29. Januar 1992
Ernst Lubitsch 100
Text für den Tagesspiegel
Ein Verführer, ein Kinomensch
Murnau, Lang Lubitsch – von den drei Großen des alten deutschen Films war er der jüngste: Ernst Lubitsch. Nun wird – zwei Jahre nach Lang, vier Jahre nach Murnau – auch sein 100. Geburtstag gefeiert.
Alle drei gingen irgendwann nach Amerika, Lubitsch, 1922, zuerst und frewillig, Lang, 1934, zuletzt und gewzwungen von den politischen Verhältnissen. Murnau stammte aus Bielefeld, Lang aus Wien, Lubitsch war gebürtiger Berliner. Ihn wollten die Amerikaner damals um jeden Preis, weil er große und unterhaltsame Filme machen konnte. Für seinen Stil erfanden sie sogar einen Begriff: Lubitsch-Touch.
Die Filme haben etwas Besonderes, Einzigartiges, deshalb wurde immer wieder versucht, hinter ihr Geheimnis zu kommen und herauszufinden, warum man bei Lubitsch auf eine bestimmte Weise lachen muß. Manche hofften, als Nachahmer erfolgreich zu sein. Selbst Billy Wilder bekennt: „Man versucht doch immer, die Meister zu kopieren, und manchmal ist die Sache sogar erfolgreich. Aber es ist immer nur alles bescheiden: ‚wie Lubitsch‘, Lubitsch-Schule, nie Original-Lubitsch.“
Für die erste Beschreibung des Lubitsch-Stils müssen immer Worte wie Eleganz, Raffinement, Geschmack herhalten. Genauer wäre: Auslassung, Anspielung, scheinbare Diskretion; vor der Tür bleiben; einer bekannten Situation eine neue, überraschende Wendung geben; wie beim Billard über die Bande spielen; Nebensachen zu Hauptsachen machen; das Tempo verlangsamen – oder beschleunigen; Timing; Montage. Also Kino.
Eine Sequenz, beschrieben von von Billy Wilder: „Die Szene stammt aus the merry widow und ist, glaube ich, ein sehr schönes Beispiel für die Technik Lubitschs, obwohl man aus jedem seiner Filme ein Dutzend gleichwertiger Beispiele anführen könnte: Man sieht ein Schloß, ein Schlafzimmer, den König und die Königin. Die Königin liegt noch im Bett, der König zieht sich an, küßt seine Frau und geht aus dem Zimmer. Draußen vor der Tür steht Maurice Chevalier auf Wache. Der König geht vorbei, Chevalier salutiert, der König verschwindet um die Ecke. Im gleichen Augenblick dreht sich Chevalier um und geht ins Schlafzimmer zur Königin. Er macht die Tür zu, der Zuschauer sieht nichts, nur die Tür von draußen, die Kamera geht nicht mit ihm hinein. Jetzt wieder der König: Er geht die Treppe hinunter und merkt, dass er vergessen hat, seinen Säbel umzuschnallen. Also geht er langsam wieder die Treppe hoch, Richtung Schlafzimmer, das Publikum wartet schon auf den Knall, den es da geben wird. Er macht die Tür auf, geht hinein, macht die Tür zu. Wir sind wieder draußen, malen uns aus, was jetzt im Zimmer passiert. Die Tür geht wieder auf, der König kommt heraus, seinen Säbel in der Hand, er lächelt. Nichts gemerkt, kein Knall. Er geht langsam weg, will den Säbel umschnallen – der Gürtel ist viel zu eng, es ist gar nicht seiner! Und jetzt durchschaut er die Situation, geht zurück und findet den Chevalier unterm Bett.“
Dem Zuschauer wird bei Lubitsch alles gezeigt, nur nicht auf einen Blick. Kein anderer Regisseur hat so raffiniert Requisiten ins Spiel gebracht, um eine Situation oder einen Konflikt pointiert aufzulösen, keiner hat aber auch die vieldeutigen Kinozeichen so eindeutig benutzt.
Natürlich verweist ein Säbel noch auf etwas anderes. Das war schon vor Freud bekannt und Lubitsch geläufig. Deshalb handelt es sich um eine scheinbare Diskretion. Sie beruht auf einem Einverständnis mit dem Publikum. Dieses weiß, worum es geht, und amüsiert sich über jeden Kunstgriff, den Lubitsch anwendet, um es zu düpieren. Wir haben es mit einem speziellen Voyeurismus zu tun, wie er – ein Resultat der Erwartung und der Schaulust – nur dem Kino eigen ist.
Lubitsch war, im Umgang mit der Kunst und dem Kino, ein Produkt der zehner Jahre, der Vorweimarer Zeit. Neunzehnjährig wurde der Sohn eines jüdischen Schneidermeisters, immer an Verkleidung interessiert, Ensemblemitglied des Deutschen Theaters. Dort hat er sich zuerst als Statist, dann in kleineren und mittleren Rollen zum Schauspieler entwickelt. Seine Spezialität waren Diener und Narren, bei Shake-speare, Wedekind, Hauptmann, Molière, aber auch in Pantomimen und trivialen Stücken, von 1911 bis 1918, in einer ersten Blütezeit des deutschen Regietheaters. Max Reinhardt gab den Ton an, von ihm konnte man etwas lernen.
Hinzu kam – Lubitsch war besessen von der Arbeit – von 1913 an das Kino. Als Schauspieler, schnell auch als Regisseur und Autor wurde Lubitsch populär. Es waren Serienprodukte, mit denen sich „der unverwüstliche Filmhumorist“ einen Namen machte, Ein- bis Dreiakter mit derben Sujets. Während sich Murnau und Lang freiwillig und heldenhaft im Krieg herumschlugen, leistete Lubitsch Dienst auf seine Art: Er unterhielt die Deutschen in der Heimat, und 1918 war er entsprechend vorbereitet auf seine große Karriere. Lang und Murnau fingen mit ihrer Filmarbeit da erst an.
In vier Jahren, von 1919 bis 1922, drehte Lubitsch elf Filme, darunter seine großen deutschen Meisterwerke die austernprinzessin, madame dubarry, die puppe, kohlhiesels töchter, sumurun, anna boleyn, die bergkatze, das weib des pharao. Er wechselte laufend die Genres – Komödie, historischer Kostümfilm, Kammerspiel, Melodram – und suchte den reinen Stil, die Vollkommenheit an der Oberfläche. Man könnte das als ironischen Impressionismus bezeichnen.
Auf politisches und soziales Klima hat Lubitsch mit mit extremer Gegenwehr reagiert. Die Not der Nachkriegszeit (1919/20) inspirierte ihn zu opulenten Ausstattungsfilmen. In der austernprinzessin wird ausführlich getafelt, während das Publikum hungerte. An der Französischen Revolution interessierte ihn, wie das Mädchen Jeanne zur königlichen Kokotte Dubarry aufstieg, aber nicht das Motiv einer Revolution. Der Krieg in der bergkatze war reine Parodie, die Opfer des realen Krieges hatte man eben erst begraben. Die Lachbombe kohlhiesels töchter kam in die Berliner Kinos, als sich die Stadt gerade im Ausnahmezustand befand. Deutschland, das waren damals: Kapp-Putsch, Generalstreik, Demonstrationen, Hunger. Lubitschs Filme verweigerten sich der Realität jener Zeit, und Kritiker sagten, gerade das habe ihren Erfolg ausgemacht. Sie hatten recht, aber sie wurden damit nicht den Filmen gerecht.
Man muss bei Lubitsch auch die Subtexte – den eigenen Diskurs der Bilder, der Objekte, der Rituale – entziffern. Er macht uns das eigentlich leicht, sie liegen ganz offen da, immer etwas verschoben gegen die bekannten Muster. Getoucht. Man muss bei ihm auch die Suggestion des Äußerlichen wahrnehmen: die Kleider, die Frisuren, die Dekorationen, die Requisiten, die Räume. Lubitsch, war ein Kinomensch, also ein Verführer. „Nicht nur Gehirn und Herz, sondern auch die Augen müssen befriedigt werden“, schrieb er 1924.
Da arbeitete er schon in Amerika. Mary Pickford hatte ihn geholt, als die Deutschen nach dem Krieg drüben noch gar nicht gut angesehen waren. Aber madame dubarry war ein so enormer internationaler Erfolg, dass Lubitschs Ruhm sich sogar bis Hollywood herumsprach.
Er hat mit den größten Stars des Kinos gearbeitet: Asta Nielsen, Pola Negri, Mary Pickford, Marlene Dietrich, Greta Garbo. Das hat kein anderer Regisseur geschafft. Aber er machte keine Konzessionen an ihr Image, duldete kein spezielles Licht, keine unbegründeten Posen, keine deplazierten Großaufnahmen. Sie waren für ihn Schauspielerinnen. Die Garbo mochte das, sie hat in ninotschka sogar gelacht. Marlene war über angel nicht sehr glücklich, „weniger gut“ nennt sie den Film in ihrer Autobiographie. Mit Asta Nielsen hatte Lubitsch noch in Deutschland Streit. Leider ist der Anlass (das Strindberg-Melodram rausch) in keiner Kopie erhalten. Am besten kam er mit Pola Negri zurecht. Sie hatten in Berlin sechs Filme zusammen gedreht, wurden Nachbarn in Beverly Hills, und sie spielte für ihn die Zarin in forbidden paradise (1924).
Das war eine der sechs stummen Gesellschaftskomödien für Warner Bros., die man auch Sex-Comedies nennen kann. Lubitsch hat sich da in allen Verfahren geübt, die Prüderie der Amerikaner durch die verstecktesten Anzüglichkeiten zu unterlaufen. Hitchcock liebte vor allem the marriage circle, eine Fünfeckgeschichte zum Thema Ehe. Weil Lubitsch fest gefügte Verbindungen haßte, stellte er die Ehe gern als Zwangsjacke dar. Er war zweimal unglücklich verheiratet
Ihn interessierte immer das Neue, das Nächste. Deshalb schaffte er mühelos den Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm. Die Depressions-zeit in Amerika animierte ihn zu den realitätsfernen Operetten mit Maurice Chevalier und Jeanette MacDonald. Da war er schon bei Paramount unter Vertrag, dem vielseitigsten, sehr an Europa orientierten Hollywood-Studio, das die besten Kostümbildner und Ausstatter hatte.
Fünf Filme der dreißiger Jahre sind schließlich klassischer Lubitsch: trouble in paradise (1932), design for living (1933), angel (1937), bluebeard’s eighth wife (1938), ninotchka (1939). Es sind Filme über Schein und Sein, über Glücksversprechen und Betrug, Liebesgeschichten, wie sie virtuoser und zeichenhafter niemand erzählen konnte.
Frieda Grafe schrieb 1979: „Lubitschs Filme sind gemacht wie Mode und wirken wie Mode. Sie sind verführerisch. Sie wecken Wünsche und Lüste. Er demonstriert von innen, mit den Mitteln des Kinos, unsere Anfälligkeit für Ansteckung. Er zeigt ganz unverblümt, daß davon das Kino lebt.“
to be or not to be (1942) ist ein besonderer Fall. Mitten im Krieg wagte Lubitsch das Äußerste, er konfrontierte Polen und Nazis in einer Komödie. Alles spielt im Theater, aber hier geht es wirklich um Sein oder Nichtsein, ums Überleben – und wir lachen uns tot. Je mehr damals über die deutschen Greueltaten in Polen bekannt wurde, desto distanzierter reagierte das Publikum in Amerika. Die Radikalität dieses Films, der Ernst seiner Komik, wurde erst viel später begriffen.
heaven can wait hieß der nächste Film, aber der Himmel kann nicht immer warten. Im November 1947 starb Lubitsch an einem Herzschlag. Nach der Beerdigung soll Billy Wilder zu seinem Kollegen William Wyler traurig gesagt haben: „Kein Lubitsch mehr“, und Wyler hat geantwortet: „Schlimmer – keine Lubitsch-Filme mehr.“
Der Tagesspiegel, 29. Januar 1992, Feuilleton.