Texte & Reden
15. Dezember 1980

William H. Clothier. Speziell: Männer, außen

Text für die Zeitschrift Filme

Die Kameraarbeit in cheyenne und der mann, der liberty valance erschoss

In den Filmen von John Ford werden Geschichten erzählt. Die Filme von John Ford handeln von Familien, Verwandtschaften, Feind-schaften, von Geburt und Tod, von Amerikanern, Iren, Indianern und Soldaten. In ihren Geschichten reflektieren die Filme Geschichte. Vor allem aber bestehen die Filme von John Ford aus Bildern.

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Die Bilder der zwanzig schönsten Filme von John Ford haben zwölf Kameramänner gemacht:

straight shooting (1917) George Scott

the iron horse (1924) George Schneiderman

three bad men (1926) George Schneiderman

the informer (1935) Joseph H. August

sTagecoach (1939) Bert Glennon

young mr. lincoln (1939) Bert Glennon

drums along the mohawk (1939) Bert Glennon

the grapes of wrath (1940) Gregg Toland

the long voyage home (1940) Gregg Toland

how green was my valley (1941) Arthur Miller

my darling clementine (1946) Joseph MacDonald

fort apache (1948) Archie Stout

she wore a yellow ribbon (1948) Winton C. Hoch

wagonmaster (1950) Bert Glennon

rio grande (1950) Bert Glennon

the quiet man (1952) Winton C. Hoch

the searchers (1956) Winton C. Hoch

the man who shot liberty valance (1962) William H. Clothier

donovan’s reef (1963) William H. Clothier

cheyenne autumn (1964) William H. Clothier

Mit Schneiderman hat Ford insgesamt 16 Filme gemacht, mit August 14, mit Glennon und Hoch je sechs, mit Clothier fünf. Clothier hat bei August und Glennon als Assistent gelernt und auch bei Archie Stout (als Assistent in fort apache).

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In dem Film cheyenne autumn (1964) wird die Geschichte einer indianischen Passion erzählt und das Fragment einer Liebesgeschichte zwischen Richard Widmark, der einen Captain, und Carroll Baker, die eine Lehrerin spielt. Carroll Baker solidarisiert sich mit den Indianern, weil sie Quäkerin ist, Widmark sympathisiert mit den Indianern, weil Carroll Baker mit ihnen sympathisiert. Carroll Baker begleitet die Indianer auf ihrem Leidensweg.

Ziemlich am Anfang des langen Films gibt es eine Szene, in der Widmark auf der Suche nach Carroll Baker ins verlassene Schulhaus stürzt. Die Kamera steht innen, im Dunkeln. Widmark stößt die Tür auf, helles Licht dringt ein, draußen sieht man einen Soldaten, der auf Widmark wartet, und Felsen, die wie riesige Kakteen aussehen, und ein Stück blauen Himmel. Innen teilt ein Holzpfeiler das Bild in zwei Hälften. Der Schulraum ist leer. Auf der Tafel steht ein Abschiedssatz: Die Quäkerin sieht ihren Platz bei den indianischen Waisenkindern. Während Widmark hinausrennt, betritt Bakers Onkel den Raum. Die Tür bleibt offen. Die Kamera nimmt die dunkle Schulraumwand auf und den Blick nach draußen: Widmark reitet weg. Durch die Tür sieht man in der Landschaft eine Fahnenstange. Das Bild bleibt einen Moment stehen; es ist schön in seinem Verweis auf Bilder in anderen John Ford-Filmen, wo die Kamera durch eine sich öffnende Tür nach draußen blickt. Manchmal folgt die Kamera dann den Menschen, die hinausgehen.

Der Gestus der Bilder in cheyenne autumn ist elegisch. Die Indianer bewegen sich langsam, über viele Monate, in Richtung Nordwesten, aus den ungeliebten Reservaten in die alte Heimat. Von Oklahoma über Kansas, Colorado nach Wyoming. Die Geographie als Raum und die Bewegung als Zeit sind Bestandteil der Bilder.

Der Film ist eindrucksvoll, wenn er vom Sommer bis zum Winter die Cheynnes zeigt: auf Pferden, auf Wagen und zu Fuß, in stoischer Ruhe und im Kampf. Panoramabilder mit langsamen Schwenks. Heller Tag und dunkle Nacht. Blauer Himmel, Wolken, Regen, Schnee. Manchmal blickt die Kamera schräg von oben auf das weite Land, über das die Indianer hinwegziehen; manchmal sieht man einen hohen Himmel, in dessen Blau sich plötzlich Gesichter von Indianern hineinschieben.

Der Film ist langweilig, wenn er zwischendurch eine Geschichte vom alten Wyatt Earp erzählt, der zusammen mit Doc Holliday Poker spielt, kurzsichtig ist und nebenbei versucht, sich an der Jagd auf die Cheyennes zu beteiligen. Die Bilder sind hier bemüht lebhaft. Sie unterbrechen störend den Rhythmus einer langsamen Erzählung.

Später sieht man dann die Indianer wieder durchs Land ziehen. Zwischen vielen Szenen gibt es Überblendungen, in denen momentweise zwei schöne Bilder übereinander zu sehen sind.

70mm, Super-Panavision, Farbe: Technicolor. Kamera: Bill Clothier.

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Clothier: Ford hat mich meine Arbeit machen lassen und nicht hineingeredet. Wenn ich mit der Vorbereitung einer Einstellung fertig war, sagte ich, ‚Jack, I’m ready to go’, und er sagte dann ‚Okay, get up’, setzte sich in die Nähe der Kamera, und wir drehten die Szene. Ich hatte also alle Freiheiten, und es sind mir auch gute Sachen geglückt. Als der Film fertig war, hat mich Ford nach einer Vorführung in den Arm genommen und gesagt: ‚This is the best-photographed picture I ever made in my life.’ Da war ich natürlich sehr stolz.

Ford drehte eigentlich nur das, was er brauchte. Und er wusste sehr genau, was er brauchte. Manchmal fragte ich ihn: ‚Jack, don’t you want to get a close-up?’, und er sagte ‚If I make a close-up, I’ll use them.’ Andere Regisseure, die oft nicht genau wissen, was sie wollen, wiederholen Einstellungen und lassen sie in verschiedenen Größen und aus verschiedenen Winkeln auf­nehmen. Sie entscheiden dann im Schneideraum, was sie verwenden wollen. Ford hatte jeden Film eigentlich schon während des Drehens im Kopf.

Bill Clothier: geboren 1903 in Decatour, Illinois. Wehrdienst (Service) mit 16, danach Gelegenheitsarbeiten in Texas. Keine Lust zur Highschool. 1923 nach California, erster Job bei Warner Brothers: Scenic Artist. Er malt Kulissen. Und wechselt nach sechs Monaten zur Poverty Row, malt auch dort. Nach acht Monaten ist er Head of Scenic Design. Aber da sind andere Träume: Er will hinter die Kamera. Die Industrie ist noch flexibel. Für 20 $ die Woche wird Clothier Assistent bei Ernie Palmer, lernt mit der Bell & Howell umzugehen und kriegt einen Vertrag bei Paramount. Da bleibt er bis 1930. In guter Erinnerung ist ihm die Arbeit an wings von William Wellman: aufregende Flugaufnahmen mit 16 Kameras (Wellmann, das war a great guy); und die Arbeit an vier Filmen mit Emil Jannings: the last command (Regie: Sternberg, Kamera: Glennon), the patriot (Regie: Lubitsch, Kamera: Glennon), street of sin (Regie: Stiller, Kamera: Glennon), under world (Regie: Sternberg, Kamera: Glennon). Über Jannings: a wonderful guy, über Lubitsch: a wonderful man, über Sternberg: I didn’t adore him and I didn’t hate him. 1930 wechselt Clothier zu RKO, bleibt aber auch dort Assistent. 1933 wird in Hollywood gestreikt; Arbeitslosigkeit ist die Folge. Clothier geht nach Mexico City, arbeitet dort als Director of Photography und lernt seine spätere Frau kennen: Carmen Estrabeau, Ausdruckstänzerin; sie spielt 1963 in donovan’s reef die Ordensschwester Gabrielle. Während des Bürgerkriegs arbeitet Clothier in Spanien u.a. als Wochenschaukameramann, dann als Dokumentarist für Pare Lorenz. Weltkrieg II: Photographic Officer bei der Air Force. Dreht das Material für William Wylers this memphis belle. 1945/46 verbringt er in Deutschland (Wiesbaden/München). Zur persönlichen Beute gehört eine neu entwickelte Arri-Kamera. Zurück in Hollywood und wieder Assistent. Erste Arbeiten als First Cameraman 1947/48/50 für John Reinhardt und W. Lee Wilder; Luftaufnahmen für Sternberg und Wellman. Seine Karriere als Cinematographer beginnt erst 1953. Da ist er 50 Jahre alt und ein Profi.

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Clothier: Was ich gern gemacht habe und was ich gut kann sind Outdoor-Pictures. Ich habe nicht gern im Studio gearbeitet. Ein paar Tage, ja, aber dann musste ich raus, möglichst in die Berge. Da fühlte ich mich zuhause. Und so war ich ein gefragter Outdoor-Cameraman. Ich finde es schwer, in der Natur für die Filmarbeit etwas zu verändern oder zu verbessern. I think the good Lord made these hills and these rocks and did a pretty fair job on them, I don’t know how I can improve on it. Du kannst in die Berge fahren und die Kamera aufstellen, und wenn du einen Sinn für Bildkompositionen hast, machst du gute Bilder, weil du die Natur nicht verbessern kannst. Ich kannte Kameraleute, die haben Bäume und Felsen anmalen lassen, Schatten mit Farben herge­stellt usw. Ich hab das nie getan. Ich glaube, das ist nicht nötig.

Ich kenne viele Kameraleute, die genau wissen, wie man eine Frau gut ausleuchtet und in Szene setzt, aber sie wissen nicht, wie man einen Mann gut fotografiert. Ich hab mich immer bemüht, genauso viel Mühe auf die Männer in den Filmen zu verwenden wie auf die Frauen. Das hat sich rumgesprochen. Und so wurde ich auch bekannt als man’s-cameraman. Peckinpah und Fuller holten mich, weil ich gut bin für Männer und Outdoor-Pictures. Viele Jahre war ich fest bei John Waynes Produktionsfirma Batjac unter Vertrag, aber zwischendurch wollten mich auch andere Männer als Kameramann haben: Jimmy Stewart und Henry Fonda zum Beispiel, mit denen ich dann the cheyenne social club gemacht habe.

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Filme, die Bill Clothier fotografiert hat (Auswahl):  1951  jet pilot/düsenjäger – Regie: Josef von Sternberg.  –  1954  track of the cat – Regie: William A. Wellman (und sechs weitere Filme für Wellman).  –  1955  the sea chase/der seefuchs – Regie: John Farrow.  –  1956  seven men from now/der siebente ist dran Regie: Budd Boetticher.  –  1958  china doll/china doll – Regie: Frank Borzage.  –  1959  the horse soldiers/der letzte befehl Regie: John Ford.  –  1960  the alamo/alamo – Regie: John Wayne.  –  1961  the comancheros/die comancheros Regie: Michael Curtiz.  –  deadly companions/gefährten des todes Regie: Sam Peckinpah.  –  1962  merrill’s marauders/ durchbruch auf befehl Regie: Samuel Fuller  –  1963  mclintock/mclintock – Regie: Andrew McLaglen  (und zehn weitere Filme für McLaglen).  –  1964   a distant trumpet/die blaue eskadron Regie: Raoul Walsh.  –  1965  stagecoach/san fernando – Regie: Gordon Douglas (und vier weitere Filme von Douglas).  –  1967  the war wagon/die gewaltigen – Regie: Burt Kennedy.  –  firecreek/die fünf vogelfreien – Regie: Vincent McEveety.  –  1970  the cheyenne social club/ geschossen wird...  Regie: Gene Kelly.  –  rio lobo/rio lobo  Regie: Howard Hawks.  –  1971  big jake/big jake – Regie: George Sherman.  –  1973  the train robbers/dreckiges gold – Regie: Burt Kennedy.  –  seit 1974 retired

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Clothier, das ist ein Kameramann vor allem der alten Regisseure. Er hat den letzten Film von Michael Curtiz fotografiert, den letzten Film von Howard Hawks, den letzten Film von Raoul Walsh, die späten Filme von John Ford (außer seven women). Und auch die vielen Filme von Andrew McLaglen, dem heute 55jährigen, sind ja Filme eines alten Mannes.

Clothiers Stil ist – deswegen? – klassizistisch. Er hat das Komponieren in den Zwanzigern, Dreißigern, Vierzigern gelernt, aber er macht in den Fünfzigern und Sechzigern ja nicht mehr alte 1:1,37-Bilder, sondern Panoramen in 1:2,35 in CinemaScope oder gar Panavison. Wenn Clothier Perspektiven komponieren kann, Vordergrund und Hintergrund in Beziehung setzt, Bewegungen staffelt, dann ist er auf der Höhe der Maler des amerikanischen Westens. Da ist die Verbindung zur Genrekunst von Frederic Remington oder Charles M. Russell zu entdecken. Clothiers Kino ist ein Kino der Totalen und Halbtotalen, der Aktionen am Fluß oder in den Bergen, es funtkioniert aber nicht in der Großaufnahme. Das nahe Gesicht: das ist dann leicht der geschminkte Held oder der Theaterschurke.

Selten gibt es bei Clothier Zoom-Bewegungen oder spontane Kameraoperationen. Dramatik ist vor der Kamera inszenierte Dramatik. Daraus resultiert die Gefahr, dass Bilder zu ihrem eigenen Rahmen degenerieren. Man vergleiche einmal den Stil von Lucien Ballard, der nur fünf Jahre jünger ist als Clothier und die späten Filme von Boetticher und die mittleren von Peckinpah fotografiert hat, mit Clothiers Stil, den Modernismus von the wild bunch mit dem Klassizismus von bandolero.

Die Helden, die Clothier vor der Kamera hat, sind natürlich auch in die Jahre gekommen. Mit der Sechziger, als Clothier den Höhepunkt seiner Karriere erreicht hatte, waren John Wayne und Henry Fonda um die 60, James Stewart Ende 50, Kirk Douglas und Richard Widmark Anfang 50. Und wenn John Wayne in seinen späten Filmen nicht mehr so leicht aufs Pferd kommt, dann muss das Bild groß genug sein, um die Aufmerksamkeit woanders zu zentrieren. Clothier war auch da ein Profi.

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Clothier: Den Film the man who shot liberty valance hätte ich gern in Farbe gedreht. Aber Ford bestand auf Schwarzweiß. Er hatte dabei vor allem den Gunfight zwischen Marvin und Stewart im Kopf. Das war für ihn die Schlüsselszene, und die konnte er sich partout nicht in Farbe vorstellen. Als der Film fertig war, musste ich ihm Recht geben. Ich behaupte übrigens, dass es viel leichter ist in Farbe zu drehen als in schwarzweiß. Beim Farbfilm musst Du, etwas einfach ausgedrückt, nur darauf achten, dass in den Bildern nicht zu viele Farben drin sind, bei schwarzweiß ist die Komposition und die Abstufung der Grauwerte viel komplizierter.

Wir haben mehr als achtzig Prozent im Studio gedreht, auch die erste Szene, wenn Lee Marvon Jimmy Stewart aus der Postkutsche holt und auf den Büchern rumtrampelt. Das sieht beim ersten Blick nach Außenaufnahmen aus, wurde aber wie das meiste andere im Studio arrangiert. Eigentlich ist das ja nicht meine Sache, aber in diesem Fall hat es mir Spaß gemacht. ‚Duke’, Lee Marvin und Jimmy Stewart haben sich wunderbar mit Ford verstanden. Es war ein sehr harmo­nisches Arbeiten, ohne Aufregungen, ohne Streit. Ich denke, das merkt man dem Film auch an.

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An dem Film the man who shot liberty valance (1962) hat die meisten, die über den Film geschrieben haben, die Geschichte interessiert: dass der Mann, der angeblich Liberty Valance erschossen hat, ihn in Wirklichkeit nicht erschossen hat. Und dass der Mann, der Liberty Valance tatsächlich erschossen hat, damit sich selbst getötet hat. Und dass der Mann, der Liberty Valance nicht erschossen hat, in einem radikalen Sinne sowohl Liberty Valance umgebracht hat als auch den Mann, der Liberty Valance tatsächlich erschossen hat. Der Film hat einmal die Western-Philosophen auf den Plan gerufen, es ist über den Mythos geschrieben worden und über das Verhältnis von Legende und Wahrheit.

Über die Bilder des Films ist erstaunlich wenig geschrieben worden. Weil in dem Film viel geredet wird und die Schauspieler ihr solides Handwerk vorführen, fallen die Bilder zunächst auch nicht so auf. Aber sie sind anders als sonst in den Filmen von John Ford oder von Bill Clothier. Es gibt nur drei extreme Totalen: am Anfang, wenn das Bild aus der Dunkelheit aufblendet und eine Lokomotive mit zwei Wagen durch eine Hügellandschaft in einer Kurve auf uns zufährt, am Ende, wenn der kleine Zug in einer weiten Ebene wieder entschwindet, und in der Mitte des Films, wenn James Stewart auf einem Kutschwagen über die Prärie rast und das Schießen üben will.

the man who shot liberty valance ist ein Film der Nähe und Enge, der Innenräume, auch der Nacht, der Schatten, der Details. Seine Story ist eingebettet in eine Rahmenerzählung: Ransom Stoddard (James Stewart), der angeblich Liberty Valance erschossen hat und inzwischen Senator geworden ist, kommt mit seiner Frau Hallie (Vera Miles) privat und überraschend in das Städtchen Shinbone zur Beerdigung von Tom Doniphon (John Wayne), der, wie wir später erfahren, tatsächlich Liberty Valance erschossen hat. Zeitungsreportern erzählt Stoddard die Geschichte, wie sie sich vor dreißig Jahren zugetragen hat. In der Rahmenstory ist Shinbone – und diesen Eindruck konstituieren allein die Bilder – ein Sonntagsstädtchen: sonnig, freundlich, mittelwestlich, frei von Banditen und Bazillen, clean bis zur Sterilität. Den einzigen wirklichen Schatten wirft der schwere Holzsarg, in dem die Leiche des alten Tom Doniphon liegt.

Die Geschichte, die Ransom Stoddard erzählt, beginnt nachts: Ein Postkutschenüberfall, eine erste Konfrontation zwischen dem Outlaw Liberty Valance und dem Rechtsanwalt Stoddard, der natürlich den Kürzeren zieht. Nur eine Lichtung, Gewalt auf kleinstem Raum, Gesichter, eine Peitsche mit silbernem Griff, inszenierte Emotionen. Tom Doniphon findet den verletzten Stoddard (aber das sehen wir nicht) und bringt ihn in eine Kneipenküche in Shinbone. Hallie Ericson, die resolute Tochter der Kneipiers, mit Doniphon distanziert verbunden, kümmert sich um den Verletzten. Draußen ist es Nacht, innen ist es hell und menschlich.

Nur drei Vorgänge des Films bis zum späten Tod von Liberty Valance spielen am Tag: eine Schulstunde, eine Wahlversammlung, eine Schießübung; Konfrontationsszenen auch dies, aber mit unterschiedlichen Gegnern, und es geht da nicht um Leben oder Tod. Sonst ist es Abend/Nacht: helles, schattenloses Licht in den Saloons und Kneipen, besonders in der Küche der Ericsons. Dunkel auf der Straße. Die Stadt hat einen Überall- und Nirgendwo-Charakter. Die Bilder: meist halbnah oder amerikanisch, zuweilen nah oder groß, nach außen sieht man durch die Fenster.

Zwei Szenen in der Druckerei des „Shinbone-Star“, dessen Herausgeber, Dutton Peabody (Edmund O’Brien), ein ewig betrunkener Streiter für die Pressefreiheit ist. Enthusiasmiert durch einen gelungenen Enthüllungsartikel über Liberty Valance hält Peabody an einem Abend eine Ansprache, die nur von seinem eigenen Schatten angehört wird. Dann wankt er auf die Straße. Als er später noch einmal in seine Druckerei taumelt und die Petroleumlampe anzündet, werden drei Schatten lebendig: Liberty Valance und seine beiden Begleiter. Mit dem Licht kommt für Peabody fast der Tod.

Das Duell zwischen Liberty Valance und Ransom Stoddard ist zuerst ein Kampf in Schatten und Dunkelheit; auch da ist er für Stoddard schon verloren. Dann lockt Liberty Valance Stoddard ins Licht und will den letzten, tödlichen Schuß abgeben. Wird aber selbst erschossen. Später sehen wir die Szene aus dem Blickwinkel von Tom Doniphon. Da löst sich John Wayne als übergroßer Schatten von der Kamera, wirft einen zweiten Schatten auf eine Hauswand und greift ins Duell ein: erschießt Marvin, der jetzt im Licht steht. Doniphon verliert damit Hallie Ericson an Ransom Stoddard.

In einem anderen, sehr schönen Bild hat er sie schon vorher verloren. Als die Konflikte in Shinbone zunehmen, gibt er vor, eine Reise zu unternehmen. Er verabschiedet sich von Hallie, der er zuvor eine Kaktusrose geschenkt hat. Die Kamera steht draußen, im Dunkeln. Wayne kommt aus der Tür heraus. Vera Miles bleibt in der Tür stehen. Das Licht fällt von hinten auf sie und zeichnet ihren Schatten im offenen Türrahmen ab. Er reitet weg, sie schaut ihm nach.

Inszenierung und Kamera haben in diesem Kammerspiel eine große Aufmerksamkeit für Gegenstände/Objekte: die Peitsche mit dem Silbergriff, natürlich die Colts, aber vor allem: Teller, Flaschen, Steaks in der Küche, Petroleumlampen, Bücher, Bilder an der Wand, Schilder mit Aufschriften, die Wandtafel und die Glocke in der „Schulstube“, der Holzhammer in der Wahlversammlung – all das ist mit großer Präzision in die Bilder integriert, gibt Kontrapunkte zu den Gesichtern, die das Drama darzustellen haben.

Und schließlich spielt die Kamera auch mit den Kostümen. Ford treibt einen wahren Kult mit Mänteln, Jacken, Anzügen, Arbeitskleidern in allen Schattierungen zwichen Hell und Dunkel. Vor allem mit Hüten. Nur James Stewart bewegt sich barhäuptig durch die Geschichte. Es gibt um ihn herum so etwas wie eine Choreographie der Kopfbedeckungen, wenn sie in den Händen gehalten, beiseitegelegt oder noch dort stolz getragen werden, wo man sie eigentlich abnimmt. Da ist eine spielerisch-ironische Ebene in den Film eigebaut, die jenseits der erzählten Geschichte funktioniert. Sie funktioniert als Wechselspiel zwischen Inszenierung und Kameraführung, als Konkretisierung einer sonst fast abstrakten Konstruktion.

So hat the man who shot liberty valance seinen spezifischen Reichtum an Bildern. Von der Beerdigung des Tom Doniphon, zu der die Stoddards nach Shinbone gekommen sind, gibt es freilich keine Bilder. Die Stoddards reisen vorher ab.

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Clothier: Ford sah sich selten den Bildausschnitt durch den Sucher in der Kamera an. Manchmal justierte ich für sein Auge die Optik. Aber meist stand er nur neben mir und ließ sich die Begren­zungen des Bildes zeigen, wie ich es eingestellt hatte. Und damit war er in der Regel ein­verstanden. Sein Drehverhältnis war selten mehr als 1 : 3. Ich habe nur einen Regisseur kennen gelernt, der noch sparsamer war: James Cruze. Der montierte schon in der Kamera und rief ‚Cut!’ mitten in eine laufende Aktion, wenn er in eine andere Einstellung umschneiden wollte. Für den Editor war das dann eine leichte Arbeit. Das Gegenteil war Sternberg. Er hatte den ganzen Schneideraum voll mit Material, weil er sich bei den Aufnahmen nie für eine Einstellungsgröße entscheiden konnte. Also wurde jede Szene aus den verschiedensten Winkeln, mit den verschie­densten Objektiven gedreht.

Ärger hatte ich mit Howard Hawks bei rio lobo. Er hatte mich als Kameramann genommen, weil ich zu Duke gehörte. Er war bei den Dreharbeiten nicht sehr konzentriert und kam oft mit halb­fertigen Dialogen zum Drehort. Eines Abends sahen wir uns Muster in der Projektion an. Das Laboratorium hatte mich verständigt, dass es eine schlechte, viel zu dunkle Kopie sei, das Negativ sei aber in Ordnung. Hawks sagte nach der Mustervorführung: ‚Wir drehen das morgen noch mal, das ist mir viel zu dunkel.’ Ich sagte ihm, was mir das Laboratorium mitgeteilt hatte. Aber er blieb dabei: ‚Wir drehen noch mal.’ Bei der Wiederholung der Aufnahmen änderte Hawks den Dialog. Und da war ich natürlich ziemlich sauer, denn die angeblich zu dunklen Bilder waren nur ein Vorwand, um nun seine lausigen Texte verbessern zu können. But, forget it!

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Ein Tag bei Bill Clothier und Carmen Estrabeau in ihrem Haus (mexikanischer Stil) in der Nähe des Pasadena Freeways in San Fernando Valley, L.A: Das war ein Tag der schönen Geschichten aus den Jahren, als Hollywoods große Regisseure schon alt waren. Späte Legenden.

Clothier, nach dem Film gefragt, den er am liebsten gedreht hat und am meisten schätzt, sagt: the alamo.

 

Filme, Nr. 6, 15. Dezember 1980