („Ein Brief an Lene“), Rainer Werner Fassbinder („Die Angst, die Sehnsucht, die Liebe und der Tod“), Stanley Kubrick („Das blutende Haus“), Jean-Luc Godard („Warten auf Godard“), Robert Bresson („Es geht immer um alles“), Alain Resnais („Das Kino – ein Laboratorium“), mehrere über Woody Allen und Martin Scorsese und einen über Chris Markers SANS SOLEIL. In seiner Vorbemerkung verabschiedet sich Blumenberg von der Filmkritik. Mehr zu den Büchern: 9783596306541 und 9783596306558 .
Und es ist gleichzeitig noch ein drittes Buch von Hans-Christoph Blumenberg in Neuauflage erschienen: die Biografie des Schauspielers und Sängers Hans Albers „In meinem Herzen, Schatz…“. Sie stammt aus dem Jahr 1981 und ist noch immer lesenswert. Seit kurzem ist auch der Film aus dem Jahre 1989 als DVD verfügbar: in-meinem-herzen-schatz-1989/
13. März 2016
Andy Warhol
„Er war der amerikanischste aller Künstler und der künst-lerischste aller Amerikaner“, heißt es zu Beginn dieses Vier-Stunden-Films von Ric Burns. ANDY WARHOL. GODFATHER OF POP entstand 2006, wurde 2015 von Arte ausgestrahlt und ist jetzt als DVD bei Absolut Medien erschienen. Es ist ein schönes, reflektiertes Porträt mit unendlich vielen Fotos, Bildern, Filmausschnitten, mit Interviews kompetenter Kunstkritiker und Zeitzeugen, kommentiert von Laurie Anderson. Zu Wort kommen u.a. Neil Printz (Herausgeber des Werkverzeichnisses von AW), Stephen Koch (Autor einer AW-Biografie), Vincent Fremont (ehemaliger Vizepräsident der AW Enterprises), Irving Blum (Gallerist und Sammler), John Richarson (Kunsthistoriker), George Plimpton (Journalist und Schauspieler), Donna De Salvo (Chefkuratorin des Whitney Museums), Wayne Koestenbaum (Kulturkritiker), Dave Hickey (Kunstkritiker) und John Warhola (ein jüngerer Bruder von Andy). „Er hat buchstäblich die Welt verändert“, heißt es einmal. Und der Film zeigt, wie ihm das gelungen ist. Erzählt wird weitgehend chronologisch: die Kindheit und Jugend in Pittsburgh, die wichtige Rolle der Mutter Julia, die Erkrankung als Achtjähriger an Veitstanz, die Schwierigkeiten der Selbstfindung, die Probleme in der Schule, das Studium der Grafik, der Wechsel nach New York, die Erfolge als Grafiker und die Stationen der erst spät beginnenden Künstlerkarriere bis zur Gründung der „AW Factory“, das Attentat einer Frauenrechtlerin 1968, die großen kommerziellen Erfolge der 1970er Jahre bis zu seinem Tod nach einer Gallenoperation 1987. Es sind vor allem die langsam abgeschwenkten Fotos, die dem Film seine Intensität und seinen Rhythmus geben. Ein beeindruckendes Porträt! Mehr zur DVD: +GODFATHER+OF+POP
11. März 2016
Chiffre Oberhausen
50 Jahre nach der Prokla-mierung des Oberhausener Manifests, das zu einer Erneue-rung des westdeutschen Films animieren sollte, wurde in verschiedenen Veranstaltungen über die historische Bedeutung dieser Aktion nachgedacht. So auch in Wien im Rahmen eines Symposiums. Verschiedene Vorträge sind im jetzt publizierten Band des Verlages Vorwerk 8 dokumentiert und werden ergänzt durch separat verfasste Beiträge. Zu lesen sind 17 Texte und Auszüge aus einer Diskussion im Österreichischen Filmmuseum. Eric Rentschler stellt Verbindungen her zwischen dem Filmpublizisten Siegfried Kracauer, dem Text „Erfahrungshunger“ von Michael Rutschky, einigen Protagonisten der Zeitschrift Filmkritik und dem jungen (west)deutschen Film. Heinrich Adolf erinnert an die Bedeutung der Filmstadt München, an die Gruppe DOC 59 und die frühen Versuche, dort eine Filmhochschule zu gründen. Nils Plath liest das Oberhausener Manifest als „Manifest zu seiner Zeit“. Jörg Becker formuliert schlüssige „Betrachtungen zur Filmästhetik der 60er Jahre“. Der sehr persönliche Text von Haro Senft ist eine Reminiszenz an seinen Film über das Atomkraftwerk Kahl. Gerlinde Waz informiert beispielhaft über das experimentelle Fernsehen der 1960er und 70er Jahre in der Bundesrepublik. Olaf Möller stellt das Buch „Ein Tag in der Stadt“, 1962 herausgegeben von Dieter Wellershoff, in den kulturellen Kontext der Zeit. Karin Harrasser widmet sich den Filmen von Alexander Kluge und Edgar Reitz. Franziska Latell erinnert an drei fast vergessene Filme von Peter Schamoni: MOSKAU 57, JAZZ IM KREML und MOSKAU RUFT!. Nina Linkel versucht eine „filmpolitische Lesart“ von TOBBY von Hansjürgen Pohland und DAS BROT DER FRÜHEN JAHRE von Herbert Vesely. Anna Koblitz untersucht die frühen Filme von Roland Klick. Johannes Beringer denkt zurück an die Musik und das Kino der späten 50er und frühen 60er Jahre („Verehrung für eine Verruchte“). Zur elektronischen Musik im Industrie- und Experimentalfilm dieser Zeit äußert sich Florian Wüst. Bei Franziska Bruckner geht es um den „grafischen“ Film von Wolfgang Urchs. Christine N. Brinckmann sieht Vlado Kristl als „fremden Vogel“ in Oberhausen. Und viele Meinungsverschiedenheit gibt es im abschließenden Gespräch zwischen Helmut Herbst, Christian Rischert, Hans Scheugl und dem Moderator Hans-Günther Pflaum. Die Lektüre des Buches ist – vor allem, wenn man die Zeit erlebt hat – sehr anregend. Mehr zum Buch: id=200&am=3
10. März 2016
Cinema 61: Verwandlung
Das Schweizer Filmjahrbuch versammelt in diesem Jahr zehn Essays zum Thema „Verwand-lung“. Es geht dabei um Inhalte und Formen, aber auch um Gesellschaft und Technik. Franziska Heller reflektiert darüber, wie die Digitalisierung unser Bild der Vergangenheit verändert („Warum Film-geschichte?“). Marian Petraitis beschreibt die Langzeitdoku-mentation ROMANS D’ADOS von Béatrice Bakhti („Adoleszenz und Verwandlung“). Bei Sonja Kirschall geht es um Wahrnehmung, Wandlung und Subjektivierung im Film („Sensomorphosen“). Henry M. Taylor widmet sich der Spionageserie THE AMERICANS („Aliens among US“). Ulrike Hanstein erinnert an den Film NIGHT TIDE von Curtis Harrington („Gestaltwechsel zwischen Avantgarde und Horror“). Der Schriftsteller Christoph Simon visioniert eine Karriere als amerikanischer Drehbuchautor („How to Become an American Scriptwriter“). Nepomuk Zettl vergleicht die Hauptfiguren in den Filmen ADAPTION (Buch: Charlie Kaufman, Regie: Spike Jonze) und SYNECDOCHE, NEW YORK (Buch und Regie: Charlie Kaufmann) („Zur Wandlung in der Wandlung – inszeniertes Leben“). Selina Hangartner beschäftigt sich, ausgehend von einem Text von Susan Sontag, mit Camp zwischen Subversion und Massengeschmack („Whatever Happened to Good Taste“). Vera Cuntz-Leng stellt Fragen zur Verwandlung in der Harry Potter-Filmsage („Alles im Fluss?“). Und Jean Perret untersucht die Arbeit des Schweizer Regisseurs Peter Mettler („Zur Zeit des Versuchs“). In der Rubrik „CH-Fenster“ geht es um die Geschichte der Praesens-Film AG und um die Schweizer Filmmusik. Im „Filmbrief“ erzählt Matthias von Gunten von seinen Festivalreisen mit dem Film THULETUVALU. Ausführlich werden in der „Sélection Cinema“ 35 Schweizer Filme der Saison 2014/15 vorgestellt. An der Realisierung des interessanten Jahrbuchs hat das Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich wieder großen Anteil. Mehr zum Buch: verwandlung.html