Texte & Reden
19. September 2006

RIO GRANDE (1950)

Text für die Süddeutsche Zeitung und die DVD

Der Rio Grande trennt Texas von Mexiko: ein malerischer Grenzfluß, wie geschaffen für kriegerische Konflikte. Es ist dem Militär verboten, ihn zu überschreiten. John Ford (1894-1973), der große amerikanische Westernregisseur, macht daraus einen Schauplatz für den Kampf zwischen US-Kavallerie und räuberischen Apachen. Colonel Yorke (John Wayne) folgt den Indianern mit Billigung seines vorgesetzten Generals auf mexikanisches Gebiet und befreit dort eine entführte Kindergruppe. Der Erfolg gibt ihm Recht, auch wenn der Einsatz nicht rechtens ist.

Im Kern handelt Rio Grande von einer Familie. Kathleen (Maureen O’Hara), die Frau des Colonels, hat sich von ihrem Mann vor 15 Jahren getrennt, nachdem er im Bürgerkrieg als Nordstaaten-Offizier eine Plantage ihrer Südstaaten-Familie hatte niederbrennen lassen. Ihr gemeinsamer Sohn hat bei der Ausbildung in Westpoint versagt und wird nun als einfacher Soldat ins Corp des Vaters versetzt. Seine Mutter kommt an den Rio Grande, um ihn nach Hause zu holen. Alle drei geraten auf unterschiedliche Weise in Lebensgefahr, und aus dieser Erfahrung heraus kommen sie sich wieder nahe. Die Grenzen zwischen Privatleben und Berufsleben werden sichtbar geöffnet, das Überschrei-ten ist lebensnotwendig. „What kind of man is he, mother?“, fragt der Sohn, der seinen Vater zum ersten Mal gesehen hat und über dessen Kälte erschrocken ist. „He’s a lonely man“, antwortet sie. Am Ende ist er nicht mehr einsam.

Rio Grande ist kein Historienfilm, sondern ein Western. Genre-regeln setzen sich über historische Wahrheiten mühelos hinweg. Mit dem Hinweis, dass es damals, 1879, beim Kampf gegen die Apachen unter General Sheridan ganz anders zugegangen sei, ist dem Film nicht beizukommen. Er interessiert sich für äußere und innere Spannung, moralische Haltungen und die spezifische Atmosphäre in einer Gruppe. Das Personal ist hierarchisch geordnet: General, Colonel, Sergeant, Trooper; die Frau stellt Verbindungen her. Sie ist – auch als Schau-spielerin – ein Glücksfall: Maureen O’Hara. Ihre Blicke, ihre Gesten, ihre Bewegungen, und wie sie von Bert Glennon fotografiert wird, das macht sie zu einer zentralen Figur, obwohl sie erst nach fünfund-zwanzig Minuten im Film ankommt. Mit John Wayne, das weiß man, bildet sie ein Traumpaar unter John Ford. Nur zwei Küsse sind ihnen zugestanden, alles andere müssen sie spielen.

Rio Grande ist ein Schwarzweiß-Film. Seine dominierende Farbe ist Grau. Staub, Dämmerung, Nacht, Zwielicht. Mit Männerchören touchiert er das Musical, mit einigen Scherzen die Militärklamotte, mit seiner Liebesgeschichte das Melodram. In seinem Herzen ist er ein Western. Ein Genre, das heute aus der Zeit gefallen zu sein scheint.

Süddeutsche Zeitung, 19. September 2006, und DVD in der SZ-Cinemathek