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02. Dezember 2021

Hast Du uns endlich gefunden

Edgar Selge ist 73 Jahre alt und ein herausragender Schauspieler. Er hat jetzt ein Buch publiziert, das nicht als Roman und nicht als Autobiografie ausgewiesen ist. Es vergegenwärtigt eine Phase seiner Jugend um 1960 herum. Selges Vater ist Gefängnis-direktor im ostwestfälischen Herford. Seine Liebe gilt der klassischen Musik, es werden in der Familie viele Instrumente gespielt. „Ich geh mal üben, sagt mein Vater, verschwindet im Flügelzimmer und macht hinter sich die Tür zu“, heißt der erste Satz. Edgar hat vier Brüder. Der älteste, Rainer, lebt nicht mehr, er hat mit einer Handgranate gespielt, als Edgar anderthalb Jahre alt war. Andreas stirbt am Ende des Buches mit 19 Jahren an Nierenversagen. Martin und Werner emanzipieren sich von der Familie. Die Kapitel haben Überschriften wie „Hauskonzert“, „Kirmes“, „Todestag“, „Weihnachten“, „Abwasch“, „Kasperpuppen“, „Gelächter“, „Kino“, „Loslassen“. Das Verhältnis zum Vater, der ebenfalls Edgar heißt, ist schwierig. Immer wieder gibt es Schläge und andere Formen der Gewalt. Heimlich geht Edgar spät abends ins Kino. Das Geld dafür klaut er seinem Bruder Werner oder nimmt es aus der Klassenkasse. Einmal träumt er von seiner Mutter, sie wohnt in einem billigen Hotelzimmer. „Wie schön, sagt sie. Hast du uns endlich gefunden.“ Es ist ein wunderbares Buch, das der Schauspieler geschrieben hat. Erzählt im Präsenz, auch wenn die Zeit weit zurückliegt. Spannend, bewegend, gelegentlich auch komisch. Unbedingt lesenswert. Mehr zum Buch: hast-du-uns-endlich-gefunden-9783498001223