Texte & Reden
17. Oktober 1997

The Nobody: Douglas Sirk

Vortrag in Dartmouth

Zur Rezeption der Filme von Douglas Sirk in der Bundesrepublik der 50er Jahre

Als Detlef Sierck sich im Dezember 1937 aus Deutschland verab-schiedete und auf dem Umweg über Italien, die Schweiz, Frankreich und Holland nach Amerika emigrierte, hinterließ er den Deutschen zehn Ufa-Filme: drei Kurzfilme und sieben abendfüllende Spielfilme. Darunter waren die großen Melodramen Schlußakkord, Zu neuen Ufern und La Habanera. Sierck verließ Deutschland ungefähr zur selben Zeit wie Reinhold Schünzel, vier Jahre nach Kurt Bernhardt, Fritz Lang, Robert Siodmak und Billy Wilder.

Als Douglas Sirk sich Ende 1958 aus Amerika verabschiedete und nach Europa zurückkehrte, hatte er in Hollywood an die dreißig Filme gedreht, davon 21 für die Produktionsgesellschaft Universal. Es waren Abenteuerfilme, Western, Komödien und vor allem: Melodramen. Zumindest in diesem Genre konnte der späte Emigrant Sirk an seine deutschen Erfolge anknüpfen. Er hat das Melodram, wie man inzwi-schen weiß, erweitert und ästhetisch radikalisiert. Er führte das Genre an die Grenzen. Als er Amerika verließ, war er 61 Jahre alt.

Curtis Bernhardt, Fritz Lang, Robert Siodmak und Reinhold Schünzel waren bereits Anfang oder Mitte der fünfziger Jahre zumindest temporär in die deutsche Bundesrepublik zurückgekommen. Sie wollten hier ihre Arbeitsmöglichkeiten ausloten. In den USA zerfiel in dieser Zeit – das muß ich Ihnen eigentlich nicht sagen – das klassische Studiosystem, in Westdeutschland erlebte der kommerzielle Film eine letzte Blütezeit. Dennoch gab es für die Remigranten zwiespältige Erfahrungen, die in politisch-moralischer wie in künstlerischer Hinsicht zu vielen Komplikationen führten. Darauf ist in anderem Zusammenhang ausführlicher eingegangen worden, ich verweise auf das Heft 3/1993 der Zeitschrift FilmExil.

Sirk drehte nach 1958 keinen einzigen Spielfilm mehr. Seine künstle-rische Tätigkeit beschränkte sich auf Theaterinszenierungen in den sechziger Jahren und Lehraufgaben an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film in den Siebzigern. Er hatte dann auch Gelegenheit, seinen späten Ruhm auszukosten und sich feiern zu lassen.

Wie aber wurden die amerikanischen Filme des deutschen Emigranten Sirk in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre rezipiert? Rekapitulieren wir kurz das Klima jener Zeit, die kulturell kein gutes Image hatte. Ich nenne assoziativ einige Namen und Schlagworte:

Konrad Adenauer, NATO, Kalter Krieg, Rasterfassaden, Nierentische, Tulpenlampen, Familie Schölermann, Rosemarie Nitribitt, Vico Torriani, 08/15, Sissi, Heimatfilm und am Ende Heinrich Lübke for President.

Auch das Schlüsselwort „Wirtschaftswunder“ ließ keinen Raum für Kultur. Die Fünfziger in der Bundesrepublik waren eine restaurative Phase, fast das Gegenstück zum Mythos der deutschen Zwanziger. Sie waren monolithischer als die janusköpfigen Vierziger. Es fehlten ihnen die alternativen Spannungen der Sechziger und Siebziger.

Zur Misere der fünfziger Jahre gehört auch ihr Versagen, die neue Demokratie mit Substanz zu füllen, gehört die Weigerung der west-deutschen Gesellschaft, Trauerarbeit zu leisten und sich in einem essentiellen Sinne mit dem Nationalsozialismus und den eigenen Verstrickungen auseinanderzusetzen. Dem neuen westdeutschen Staat, der Bundesrepublik, war sehr schnell der Antikommunismus wichtiger als der Antifaschismus. Das hat sich natürlich auch auf die Kunst und Kultur ausgewirkt, zumal auf das Kino, das es ohnehin schwer hatte, mehr als Unterhaltung zu sein. Für die Erwartungen des Publikums stehen hier 08/15, Sissi und der Heimatfilm.

Der äußere Umbau der Bundesrepublik in einen modernen Staat ging einher mit Versuchen der Selbstbestätigung und einem Harmonie-bedürfnis gegenüber der deutschen Geschichte. Zum zentralen Ziel wurde dabei „sich neu einzurichten“, Werte zu schaffen, an Wachstum und Fortschritt teilzuhaben. Kulturell führte dies zur Abwehr von Extremen, zur Scheu vor Konflikten und Experimenten. Der größte Bestseller – das ist logisch – war der Katalog des Versandhauses Neckermann. Auf die amerikanische Populärkultur schaute man in einer Mischung aus Hochmut, Mitleid und abgekühltem Interesse. Aber es gab Generationsunterschiede. Und so war die Assimilation des Rock’n’Roll als eine neue Jugendbewegung nicht zu verhindern. Außerdem gab es für die Jüngeren Marlon Brando und James Dean.

Gleichwohl müssen einige Zahlen den Stellenwert des amerikanischen Films in der damaligen Bundesrepublik relativieren. Mitte der fünfziger Jahre erreichte die Kinoleidenschaft mit über 800 Millionen Besuchern jährlich ihren Höhepunkt. Durch die rasche Ausbreitung des Fern-sehens nahm der Kinobesuch ab 1958 kontinuierlich ab. (In den neunziger Jahren hat er sich in Gesamtdeutschland zwischen 130 und 140 Millionen Besuchern eingependelt.) Pro Jahr liefen rund 500 neue Filme an, davon kamen etwa die Hälfte aus den USA, ein knappes Viertel aus der Bundesrepublik. Die Besucher bevorzugten damals deutsche Filme: ihr Marktanteil betrug 40 bis 50 Prozent, die entsprechenden Werte für die amerikanische Produktion lagen nur zwischen 25 und 30 Prozent (bei, wohlgemerkt, der doppelten Anzahl angebotener Titel).

Große amerikanische Erfolgsfilme in den fünfziger Jahren in West-deutschland waren Quo vadis, High Noon, The Living Desert, The Bridge on the River Kwai, The Ten Comman-dements, als Nachzügler Bambi und Gone with the Wind, die hier erst 1950 bzw. 1952 Premiere hatten und sich über Jahre in den Kinos hielten.

Von Douglas Sirks 29 amerikanischen Filmen aus den Jahren 1942 bis 1958 wurden nur 14 zwischen 1950 und 1959 in der Bundesrepublik gezeigt, die anderen 15 kamen erst in den siebziger Jahren ins Fernsehen oder wurden nie öffentlich vorgeführt. (Ein ergänzender Hinweis: In der DDR, die aus ökonomischen und politischen Gründen nur wenige US-Filme ins Land ließ, war kein einziger Sirk-Film im Kino zu sehen.)

Die Titel

„Bei einem Film ist der Titel wie der Prolog im Drama“, sagte Douglas Sirk zu seinem Interviewer Jon Halliday, „Shakespeare ging großartig mit Titeln um, und auch mir lag viel daran. Titel sind wie Aushänge-schilder oder sollten es wenigstens sein. Titel geben Hinweise, erklären aber nicht gleich alles.“ Andererseits sind Titel Teil einer kalkulierten Vermarktung und die liegt in der Verantwortung der Verleihfirmen. Nur bei wenigen Douglas Sirk-Filmen entsprachen die deutschen Titel dem amerikanischen Original, wie etwa Taza, der Sohn des Cochise (= Taza, Son of Cochise), Was der Himmel erlaubt ( = All That Heaven Allows) oder In den Wind geschrieben (= Written on the Wind). Noch nahe am Original waren Die wunderbare Macht (= Magnificent Obesession) und Zeit zu leben und Zeit zu sterben (= A Time to Love and a Time to Die)

Ganz neue Akzente wurden durch rigorose Umtitelungen bei den meisten anderen Sirk-Filmen gesetzt: Der psychologische Kriminalfilm Sleep, My Love hieß Schlingen der Angst. Bei dem Thriller aus dem Klostermilieu Thunder on the Hill rückte die Hauptfigur in den Titel: Schwester Maria Bonaventura. Der Historienfilm Sign of the Pagan warb ebenfalls mit dem Protagonisten: Attila, der Hunnenkönig. Aus dem Theatertitel The First Legion wurde Beichte eines Arztes. Der Kostümfilm Captain Light-foot hieß Wenn die Ketten brechen. Das Drama aus dem Koreakrieg Battle Hymn wurde zu Der Engel mit den blutigen Fügeln, die Faulkner-Verfilmung The Tarnished Angels hieß in Deutschland Duell in den Wolken und Sirks letzter Film mit dem besonders schönen und mehrdeutigen Titel Imitation of Life wurde umbenannt in So lange es Menschen gibt.

Umtitelungen waren in den fünfziger Jahren an der Tagesordnung. Sie sollten mit gefühlsbetonten Metaphern das Publikum deutlicher vordis-ponieren und die Erwartungen steigern. Die Übernahme von fremd-sprachigen Originaltiteln, wie sie heute oft üblich ist, galt damals als geschäftsschädigend.

Problematisch war (und ist) natürlich der in Deutschland herrschende Zwang zur Synchronisation. Die Eindeutschung von Dialogen zerstört die spezifische Sprachebene amerikanischer Filme und verstärkt in vielen Genres (gerade beim Melodram) den trivialen Effekt. Darunter hatten auch Sirks Filme zu leiden.

Die Stars

Werbung und Marketing für Filme konzentrierten sich in den fünfziger Jahren auf Zeitungsanzeigen und Plakate. In diesem Zusammenhang spielten neben den Filmtiteln die Namen und Gesichter der Stars eine entscheidende Rolle. Sirks Hauptdarstellerinnen – Claudette Colbert, Barbara Rush, Jane Wyman, Lauren Bacall, June Allyson – gehörten in der Bundesrepublik zwar zu den bekannten, aber nicht zu den populär-sten Stars. Ein Gradmesser dafür waren die jährlichen Umfragen der Zeitschrift Film-Revue, an denen sich bis zu 200.000 Leser beteiligten. Die Gewinner in den Kategorien „Deutsche Schauspielerin/deutscher Schauspieler“ und „Ausländische Schauspielerin/ausländischer Schauspieler“ wurden jeweils im März in einer feierlichen Veran-staltung in Karlsruhe mit einem „Bambi“ ausgezeichnet. Die ausländischen Gewinner der fünfziger Jahre waren:

Ingrid Bergman (4 x hintereinander), Ulla Jacobsson und Gina Lollobridgida (ebenfalls 4 x hintereinander) bei den Frauen, Errol Flynn, Tyrone Power, Gregory Peck, Jean Marais (3 x hintereinander), Rock Hudson (2 x: 1958 und 1960) und Tony Curtis bei den Männern.

Mit Rock Hudson kam der von Sirk am häufigsten besetzte Darsteller in die höchsten Bambi-Ränge. Dies hatte allerdings mehr mit den in Deutschland sehr erfolgreichen Filmen Giant (1956) und Pillow Talk (1959) zu tun. Mitte der Fünfziger, nach immerhin sechs Sirk-Filmen, lag Hudson bei der Publikumsbefragung noch auf Platz 31.

Aufmerksamkeit erregte Sirk durch den Einsatz von drei deutschen Schauspielerinnen: Marianne Koch in Interlude, Cornell Borchers in Never Say Goodbye, dessen Regie er aus Zeitgründen schließlich an Jerry Hopper abgeben mußte, und Liselotte Pulver in A Time to Love and a Time to Die. Keine der drei Darstellerinnen machte zwar in Amerika Karriere, aber für die Vermarktung der drei genannten Filme in der Bundesrepublik war ihre Mitwirkung von erheblichem Vorteil.

Zersplitterung

Signifikant für die gesellschaftliche Kommunikation in der Bundes-republik der fünfziger Jahre waren die starke Regionalisierung des Landes (mit der Kulturhoheit in den Bundesländern), eine sich nur langsam entwickelnde Mobilität (Wiederaufbau der Verkehrswege, Motorisierung), das Fehlen eines übergreifenden Informations-netzes. (Ab 1952 sendete ein relativ unbewegliches und technisch noch experimentierendes Fernsehsystem ein einziges Gemeinschafts-programm. Erst 1961 kam ein zweiter Kanal hinzu.)

Es war ein Resultat des Zweiten Weltkrieges – und die fünfziger Jahre begannen fünf Jahre nach diesem Krieg – , daß es in Deutschland keinen politischen und kulturellen Mittelpunkt mehr gab. Die westliche Republik war ein föderales System mit lauter Kulturprovinzen. Bonn galt als provisorische Hauptstadt, Westberlin als moralische, Frankfurt als ökonomische und München entwickelte sich zur heimlichen Haupt-stadt. Die Entfernungen zwischen den Städten waren nicht nur verkehrstechnisch größer als heute.

Auf das Kino bezogen, hatte dies eine sehr schleppende, sich über große Zeiträume erstreckende Auswertung der Filme zur Folge. Die Kopien-zahl für die einzelnen Titel war, abgesehen von westdeutschen Populär-produktionen, deutlich geringer als in späteren Jahren. So konnte es passieren – zurück zu Douglas Sirk – daß Sleep, My Love im Januar 1951 in Köln Premiere hatte, im Juli 1952 in Frankfurt anlangte und im Januar 1954 schließlich auch in Wiesbaden gezeigt wurde. All That Heaven Allows hatte seine deutsche Erstaufführung im Juni 1956 in Düsseldorf, kam im August 1958 nach Frankfurt und lief nie in Westberlin. Imitation of Life startete im August 1959 in München, machte kurz vor Weihnachten in Berlin Station und hatte im Juni 1960 in Düsseldorf noch immer nicht seine Endstation erreicht. Kleinere Städte mußten oft sehr viel länger warten.

Spätestens ab den siebziger Jahren wurde die Auswertung amerika-nischer Filme in Europa globaler geplant und zeitlich besser synchroni-siert. Heute startet ein Film wie Men in Black am selben Tag in 200 deutschen Städten mit 900 Kopien. US-Filme erreichen so einen jährlichen Marktanteil von über 80 Prozent. Zurück in die Fünfziger, zur Rezeption von Douglas Sirk.

Die Filmkritik

Auch die Presse der Bundesrepublik war stark regionalisiert. Die Süddeutsche Zeitung war eine bayerische Zeitung, in Berlin kaum zu bekommen. Niemand interessierte sich damals in Stuttgart für die Frankfurter Rundschau – schließlich gab es dort die seriöse Stuttgarter Zeitung. Die Welt – damals noch liberal und interessant – war eine norddeutsche und Berliner Zeitung, Der Tagesspiegel nur eine Berliner. Immerhin hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung bereits ein überregionales Redaktions- und Vertriebsnetz. Ein überregionales Blatt mit hohem Niveau war auch Die Neue Zeitung (Untertitel: „Eine amerikanische Zeitung für Deutschland“). Sie wurde im Januar 1955 eingestellt. Der Umfang der genannten Zeitungen war Mitte der fünfziger Jahre noch vergleichsweise gering: zwischen 8 und 12 Seiten. Das Feuilleton war entsprechend schmal: zwischen einer Drittel Seite (Süddeutsche Zeitung) und einer Seite (FAZ). Die Autoren hatten sich kurzzufassen, auch die Filmkritiker.

Mir lagen rund 160 deutsche Filmkritiken aus Tageszeitungen der Jahre 1951 bis 1960 zu 14 Filmen von Douglas Sirk vor. Ein erster Befund: Die Bedeutung des Regisseurs und seiner Filme ist in der Bundesrepublik zu jener Zeit nicht erkannt worden. Nur in zehn der 160 Texte gibt es einen Hinweis darauf, daß Sirk (als Detlef Sierck) in den dreißiger Jahren in Deutschland gearbeitet hat. Ein Zusammenhang zwischen seinen deutschen und seinen amerikanischen Melodramen wird in keinem einzigen Text hergestellt. In etwa einem Drittel der Kritiken wird der Name des Regisseurs nicht genannt. In den anderen wird mit der Nennung von Douglas Sirk das Bild eines x-beliebigen amerikanischen Regisseurs vermittelt, der seine Sache – je nach Meinung des Kritikers – gut oder schlecht gemacht hat. Es gibt keine Beschreibung eines Stils, einer Handschrift, einer speziellen Leistung in einem Genre.

In der Regel wurden die Douglas Sirk-Filme von der zweiten Garnitur der Kritik rezensiert. Es gibt also keine Texte von Erwin Goelz, Willy Haas, Karl Korn, Friedrich Luft oder Georg Ramseger. Nur Gunter Groll, der große Feuilletonist der Süddeutschen Zeitung, schrieb drei Kritiken über Sirk-Filme:  sarkastisch über Sign of Pagan, ohne den Namen des Regisseurs zu erwähnen; nachdenklich und abwägend über The First Legion, aber auch hier kommt Douglas Sirk nicht vor; kurz über A Time to Love and a Time to Die: Der Film erschien Groll zu pompös, zu grell, zu effekthascherisch, und dies kreidete er dem Regisseur an.

Karena Niehoff, die profilierteste Filmkritikerin der fünfziger Jahre (Der Tagesspiegel, Berlin) schrieb eine Zehn-Zeilen-Rezension über Thunder on the Hill („flott inszeniert“), die anderen Sirk-Filme überließ sie dem Urteil von Redaktionskollegen. Gleichwohl gibt es von Karena Niehoff eine zitierenswerte Passage über Douglas Sirk in einem kurzen Bericht anläßlich eines Besuchs des Regisseurs in Deutschland 1954. Sie schreibt über die persönliche Begegnung:

„Wieder einer jener Heimkehrer, die vor zwanzig Jahren traurig und ruhelos von Deutschland Abschied nahmen und die nun mit strah-lender Herzlichkeit für einen Augenblick an ihrer alten Heimat schnuppern, der sie nicht mehr böse sind, weil sie zu den einstmals skeptischen, unpraktischen Intellektuellen gehören, die sich ‚drüben‘ eine gesunde Gesichtsfarbe und einen gesunden Realismus, die alles zugleich umfassenden Bewegungen des Erfolgsmenschen und eine gepflegte Distanz zu ‚Europas Müdigkeiten‘ erworben haben. Douglas Sirk heißt er, Detlef Sierck hieß er, war früher in Deutschland Theaterregisseur, Kritiker und hat viele Filme – unter anderem die ersten mit Zarah Leander, La Habanera und Zu neuen Ufern – gedreht. Während der Festspiele sah man von ihm Die wunder-bare Macht mit Jane Wyman. Das war die Macht der guten Taten, die die Welt glücklicher werden lassen; und nun bereitet Sirk wieder ein Erlösungsdrama vor. (…)“ Dann berichtet Niehoff etwas süffisant über Sirks Maria Magdalena-Projekt und über die amerikanische Begeiste-rung für das Naiv-Regiligiöse. Sie nennt das Zusammentreffen ein „stachliges Streigespräch, bei dem sich Sirk ‚einmal wieder ganz zu Hause wie in alten Zeiten‘ fühlte.“ (Der Tagesspiegel, 27.8.1954).

Man könnte den Text als „flott“ geschriebene Gelegenheitsarbeit zur Seite legen, hätte die Autorin nicht in jenen Jahren – ebenfalls für den Tagesspiegel – eine Reihe bemerkenswerter Porträts u.a. über Fritz Lang, Max Ophüls, Billy Wilder und Marlene Dietrich geschrieben (alle nachgedruckt in ihrer Anthologie „Stimmt es – Stimmt es nicht?“, Herrenalb 1962). Wir wissen aus diesen Porträts, daß Karena Niehoff über Leben und Werk von Filmexilanten genau informiert war, wir wissen außerdem, daß sie als engagierte Antifaschistin 1949 Zeugin der Anklage im Hamburger Veit Harlan-Prozeß gewesen ist. Die geringere Achtung gegenüber Douglas Sirk, auch das fragmentarische Wissen über ihn, hat meines Erachtens einen für seine damalige Einschätzung generell zutreffenden Grund: Sirks Emigration – obwohl durch seine jüdische Frau existentiell legitimiert – galt als zweitrangig genüber der von Fritz Lang, Robert Siodmak oder Billy Wilder. Sierks deutsche Filme stammten nicht aus der großen Zeit der Weimarer Republik, sondern aus den Jahren 1935-37. Sie hatten den Geruch der NS-Unterhaltung, jener scheinbar unpolitischen Trivialität, die sich mit dem Namen Zarah Leander und dem Genre „Melodrama“ verband. Dafür gab es bei der Kritik der fünfziger Jahre nicht die Spur einer Sensibilität. Vielleicht konnte es sie auch nicht geben.

Es fehlte den Kritikern fast jede Kenntnis der internationalen Film-geschichte. Die Wahrnehmung ganzer Genres, die sich etwa in den USA entwickelt oder weiterentwickelt hatten, mußte in kurzer Zeit nach einem Zufallsprinzip nachgeholt werden. Viele instinktive Ablehnun-gen hatten – meist unausgesprochen – mit der eigenen Realität und den Erfahrungen der jüngsten deutschen Geschichte zu tun. Es gab keine Filmwissenschaft und fast keine Filmliteratur. Die intellektuelle Auseinandersetzung über Film fand auf einer wirklich jämmerlichen Basis statt. Ausländische Filmzeitschriften waren nur mit Mühe zugänglich. Es gab ab 1951 ein kleines Verbandsorgan der Filmclubs, die Monatszeitschrift Filmforum, in der die ersten Texte von Ulrich Gregor, Enno Patalas und Theodor Kotulla erschienen. Sie gründeten 1957 die Zeitschrift Filmkritik, das Blatt einer kleinen, radikalen Minderheit, die sich auf Walter Benjamin und Siegfried Kracauer berief.Dort erschienen – noch ein Befund – vier Kritiken über Filme von Douglas Sirk:

Ein anonymer Verriß von Battle Hymn mit dem Schlußsatz: „Wie üblich ist die Machart perfekt: die Luftkampfszenen würden Hermann Göring begeistert haben.“ Sirk kommt als Regisseur im Text nicht vor.

Ein anonymer Verriß von Written on the Wind, der dem Film vor allem vorwirft, er formuliere keine nützliche Aussage, sondern opfere alles dem melodramatischen Effekt. Am Ende heißt es immerhin: „Die kalt glühenden Farben, die stilisierten Einstellungen, das reservierte Spiel, die superluxuriöse Ausstattung verleihen dem Stück einen kalten Glanz, der den Kitsch der Story durch Unterkühlung fast neutralisiert.“ Sirk kommt als Regisseur im Text nicht vor.

Eine teils mäkelnde, teils anerkennende Rezension von Dietrich Kuhlbrodt zur Faulkner-Verfilmung The Tarnished Angels, die Sirk seine „Für jeden etwas“-Haltung zum Vorwurf macht. Ein Kompliment erhält der „Flugzeugexperte Sirk“ (mit Hinweis auf Battle Hymn) für die Luftrennszenen. Zum Vorwurf wird ihm die Fehlbesetzung mit Rock Hudson gemacht.

Schließlich eine Rezension von Ulrich Gregor über die Remarque-Verfilmung A Time to Love and a Time to Die, in der – aus ideologiekritischer Perspektive – inhaltliches und formales Mißlingen konstatiert wird. „Das persönliche Glück, während ringsumher die Barbarei triumphiert, ist nicht denkbar, es sei denn in der Trübung durch Bitterkeit“, schreibt Gregor. „Solche Widersprüchlichkeit des Erlebens nicht nur im Nacheinander, sondern in der Durchdringung von Glück und Leiden sichtbar zu machen, wäre Aufgabe dieses Films gewesen: an ihr scheitert er.“ Sirk wird im Text nicht erwähnt.

Ein letzter Befund: In der „Geschichte des Films“, dem Standardwerk von Ulrich Gregor und Enno Patalas aus dem Jahr 1962, kommen die Namen Detlef Sierck und Douglas Sirk nicht vor: seine Melodramen waren den Autoren im Kontext der Weltfilmkunst zu peripher, zu trivial, und offenbar nicht einmal für eine Ideologiekritik tauglich.

Eine abschließende These: Douglas Sirk wurde in den fünfziger Jahren in der Bundesrepublik zum Teil wissentlich, zum Teil unwissentlich – je nach Informiertheit der Kritiker – zu einem Nobody degradiert. Seine Filme fanden kein wirkliches Verständnis. Seine Persönlichkeit war nicht gefragt. Seine Emigration und die Rückkehr – übrigens nicht nach Deutschland, sondern in die Schweiz – hatten kein publizistisches Echo.

Wie und von wem Douglas Sirk in den siebziger Jahren zu einem Somebody gemacht wurde, beschreibt nun mein Freund Eric Rentschler.

Der Vortrag konnte nicht persönlich gehalten werden, sondern wurde am 17. Oktober vor Ort vorgelesen. Nicht publiziert.