Störung der Bilder – Bilder der Störung

Eine Dissertation, die an der Universität Erlangen-Nürnberg entstanden ist. Anna Zeitler untersucht darin Medien-ereignisse zwischen Fest und Katastrophe. Acht Ereignisse werden im Detail analysiert: der Exzess der Fanmassen bei der Stadionkatastrophe von Heysel vor dem Europapokal-Endspiel 1985, die Panik bei der Love-parade in Duisburg 2010, die Explosion der Space Shuttle Challenger nach dem Start 1986 und der Raumfähre Columbia bei der Rückkehr zur Erde 2003, die Unfälle des Formel 1-Fahrers Ayrton Senna 1994 und des Schauspielers Samuel Koch in der ZDF-Show Wetten, dass…? 2010, das Olympia-Attentat 1972 in München und der Anschlag auf den Boston-Marathon 2013. Ausgangspunkt war jeweils ein sportliches, festliches oder technisches Ereignis, das durch eine Störung außer Kontrolle geriet und dabei medial begleitet wurde. Massen oder einzelne Personen standen dabei im Fokus. Wie waren die Reaktionen, wer trug die Verantwortung, welche Konsequenzen gab es? Die Lektüre ist spannend, die eigenen medialen Erinnerungen sind unterschiedlich präsent. Der Text hat ein hohes theoretisches Niveau. Mehr zum Buch: stoerung-der-bilder-bilder-der-stoerung/

Ost/Western

In der Kunsthalle Rostock findet zurzeit eine Ausstellung über die DEFA-Indianerfilme und die westdeutschen Karl-May-Filme statt. Der reich-bebilderte Katalog ist im Mitteldeutschen Verlag erschienen. Sieben Texte bilden das inhaltliche Fundament. Uwe Neumann erinnert an die Zeit von „Kino, Kult und Klassen-feind“. Freddy Langer beschäftigt sich mit Indianerporträts („Die Kamera betrachten sie mit Argwohn“). Bei Heike Bungert geht es um die Geschichte von Indigenen und euroamerikanischen Indianerbildern. Andy Räder richtet seinen Blick auf die amerikanischen Ureinwohner im deutschen Spielfilm 1962-1985. Nadine Barth führte ein Gespräch mit Hella Brice, der Witwe des Winnetou-Darstellers Pierre Brice. Olaf Reis befasst sich mit Kindern, die Krieg spielen wollen („InDDianeR“). Sabine Uhlig informiert über Indianistik in der DDR. Die Coverabbildung stammt aus dem Film WEISSE WÖLFE. Mehr zum Buch: kunsthalle-rostock-ost-western-detail

EINE SONDERBARE LIEBE (1984)

Die Filme des Regisseurs Lothar Warneke (1936-2005) hatten für die 70er und 80er Jahre in der DDR eine große Bedeutung. Sie waren geprägt von der Suche nach Wirklichkeit und der Nähe zu den Figuren. DIE UNVERBESSERLICHE BARBARA (1977) und EINER TRAGE DES ANDEREN LAST (1988) sind beispielhaft dafür. EINE SONDERBARE LIEBE bleibt dahinter etwas zurück. Erzählt wird die Liebesge-schichte zwischen dem Witwer Harald Reich (Jörg Gudzuhn) und der Kantinenchefin Sybille Seewald (Christine Schorn), die sich bei einer Betriebsfeier nahe kommen, eine Partnerschaft beginnen, aber nicht sicher sind, ob die Liebe zwischen ihnen für die Dauer groß genug ist. Das bleibt auch am Ende offen. Es gibt schöne Momente, komische Situationen und dramatische Zuspitzungen. Gespielt wird beeindruckend, die Bilder (Kamera: Thomas Plehnert) haben eine interessante Kargheit, aber es fehlt dem Film an Verdichtung und emotionaler Kraft. Bei Icestorm ist jetzt die DVD erschienen. Zu den Extras gehören Gespräche mit Lothar Warneke und Jörg Gudzuhn. Mehr zur DVD: http://www.icestorm.de/neuheiten/

Eine Filmmusikliebesgeschichte

FILMBUCH steht auf dem Cover. Wenn man es aufschlägt, steht der Titel auf dem Kopf. Zu lesen ist das Drehbuch zu dem Filmprojekt „Eine Filmmusik-liebesgeschichte“ von James D. Albach. Der Autor ist mir nicht bekannt. Es geht um die Bezie-hungen zwischen dem Maler Vincent und den Frauen Marlen, Inge und Verena. Sie sind hoch emotionalisiert und könnten filmische Qualitäten haben. Aber man kommt den Personen/ Figuren nicht nahe. Sie wirken typisiert, man kann sich keine Schauspielerinnen oder Schauspieler vorstellen, die ihre Rollen spielen, niemanden, der diesen Film inszenieren könnte, kein Gremium, das ihn fördern würde, kein Publikum, das ihn sehen möchte. Heute ist Freitag der 13. Ein idealer Tag, um dieses Buch zu lesen. Es kostet 4,99 €. Mehr zum Buch muss man nicht wissen.

Natürlich hätte ich heute auf den 60. Jahrestag des Mauerbaus verweisen können, aber darüber steht viel in der Zeitung, und ein neues Buch ist aus diesem Anlass nicht erschienen.

Queere Zeitlichkeiten in dokumentarischen Filmen

Eine Dissertation, die an der Ruhr-Universität Bochum entstanden ist. Natascha Frankenberg macht darin „Untersuchungen an der Schnittstelle von Filmwissen-schaft und Queer Studies“. Vier Kapitel strukturieren den Text. Es geht zunächst um die Aus-einandersetzung mit Zeitlichkeit in den Queer Studies, dann um die Zeit als Ordnungsstruktur in filmwissenschaftlichen Ansät-zen, um queere Zeitlichkeiten und Medialität(en) und im Hauptkapitel um konkrete Filmbeispiele, die genauer analysiert werden. Die Definitionen und wissenschaftlichen Zuordnungen in den ersten beiden Kapiteln haben zwar ein hohes Niveau, bleiben aber sehr abstrakt. Im Kapitel 3 werden zehn Filme in Augenschein genommen: THE CELLULOID CLOSET (1995) von Rob Ebstein und Jeffrey Friedman, FABULOUS: THE STORY OF QUEER CINEMA (2008) von Lisa Ades und Leslie Klainberg, CHILDREN OF MEN (2006) von Alfonso Cuarón, BOYS DON’T CRY (1999) von Kimberly Peirce, THE BRANDON TEENA STORY (1998) von Susan Muska und Gréta Ólafsdóttir, BY HOOK OR BY CROOK (2001) von Harry Dodge und Silas Howard, THE WATERMELON WOMAN (1996) von Cheryl Dunye, COAL MINERS DAUGHTER (1980) von Michael Apted, VELVET GOLDMINE (1998) und FAR FROM HEAVEN (2002) von Todd Haynes. Die Autorin referiert hier speziell die Resonanz der filmwissenschaftlichen Literatur. Für ihre eigenen Beschreibungen im Kapitel 4 hat Frankenberg die folgenden Filme ausgewählt: EDIE AND THEA: A VERY LONG ENGAGEMENT (2009) von Susan Muska und Gréta Ólafsdóttir, SILVERLAKE LIFE: THE VIEW FROM HERE (1993) von Tom Joslin und Peter Friedman, THE CELLULOID CLOSET, THE OWLS (2010) von Cheryl Dunye, HIDE AND SEEK (1996) von Su Friedrich und Filme von Barbara Hammer. Alle genannten Filme stammen aus den USA. Zentrales Thema sind Ehe und Tod als zeitliche Strukturen. Lesenswert. Mehr zum Buch: number=978-3-8376-5676-3

Die Neuerfindung des M. Night Shyamalan

Mit dem Psychothriller THE SIXTH SENSE hatte der Autor und Regisseur M. Night Shya-malan 1999 international einen sehr großen Erfolg. Er war damals 29 Jahre alt, hatte zuvor zwei Independent-Filme realisiert und galt in Hollywood als Wunderkind. Auch seine beiden folgenden Filme, UNBREAKABLE und SIGNS, hatten gute Einspielergebnisse und bekamen positive Kritiken. Er drehte mit Stars wie Bruce Willis, Samuel L. Jackson, Mel Gibson, Joaquín Phoenix, die weltweit bekannt waren. Die Resonanz auf THE VILLAGE (2004) war gespalten, die Einnahmen stagnierten. Über das Projekt „Lady in the Water“ kam es zum Streit mit dem Disney-Studio, Shyamalans Karriere bekam einen Bruch. Adrian Gmelch, ein Fan des Regisseurs, beschreibt in seinem Buch, „wie sich ein einst gefeierter Filmemacher zurück an die Spitze kämpft“. Genauer gesagt: er erzählt die Lebensgeschichte von Shyamalan, seine Herkunft aus Indien, seine Ausbildung an der New York University, seine ersten Filme, die Entstehung von THE SIXTH SENSE und das Auf und Ab der folgenden Jahre bis 2021. Mit vielen Details werden die Hintergründe der Film- und Serien-Produktionen geschildert, aber auch die thematischen und formalen Eigenheiten dargestellt. Die Recherchen des Autors sind beeindruckend, seine Beschreibungen konkret. Abbildungen in guter Qualität vergrößern die Anschaulichkeit. Also: ein Basiswerk über Shyamalan, der gerade 51 Jahre alt geworden ist. Mehr zum Buch: die-neuerfindung-des-m-night-shyamalan/

Romy

Man kann heute ein Buch publi-zieren, ohne ein professioneller Autor zu sein. Ohne Verlag, ohne Lektorat, dennoch in der Hoffnung, dass es gelesen wird. Uwe Feitisch hat ein Buch über Romy Schneider geschrieben, das als „Book on Demand“ erschienen ist. Sein Blick ist auf Romys Innenleben gerichtet, auf ihr „Wesen“. Die Schauspielerin interessiert ihn nur am Rande. „So kann ich aus meiner eigenen Perspektive schreiben und das macht dieses Buch zuerst einmal für mich persönlich sehr wertvoll. Als Schreiber taucht man dabei ja stets in eine gewisse Materie ein und ich mag in dem Gefühl schreiben, dass Romy auf meiner Schulter sitzt und mir dabei zusieht.“ Sein zentraler Befund: „Romy Schneider war innerlich leer, in ihr war es völlig dunkel und sie war von Traurigkeit ausgefüllt. Sie war verletzlich und höchst sensibel … und sie suchte ihr Leben lang die Liebe“. Die biografischen Stationen von Romys Leben werden ausführlich mit Beschreibungen ihres inneren Zustands gefüllt. So heißen die Kapitel u.a. „Mama“, „Romys Wandel“, „Mut für ein offenes Herz“, „Schmerz“, „Selbstliebe“, „Romys Tod“, „Romys Erbe“, „Verzeihe dir selbst“. Einen Brief an ihre Tochter Sarah gibt es in Deutsch und Französisch. Am Ende steht: „Euch Lesern hat dieses Buch hoffentlich gefallen, ich bedanke mich herzlich für den Erwerb. Und vielleicht bekommt es gar einen kleinen Platz in eurem Herzen, so wie bei mir.“ Leider ist mein Herz für dieses kleine selbstverliebte Buch nicht groß genug. Mehr zum Buch: romy-uwe-feitisch-9783753497105

ANGELS IN NOTTING HILL (2015)

Der menschenscheue Geoffrey arbeitet in dem Antiquitäten-laden „Alice’s“ in Notting Hill. Er trauert um seine verstorbene Freundin Rebecca und lebt in einer Phantasiewelt zwischen den Exponaten des Ladens. Er bekommt Besuch von der Engelsfrau Joy Serafini, die beauftragt ist, Geoffrey wieder lebensfroh zu machen. Unter-stützt wird Joy von Geoffreys Chefin Miss Maple, die für ihn mütterliche Gefühle hat. Die Liebesgeschichte zwischen Joy und Geoffrey spielt zwar in einer realen englischen Stadt, aber Traum und Wirklichkeit, Vergangenheit und Gegenwart, Tragik und Komik wechseln unaufhörlich. Ein Höhepunkt: als Geoffrey entdeckt, dass Joy in den 1920er Jahren als Showgirl und Gangsterbraut auf der Erde gelebt hat. Der Film von Michael Pakleppa hat große Qualitäten, wenn man sich auf das Spiel zwischen Himmel und Erde einlässt. Wunderbar: Ryan Mercier als Geoffrey, Selma Brook als Joy, Tina Gray als Miss Maple, Renée Castle als Rebecca. Christopher Lee ist in seinem letzten Film nur noch als Stimme präsent: er spricht den Universums-Chef, der Joy auf die Erde schickt, und den Plüschhund Mr. President. Kameraführung und Soundtrack sind beeindruckend. Die DVD des Films ist jetzt bei Absolut Medien erschienen. Sehenswert. Mehr zur DVD: 7056/ANGELS+IN+NOTTING+HILL

Deutsch-türkisches Kino

Eine Dissertation, die an den Universitäten Konstanz und Bayreuth entstanden ist. Muriel Schindler erforscht darin die Entstehung und Entwicklung eines „Deutsch-türkischen Kinos“ seit Beginn der 1990er Jahre. Zu den Vorläufern gehört 40 M2 DEUTSCHLAND (1986) von Tevfik Başer. Die Einleitung des Textes definiert den For-schungsgegenstand, die Methodik und schafft theoretische Grundlagen. Sechs Kapitel strukturieren den Hauptteil: 1. Kartierung der Landschaft: Das Filmfestival Türkei-Deutschland, das seit 1992 in Nürnberg stattfindet. 2. „Das kleine Fernsehspiel“ des ZDF als Wegbereiter mit den deutsch-türkischen Produktionen MEIN VATER DER GASTARBEITER von Yüksel Yavuş, ICH CHEF, DU TURN-SCHUH von Hussi Kutlucan, APRILKINDER von Yüksel Yavuz, KURZ UND SCHMERZLOS von Fatih Akin und LUKS GLÜCK von Ayşe Polat. 3. Der europäische Kulturkanal arte als Koproduzent u.a. von 300 WORTE DEUTSCH von Züli Aladağ und DREIVIERTEL MOND von Christian Zübert. 4. Die Film- und Medienstiftung NRW als Förderer. 5. Wüste Film als Produzent der Filme von Fatih Akin bis GEGEN DIE WAND. 6. Von Corazón International zu Bombero International als Produzenten der Akin-Filme ab 2004. Fatih Akin ist zwar eine Schlüsselfigur des Textes, aber es spielen natürlich auch viele andere Regisseurinnen und Regisseure eine wichtige Rolle, zum Beispiel Buket Alakuş, Thomas Arslan, Kutluğ Ataman, Bora Dağtekin, Sülbiye Verena Günar, Kadir Sözen, Özgür Yildirim. Im Vordergrund stehen die Produktionsbedingungen der Filme und ihre Rezeption bei Presse und Publikum. Die Recherchen waren aufwendig, in der Summe führten sie zu einem beeindruckenden Ergebnis. Keine Abbildungen im Text. Coverabbildung: die Zeise-Kinos in Hamburg-Ottensen. Mehr zum Buch: 688-deutsch-tuerkisches-kino.html

Warum Replikanten die besseren Menschen sind

Kann man mit Filmen philo-sophieren? Ja, wenn man, wie Karsten Schmidt, über die intellektuellen Voraussetzungen verfügt, die philosophische Gedankenwelt nutzt und den sprachlichen Umgang mit Bildern und Tönen beherrscht. Das Resultat ist anspruchsvoll, aber es erweitert die Erkennt-nisse über den Mythos BLADE RUNNER, genauer: über BLADE RUNNER (1982) von Ridley Scott und BLADE RUNNER 2046 (2017) von Denis Villeneuve. Es geht um die Fraglichkeit des Menschen, Handlung und Charaktere, Realität und authentisches Menschsein, Simulacra, Simulation und Hyperrealität, anthropozentrischen Humanismus und Substanz-Metaphysik, posthumanistische Perspektiven und Relations-Ontologie, Räumlichkeit und filmische Darstellungsmittel, Ungleichzeiten und Nostalgie, Machtstrukturen und Raum, literarische Referenzen, Menschwerdung und Desillusionierung, religiöse Motive und Referenzen, nihilistische Herausforderungen. Philosophische Referenzen liefern dem Autor u.a. Theodor Adorno, Roland Barthes, Jean Baudrillard, Walter Benjamin, Albert Camus, Gilles Deleuze, Jacques Derrida, René Descartes, Philip K. Dick, Michel Foucault, Martin Heidegger, Max Horkheimer, Karl Jaspers, Siegfried Kracauer, Susanne K. Langer, Henri Lefebvre, Karl Marx, Friedrich Nietzsche, Max Planck, Sylvia Plath, Jean-Paul Sartre, Paul Tillich und Slavoj Zizek. Die Filmbeschreibungen sind äußerst konkret, sie beziehen auch den Director’s Cut und den Final Cut von BLADE RUNNER ein. Schwarzweiß- und Farbabbildungen in akzeptabler Qualität erhöhen die Anschaulichkeit. Lesenswert für Filmfans, Philosophinnen und Philosophen. Mehr zum Buch: warum-replikanten-die-besseren-menschen-sind-id-98914/