Dietrich & Hemingway

Hans-Peter Rodenberg (*1952) ist Professor für Film, Neue Medien und American Cultural Studies an der Universität Hamburg, macht Dokumentarfilme und hat 1999 bei Rowohlt eine Hemingway-Biografie publiziert. In seinem neuen Buch (Insel) erzählt er eine Beziehungsgeschichte, von der manches bekannt gewesen und einiges bisher geheimnisvoll geblieben ist. Roden-bergs Hauptquelle ist der Briefwechsel zwischen Dietrich & Hemingway, der in Boston verwahrt wird. Er hat ihn zu einer kleinen Doppelbiographie verwoben, mit vielen Sekundärinformatio-nen verbunden und zu einem weitgehend unterhaltsamen Text ver-arbeitet. Im Mittelpunkt steht die Zeit von 1934 (erste Begegnung auf dem Ozeandampfer „Ile de France“) bis 1961 (Hemingways Tod). Die Ernest-Seite wirkt besser recherchiert, auf der Marlene-Seite stören die deutschen Titel ihrer amerikanischen Filme und manche saloppen Formulierungen. Mehr über das Buch: rodenberg_35794.html. Manuela Reichart hat das Buch sehr freundlich im Deutschlandradio besprochen: kritik/1764537/

Alain Resnais

Vor neun Tagen ist er neunzig Jahre alt geworden. Sein neuester Film lief im Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes. Sein Ruhm gründet sich vor allem auf zwei Filme der 1950er Jahre: den Kurzfilm NUIT ET BROUILLARD (1955) und den Spielfilm HIROSHIMA, MON AMOUR (1959). Die vorliegende Dissertation von Sophie Rudolph (*1978) bewältigt die große Schwie-rigkeit, die sehr unterschiedlichen Filme dieses Regisseurs in einen Autorenzusammenhang zu stellen. Dies gelingt ihr durch den Bezug auf André Bazins Plädoyer für ein cinéma impur, ein Kino der „Unrein-heit“. Rudolph strukturiert Resnais Filme in drei Perioden, in eine „ursprüngliche“, eine „literarische“ und eine „theatralische“ Unreinheit der filmischen Inszenierung. Was in dieser verkürzten Formulierung noch verkopft klingt, bekommt in den konkreten Analysen der Filme eine nachvollziehbare Logik. Für Resnais-Liebhaber eine Pflichtlektüre. Mit Abbildungen in unterschiedlicher Qualität.

Alan J. Pakula

Er war einer der Großen des amerikanischen Kinos der 1970er und 80er Jahre. 1998 starb er kurz nach seinem 70. Geburtstag nach einem Autounfall in der Nähe von New York. Natürlich erinnert man sich an KLUTE, THE PARALLAX VIEW, ALL THE PRESIDENT’S MEN, SOPHIE’S CHOICE und THE PELICAN BRIEF. Im Heft 26 der Film-Konzepte, herausgegeben von Claudia Mehlinger und René Ruppert als Gästen, werden diese Erinnerungen in sieben Beiträgen vertieft. Gerhard Midding thematisiert die Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur Robert Mulligan und dem Produzenten Pakula, Johannes Pause analysiert die Politthriller von Pakula, Kathrin Zeitz, Claudia Mehlinger, René Ruppert und Andreas Rauscher widmen sich jeweils einem oder zwei Filmen von Pakula, und Thomas Koebner geht dem „aufwühlenden“ Film SOPHIE’S CHOICE auf den Grund. Ein Anlass, sich diesen und einige andere Pakula-Filme wieder anzuschauen.

Cui bono, Fred Gehler?

Im Kino Arsenal in Berlin wird heute von der DEFA-Stiftung ein neuer Band ihrer Schriftenreihe präsentiert: „Cui bono, Fred Gehler? Texte und Kritiken aus fünf Jahrzehnten“, herausgegeben von Ralf Schenk. Fred Gehler (* 1937) war ab Ende der 1950er Jahre freischaffender Filmpublizist in der DDR, schrieb für den Sonntag, die Deutsche Filmkunst und Film und Fernsehen. Mitte der 60er hatte er Schwierigkeiten mit der Politik (darauf spielt der Titel der Publikation an). Als Autor, Herausgeber und Filmemacher hatte Gehler den internationalen Film im Blick. Er war von 1994-2003 Direktor des Leipziger Dokumentar- und Animationsfilm-Festivals.

„Meine Frau sagt…“

Dies ist ein sehr lustiges und sehr trauriges Buch. Es ist lustig, weil der Autor auf wunderbare Weise die ganz alltäglichen Probleme, die es im Leben und in einer Beziehung gibt, auf den Punkt bringt: nachts zu träumen, morgens aufzustehen, zu frühstücken, den Kühlschrank zu füllen, die angemessene Garderobe zu tragen, die Wohnung umzu-räumen, Fußball im Fernsehen anzuschauen, über Prinzipien zu reden, über Geschenke nachzu-denken, DVDs zu sammeln, den Hund zu versorgen, die Umsatz-steuer-Erklärung auszufüllen, sich Passwörter zu merken, Tango zu tanzen, über Kinderfilme zu streiten und Scrabble zu spielen. Ein eigenes Kapitel ist dem Reisen vorbehalten: mit 16 Unterkapiteln, beginnend mit dem Kofferpacken und endend mit dem Wort „Bikinistreifen“. Und es gibt vier Dialoge mit den Kindern Artur und Teresa, die von Mädchen, von Jungen und von Altersunterschieden handeln. Das Buch ist sehr traurig, weil der Autor, der über so viel Lebensklugheit verfügte, seit einem Jahr tot ist. Und wenn man das Buch liest und immer wieder lachen muss, dann wird einem in jedem Moment bewusst, wie groß der Verlust ist und welche Fallhöhe es in der Komik, im Lachen und im Leben gibt. Mit Illustrationen von Kat Menschik, einem Vorwort von Frank Schirrmacher und einem Nachwort von Claudius Seidl.

Geoff Dyer: Die Zone

Dies ist „ein Buch über einen Film über eine Reise zu einem Zimmer“. Der englische Schriftsteller Geoff Dyer (*1958) macht uns zum Teilnehmer seiner sehr persönlichen Lektüre des Films STALKER (1979) von Andrej Tarkovskij. Der Film handelt von einer Expedition: Unter der Führung eines Ortskundigen, der am Rande der Welt in einer verfallenen Industrielandschaft lebt, begeben sich ein Wissenschaftler und ein Schriftsteller in die mysteriöse „Zone“, wo es einen Raum geben soll, an dem die geheimsten Wünsche in Erfüllung gehen. Es wird eine Reise in die Innenwelt der Protagonisten. Dyer, ein Kenner der Kino- und Kulturgeschichte, ist kein Analytiker, sondern ein Entdecker, der assoziative und originelle Querverbindungen herstellt und Tarkovskijs Film neue Subtexte gibt. Das liest sich – inklusive der zahlreichen Fußnoten – wie ein spannender Reiseroman. Von Marion Kagerer hervorragend übersetzt. Verlag: Schirmer/Mosel.

Spiel mit der Wirklichkeit

Bei der Wiedergabe der Wirklichkeit(en) befinden sich Dokumentation und Fiktion in Film und Fernsehen seit längerer Zeit in einem zunehmenden Spannungsverhältnis. Die Publikation, herausgegeben von Werner C. Barg (Autor und Produzent), Kay Hoff-mann (Studienleiter Wissenschaft im Haus des Dokumentarfilms) und Richard Kilborn (Dozent an der University of Stirling), beschreibt Entwicklungen in Deutschland und Großbritannien und ordnet den gegen-wärtigen Stand der Dinge. In drei Großkapiteln (Dokument und Fiktion im Spiel- und Dokumentarfilm, Entwicklung hybrider TV-Formate, Doku-Drama und historisches Re-Enactment) liefern 17 Texte Rückblicke, Bestandsaufnahmen und Ausblicke. Unter den Autorinnen und Autoren sind die drei Herausgeber mit jeweils mehreren Beiträgen vertreten. Von Martina Döcker stammt ein schöner Essay über sieben Richtungen im Dokumentarfilm. Zwischen den Texten gibt es acht Interviews: mit Carl Bergengruen und Manfred Hattendorf (SWR), Stephen Lambert (produziert in London „factual entertainment programmes“), Carl-Ludwig Rettinger (Lichtblick Film, Köln), Michael Kloft und Marc Brasse (Spiegel-TV), Taylor Downing (Flashback Television), Uwe Kersken (Gruppe 5, Köln), Guido Knopp und Stefan Braunburger (ZDF), Nico Hofmann (teamWorx). Mit vielen, gut reproduzierten Abbildungen. Das Titelfoto ist ein bekanntes Dokument und stammt aus dem Film TODESSPIEL von Heinrich Breloer. Mehr über das Buch: 40a6ea8098a99cbe0aa2e/

Das Drama der Identität

Die Autorin Nathalie Weidenfeld erläutert zunächst die Theorien des klassischen und des nicht-klassischen Films, definiert den „homo agens“ und den „homo performans“ als Grundtypen filmischen Erzählens und plädiert für eine Revision formalistischer Filmnarratologie. Das sind 40 Seiten Wissenschaftsanstrengung. Im zweiten Teil (110 Seiten) werden sieben Filme analysiert:  Es handelt sich um ANTICHRIST, MATRIX, GATTACA, FRÜHLING, SOMMER, HERBST, WINTER … UND FRÜHLING, MEMENTO, 8 ½ und AUSSER ATEM. Die Analysen sind sehr konkret und einleuchtend.

Der deutsche Schlagerfilm

„Ohne Sinn und Verstand“ hieß vor 32 Jahren die Titelgeschichte der legendären Zeitschrift Filme über den deutschen Schlagerfilm. Sie handelte von Caterina Valente und Peter Alexander, von Vico Torreani, Vivi Bach und Conny & Peter. Jetzt ist die erste Dissertation zu diesem Thema publiziert worden. Sie stammt von Daniela Schulz, die damit an der Kölner Universität promovierte. Die Autorin, das ist ein großer Vorteil des Buches, hat ein positives Verhältnis zu ihrem Thema. Auf der Suche nach historischen Genrebezügen wird sie sowohl bei der deutschen Tonfilmoperette wie beim amerikanischen Musical fündig. Sie bezieht vor allem in den 1960er und 70er Jahren die Entwicklung des Fernsehens ein. Sie unterscheidet den Schlagerfilm vom Heimatfilm und sichert sich (es handelt sich ja immerhin um eine Dissertation) mit 800 Quellenverweisen auch wissenschaftlich ab. Ein schönes Kapitel ist dem Vorspann gewidmet, hier gibt es auch einzelne Abbildungen. Eine sehr konkrete Analyse gilt dem SCHWARZWALDMÄDEL-Film von Hans Deppe. Und am Ende geht es um „Film und Fernweh“. Verlag: Transcript.

Ed Wood

Edward Davies Wood jr. (1924-1978) war Regisseur, Schauspieler, Produzent, Autor und galt als ziemlich verrückt. Für seine Filme hat sich der Begriff „Trash“ eingebürgert. Daniel Kulle ist diplomierter Polarökologe und Fotosyntheseforscher. Er hat die Fächer gewechselt und in Zürich, betreut von Ursula von Keitz und Margrit Tröhler, eine Dissertation über Ed Wood verfasst. Ihre Hauptkapitel heißen Theorie, Geschichte, Genre, Ästhetik und Dilettantismus. Sie gehen der Frage nach, wie ein ziemlich sinnloser Film mit dem Titel PLAN 9 FROM OUTER SPACE zu einem Cult-Produkt werden kann und sein Regisseur zu einer Cult-Figur. Kulles Erkenntnisse sind sehr konkret, sie ergründen das Phänomen der billigen Filme und entdecken Alternativen in der so widersprüchlichen Hollywood-Welt. Am Ende wird auch Tim Burtons Ed Wood-Film (1994) ins Visier genommen: zu glatt und trivial. Eine ungewöhnliche Dissertation, die originell gedacht und gut formuliert ist. Und weil das Buch bei Bertz + Fischer erschienen ist, haben auch die Abbildungen ein hohes Niveau.