Joris Ivens

2013.IvensVor 25 Jahren wurde sein letzter Film, UNE HISTOIRE DU VENT, in Venedig uraufgeführt, und Joris Ivens erhielt einen Goldenen Löwen für sein Lebenswerk. Ein Jahr später starb er neunzigjährig in Paris. Der Holländer war einer der Großen der internationalen Dokumentarfilm-geschichte, beginnend mit den experimen-tellen Filmen DE BRUG (1928) und REGEN (1929). BORINAGE (1934, mit Henri Storck) und SPANISH EARTH (1937, mit dem Kommentar von Ernest Hemingway) waren wichtige Stationen eines politischen Engagements. Ivens drehte in den späten 1930er Jahren in den USA, unterstützte die indonesische Unabhängigkeitsbewegung, realisierte in den 50er Jahren Dokumentarfilme in Osteuropa, nahm mit verschiedenen Filmen Stellung gegen den Vietnamkrieg und schuf in den 70er Jahren zusammen mit Marceline Loridan den zwölfteiligen Zyklus COMMENT YUKONG DEPLACA LES MONTAGNES über die Kulturrevolution in China. Ich habe Ivens 1974 an der dffb kennen gelernt und damals das Protokoll eines siebenstündigen Gesprächs mit den Studenten ediert („Von Joris Ivens lernen“), später für den Film ZWISCHEN DEN BILDERN ein interessantes Interview mit ihm geführt und mich viel mit seinem Werk beschäftigt. Mein Text „The Flying Dutchman“ steht im Netz (/2001/04/356/ ). Es war eine große Tat von Absolut Medien, eine DVD-Box mit den wichtigsten Ivens-Filmen herauszugeben; der Direktor der Ivens-Stiftung, André Stufkens, hat dazu ein sehr informatives Buch geschrieben. Die Box gehört zum Pflichtbestand jedes Dokumentarfilminteressenten. Mehr zur Box: edition&list_item=53

Das Politische im Dokumentarfilm

2013.ZoomingAm Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien fand im Mai 2012 ein Symposium zu „Produktionen des Politischen im neueren deutschsprachigen Dokumentarfilm“ statt. Der vorliegende Sammelband dokumentiert die Veranstaltung, bei der Theoretiker und Praktiker aufeinander trafen. Das Titelbild spielt mit dem Tandem-Begriff, und Gespräche, zum Beispiel zwischen Anette Baldauf und Katharina Weingartner über den neueren österreichischen Dokumentarfilm oder zwischen Elisabeth Scharang und Dan Christian Ghattas über Intersexualität, sind ein Schwerpunkt der Publikation. Vier „monologische“ Texte bilden die Mitte des Buches: Eva Hohenberger stellt Fragen zu Form und Politik im Dokumentarfilm, Peter Zimmermann gibt einen historischen Überblick über den dokumentarischen Portraitfilm in Deutschland, Georg Seeßlen setzt sich begrifflich und sinnsuchend mit dem Essayfilm auseinander, Christian Schulte äußert sich zur Film-Poetik von Alexander Kluge. Insgesamt haben 22 Autorinnen und Autoren mitgearbeitet. Das Buch aus unserem Nachbarland gibt viele Anregungen für eine Vertiefung der Debatte über den Dokumentarfilm. Mit Literaturhinweisen und akzeptablen Abbildungen. Mehr zum Buch: books/806/7462

Vampirkult im Film

2012.VampireIm Düsseldorfer Film-museum findet zurzeit die Ausstellung „Fürsten der Finsternis“ statt, und dies ist der Katalog – oder besser: das Basisbuch – dazu, heraus-gegeben vom Museums-Chef Bernd Desinger und seinem Vize Matthias Knop im belleville Verlag von Michael Farin. Es enthält sechs größere Aufsätze. Knop sucht nach Vampirmotiven im frühen Film, Desinger biografiert die vier Vampirdarsteller Max Schreck, Bela Lugosi, Christopher Lee und Gary Oldman, Özdan Süzer konzentriert sich auf den hypnotisierenden Blick in Tod Brownings DRACULA (1931), und Karin Woyke reflektiert über weibliche Monstrosität am Beispiel der Vampirin im Film. Zwei umfangreiche Texte stammen von dem Autor Hans Schmid, der eine eigenständige Geschichte des Frankenstein-Films vorbereitet; er analysiert zunächst mit verschiedenen Querverweisen die Filme NOSFERATU – EINE SINFONIE DES GRAUENS (1921) von F. W. Murnau und VAMPYR (1931) von Carl Theodor Dreyer, eingerahmt von den dokumentarischen Filmen UMBRACLE (1970) und VAMPIR (1972) von Pedro Portabella mit Christopher Lee; Schmids zweiter Text ist eine informative Passage durch den europäischen Vampirfilm der 1960er und 70er Jahre. Die zahlreichen Abbildungen sind von exzellenter Qualität, es fehlt ein Register, und nur im Vorwort wird auf die Ausstellung verwiesen. Aber es ist ein schönes Buch. Titelbild: Helen Chandler und Bela Lugosi in DRACULA. Mehr zur Publikation: buch.php?ID=573

Kindheiten

2013.KindheitenIn zehn Texten wird im Band 7 der Reihe „Projektionen“ das Thema Kindheiten in Literatur und Film konkretisiert. Der umfangreichste (Autorin: Bettina Kümmerling-Meibauer) handelt von der Darstellung von Störungen der Kindheit. Hans-Richard Brittmacher beschreibt Lebewesen, die um ihre Kindheit betrogen wurden: Kaspar Hauser und seine Geschwister Mignon und Meret. Anette Kaufmann entwickelt eine kleine Phänomenologie kindlicher Monster im Film. Im Beitrag von Andreas Friedrich geht es um Portale und Spiegelwelten im Fantasyfilm, im ersten Text von Felicitas Kleiner um die Verfilmung der Harry Potter-Romane. Ihr zweiter Text ist kurz und besonders originell, er verbindet Kinder und Fahrräder im Film, „Spritztour mit einem Requisit“. Eva Hiller schreibt über „zu groß geratene Kinder“ und analysiert sehr beeindruckend die Filme PRETTY BABY von Louis Malle, LITTLE MISS SUNSHINE von Jonathan Dayton und Valerie Faris, ABOUT A BOY von Chris und Paul Weitz und WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN von Lynne Ramsey. Natürlich geht es auch immer um die Erwachsenen. Also um uns, die Leser dieses Buches, das Thomas Koebner ediert hat. Mehr zum Buch: neu_werke_default_film

Entgrenzungsfilme

2013.EntgrenzungsfilmeMitte der 1990er Jahre gab es im westeuropäischen Film sichtbare und hörbare Aufbrüche, bei denen die Musik eine dominante Rolle spielte und junge Protagonisten im Zentrum standen. Die Autorin Senta Siewert nennt sie „Entgrenzungs-filme“, ihre wichtigsten Beispiele sind LA HAINE von Mathieu Kasovitz, TRAINSPOTTING von Danny Boyle und LOLA RENNT von Tom Tykwer. Es geht um „Jugend, Musik, Affekt, Gedächtnis“. Nach der Erläuterung ihrer methodischen Vorgehensweise blickt die Autorin zurück auf den Pop im Kino der 60er Jahre und schildert die Transformationen in Film, Musik, Technik und Ästhetik im Kino seit den 90er Jahren. Neben den drei genannten Filmen analysiert sie in Form von Fallstudien die britischen Filme 24 HOUR PARTY PEOPLE von Michael Winterbottom und VELVET GOLDMINE von Todd Haynes, die französischen Filme CLUBBED TO DEATH von Yolande Zauberman, DANS PARIS von Christophe Honoré und LA SCIENCE DES REVES von Michel Gondry sowie die deutschen Filme SONNENALLEE von Leander Hausmann, VERSCHWENDE DEINE JUGEND von Benjamin Quabeck und GEGEN DIE WAND von Fatih Akin. Mit großer Sachkenntnis baut die Autorin die Brücken zwischen Visualität und Tonalität, zwischen Film- und Musikwissenschaft. Mehr zum Buch: entgrenzungsfilme-jugend-musik-affekt-gedaechtnis.html

Kleopatra – Der Katalog

2013.KleopatraZur Kleopatra-Ausstellung der Bonner Kunsthalle (sie ist noch bis zum 6. Oktober zu sehen) ist im Hirmer Verlag ein Katalog erschienen, der alle Qualitäten eines definitiven Kleopatra-Buches hat. Die 180 meist ganzseitigen Abbildungen machen den Wandel des Bildes dieser rätselhaften Frau über die Jahrhunderte deutlich: die frühen Statuen und Plastiken, die Gemälde der Renaissance, die neuen Akzentuierungen im 19. Jahrhundert und natürlich die unvergesslichen Darstellungen im Film, vor allem durch Claudette Colbert (1934), Vivien Leigh (1945) und Liz Taylor (1963). Elisabeth Bronfen, mit Diven-Geschichten bestens vertraut, beschreibt in ihrem Einführungsessay die Darstellung und Rezeption (mit einem schönen Exkurs zu Shakespeare) im historischen Kontext und räumt dabei dem Film einen besonderen Platz ein. Die Co-Kuratorin Agnieszka Lulinska liefert Anmerkungen zur Biografie der mythischen Person. In zehn Einzelkapiteln verschiedener Autorinnen und Autoren geht es u.a. um Kleopatra im Doppelporträt mit Königin Elizabeth I., um Kleopatra in der französischen Kultur des 19. und frühen 20. Jahrhundert, um ihr Nachleben im Musiktheater, in der Popmusik, in der Mode. Der Katalogteil wird eingerahmt von Andy Warhols Siebdrucken „Blue Liz as Cleopatra“ und „Silver Liz as Cleopatra“. Ein außergewöhnlich schönes Buch. Mehr dazu: detail&titelnummer=2088

Rainer Erler 80

2013.Rainer ErlerMorgen wird der Autor und Regisseur Rainer Erler achtzig Jahre alt. Er war immer ein Einzelgänger in der westdeutschen Film- und Fernseh-landschaft, gehörte natürlich nicht zu den „Oberhausenern“, suchte aber nach einer Verbindung von formaler Innovation und inhaltlicher Relevanz. Ich erinnere mich an seine frühen Filme SEELENWANDERUNG (1962) und ORDEN FÜR DIE WUNDERKINDER (1963) und vor allem an PLUTONIUM und FLEISCH aus den späten 1970er Jahren. Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen haben ihm zum Geburtstag eine schmale, aber sehr zugeneigte Festschrift gewidmet. Sie ist eine Passage durch Erlers Werk, würdigt sein Interesse an gesellschaftlich relevanten Themen (Atomenergie, Organhandel, Klimakatastrophe), schildert die Versuche, mit seiner Erzählform ein größeres Publikum zu erreichen. Beispielhaft dafür ist die Serie DAS BLAUE PALAIS in den 70er Jahren (das Titelfoto stammt aus der Folge DAS GENIE, 1974). Interessant war für mich seine Freundschaft zu dem Regisseur Konrad Wolf, die in vielen Briefzitaten dokumentiert ist. Mehr zum Buch, das sich ganz auf seinen differenzierten Text konzentriert: neu_werke_default_film . Vor vier Jahren hat Torsten Musial für die „Archiv-Blätter“ der Akademie der Künste einen sehr bilderreichen Band über Rainer Erler zusammengestellt: /Erler_Publikation.htm

ZUR SACHE, SCHÄTZCHEN

2013.Zur Sache SchätzchenVor 45 Jahren kam dieser Film in die westdeutschen Kinos, und 6,5 Millionen Zuschauer haben ihn damals gesehen. Es ist eine Münchner (Schwabinger) Milieu- und Sprachkomödie, in der zwei Freunde – ein Nichtstuer (Werner Enke) und ein Aktivist (Henry van Lyck) – ironisch und pseudophilosophisch auf ihre bürgerliche Umgebung reagieren. Eine wohlbehütete Tochter (Uschi Glas) wird fester Bestandteil der kleinen Clique. Die Episoden der 24-Stunden-Geschichte fügen sich immer noch schnell und schlagfertig aneinander. Für die Regisseurin May Spils (* 1941) war es das Spielfilmdebüt, dem bis 1984 vier weitere Komödien folgten. Für ZUR SACHE, SCHÄTZCHEN bekamen Werner Enke und May Spils einen Bundesfilmpreis für die Dialoge. Produzent war Peter Schamoni. Für die DVD wurde der Film jetzt digital restauriert. Und zu den Extras gehören zwei Kurzfilme von May Spils: DAS PORTRÄT und MANÖVER, beide von 1966. Mehr zur DVD: /index.php?movie_id=517

Die Filme von Dagmar Beiersdorf

2013.BeiersdorfSie hat zwischen 1971 und 1991 als Regisseurin einen Kurzfilm und fünf abendfüllende Spielfilme realisiert, meist war der Kollege Lothar Lambert ihr Hauptdar-steller. Die Filme von Dagmar Beiersdorf (* 1944) hatten Titel wie PUPPE KAPUTT, DER SEXTE SINN, DIE WOLFS-BRAUT oder EINE TUNTE ZUM DESSERT. Sie handelten von Unterdrückung, Sehnsucht und Emanzipations-versuchen. Sie galten als Westberliner Undergroundkino. Mit der sehr persönlichen Dokumentation KUCK MAL, WER DA FILMT! hat sich Beiersdorf 1997 von der Filmarbeit verabschiedet. Sie arbeitet inzwischen als Malerin. Der Filmjournalist Jan Gympel hat eine schöne Publikation zu ihrem Lebenswerk zusammengestellt. Sie enthält eine Kurzbiografie, ein Gespräch, das nicht realisierte Drehbuch „Alle Mädchen heißen Mäuschen“ (die Lektüre lohnt sich), eine sorgfältig recherchierte Filmografie, einen Aufsatz des Herausgebers, Pressestimmen und eine Bibliografie. Die Basis für Gympels Buch ist eine spürbare Zuneigung zur Protagonistin. Das gefällt mir. Ihre Filme sind wenig bekannte Zeitdokumente. Auf dem Titelfoto: Lothar Lambert als Transvestit in DIRTY DAUGHTERS. Mehr zum Buch: 2011%203%22

LOST HIGHWAY von David Lynch

UMS2079.inddMit dieser Dissertation hat Hauke Haselhorst im Fachbereich Anglistik an der Universität Bielefeld promoviert. In ihrem Zentrum steht der ziemlich kryptische Film LOST HIGHWAY (1996) von David Lynch. Der Autor enträtselt den Film durch eine detaillierte Analyse seiner mythischen Grundstrukturen. Er folgt dabei den archetypischen Modellen des Monomythos von Joseph Campbell. Das erste Drittel der Arbeit ist den Voraussetzungen zur Filmsemiotik und zum filmischen Zeichen und der Theorie des Monomythos gewidmet, die sich mit der Archetypenlehre von C.G. Jung verbindet. Der Hauptteil beeindruckt mit einer Analyse des Lynch-Films, die nach einem Sequenzprotokoll in neun Abschnitte aufgeteilt ist. Drei Teile dominieren den Text: eine erste Deutung des Films im Sinne des Fabula- und Storybegriffs, die Signalisierung der Verlustgefühle als Auslöser der mythischen Fahrt und der Auftritt des Mystery-Man als Bote und Helfer. Die zahlreichen (farbigen) Abbildungen sind hilfreich und von erstaunlicher Qualität. Mehr zum Buch: de/ts2079/ts2079.php