SUDDENLY, LAST SUMMER (1960)

Text für eine Publikation des Verlages Schirmer/Mosel

Die Psychodramen von Tennessee Williams sind Herausforderungen für Schauspieler. Sie schicken ihr Personal durch ein Wechselbad der Gefühle und scheuen vor keinem Abgrund zurück. Fast alle Stücke wurden verfilmt. Und immer stellte sich dann die Frage: ist das mehr Theater oder mehr Kino?

In SUDDENLY, LAST SUMMER (1958) gibt es einen Helden, der unsichtbar und tot ist: Sebastian, Sohn wohlhabender Eltern, Dichter, homosexuell. Sein Vater lebt nicht mehr. Seine Mutter, Violet, ist seit letztem Sommer traumatisiert, seine Cousine, Catherine, gilt als geistesgestört, seit sie den Tod ihres Cousins miterlebt hat. Die Millionärin Violet setzt Catherine und ihre Familie unter Druck, um die Wahrheit über Sebastians Tod nicht ans Licht der Öffentlichkeit kommen zu lassen. Zwischen den Fronten steht der Arzt Dr. Cukrowicz, der mit riskanten Lobotomie-Operationen heilen oder das Gedächtnis auslöschen kann. Violet will ihn zur Operation an Catherine zwingen, um die Wahrheit zu vertuschen. Catherine vertraut sich seiner verbalen Psychotherapie an, die am Ende zu einem schrecklichen Erfolg führt. Sie erinnert sich an Sebastians Tod. Er wurde von einer spanischen Jugendbande, die er sexuell begehrte, bei lebendigem Leib zerfetzt und buchstäblich aufgefressen. Violet dreht am Schluss endgültig durch, für Dr. Cukrowicz und Catherine gibt es ein dezentes Happyend.

Das Stück und der Film handeln also von Eifersucht, Mord, Kannibalismus, Homosexualität und Wahnsinn. Das ist für 110 Minuten eine Menge Stoff. Runde 100 Minuten bleibt der Filme auf einer Theaterebene: Innenräume, Dialoge, verbale Spannung. Erst am Ende, wenn Catherines Erinnerung zurückkehrt, gibt es Filmbilder: die Apokalypse des Todes von Sebastian.

Drei Hollywood-Stars stehen im Rampenlicht. Katharine Hepburn spielt die Mutter, Violet. Sie ist für die manische Rolle eigentlich zu intelligent. Gelegentlich kommen Zweifel an der fast inzestuösen Beziehung zu ihrem Sohn auf. Aber ihr 30-Minuten-Dialog zu Beginn des Films, der durch den tropischen Dschungelgarten ihrer Villa führt, ist eine schauspielerische Bravourleistung. Elizabeth Taylor als Catherine ist von einer sich steigernden Intensität, die uns noch einmal beweist, was für eine außerordentliche Schauspielerin sie war. Ihre Schönheit und die psychischen Abgründe ihrer Rolle finden zu einer bewundernswerten Balance. Sie wurde – wie Katharine Hepburn – für den Oscar nominiert, hat ihn aber erst für ihre nächste Rolle, in BUTTERFIELD 8, erhalten. Montgomery Clift als Arzt am Scheideweg der beiden Frauen geht mit großen Augen durch den Film. Er operiert, fragt therapeutisch nach und wirkt sehr menschlich. Mehr wurde ihm nicht abverlangt.

Gedreht wurde der Film im Sommer 1959 in London. Der Regisseur Joseph L. Mankiewicz galt als Spezialist für Dialogfilme (All about Eve, The Barefoot Contessa). In den Produktionsberichten über SUDDENLY, LAST SUMMER wird vor allem seine Vermittlerrolle im Darstellerensemble gelobt. Elizabeth Taylor war frisch mit Eddie Fisher verheiratet, hatte Medikamenten- und Zahnprobleme. Katharine Hepburn bangte um den kranken Spencer Tracy in New York und hasste ihre Rolle. Montgomery Clift stand unter Drogen und war bereits mit seinen Texten überfordert. Mankiewicz wirkte ausgleichend und spornte zu Höchstleistungen an. Hepburn hat es ihm nicht gedankt, sie verabschiedete sich vom Set nicht ladylike und hat nie wieder mit ihm zusammengearbeitet.

Die Fotos von Burt Glinn sind stark auf Elizabeth Taylor konzentriert. Es handelt sich um traditionelle Standfotos und um Fotos behind the scenes. Sie betonen den Schwarzweißcharakter des Films. Ihre Perspektive arbeitet mit Auslassungen. Sie suggerieren die Gewalt, ohne sie direkt zu zeigen. Für einen Dialogfilm wirken sie erstaunlich visuell.

Magnum am Set. Schirmer/Mosel 2010

Foto: Burt Glinn