28. Juli 1965
UNION PACIFIC (1939)
Text für die Zeitschrift Film (Velber)
Moses und Wild Bill Hickok, Cleopatra und Calamity Jane waren für Cecil B. DeMille vergleichbare Größen. Die Legende hatte ihr mythologisches Kapital so verzinst, dass sich eine spektakuläre Filminszenierung auszahlte. DeMiile, 77jährig 1959 gestorben, machte Historisches stets unterhaltsam und konsumierbar, indem er politische Zusammenhänge auf private Kabalen und Liebeleien reduzierte. Sein Hang zu aufwendigen Arrangements und die Energie, mit der zu produzieren verstand, haben ihn berühmt und berüchtigt gemacht. DeMille-Stil – das ist ja noch heute ein Etikett für das Monumentale und die Show.
Auch bei UNION PACIFIC war es der Gigantismus des Themas, der den Regisseur reizte. Ein Schrift-Prolog („Die Geschichte der Union Pacific ist zugleich ein Stück Geschichte einer jungen Nation, die mit Zähigkeit und Idealismus die endlosen Weiten des Westens durch eine eiserne Straße erobert. Denn der Westen ist das Herz Amerikas – und gestern noch war die Union Pacific der Westen.“) und ein Bild-Epilog (ein Stromlinienzug rauscht in der letzten Einstellung über die Leinwand) kennzeichnen DeMilles Absicht: ein Denkmal zu schaffen für den Pioniergeist, der sich beim Bau der transkontinentalen Eisenbahn offenbarte. Die Tonart, in der er seine Iron-Horse-Opera vorträgt, lässt dabei keine Melancholie aufkommen, sie ist vielmehr auf naiven Fortschrittsoptimismus gestimmt.
Die Handlung setzt sich nach der Wettlauf-Dramaturgie in Bewegung: Die von Sacramento nach Osten geführte Central-Pacific-Bahn und die von Nebraska nach Westen vorgetriebene Union-Pacific-Linie sollen sich vereinigen. Ihr Treffpunkt ist ein Objekt politischer und wirtschaftlicher Spekulationen. Die Geschwindigkeit, in der gearbeitet wird, und die Fülle der Hindernisse bestimmen das Tempo und die Handlungsdichte des Films. DeMille interessierte sich nur für die eine Seite, er beschränkte sich auf die Schilderung der Intrigen und Widrigkeiten beim Bau der Union Pacific.
Ein Finanzier, der sich von Bauverzögerungen Gewinne verspricht, engagiert eine Spielerbande, die für die Ablenkung der Arbeiter sorgt und Unruhe stiftet. Die Eisenbahngesellschaft besorgt sich daraufhin einen Aufseher, der mit dem Revolver umzugehen versteht: Jeff Butler (Joel McCrea). Er trifft unter seinen Gegnern einen Kriegskameraden, Dick Allen (Robert Preston). Sie stehen diesmal auf verschiednen Seiten. Zwischen den Fronten laviert Mollie, die Tochter eines Zugführers (Barbara Stanwyck). Die Dreiecksgeschichte – Mollie zwischen Dick und Jeff – ergibt sich wie notwendig und wird erst zum Schluss gelöst, wenn Dick als Blutopfer auf der Strecke bleibt. Privates (die Liebe zu Mollie, das Freund-Feind-Verhältnis zu Dick) und Geschäftliches (Ordnung unter den Arbeitern zu schaffen und unliebsame Elemente unter seine Kontrolle zu bringen) sind für den Helden Jeff eng miteinander verbunden. In den entscheidenden Momenten hält er es mit der Eisenbahn, denn wenn Patriotismus auf dem Spiel steht, müssen persönliche Interessen zurückstehen.
Mit Ausnahme des Häufleins Böser sind auch alle Personen bereit, Strapazen auf sich zu nehmen, um das Ziel zu erreichen: Aufsässig gemachte Arbeiter lassen sich mit ein paar guten Worten beschwichtigen und erfreuen sich an der Verprügelung eines renitenten Vorarbeiters; der alte Zugführer wird das Opfer einer riskanten Gleiskonstruktion; am Ende ist sogar der böse Finanzier bekehrt. Gestorben wird in erster Linie „für die gute Sache“, und Märtyrer verhelfen dem Union-Pacific-Projekt zu besonderer Glorie. Geschichte wurde bei DeMille ja immer mit einer Portion Blut geschrieben.
In dieser Hinsicht ist auch die Funktion der Indianer in UNION PACIFIC allzu eindeutig. Die Sioux gehören zu den „Naturkräften“, die sich dem Bau der Eisenbahn entgegenstellen. Ihr Überfall auf einen Versorgungszug – das inszenatorische Glanzstück des Films – liefert die Legitimation, sie auszurotten. DeMille beschreibt die Indianer als unzivilisierbar, indem er ihre primitiven Spiele mit erbeuteten Gütern der Zivilisation darstellt. Die Szene wird fast zu einem Zeremoniell stilisiert und gewinnt gleichzeitig die größten Spannungsmomente durch eine dramatisch zugespitzte „Last-minute-rescue“.
Die Western-Geschichtsschreiber Fenin und Everson sprechen DeMilles UNION PACIFIC jegliche Originalität ab. Sie sehen in diesem Film nur die aufwendige Wiederholung von John Fords THE IRON HORSE (1924), der es an persönlicher Inspiration mangelt. Zweifellos hat sich DeMille an Ford orientiert, ohne die stilistische Geschlossenheit des Vorbilds zu erreichen. Doch für diesen Mangel entschädigt die Vielfalt dramatischer Ereignisse, mit der DeMille zu wirtschaften wusste. Auf die 135 Filmminuten verteilen sich: der erste Zusammenstoß zwischen dem Aufseher und der Spielerbande, Knallereien in einem Saloon, die Niederwerfung des Streiks, ein Geldraub mit anschließender Verfolgungsjagd, der Indianerüberfall, ein Zugunglück, die Schienen-Hochzeit und ein Show-down, wobei hier nur die aufregendsten Situationen genannt sind. Weit hinter Ford zurück blieb DeMille bei der Einbeziehung der Landschaft ins Geschehen. Zum funktionellen Element der Handlung wird sie in zwei Szenen: bei der Verfolgungsjagd der Geldräuber durch die nächtliche Prärie und beim Zugunglück in Schnee und Kälte. Sonst ist die Umgebung nur Kulisse für persönliche Intrigen und wirkt wie ein bemalter Rundhorizont. Die vielen Personen gewinnen dagegen durchaus Profil: Joel McCrea als tadelsfreier Held, die Stanwyck mit dem Kratzbürsten-Charme einer Christel von der Post, Robert Preston als Spieler mit schwachem Charakter, der böse Brian Donlevy mit Bärtchen und Silberblick, Akim Tamiroff und Lynne Overman als die beiden Komiker vom Dienst, Anthony Quinn in einer kleinen Schurkenrolle und zahlreiche Randfiguren, die nicht nur als Typen mitgeschleppt werden.
UNION PACIFIC entstand 1939, in einem Jahr amerikanischer Prosperität, das eine Reihe wichtiger Western hervorgebracht hat: STAGECOACH von John Ford, JESSE JAMES von Henry King, DODGE CITY von Michael Curtiz, NORTHWEST PASSAGE von King Vidor, DESTRY RIDES AGAIN von George Marshall. Diese Titel gehören zurzeit fast alle wieder zum Kinorepertoire. UNION PACIFIC, in den ersten Nachkriegsjahren unter dem Titel DIE FRAU GEHÖRT MIR in Deutschland verliehen, reiht sich da durchaus als ein sogenannter Klassiker ein.
UNION PACIFIC. Amerikanischer Film von Cecil B. DeMille. Buch: Walter DeLeon, C. Gardner Sullivan und Jesse Lasky jr., nach einer Erzählung von Ernest Haycox. Kamera: Victor Milner und Dewey Wrigley. Musik: George Antheil. Darsteller: Joel McCrea, Barbara Stanwyck, Robert Preston, Akim Tamiroff, Brian Donlevy. Produktion: Paramount 1939. Verleih: Universal.
Film (Velber), Nr. 7, Juli 1965