14. April 2010
ZABRISKIE POINT (1970)
Text für eine Publikation des Verlages Schirmer/Mosel
Kalifornien im Sommer 69. Studentenbewegung, Black Panther, Demonstrationen. Wortgewalt auf dem Campus der Universitäten in Los Angeles. Dagegen steht die Polizeigewalt, geschützt durch Helme und Sicherheitsschilde, brutal im Einsatz der Schlagstöcke, konkret im Handeln. Eine dritte Welt: das Kapital, die Makler, die Geschäftemacher. Kaltes Business. Schließlich, viertens, die Fluchtorte im Nirgendwo des Death Valley.
Zwei junge Menschen bewegen sich durch dieses amerikanische Spektrum. Mark, der von den Studentenprotesten gelangweilt ist, gerät zwischen die Fronten der Gewalt, wird von der Polizei verfolgt und flieht mit einem kleinen Flugzeug aus Los Angeles in die Wüste. Daria, eine exotische Schönheit, will für die Firma Sunnydunes als Sekretärin arbeiten und fährt erst einmal mit ihrem Ford zur Meditation in die Einsamkeit. Der Flieger Mark und die Autofahrerin Daria treffen sich, spielen miteinander, lieben sich und trennen sich wieder. Mark wird bei der Rückkehr nach L.A. von der Polizei erschossen. Daria hört die Nachricht im Autoradio, fährt zu einer Sunnydunes-Villa und sprengt das Haus in einer wutentbrannten Vision in die Luft.
ZABRISKIE POINT, produziert von Carlo Ponti und MGM, war Michelangelo Antonionis erster und einziger Amerika-Film. Er kommt mit dem Rückenwind des Welterfolges von Blow-up nach Hollywood, macht sich mit seiner Produktionsweise sehr unbeliebt, verbraucht das Doppelte des geplanten Drei-Millionen-$-Etats und gilt damit als Totengräber des angeschlagenen MGM-Studios. Nach mehrheitlicher internationaler Kritikermeinung hat er auch keinen guten Film zustande gebracht: zu plakativ, zu amerikafeindlich.
Antonioni ist 2007 gestorben. In den Nachrufen erfuhr ZABRISKIE POINT etwas mehr Gerechtigkeit, weil viele Qualitäten über seine Entstehungszeit hinausweisen. Der Anfang erscheint wie dokumentarisches cinema-direct: Gesichter, diskutierende Studenten, hautnahe Atmosphäre. Dann schälen sich langsam die beiden Protagonisten heraus, denen wir nun auf der Spur bleiben. Die Bilder werden weiter und tiefer. Zunächst fahren Marc und Daria noch ihre eigenen Wege, nach fünfzig Filmminuten steigt Marc vom Flieger aufs Auto um und ihre Reise führt zum Zabriskie Point. Das ist der tiefste Erdpunkt auf dem amerikanischen Kontinent. Hier entzünden sich ihre Phantasien, ein Liebespanorama entfaltet sich, die Musik dazu stammt von Pink Floyd. Ihre Rückkehr in die Zivilisation führt sie schnell in die harte Realität, also auch in den Clash der Gewalt. Sie verabschieden sich wortlos, Marc fliegt in den Tod.
Das Ende, die Apokalypse, ist dann ein Alptraum. Daria schleicht zunächst durch die bewohnte Wüstenvilla und beobachtet dann aus der Ferne, wie das kühle Kapitalistenhaus in den Felsen mehrfach in die Luft geht. Möbel, Kühlschränke, Fernsehapparate, Bücher, Lebensmittel, Blumen werden in den Himmel geschleudert und fallen wie ein metaphorischer Regen auf die Erde zurück. Die Szene wurde aus siebzehn Kamerapositionen gefilmt. Sie dauert fünf Minuten, kostete viel Geld und hat eine nachhaltige Wirkung.
Die Schauspieler sind weitgehend Nobodys, den Kameramann Alfio Contini und viele andere Mitarbeiter hatte Antonioni aus Italien mitgebracht. Das MGM-Team war damit quasi arbeitslos. So hebelte ein europäischer Künstler das amerikanische Filmbusiness aus.
Die Fotos von Bruce Davidson, der den Film eng begleitet hat, führen uns in die Wüste, zeigen Aktionen, den Himmel und den Sand. Der Set ist technisch aufwendig ausgerüstet. Aber dann steht der Regisseur Antonioni mit seiner kleinen 16mm-Kamera quer zur Blickperspektive des realen Zabriskie Point und sucht seinen eigenen Horizont.
Magnum am Set. Verlag Schirmer/Mosel 2010
Foto: Bruce Davidson