08. April 2015
Paris
„Paris im Film“ heißt das Buch von Rüdiger Dirk und Claudius Sowa, das vor zwölf Jahren bei belleville in München erschienen ist: ein Führer zu 600 Filmen mit Paris als Dreh- und Handlungsort. Es hat einen festen Platz in meinem Bücherregal. Der neue Reiseführer „on location“ im Schüren Verlag ist schmaler und natürlich aktueller. 127 Cafés, Restaurants und Hotels hat Anette Krischer fotografiert, die als Drehorte für 166 vorzugsweise französische und amerikanische Filme gedient haben. Jeweils ein Screenshot (schwarzweiß), eine kurze Zusammenfassung der Handlung, Cast und Credits (Regie und Kamera) werden von der Autorin mit den Drehorten konfrontiert. In einer kurzen Einleitung geht es zunächst um die Stadt als Hauptdarsteller, die Arrondissements und ihren sozialen Status. Dann folgt der Gang durch die Arrondissements, von 1 („Louvre“) bis 20 („Ménilmontant“). Beim Blättern liest man sich fest, erinnert sich an viele Filme und bekommt Respekt vor dem Fleiß und der Kompetenz der Autorin. Das Buch wird uns bei der nächsten Parisreise begleiten. Coverfoto: Walter Matthau und Audrey Hepburn in CHARADE (1963) von Stanley Donen. Ihr Treffpunkt ist das Bistrot „Le Cochon à l’Oreille“ in der rue Montmartre. Anmerkung der Autorin: „Das Lokal wurde eventuell im Studio nachgebaut.“ Der Film hat (wie viele andere auch) mehrere wichtige Schauplätze in Paris; ein zweiter ist das Hôtel Maxim in der rue Censier, das im Film „Hôtel Saint-Jacques“ heißt. Auch das wird im Buch mitgeteilt. Mehr zum Buch: orte-des-kinos-paris.html
07. April 2015
Texte von Edgar Reitz
„Zeitkino“, heraus-gegeben von Christian Schulte, ist der 17. Band der Reihe „Texte zum Dokumentarfilm“, die seit 1996 – unterstützt von der Dokumentarfilm-initiative im Filmbüro NW – im Verlag Vorwerk 8 erscheint. 38 Texte von Edgar Reitz und zwei Gespräche mit ihm sind in der Publikation abgedruckt. Es handelt sich teilweise um Nachdrucke, zum Beispiel aus den Büchern „Liebe zum Kino“ von Edgar Reitz, erstmals erschienen im Verlag KÖLN 78 von Joachim von Mengershausen, und „“Bilder in Bewegung“ von Edgar Reitz, erschienen 1995 im Rowohlt Taschenbuch Verlag. 15 Texte und die beiden Gespräche werden hier zum ersten Mal veröffentlicht. Dazu gehören ein Tagungsbeitrag zum Thema „Was ist ein Film-Autor?“ (1995/96), eine Laudatio auf den Komponisten Josef Anton Riedl (1996), ein Kommentar „Über den Einfluss des Fernsehens auf das deutsche Kino“ (1999), ein Fragment über „Erzählen im Film“ (2006), Überlegungen zur „Rettung des Ich in der Kunst“ (formuliert im St. Josephs-Krankenhaus im April 2009, „immer noch ein wenig fiebrig“), Antworten auf die Frage „Was heißt wirklich, was heißt schön im Kino?“ (2009), ein Brief an den Komponisten Helmut Lachenmann (2009), Gedanken zum „Kino der Zukunft“ (2013), ein „Versuch über die Wirkungsweise des Schwarzweiß-Films im Vergleich zum Farbfilm“ (2014) und ein „Grußwort an die Studierenden der HFF München“ (2014). Es sind immer interessante Gedanken, die Edgar Reitz formuliert, denen viele eigene Erfahrungen zugrunde liegen. Auch in den beiden bisher unveröffentlichten Gesprächen (mit David Brückel, 2009, und Brigitte Leierseder-Riebe, 1992) wiederholt Reitz nicht einfach etwas schon Gesagtes, sondern denkt über die Fragen nach und antwortet mit neuen Kontexten. Wenige Abbildungen, mit einer Filmografie. Dass der Spielfilm in diesem Band im Mittelpunkt steht, fügt der Buchreihe „Texte zum Dokumentarfilm“ keinen Schaden zu. Mehr zum Buch: php?id=194
03. April 2015
Das Medium ist die Zukunft
Im Science-Fiction-Film hat die Darstellung der Medien natürlich eine große Bedeutung. Im Prinzip sind der Phantasie da wenig Grenzen gesetzt bis hin zur Ununterscheidbarkeit zwischen Realität und medialer Präsen-tation. In der Filmwissenschaft wird das Thema verhältnismäßig selten untersucht. David Ziegenhagen, Mitarbeiter am Institut für Medien und Kommunikation der Universität Hamburg, schafft eine Basis, wenn er zunächst die Forschungslage klärt, das Genre definiert, den Medien-Begriff klärt und die unterschiedlichen Darstellungen der Medien im Science-Fiction-Film auffächert. Das geschieht mit wissenschaftlichen Absicherungen durch Marshall McLuhan über Lothar Mikos bis zu Hartmut Winkler und nimmt die erste Hälfte des Buches in Anspruch. Die zweite, für mich spannendere Hälfte ist der Analyse von fünf Filmbeispielen gewidmet. Es handelt sich dabei um FAHRENHEIT 451 (1966) von François Truffaut, MINORITY REPORT (2002) von Steven Spielberg, EQUILIBRIUM (2002) von Kurt Wimmer, CHILDREN OF MEN (2006) von Alfonso Cuarón und STARSHIP TROOPERS (1997) von Paul Verhoeven. Hier ist der Autor nah an den Bildern der Filme, beschreibt die dargestellte Medienzukunft sehr konkret und liefert spannende Erkenntnisse. Die zumeist kleinen Abbildungen haben eine erstaunliche Qualität. Mehr zum Buch: ziegenhagen-david
02. April 2015
Die Kunst der Filmkomödie
Man kann sie alle googeln oder gleich bei Wikipedia aufrufen: die Komiker, die Gags, die Regisseure, die in diesem Buch versammelt sind. Braucht man da noch zwei Bände über „Die Kunst der Filmkomödie“ (im zweiten Band werden die tausend besten Filmkomödien präsen-tiert)? Ja, unbedingt, sie sind nützlich und wichtig, weil die beiden Autoren für ihre Liebe zum Genre und für ihren Sachverstand bekannt sind. Franz Stadler (*1940) war Berlins bekanntester Kinomacher, er hat das „filmkunst 66“ gegründet und unendlich viele Filme gesehen. Manfred Hobsch (*1951) ist Filmjournalist, hat Starmonografien geschrieben und Bücher über das Genrekino publiziert. Ihre Texte sind keine Datensammlungen, sondern Ergebnis subjektiver Einschätzungen und schöner Beschreibungen. Der erste, jetzt vorliegende Band gliedert sich in drei Teile. Teil 1 handelt von den Grundformen und Handlungsmustern der Filmkomödie, von ihren Subgenres, von personellen Konstellationen, von den klassischen Themen (zum Beispiel: David gegen Goliath, Culture Clash, Missverständnisse und Verwechslungen, Rollen- und Geschlechtertausch, komische Prämissen, kleine Fluchten, unvorhergesehene Ereignisse) und konkretisiert zwanzig Grundgags der Filmkomödie. Teil 2 ist ein ABC siebzig großer Filmkomiker, von Abbott & Costello bis zu Robin Williams. Teil 3 porträtiert die 63 „besten“ Komödienregisseure, von Pedro Almodóvar bis Robert Zemecki. Es ist natürlich kein Buch, das man von Anfang bis Ende liest. Es lohnt sich, Stichproben zu machen. Also habe ich die Texte zu fünf Lieblingsregisseuren gelesen: den Coen-Brothers, Blake Edwards, Ernst Lubitsch, Alain Resnais, Billy Wilder. Sie sind präzise, treffen einen Kern, haben einen persönlichen Tonfall. Das positive Urteil bestätigt sich auch bei den Komikern, zum Beispiel bei den Texten über Woody Allen, Loriot, Karl Valentin oder Mae West. Wie immer in Genrebüchern (außer beim Melodram), sind Frauen unterrepräsentiert. Und der deutsche Film ist es natürlich auch. Aber das beschädigt nicht die Qualität der Texte. Filmauswahllisten sind angefügt, Fotos in akzeptabler Qualität lockern den Band auf. Er steht jetzt neben drei anderen Büchern in meinem Regal: Georg Seeßlens „Klassiker der Filmkomik“ (1982), Thomas Brandlmeiers „Filmkomiker“ (1983) und dem Reclambuch „Filmgenres. Komödie“ (2005), das Heinz-B. Heller und Matthias Steinle herausgegeben haben. Ich freue mich auf den zweiten Band der „Kunst der Filmkomödie“. Mehr zum Buch: filmkomodie.html
01. April 2015
O. W. Fischer 100
Er war der große Star des westdeutschen Films der 1950er Jahre. Heute ist der 100. Geburtstag des Schauspielers Otto Wilhelm Fischer, dessen Vornamen immer auf O.W. verkürzt wurden. Er gehörte nie zu meinen Lieblingsschau-spielern, aber ich habe ihn in seinen großen Rollen sehr respektiert: als Regisseur Frank Tarnau in Harald Brauns SOLANGE DU DA BIST (1953), als bayerischen Märchenkönig in Helmut Käutners LUDWIG II. (1955), auch als Hauptmann Bluntschli in der Komödie HELDEN (1958) von Franz Peter Wirth. Seine Partnerinnen waren da Maria Schell, Ruth Leuwerik und Liselotte Pulver, also die großen weiblichen Stars der Fünfziger, mit denen er oft zusammenspielte. O. W. Fischer war so etwas wie die Inkarnation einer Kinopopularität, wie es sie später in Deutschland nicht mehr gegeben hat. Großen Erfolg hatte er als Arzt Friedrich Struensee in HERRSCHER OHNE KRONE (1957) von Harald Braun, als Millionendieb PETER VOSS (1958 und 1959) von Wolfgang Becker bzw. Georg Marischka, als Geheimagent Thomas Lieven in der Simmel-Verfilmung ES MUSS NICHT IMMER KAVIAR SEIN (1958, zwei Teile) von Geza von Radvanyi mit Eva Bartok und Senta Berger als Partnerinnen. Er hat gern elegante, geheimnisvolle, etwas melancholische Männer gespielt. Sein österreichisches Timbre war dafür hilfreich. Zweimal hat er selbst Regie geführt: in HANUSSEN und ICH SUCHE DICH (beide 1955), aber das war ihm offenbar zu anstrengend. In den 1960er Jahren neigte sich seine Karriere dem Ende zu. Es gab noch einige Auftritte im Fernsehen, dann war Schluss. Als Privatgelehrter widmete sich Fischer danach der Philosophie und Theologie, schrieb eine Autobiografie über seine Jugend, „Engelsknabe war ich keiner“ (1986), und ein Erinnerungsbuch, „Meine Geheimnisse“ (2000). Er starb im Januar 2004 im Alter von 88 Jahren. Seine Bedeutung für die deutsche Film- und Kinogeschichte sollte man nicht unterschätzen.
31. März 2015
Nazi Past in German Cinema
Seit der deutschen Einigung, also in den letzten 25 Jahren, ist die Nazi-Vergangenheit öfter im Film und Fernsehen thematisiert worden als in der Zeit davor. Rund 60 einschlägige Titel nennt der Autor im Anhang, es handelt sich um Spielfilme und Dokumentarfilme, um Arthouse- und Mainstream-Filme, um Kino- und TV-Produktionen. Die Breite des Spektrums macht es spannend, sich auf die ganz unterschiedlichen formalen Lösungen der Filme-macherinnen und Filmemacher einzulassen, also auf eine Familiengeschichte wie Malte Ludins 2 ODER 3 DINGE, DIE ICH VON IHM WEISS oder ein Porträt wie IM TOTEN WINKEL – HITLERS SEKRETÄRIN von Andre Heller und Othmar Schmiderer, auf die Filme von Michael Kloft für Spiegel TV oder die Dokumentationen von Guido Knopp fürs ZDF, auf die Katastrophenfilme DRESDEN von Roland Suso Richter oder DIE GUSTLOFF von Joseph Vilsmaier, die Hitler-Filme GESPRÄCH MIT DEM BIEST von Armin Mueller-Stahl oder DER UNTERGANG von Oliver Hirschbiegel, die Widerstands-Filme SOPHIE SCHOLL – DIE LETZTEN TAGE von Marc Rothemund oder STAUFFENBERG von Jo Baier. In vier Kapitel strukturiert Axel Bangert seine Analysen: 1. Close Views of Private Pasts. 1.1. Shameful Exposures: Documenting Personal Stories and Family Histories. 1.2. Intimate Insights: Portraying Nazi Leaders an Resistance Activists. 2. Seductive Encounters with Nazi Perpetrators. 2.1. Monstrous Fascinations: Face to Face with Evil. 2.2. Homoerotic Attractions: Inside the Third Reich. 3. Immersive Spectacles of Public Pasts. 3.1. A Hollywood Aesthetics of German Trauma. 3.2. Event Television an Media Convergence. 4. Unifying Legacies of National History? 4.1. The Holocaust at Home. 4.2. The Loss of „Heimat“. 4.3. A Heritage of Destruction. Die Analysen sind sehr konkret und nachvollziehbar, die Sympathien des Autors gehören vor allem den „kleinen“, subjektiven, meist dokumentarischen Filmen. Die Abbildungen sind klein und in der Qualität grenzwertig. Mehr zum Buch: Product=14658
29. März 2015
Vier Ufa-Klassiker in Agfacolor
In den USA dominierte als erstes Farbverfahren Technicolor, dann kamen Kodachrome und Eastmancolor. In Deutschland wurden in den späten 1930er Jahren viel Geld und viele Hoffnungen in das Negativ/ Positiv-System von Agfacolor investiert. Die ersten Ergebnisse waren noch enttäuschend, aber in den Vierzigern – also in der Zeit des Zweiten Weltkriegs – entstand eine Reihe klassischer deutscher Farbfilme, von denen jetzt vier in einer DVD-Box verfügbar sind. Dazu gehört natürlich der erste Agfacolor-Spielfilm FRAUEN SIND DOCH BESSERE DIPLOMATEN, uraufgeführt am 31. Oktober 1941, eine Kleinstadtkomödie, in der es um die Schließung eines Spielkasinos geht, die mit der Liebesgeschichte zwischen einer Tänzerin (Marika Rökk) und einem Rittmeister (Willy Fritsch) verknüpft ist. Die Story ist weniger interessant als der Einsatz der Farben. Hier gibt es erstaunliche Differenzierungen. Am schönsten ist die Wirkung des Blau, das in vielen Nuancen ins Spiel gebracht wird. Das Rot ist zurückhaltend eingesetzt. Grün (eine Schwäche in den ersten Jahren von Agfacolor) kommt kaum vor. Die Uniformen sind durchgehend schwarzweiß. Man spürt, dass es dem Regisseur (Georg Jacoby) nicht um einen bunten Kostümfilm ging, sondern um dezente Wirkungen. Hinter der Kamera standen Konstantin Tschet und (als Farbberater) Alexander von Lagorio. Für die DVD wurde der Film restauriert. Im Bonus-Material sind dafür Beispiele zu sehen. Die zweite DVD enthält den Film DIE GOLDENE STADT von Veit Harlan (1941/42), ein Melodram mit Kristina Söderbaum. Harlan hat damals sehr darum gekämpft, den Film in Farbe drehen zu dürfen. In der zeitgenössischen Kritik wird von „bewundernswerten Bildern, hinreißenden Aquarell- und Pastellfarben“ geschwärmt, die bei Besichtigung der DVD aber nur zu ahnen sind, weil hier keine restaurierte Fassung vorliegt und die Farben wenig Strahlkraft haben. Der dritte Film, DIE FRAU MEINER TRÄUME (1944), wurde zu einem Höhepunkt in der Karriere von Marika Rökk. Sie spielt einen Revuestar, der in die Berge flüchtet, um dem Theatertrubel zu entkommen. Dort verliebt sie sich in einen Oberingenieur (Wolfgang Lukschy), entdeckt das „einfache“ Leben, wird auch noch von einem Ingenieur (Walter Müller) geliebt, kehrt auf die Bühne zurück und erlebt ein Happyend mit dem Oberingenieur. Die Farben sind – vor allem in den Tanzszenen – opulent, aber nicht bunt. Auch die Bergszenen wirken filigran. Hinter der Kamera stand wieder Konstantin Tschet. Der vierte Film, DIE FLEDERMAUS (1944), ist eine Operettenverfilmung von Géza von Bolváry mit den Stars Johannes Heesters, Marte Harell (rothaarig), Willy Fritsch, Siegfried Breuer und Dorit Kreysler (blond), gedreht in den Barrandov-Ateliers in Prag. Die Premiere fand 1946 in Ostberlin statt. Über die Musik und die Handlung muss nicht geredet werden. Aber – in unserem Zusammenhang – über die Farben. Sie werden vor allem über die Kostüme vermittelt. Sie sind bunt. Eine besondere Schönheit in den Bildern hat wieder das Blau. Erstaunlich ist inzwischen die Qualität des Grüns (Szenen im Park). Dominant wirken die schwarzen Anzüge und die weißen Hemden der Männer. Und in einer speziellen Haarfärbungsszene wird das Rot von Marte Harrell thematisiert. Es kontrastiert mit dem Blond von Dorit Kreysler. Das alles wäre in einem Schwarzweißfilm nicht möglich. Hinter der Kamera stand hier Willy Winterstein. Kostüme: Walter Schulze-Mittendorf. Die Zeit von Agfacolor endete in den 1950er Jahren. Gert Koshofer hat das genauer in dem Buch „Color. Die Farben des Films“ (1988) dargestellt. Und die DVD-Box zeigt es zumindest in drei Filmen sehr konkret und anschaulich. Mehr zur DVD-Box: klassiker_in_farbe_4_dvds/
27. März 2015
Berliner Schule
„Kino, Sprache, Tanz. Ästhetik und Vermittlung in den Filmen der Berliner Schule“ ist der Titel dieser Dissertation, mit der Wenke Wegner am Institut für Kunstwissenschaft der Universität Bremen promoviert wurde. Es geht dabei einerseits um die Schule, um Pädagogik, um Filmvermittlung, ganz im Sinne von Alain Bergala , der ja in Bremen bei Winfried Pauleit einen deutschen Stützpunkt hat. Andererseits weitet sich der Text mit beeindruckenden Analysen in die Themenbereiche „Erzählen im Film/Nacherzählen von Filmen“ und „Tanzen im Film. Bewegung, Sehen, Mitfühlen“. Die Sichtweise der Autorin ist inspiriert von Frieda Grafe (mit ihr hat sich Wenke Wegner 2004 in ihrer die Diplomarbeit auseinandergesetzt) und das bedeutet: sie schreibt nahe an den Filmen, hat ein spürbares, konkretes Erkenntnisinteresse, baut Brücken in die Filmgeschichte, sucht Antworten mehr auf ästhetische als auf dezidiert politische Fragen, wagt auch Ausflüge in die Philosophie. 26 Filme werden von ihr der „Berliner Schule“ zugerechnet, die in der Einleitung auch noch einmal historisch abgeleitet und für die eigene Arbeit definiert wird. Im Kapitel „Erzählen im Film“ gelten die Analysen den Filmen SEHNSUCHT (2006) von Valeska Griesebach, PLÄTZE IN DEN STÄDTEN (1998) von Angela Schanelec, DER SCHÖNE TAG (2001) von Thomas Arslan und GESPENSTER (2005) von Christian Petzold. Fünf Blicke auf den Tanzfilm leiten das entsprechende Kapitel ein: Tanz-Dokumente, Musicalfilm/Spektakel, Tanzfilme der Avantgarde, Tanz im konventionellen Erzählkino (FLASHDANCE), Reflexion von Tanz und Film im modernen Kino. Längere Analysen sind dann den Filmen MEIN LANGSAMES LEBEN (2001) von Angela Schanelec und KLASSENFAHRT (2002) von Henner Winckler gewidmet, es gibt Sequenzbeschreibungen des Tanzes im Schwimmbad in PLÄTZE IN DEN STÄDTEN, des Tanzes im Ferienhaus in ALLE ANDEREN, des Tanzes beim Fest der Feuerwehr in SEHNSUCHT, des Hochzeitstanzes in MEIN LANGSAMES LEBEN (verglichen mit dem Hochzeitstanz in PASSE TON BAC D’ABORD von Maurice Pialat). Die Abbildungen sind nicht sehr zahlreich, aber sinnvoll platziert und technisch akzeptabel. Coverfoto: MEIN LANGSAMES LEBEN. Mehr zum Buch: kino-sprache-tanz.html
26. März 2015
Mein Film über mich
„First-Person Documentary“ ist eine Filmform, in der sich der Filmemacher (die Filmemacherin) selbst in den Mittelpunkt stellt. Er/sie nutzt das Medium, um von sich selbst zu erzählen. Warum tut das jemand? Was passiert vor der Kamera, wenn man sich selbst thematisiert? Welches Interesse wird dafür beim Publikum erwartet? Janine Weißer-Gleißberg hat dies in ihrer Masterarbeit an der Hochschule Hannover wissenschaftlich untersucht und ist zu interessanten Ergebnissen gelangt. Filme über sich selbst entstehen vor allem an den Filmhochschulen, wo die Themenwahl noch eigenverantwortlich geschieht und nicht von Aufträgen abhängt. Drei Filmbeispiele stehen im Mittelpunkt der Arbeit: ALLEINE TANZEN von Biene Pilavci (produziert an der dffb in Berlin), LOVE ALIEN von Wolfram Huke (HFF München) und SCHILDKRÖTENWUT von Pary El-Qualquili (ebenfalls HFF München). Alle drei Filme entstanden 2012. Sie sind Versuche der Selbsterforschung, haben durchaus eine therapeutische Zielrichtung, sie nutzen Kamera und Ton, um ihre Subjektivität zu vermitteln. Die Offenheit der Protagonisten stellt wohl auch eine Nähe zum Zuschauer her. Bei dem Film SCHILDKRÖTENWUT geht es vor allem um die Rolle des Vaters der Filmemacherin, der aus Palästina nach Berlin kam und in seine Heimat zurückkehrt. In ALLEINE TANZEN nutzt die Filmemacherin Homevideos aus ihrer Kindheit, um ihre Identitätssuche zu konkretisieren. In LOVE ALIEN problematisiert der Filmemacher seinen Willen und seine Unfähigkeit, eine Beziehung einzugehen. Von den drei Beispielen erscheint er mir als der schwierigste und verstörendste Film, weil er als Selbstdarstellung konzipiert ist. Die Autorin analysiert sehr konkret, ihre Erkenntnisse wirken nachvollziehbar. Eine spannende Lektüre. Mehr zum Buch: mein-film-ueber-mich
25. März 2015
Max Ophüls
Max Ophüls hat seinen autobiografischen Text in den letzten fünf Monaten des Jahres 1945 im Auftrag des Public Relation Office der Produktionsfirma California Pictures in Hollywood geschrieben. Ophüls sollte dort den Film VENDETTA nach einer Novelle von Prosper Merimée realisieren. Die Regie übernahm kurz nach Drehbeginn Preston Sturges, der Text wurde zu seinen Lebzeiten nicht publiziert und erschien erstmals 1959 im Henry Goverts Verlag in Stuttgart. Auch wenn die letzten zwölf Jahre, in denen sehr wichtige Filme entstanden, nicht thematisiert sind, ist dies eine höchst lesenswerte Autobiografie. Der Ophüls-Spezialist Helmut G. Asper hat sie jetzt, mit vielen nützlichen Kommentaren und Anmerkungen, im Alexander Verlag neu ediert. Der Regisseur, der zunächst Schauspieler war, erzählt sein Leben aus der Perspektive des Künstlers, der in den 1920er Jahren an vielen Theatern gearbeitet hat – Stuttgart, Aachen, Dortmund, Elberfeld/Barmen (heute Wuppertal), Wien, Frankfurt, Breslau – und 1930 nach Berlin kam. Seine Erinnerungen sind teils wunderbar anekdotisch, teils sehr reflektiert. Sie erzählen von Kolleginnen und Kollegen (Adele Sandrock, Rosa Valetti, Anton Wohlbrück, Conrad Veidt), von der langen Theaterphase, dem Übergang zum Film und von den ersten Arbeiten für den Rundfunk. Mit dem Film LIEBELEI kam der große internationale Erfolg, aber auch das Ende der Arbeit in Deutschland nach dem Machtantritt der Nazis. Inzwischen hatte Ophüls die Schauspielerin Hilde Wall geheiratet und 1927 war der Sohn Marcel auf die Welt gekommen. Die Familie ging zunächst ins Exil nach Paris und floh 1941 in die USA. Natürlich spielen die politischen Ereignisse auch in der Autobiografie eine große Rolle. Aber es dominiert die künstlerische Arbeit, die Erlebnisse auf der Bühne und im Filmstudio stehen im Mittelpunkt. Sie sind ohne Eitelkeit erzählt und machen die Lektüre zu einem intellektuellen Vergnügen. Mit einem Vorwort von Marcel Ophüls und einem Nachwort von Hilde Ophüls. Die 58 Schwarzweiß-Abbildungen sind gut ausgewählt. Mehr zum Buch: titel/348-Spiel_im_Dasein.html

