03. Juni 2015
Drei Meister in Hollywood
Alle Drei stammen aus Europa: Erich von Stroheim (1885-1957) wurde in Wien geboren, William Wyler (1902-1981) im elsässischen Mülhausen und Otto Preminger (1905-1986) im rumänischen Wiznitz, einer Kleinstadt, die damals zu Österreich-Ungarn gehörte. Stroheim wanderte 1909 in die USA aus, Wyler 1921, Preminger 1935. Sie machten in Hollywood Karriere. – 1994 widmete die Berlinale ihre Retrospektive Erich von Stroheim, 1996 William Wyler, 1999 Otto Preminger. Norbert Grob hat für die drei Publikationen der Deutschen Kinemathek jeweils den großen Essay geschrieben. Da die Bücher inzwischen vergriffen sind, hat er sie für den jetzt vorliegenden Band überarbeitet und damit wieder zugänglich gemacht. Jeder der drei Texte umfasst rund 100 Seiten, ist exzellent bebildert und als Werkanalyse höchst lesenswert. Der Autor interpretiert die Filme der drei Regisseure, vermittelt Produktions-hintergründe, sieht sie – mit ihrem jeweiligen biografischen Background – als Entdecker, Erfinder, Erneuerer. So begegnen wir dem starrsinnigen und unerbittlichen Erich von Stroheim, dem eher gelassenen und an klassischen Formen interessierten William Wyler, dem provokanten und energischen Otto Preminger. Viele ihrer Filme sind natürlich auf DVD verfügbar, so dass man die Lektüre mit dem Blick auf die Filme begleiten kann. Coverfotos: BEN HUR, ANATOMY OF A MURDER, FOOLISH WIVES. Mehr zum Buch: dreimeisterinhollywood.html
02. Juni 2015
Hollywood Goodbye!
Richard Blank (*1939) ist promovierter Philosoph (sein Lehrer war Ernesto Grassi), erfahrener Filmemacher (er hat Dokumentarfilme, Fernsehfilme und Kino-Spielfilme gedreht), vielseitiger Autor (zu seinen Publikationen gehören ein Roman und Bücher u.a. über Bernhard Wicki, über Schauspielkunst in Theater und Film, über die Geschichte des Filmlichts, über die Veränderungen der Filmdramaturgie), gefragter Dozent (seine Seminare und Workshops an Filmhochschulen sind sehr beliebt) und ein meinungsfreudiger Künstler. Er polemisiert gern – und mit Recht – gegen die Dominanz des aktuellen Hollywood-Kinos, das seit dem Ende von New Hollywood, also seit rund dreißig Jahren, nicht mehr viel zu künstlerischer Innovation beigetragen hat, aber immer noch große Macht ausübt und beispielgebend sein will. Blanks Plädoyer für eine eigenständige, von Hollywood unabhängige Filmkunst ist eine Passage vorzugsweise durchs europäische Kino, erinnert an die Bedeutung von Max Ophüls, Jean-Luc Godard oder David Lynch, die vor allem durch ihre Regelverletzungen berühmt geworden sind. Blank ärgert sich über die vielen Drehbuch-Ratgeber, die weltweit verbreitet werden und ihre Dramaturgien zur Norm machen wollen. Mit vielen Filmbeispielen weist er in eine andere Richtung: sich unabhängig zu machen von einer Vorherrschaft. 100 Seiten, die man mit Gewinn lesen kann. Mehr zum Buch: 349-Hollywood_Goodbye.html
31. Mai 2015
Film Noir (2): DIE NACHT HAT TAUSEND AUGEN
John Triton (gespielt von Edward G. Robinson) hat als Wahrsager im Varieté gearbeitet und war mit seiner Assistentin Jenny und dem Pianisten Whitney Courtland sehr erfolgreich, bis er in kurzen Momenten real in die Zukunft schaut und dabei Menschen in Lebensgefahr sieht. Als er in einer solchen Vision Jenny bei der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter sterben sieht, verlässt er den Schauplatz. Jenny heiratet Courtland, der zum Öl-Millionär wird. Das alles erfahren wir ziemlich am Anfang in Rückblenden, nachdem Triton verhindert hat, dass Jean, Courtlands Tochter (Gail Russell), Selbstmord begeht. Im zweiten Teil des Films visioniert Triton einen Flugzeugabsturz von Courtland, der dann auch stattfindet, und sieht schließlich die Ermordung von Jean um 11 Uhr nachts unter dem Sternenhimmel voraus, die passiert wäre, wenn Triton sie nicht im letzten Moment verhindert hätte. Er wird dabei von der Polizei erschossen. Die Geschichte stammt von Cornell Woolrich, wurde für den Film aber stark verändert. Eine wichtige Rolle spielt hier Jeans Verlobter Elliott Carson (gespielt von John Lund), der zunächst Triton misstraut, aber am Ende die Wahrheit der Visionen von Triton erkennt. John Farrow hat den Film 1948 inszeniert, hinter der Kamera stand John F. Seitz und die effektvolle Musik stammt von Victor Young. Bei Koch Media ist jetzt, digitally remastered, in der Film Noir-Reihe eine DVD des Films erschienen. Das Booklet enthält einen lesenswerten Text von Frank Arnold. Mehr zur DVD: 1008674&nav1=FILM
30. Mai 2015
Film Noir (1): D.O.A./OPFER DER UNTERWELT (1950)
D.O.A. ist der Originaltitel des Films: „Dead On Arrival“. So befindet am Ende der diensthabende Polizist im Revier in San Francisco, nachdem er sich die bizarre Geschichte von Frank Bigelow angehört hat, der zwei Tage lang auf der Suche nach seinen Mördern war und am Ende, vergiftet, tot zusammen-bricht. Der Beginn dieses Films ist legendär: ein Mann betritt in der Nacht ein Polizeirevier, geht durch die leeren Gänge, landet in der ‚Homicide Division’ und erklärt dort den Beamten, er habe einen Mord zu melden. Gefragt, wer das Opfer sei, sagt er: „Ich!“. Dann erzählt der Versicherungsmakler Bigelow in einer langen Rückblende, wie ihm eine kurze Urlaubsreise nach S.F. zum Verhängnis wird. Eigentlich wollte er doch nur dem Drängen seiner Sekretärin Paula entfliehen, die ihn heiraten möchte, und der Eintönigkeit eines kleinen Ortes in der kalifornischen Wüste. Aber dann überschlagen sich die Ereignisse: ein Abend mit verführerischen Frauen, ein Drink erweist sich als vergiftet, die ärztliche Diagnose am nächsten Morgen ist hoffnungslos, aber Bigelow macht sich auf die Suche nach seinen Mördern, findet eine Spur durch den Tod eines Geschäftsmannes in L.A., der ihn zuvor permanent erreichen wollte (es ging offenbar um eine Schiffsladung Iridium), wird von drei Gangstern im Hotel gequält, kann sich aber befreien und (s.o.) seine Ermordung der Polizei melden. Rudolph Maté hat den Film inszeniert, sein Hauptdarsteller ist Edmond O’Brien, hinter der Kamera stand Ernest Laszlo, die Musik stammt von Dimitri Tiomkin. Ein Klassiker des Film Noir. Bei Koch Media ist jetzt in der Noir-Reihe die DVD erschienen. Die Bilder sind, digitally remastered, brillant. Das Booklet enthält einen sehr informativen Text zum Film von Frank Arnold. Mehr zur DVD: opfer_der_unterwelt_dvd
29. Mai 2015
Anjelica Huston
Sie war eine beein-druckende Schauspielerin. Ich erinnere mich vor allem an THE DEAD (1987) von John Huston, GRIFTERS (1990) von Stephen Frears, THE CROSSING GUARD (1995) von Sean Penn und THE ROYAL TENEN-BAUMS (2001) von Wes Anderson. Ihre Augen, ihre Stimme, ihre Körper-sprache, ihre Präsenz! Anjelica Huston (*1951), Tochter des Regisseurs John Huston, viele Jahre Lebenspartnerin von Jack Nicholson, hat jetzt ihre Autobiografie veröffentlicht. In Amerika erschien sie in zwei Bänden („A Story Lately Told“, 2013, „Watch Me“, 2014), in Deutschland kompakt in einem Band („Das Mädchen im Spiegel“, 2015) im Rowohlt Verlag. 686 Seiten müssen da bewältigt werden, und das ist manchmal sehr mühsam. Die Autorin reiht kleine und große Ereignisse aneinander: Kindheit und Jugend in Irland, Karriere in Hollywood, ein Privatleben, das sie ziemlich freimütig vor uns ausbreitet, und unendlich viele Begegnungen mit mehr oder weniger berühmten Menschen. Natürlich gibt es auf der Strecke intensive Momente – ein Besuch in Ostberlin, als im Juni 1963 Hustons FREUD auf der Berlinale lief, der Tod der Mutter nach einem Verkehrsunfall 1969, die Oscar-Verleihung 1986, bei der Anjelica als Best Supporting Actress für PRIZZI’S HONOR ausgezeichnet wurde und ihr Vater als Regisseur des Films leer ausging, der Tod des Vaters im August 1987, der Tod ihres Mannes, des Bildhauers Robert Graham im Dezember 2008 – aber sie sind überlagert von viel zu vielen Ereignissen, die für den Leser keine Bedeutung haben. Namedropping kann nerven. Man hätte lieber mehr über die Arbeitserfahrungen der Schauspielerin Anjelica Huston erfahren. Aber damit war sie als Autorin offenbar überfordert. Mehr zum Buch: 3140995.html
28. Mai 2015
Elfi Mikesch
Am kommen-den Sonntag wird die Kamerafrau, Regisseurin und Fotografin Elfi Mikesch 75 Jahre alt. Heute Abend wird das im Kulturradio des rbb mit dem Porträt „Die Bilderwelten der Elfi Mikesch“ von Claudia Lenssen gefeiert. Ich habe die Filmarbeit von Elfi von Anfang an bewundert, war von ihrem Dokumentarfilm WAS SOLL’N WIR DENN MACHEN OHNE DEN TOD (1980) tief beeindruckt, erinnere mich gern an ihren Porträtfilm VERRÜCKT BLEIBEN – VERLIEBT BLEIBEN (1997), an den ich oft beim U-Bahn-Fahren denke, finde ihren Film über Werner Schroeter, MONDO LUX (2011), überragend, halte ihre Spurensuche in dem Spielfilm FIEBER (2014) mit Eva Mattes und Martin Wuttke für unterschätzt und hoffe, dass sie noch viele eigene Filme machen kann. Sie hat als Kamerafrau für Rosa von Praunheim, Werner Schroeter und Monika Treut Großes geleistet; sie ist eine der kreativsten Foto-grafinnen, die ich kenne. Ihr Buch „Traum der Dinge. Photographien 1967 – 2002“, erschienen 2004 im Martin Schmitz Verlag, beweist das. Sie nimmt ihre Mitgliedschaft in der Akademie der Künste ernst und bringt sich dort mit Veranstaltungen ein. Ich fühle mich mit Elfi befreundet, verehre sie als Künstlerin, gratuliere ihr herzlich zum Geburtstag und wünsche ihr noch ein langes Leben zusammen mit ihrer Partnerin Lilly Grote. Mehr zu Elfi Mikesch auf ihrer Website http://elfi-mikesch.com/
24. Mai 2015
DAS GROSSE MUSEUM
Wir haben kürzlich, geführt von dem mit uns befreundeten Kurator Franz Kirchweger, die Kunstkammer Wien im Kunsthistorischen Museum besucht, die vor zwei Jahren nach einer Neugestaltung wieder eröffnet wurde. In zwanzig Themenräumen werden dort Gold-schmiedearbeiten (wie die berühmte Saliera von Benvenuto Cellini), Skulpturen, Bronze-figuren, Elfenbein-arbeiten, wissenschaft-liche Instrumente, Uhren, Spiele, technische Automaten und einige Gemälde präsentiert. Die über 2.000 Exponate sind in auffallend hohen Vitrinen ausgestellt und bekommen durch die Lichtgestaltung von Olafur Eliasson eine spezielle Ausstrahlung. Ein beeindruckender Gang durch 800 Jahre Kunst- und Kulturgeschichte. – Im vergangenen Jahr wurde im Forum der Berlinale der Film DAS GROSSE MUSEUM von Johannes Holzhausen gezeigt, den ich damals nicht gesehen habe. Jetzt ist bei „navigator film“ die DVD des Films erschienen, die sehr zu empfehlen ist. Holzhausen hat 14 Monate lang das Innenleben im Kunsthistorischen Museum beobachtet: Konferenzen und Budget-Besprechungen, Platzierungen und Hängungen, Verhandlungen der Generaldirektorin und des Kaufmännischen Direktors, alltägliche Arbeitsvorgänge, die Verabschiedung eines Direktors in den Ruhestand und am Ende die Eröffnung der Kunstkammer durch den Bundespräsidenten. Der Film verzichtet auf einen Kommentar. Er nutzt Bildperspektiven für optische Effekte, und das Gebäude mit seinen Deckengemälden bietet eigene Schönheiten. Manche Beobachtungen werden dramaturgisch nicht aufgelöst, der gesamte Besucherbereich ist ausgespart (im Gegensatz zu Frederick Wisemans THE NATIONAL GALLERY), aber der Blick hinter die Kulissen einer ehrwürdigen Institution bietet viele Überraschungen und Impressionen, die spannend und aufschlussreich sind. Das Booklet enthält zwei informative Texte von Philipp Blom („Über das Lachen im Museum“ und über den Film DAS GROSSE MUSEUM) sowie ein Gespräch von Claus Philipp mit Johannes Holzhausen. Auf einer Bonus-DVD findet man nicht verwendete Szenen, Aufnahmen von Automaten und Geräten im Betrieb und ein Interview mit dem Regisseur Holzhausen. Mehr zum Film: das-grosse-museum.html
22. Mai 2015
Kino im Berliner Osten 1900-1930
Über die Geschichte des frühen Kinos in Deutsch-land ist inzwischen umfangreich geforscht und publiziert worden, aber es lassen sich, wie das Buch „Die Welt im Licht“ von Esther Sabelus und Jens Wietschorke zeigt, noch viele Lücken füllen. Vor allem über die soziale Zusammensetzung des Kinopublikums vor dem Ersten Weltkrieg und seine Rezeptionsweisen wissen wir zu wenig, auch wenn die Dissertation von Emilie Altenloh „Zur Soziologie des Kino“ (publiziert 1914) Grundlagen geschaffen hat. Ihr Terrain war damals Mannheim und Heidelberg. Sabelus und Wietschorke fokussieren ihren Blick auf den Berliner Osten, einstmals die klassische Arbeitergegend der deutschen Hauptstadt. Der von ihnen zusammengestellte Band enthält sieben Quellentexte: die Berichte über die Kinematographen-Theaterbesuche von Eduard Bruhns (1912), den Essay „Kino im Osten“ von Elisabeth Benzler (um 1916), den Text „Kino in der Münzstraße“ von Siegfried Kracauer (1932), einen Text von E. Schmid über „Lichtspieltheater in der Frankfurter Alle, Südseite“ (um 1930) und drei anonyme Texte über Kinos der Region (auch um 1930). Mit kommentierenden Essays geben Sabelus und Wietschorke den Quellentexten einen vertiefenden Hintergrund. So erfahren wir zunächst etwas über die „Soziale Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost“ (SAG), die 1911 gegründet wurde und in kleinen Feldstudien empirische Sozialforschung betrieb. Als Beispiel dafür werden die Aufzeichnungen des Theologie-Studenten Eduard Bruhns dokumentiert. Sehr lesenswert ist der dann folgende Essay von Esther Sabelus „Vom Lärmen Berliner kinematographischer Theater“, in dem es um die Rolle der „Kino-Erklärer“ geht, die in der Stummfilmzeit – neben der Musik – eine wichtige Funktion hatten. Sabelus führt auch in den Text der damaligen Lehrerin Elisabeth Benzler ein und erweitert den Horizont mit ihrem Blick auf die Anfänge der Kinoforschung. Wietschorke referiert über Siegfried Kracauer und das Berliner Kino um 1930 und informiert über die Kartografierung der frühen Kinos. Sabelus dokumentiert in einer umfänglichen Listung die Kinos in den Straßen des Berliner Ostens, die auf einer beigelegten Karte verzeichnet sind, beginnend mit dem noch heute existierenden Babylon. Das Buch beeindruckt nicht nur durch seinen hohen Informationswert, sondern auch durch die vielen Abbildungen in bester Druckqualität. Mehr zum Buch: programm/kino-berlin/
21. Mai 2015
Ingrid Bergman
Sie kam 1939 aus Europa nach Hollywood, wurde zu einer Ikone des amerikanischen Starkinos, kehrte zehn Jahre später nach Europa zurück, ging eine skandalträchtige Partnerschaft mit dem Regisseur Roberto Rossellini ein, von dem sie sich nach sieben Jahren wieder trennte und setzte ihre Filmkarriere fort, die mit der HERBST-SONATE von Ingmar Bergman endete. Die Namensnähe hat fast metaphorischen Charakter. Am 29. August wird der 100. Geburtstag von Ingrid Bergman gefeiert. Sie starb an ihrem 67. Geburtstag in London an einer Krebserkrankung. Birgit Haustedt hat jetzt bei Ebersbach & Simon ein schönes Buch über Ingrid Bergman publiziert. Es ist nicht so umfassend wie die Biografie von Donald Spoto (1998), nicht so bildreich wie der Prachtband von Lothar Schirmer und der Bergman-Tochter Isabella Rossellini (2013), es wirkt fast bescheiden, aber es ist kenntnisreich geschrieben, die Abbildungen sind gut ausgewählt und haben drucktechnisch eine hohe Qualität. IB-Fans erwarten natürlich mehr von einem Buch über ihren Star, aber für neugierige, kulturell interessierte Leserinnen und Leser ist dies ein empfehlenswerter Einstieg. Manuela Reichart hat kürzlich bei Deutschlandradio Kultur hörenswert darüber gesprochen, das ist hier zu lesen: 319493 . Mehr zum Buch: ingrid-bergman
20. Mai 2015
1965. Der kurze Sommer der DDR
Es war das berühmte, folgenreiche 11. Plenum des Zentralkomitees der SED, das im Dezember 1965 die Aufbruchs-stimmung bei vielen Künstlern der DDR zum Erliegen brachte, das zu einem Dutzend Verboten neuer DEFA-Filme führte und für die Literatur, das Theater, das Kino, die Musik und die Bildende Kunst in der DDR fatale Konsequenzen hatte. Zentrale Themen des 11. Plenums waren die Wirtschaft und die Kultur. Zur Schlüsselfigur wurde Erich Honecker, der sich mit Walter Ulbricht einen internen Machtkampf lieferte und, unterstützt von seiner Frau Margot, die von Ulbricht zunächst akzeptierten Reformen in den Bereichen Jugend und Kultur rigoros stoppte. Das Buch von Gunnar Decker erzählt die Geschichte des Jahres 1965 in vielen Facetten, aus unterschiedlichen Perspektiven, nimmt natürlich Partei für die kreativen Künstler und ist eine höchst spannende Lektüre. Drei große Kapitel teilen den Text: „Der Aufstieg“, „Der Absturz“, „Die Trümmer“. Strukturiert wird er durch zahlreiche Unterkapitel, in denen oft eine Person im Zentrum steht. Das sind für den Bereich Literatur u.a. Erwin Strittmatter, Stephan Hermlin, Brigitte Reimann, Christa Wolf, Franz Fühmann, Maxie Wander, Hermann Kant, Werner Bräuning, Fritz Rudolf Fries, Erik Neutsch, Johannes Bobrowski, Benno Pludra, Stefan Heym, Helga M. Novak, Volker Braun und am Rande auch Anna Seghers, fürs Theater Wolfgang Langhoff, Adolf Dresen, Heiner Müller, Benno Besson, Peter Hacks, für den Film Heiner Carow (mit dem Verbotsfilm DER VERLORENE ENGEL und dem langwierigen Projekt „Simplicius Simplizissimus“), Egon Günther (mit WENN DU GROSS BIST, LIEBER ADAM und ABSCHIED), Kurt Maetzig (mit der Auseinandersetzung um DAS KANINCHEN BIN ICH), Frank Beyer (mit dem späten Verbot von SPUR DER STEINE), Konrad Wolf, der sich relativ spät zu Wort gemeldet hat, für die Bildende Kunst Fritz Cremer, Willi Sitte, für die Musik Wolf Biermann (auch weit über die Musik hinaus), Klaus Renft, für die Philosophie Wolfgang Heise (der Vater von Thomas Heise), für die Naturwissenschaft Robert Havemann, für die Politik – neben Honecker und Ulbricht – vor allem Alexander Abusch, Hans Bentzien, Klaus Gysi, Kurt Hager, Alfred Kurella, Hans Rodenberg, Paul Verner und Siegfried Wagner. Ich habe in den 1960er Jahren viel über die DEFA und die DDR-Kultur publiziert, deshalb sind mir die genannten Personen relativ vertraut. Und insofern war für mich die Lektüre des Buches auch ein Stück Erinnerungsarbeit. Meine einzige Kritik an Deckers Text: die Literatur wird gegenüber dem Film überproportional gewürdigt. Coverfoto: SPUR DER STEINE. Mehr zum Buch: 1965/978-3-446-24735-2/

