01. September 1982
Filminformationsdienste der Kirchen
Text für das Jahrbuch Film 1982/83
Premieren in der Publizistik haben oft einen programmatischen Klang. Zwei Beispiele aus der Welt der Kirche:
„Das Mitteilungsblatt Kirche und Film soll den Kirchenleitungen und kirchlichen Arbeitsstätten die notwendige Kenntnis der im Bereich des Films wichtigen Vorgänge und Fragen ermöglichen, der kirchlichen Presse Material für eine Beurteilung der neuen Filme darreichen; es soll andererseits den Männern des Films und der politischen Presse die Stellung der evangelischen Kirche und der evangelischen Gemeinden zu den Problemen, die ja nicht lediglich Fachprobleme sind, und zu den einzelnen Filmen bekannt geben. (…) Der Beitrag des Films zu einer rechten Anthropologie ist von beiden Seiten ernst zu nehmen. Weiter aber führt die Frage, ob dies möglich ist ohne eine rechte Theologie, nicht als Fachwissenschaft, sondern als eine letzte Entscheidung und ein letztes Ergriffensein in der Tiefe des Herzens sowohl bei den Menschen der Produktion als auch der Rezeption. Aus dieser tiefsten Schicht entfalten sich dann die Einzelprobleme: Film und Masse, Film als Erzieher, denen die Problemreihe der Kirche, Gemeinden und Masse, Glaube und Kunst, Evangelium und Erziehung entsprechen.“ (Kirche und Film, 1. Jahrgang, Nr. 1, 15. Juli 1948, Überschrift: „Die Aufgabe“).
„Die Neuerscheinung soll dem Wunsch der Tagespresse, der kirchlichen Presse und der gesamten Öffentlichkeit nach einer umfassen und aktuellen Information über die vielschichtigen Fragen des modernen Films und des Filmwesens dienen. Zugleich hoffen die Herausgeber, dass die Katholische Filmkorrespondenz ein vermittelndes Organ zwischen der Filmarbeit der katholischen Kirche und der Filmwirtschaft darstellen wird sowie zu den Persönlichkeiten in Ämtern und Behörden, die sich verantwortlich mit Filmfragen befassen.“ (Katholische Film-Korrespondenz, 1. Jahrgang, Nr. 1, 8. Oktober 1955, Überschrift: „Zum Geleit“).
Seit damals, seit 1948/1955 haben sich die Welt, die Kirche und der Film verändert. Es gibt noch immer den Informationsdienst Kirche und Film (35. Jahrgang) und die Film-Korrespondenz, inzwischen ohne das Adjektiv ‚katholische’ (im 28. Jahrgang). Aber, gottlob, auch Kirche und Film und Film-Korrespondenz haben sich seit 1948/1955 verändert.
Es hat einen eigenen Reiz, in älteren Filmzeitschriften zu blättern, sich hier und da fest zu lesen, an Filme erinnert zu werden, die man vielleicht vergessen hat, Autorennamen zu entdecken, die einem heute in ganz anderen Zusammenhängen begegnen. Ich empfehle in diesem Zusammenhang die Lektüre des Filmforums (erschienen von 1951 bis 1960 im Lechte-Verlag, Emsdetten), des Filmstudios (erschienen an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main, vor allem sind die Hefte 34-53 der Jahre 1962 bis 1967 interessant) und der ersten zehn, noch von Hans-Dieter Roos herausgegebenen Nummern der Zeitschrift Film (München 1963/64).
Das Blättern in den ersten Jahrgängen der beiden konfessionellen Informationsdienste ist dagegen enttäuschend. Man liest sich nicht fest, denn die Texte sind abgestanden und muffig. Sie handeln selten von Filmen, sondern mehr von Themen: „Der Film als Mittel der Verkündigung“, „Die Thematik im religiösen Film“, „Die ethische Mission des Films“, „Guter Film – Dienst am Menschen“, „Die sittliche Filmbewertung“, „Wege zum guten Film“; eine konfessionelle Zuordnung dieser Überschriften erübrigt sich. Die Autoren der Texte sind entweder blass formulierende Kirchenmänner oder flach denkende Filmjournalisten.
Die Katholische Film-Korrespondenz, herausgegeben von der Kirchlichen Hauptstelle für Bild- und Filmarbeit, Köln, in Verbindung mit der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) führte 17 Jahre lang ein Schattendasein: sie verbreitete Informationen aus der kirchlichen Filmszene, berichtete über Festivals und machte sich Gedanken über ein Gesamtkonzept katholischer Medienarbeit. Zu Filmen hatte sie konkret nichts zu sagen, denn das besorgte (und besorgt) der film-dienst, der von 1948 bis Mitte 1970 wöchentlich und seither vierzehntägig das gesamte Spielfilmangebot in Kinos und Fernsehen der BRD begutachtet (hat). Die Katholische Film-Korrespondenz bis Mitte 1972 (Redaktion: Wiltrud Meinzinger; Autoren: vor allem Ferdinand Kastner, Walter Müller-Bringmann, Wilhelm Bettecken und der damalige Filmbeauftragte der Katholischen Kirche, Wilhelm Schätzler) ist höchstens historisch als Objekt kirchlicher Selbstdarstellung interessant.
Kirche und Film, die evangelische Konkurrenz, hat früher begonnen, eine nichtkirchliche Öffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen. Im Januar 1953 teilten die Herausgeber ihren Beziehern mit: „Im neuen Gewand und unter neuer Schriftleitung stellt sich Ihnen der bisher in Göttingen erschienene Informationsdienst Kirche und Film vor. In enger Verbindung mit dem epd und mit der Filmarbeit der evange-lischen Kirche auf der einen, mit maßgebenden Männern des Film-schaffens auf der anderen Seite wird er bemüht sein, das Gespräch zwischen Kirche und Film auf seine Weise weiterzuführen.“ Die ‚Schriftleitung’ hatte damals ein Mann übernommen, für den Kirche und Film zum Lebenswerk wurde: Dietmar Schmidt, geboren 1911, verantwortlicher Redakteur bis zum Sommer 1981, also 28 Jahre lang.
Den Untertitel seiner Publikation – Ein Informationsdienst – nahm Schmidt zunächst sehr wörtlich: den meisten Platz auf den 18 maschinenschriftlich vervielfältigten Seiten räumte er Nachrichten ein: aus der evangelischen Filmarbeit, aus dem Ausland, aus der Filmpolitik. Immerhin änderte er schon Mitte 1955 die Rubrik „Filmnachrichten aus der Sowjetzone“ in „Filmnachrichten aus der DDR“ und machte aus der sorgfältigen Beobachtung des Film-geschehens dort ein eigenes Programm: Berichterstattung auch über das Unspektakuläre, Alltägliche; ab 1958 kamen regelmäßige, längere Berichte über neue DEFA-Filme (zunächst von Ulrich Gregor, später von Heinz Kersten) hinzu.
Autoren bei Dietmar Schmidt waren zunächst viele Traditionsschreiber: Kurt Joachim Fischer, Karl Klär, Bert Reisfeld, auch der damalige Filmbeauftragte der Evangelischen Kirche, Werner Hess. Ab 1956 tauchten neue Namen auf, die man aus dem Emsdettener Filmforum kannte: Dieter Krusche, Enno Patalas, Ulrich Gregor, Will Wehling, Hilmar Hoffmann. Patalas schrieb – und das war damals ein Novum – eine Serie über Filmregisseure: Fellini, Carné, Staudte, Kazan, McLaren, Ophüls, de Sica, Reed, Clement, Chaplin, Renoir, Hitchcock, Bunuel, Bergman, Aldrich, Clair, Lang, Welles, Bardem, Visconti (1956-1960), Grundlagen für seinen Anteil an der „Geschichte des Films“, 1962.
Aber in Kirche und Film gab es damals auch Texte von Dr. Theo Fürstenau, jenem hauptamtlichen Gremienfürsten der fünfziger und sechziger Jahre, der in der Freiwilligen Selbstkontrolle der Film-wirtschaft und in der Filmbewertungsstelle der Länder – als diese noch größeren Einfluss hatten – für politischen und moralischen Anstand sorgte. In seinem ersten Beitrag für Kirche und Film machte sich Fürstenau „Gedanken über die Beziehungen zwischen Geschmacksfrage und sittlichem Urteil“ (‚Das eigentliche Übel’, Kirche und Film, August 1955), und in einem Artikel „Zur Rolle der Erotik im westdeutschen Film“ schrieb er: „Zur rechten Behandlung der Erotik im westdeutschen Film gehören Maß und Takt. Und insofern auch moralische Gesinnung, als sie nachweist, dass Impuls der Leidenschaft und geistige Zucht zu dem bemerkenswerten Zweck zusammengehören, eine sinnvolle Lebenshaltung zu verbürgen.“ (‚Hier wird das Leben zersetzt’, Kirche und Film, 6/1957).
Die Krise des bundesdeutschen Films und die „Oberhausener Erklärung“, viridiana und das schweigen – mit Beginn der sechziger Jahre nahm der Zündstoff in der öffentlichen Filmdiskussion zu. Und davon profitierte auch Kirche und Film. Schmidt gewann neue Autoren, die man aus der 1957 gegründeten Zeitschrift Filmkritik kannte: Heinz Ungureit und Hans Stempel, später auch Jörg Peter Feurich und Klaus Hellwig. Und Schmidt motivierte in Frankfurt, bei der Gelegenheit einer Besichtigung der deutschen Filmproduktion des Jahres 1963, einen Neuling, seinen ersten Text über Filme zu verfassen: „Filmmoral 63. Analyse eines Jahrgangs“ hieß der fünfseitige Aufsatz in Kirche und Film, November 1964, der statistisch, feuilletonistisch und ideologiekritisch 63 Filme im Rundumschlag zu erledigen. Der Autor, Klaus Kreimeier, hatte damit einen Aufsehen erregenden Einstand gegeben. Am Ende des Textes stand: „Schluss folgt.“ Diesen Schluss haben die Fernsehhierarchen, bei denen Kreimeier damals in Diensten stand, verhindert. Dietmar Schmidt sorgte für eine ungewöhn-liche Fortsetzung. Er rückte im November 1964 vor den Text „Unmut über den deutschen Film“ eine redaktionelle Anmerkung ein: „Der folgende Beitrag setzt die Analyse des westdeutschen Spielfilms fort, wie sie in der letzten Ausgabe von Kirche und Film unter der Überschrift ‚Filmmoral 63’ versucht wurde. Sein Verfasser, von Hause aus Journalist, leitet die Filmbewertungsstelle der Länder, er ist zugleich als hauptamtlicher Vertreter des Bundesinnenministeriums in der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft tätig.“ Theo Fürstenau als Vollender der Analyse von Klaus Kreimeier… Aber Kreimeier hat sich nicht entmutigen lassen. Er blieb –über manche Krisensituation hinweg – ein treuer Mitarbeiter von Kirche und Film.
In den siebziger Jahren – als die Zeitschrift Film (später: Fernsehen und Film, schließlich: tv heute) verlegerisch in den Ruin geführt worden war, als die Filmkritik eine folgenreiche Metamorphose vollzogen hatte, als es nur noch den Filmteil in medium und zwei Jahre lang die autodidaktische Bemühung von Kino gab – da schrieben für Kirche und Film fast alle, die als Mitarbeiter von Tages- und Wochen-zeitungen einen Namen hatten (haben): Wilhelm Roth, Peter W. Jansen, Heinz Kersten, Wolfgang Ruf, Klaus Eder, Peter B. Schumann, Wilfried Wiegand, Wolfram Schütte, Walter Schobert, Manfred Delling, Karsten Witte, Gertrud Koch, Sebastian Feldmann, Heinz Klunker, Christa Maerker, Dietrich Kuhlbrodt und auch einige, die man sonst nicht regelmäßig las: Ulrich Kurowski, Helma Sanders, Jürgen Ebert, Kraft Wetzel, Dorothea Hollstein, Jürgen Schmidt, Hans Joachim Schlegel. Und es schrieb noch immer: Theo Fürstenau (zum Beispiel über „Die Zeit der Stillosigkeit“, „Die Zeit der Anpassung“ oder: „Ganz ohne selbstgerechte Feierlichkeit: 25 Jahre FBW“).
Der Beginn der siebziger Jahre, das war auch die Zeit, als die katholische Konkurrenz aus ihrem Dornröschenschlaf erwachte. Im Juni 1972 wurde eine neue Film-Korrespondenz geboren, unter dem Dach des „Katholischen Instituts für Medieninformation e.V.“ und redaktionell betreut von Günter Pflaum. In der ersten Nummer konnte man Interviews mit Alexander Kluge und Wilhelm Schätzler über die anstehende Novellierung des Filmforderungsgesetzes, eine sach-kundige Dokumentation über den Kongress der Film- und Fernseh-schaffenden der DDR, ein Porträt von Lotte Reiniger, einen Rückblick auf das Festival von Cannes und die Analyse einiger neuer US-Filme lesen. Dazu: Buchbesprechungen, Nachrichten, Filmpolitik, Film-geschichte und aktuelles Geschehen in Analyse, Dokumentation und meinungsfreudiger Kommentierung: das war das konkrete Programm der Film-Korrespondenz ab 1972.
Und für Günther Pflaum schrieben damals: Wilhelm Roth (zuerst unter dem Pseudonym Wilhelm E. Labisch), Peter B. Schumann, Walter Schobert, Sebastian Feldmann, Christa Maerker, Ulrich Kurowski (meist unter dem Pseudonym Daniel Dohter), Kraft Wetzel – also Autoren, die auch für Kirche und Film schrieben. Und außerdem: Thomas Brandlmeier (besonders lesenswert: seine siebenteilige Serie „Zur Theorie und Praxis des Agitationsfilms“ und die dreiteilige Reihe über Douglas Sirk), Vinzent B. Burg, Johannes Horstmann, Rupert Neudeck, Roald Koller, Jeanine Meerapfel, Peter H. Schröder (aus Paris), Manual Alcalá (aus Spanien), Robert Schär (aus Italien). Die Film-Korrespondenz entwickelte plötzlich – vor allem mit den Beiträgen von Kurowski, Brandlmeier und Burg – filmhistorisches Bewusstsein, öffnete mit Geburtstags- und Gedenkartikeln den Blick auf die deutsche und amerikanische Filmgeschichte und setzte mit langen, oft in mehreren Folgen veröffentlichten Aufsätzen das Vorurteil außer Kraft, dass sie ein Nachrichtendienst der katholischen Filmarbeit zu sein habe.
Die bundesdeutsche Filmpolitik wurde kenntnisreich vom Redakteur selbst dokumentiert und kommentiert. Günther Pflaum (der sich ab 1974 Hans Günther nannte, um nicht immer mit einem anders denkenden Kollegen verwechselt zu werden) blieb knapp vier Jahre verantwortlicher Redakteur der Film-Korrespondenz. Im März 1976 veröffentlichte er einen ziemlich scharfzüngigen Text des Filmemachers Hans Rolf Strobel zu (film)politischen Entwicklungen in der BRD („Die Anfänge sind schon gemacht – Zunehmende Freiheitsbeschränkungen am Beispiel Film“). In dem Text gibt es eine Passage – „Was können Franz Josef Strauß und Herr Tandler, Herr Waldleitner und Herr Purzer… in einem repressiven Klima daraus machen? … Sie können alles verhindern, was ihnen nicht passt, sie können den verbleibenden Rest von Freiheit beseitigen. Sie können alle kritischen Filmemacher aushungern, sie ins Gefängnis werfen oder aus dem Land jagen. So mächtig waren Goebbels und die Reichsfilmkammer nicht, wie im Filmbereich durch die bereits bestehenden Gesetze, Erlasse und Verordnungen und ihre bevorstehenden Veränderungen später Mächtige sein werden.“ – die Pflaums Hierarchen auf den Plan rief. Herausgeber (das Katholische Institut für Medieninformation) und Chefredakteur (Herbert Janssen) distanzierten sich in der Korrespon-denz von der zitierten Passage, und der damalige Filmbeauftragte der Katholischen Kirche, Wilhelm Schätzler, schrieb in einem Leserbrief: „Beiträge dieser Art und Form haben in einer Fachkorrespondenz eines katholischen Instituts nichts zu suchen.“ Pflaum wurde nicht gefeuert, er zog selbst die Konsequenzen, blieb dem Blatt nur als Mitarbeiter verbunden. Nachfolger als verantwortlicher Redakteur wurde im September 1976 Peter F. Gallasch.
Gallasch, geboren 1920, ein Journalist mit vielseitigen Erfahrungen, brachte die Film-Korrespondenz in ein ruhigeres Fahrwasser. Einige Autoren gingen ihm dabei verloren, neue kamen hinzu. Bis Mitte 1981 blieb der Dienst einigermaßen interessant, und er war wichtig vor allem dort, wo Texte ohne falschen Aktualitätsehrgeiz ihren Gegenstand ausführlich erfassen konnten. Ich erinnere mich an ein schönes Porträt von Werner Hochbaum (Autor: Frank Arnold), an Aufsätze über den neuen deutschen Film von Jan Dawson, an eine kenntnisreiche Darstellung der Kung-Fu-Filme (Autor: Horst-Peter Koll).
Im Juli 1981 hat der Herausgeber, das Katholische Institut für Medieninformation e.V. (in Zusammenarbeit mit der Zentralstelle Medien der Deutschen Bischofskonferenz, Referate Film/Medien), die Erscheinungsweise verändert: Die Film-Korrespondenz wird seither vierzehntägig veröffentlicht, und ich denke, das hat ihr Schaden zugefügt. Die Möglichkeit, schneller auf das aktuelle Geschehen zu reagieren, hat ja eine Kehrseite. Sie verführt dazu, über Ereignisse zu berichten, die bei einer Monatspublikation schon vergessen wären. Es mag sein, dass der aktuelle Informationsgehalt dadurch gestärkt worden ist, aber das geschah auf Kosten jener Texte, die über den Tag (und den schnellen Konsum) hinaus Bestand haben. Außerdem ist festzustellen, dass der Anteil kirchenimmanenter Berichte größer geworden ist. Also: wieder mehr Selbstdarstellung. Eine Rückentwicklung?
Autoren der Film-Korrespondenz sind heute (neben dem Redakteur Gallasch) vor allem: Frank Arnold, Wilhelm Bettecken, Mathias Fuchs, Rolf-Ruediger Hamacher, Horst-Dieter Kalbfleisch, Heinz Klemm, Horst Peter Koll, Thomas Pfister, Heinz Peter Schwerfel. Ich vermisse Kurowski, Burg, auch Brandlmeier.
Im Juli 1981, als die katholische Film-Korrespondenz ihre Erscheinungsweise veränderte, verabschiedete der evangelische Informationsdienst Kirche und Film nach 28 Dienstjahren seinen Redakteur Dietmar Schmidt mit einer Sonderausgabe zu dessen 70. Geburtstag. Eine „Papier-Feier“ nannte Helma Sanders-Brahms ihren Glückwunsch- und Abschiedstext für D. Sch. Das aufwendiger als sonst hergestellte Heft ist ein schönes Papier-Denkmal, und was über Dietmar Schmidt zu sagen ist, ist fast alles dort gesagt worden. Allerdings hat Theo Fürstenau es sich nicht nehmen lassen, bei dieser Gelegenheit als Kunstrichter aufzutreten und Pasolinis salò-Film abzuurteilen (Überschrift: „Der moralische Aspekt“). Aber vielleicht war es ja der letzte Fürstenau-Text in Kirche und Film.
Nachfolger von Dietmar Schmidt wurde Wilhelm Roth. Herausgeber ist seit 1974 das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik in Frankfurt am Main, Chefredakteur (seit 1981): Hans Hafenbrak. Kirche und Film erscheint monatlich. In der Generallinie achtet Roth auf Kontinuität, auf „Pluralismus im positiven Sinne“, im einzelnen gab es Veränderungen. Peter W. Jansen, der sieben Jahre lang seine monatlichen „Kino-Notizen“ abgeliefert hat, ist von dieser Aufgabe entlastet worden. Roth will jährlichen Wechsel: 1982 schreiben Christian Bauer und Jürg Bundschuh, für 1983 ist Claudia Lenssen engagiert. Die Kolumne ist als Herausforderung, frei von den Zwängen einer Tages-zeitung über Film zu schreiben, allerdings noch zu wenig genutzt worden. Zu den Autoren, die sich etwas gründlicher mit Filmgeschichte beschäftigen, gehört bei Kirche und Film jetzt Thomas Brandlmeier. Seine Texte über Oliveira, Ozu, Feuillade, Bernhardt, Das Jiddische und das Kino erinnern an die besten Jahre der Film-Korrespondenz. Ausgebaut werden soll die Rubrik „Filmliteratur“. Die gelegentlich inflatorischen Festivalberichte müssen schon aus Platzgründen auf spezielle Aspekte konzentriert werden; das besondere Augenmerk gilt dann jenen Veranstaltungen, über die in der Tages- und Wochenpresse kaum berichtet wird.
Roths Leser – und es sind wohl auch die Leser von Gerlach – gelten als Fachleute, sie sitzen in den Reaktionen von Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunkanstalten, es sind Verleiher, Produzenten und Kino-besitzer, es sind so genannte Multiplikatoren in den verschiedensten Medieninstitutionen, in Universitäten, in Volkshochschulen. Es sind auch Privatleute dabei. Nur circa 20 Prozent sind direkt kirchliche Bezieher. Der Nachdruck von Texten, wie es den Abnehmern zu besonderen Konditionen erlaubt ist, ist die Ausnahme.
Publikationen wie Kirche und Film und die Film-Korrespondenz haben möglicherweise nur geringe Wirkung in die Kirche hinein. Aber sie sind auf indirekte Weise Werbung der beiden Kirchen nach außen. Die Redakteure nutzen die Bereitschaft der Herausgeber, ein Stück relativ unabhängiger Filmpublizistik institutionell zu sichern, auf mehr oder weniger weltliche Weise: indem sie aus Liebe zum Film, Das Kino wichtiger nehmen als die Kirche. Sie gehen wohl auch öfter ins eine als ins andere. So gesehen ist der Titel des evangelischen Informations-dienstes Kirche und Film ein rührender Anachronismus. Und damit die Proportionen klar werden: Die Hamburger Zeitschrift Cinema, die auflagenstärkste Filmpublikation in Europa, druckt zurzeit monatlich fast 300 000 Exemplare. Kirche und Film hat 380 Bezieher, die Film-Korrespondenz 280.
Hans-Günther Pflaum (Hg.): Jahrbuch Film 82/83. München: Carl Hanser 1982.