Texte & Reden
11. April 2005

Die Überlebenskünstlerin Hildegard Knef

Vorwort  zum Ausstellungskatalog

Die Augen. Die Stimme. Der aufrechte Gang. Lange blonde Haare. Ein offenes Gesicht. Willensstärke. Jemand, der vom Leben etwas erwartet. Geboren in Ulm, aufgewachsen in Berlin, ausgebildet an der Filmschule in Babelsberg. Als sie ihre erste große Filmrolle spielte, im Frühjahr 1946, war sie zwanzig Jahre alt. Deutschland lag damals in Trümmern. Sie verkörperte einen Aufbruch, eine Zukunft, ein neues Leben.

Mit zwei Rollen sicherte sich die Nachkriegsschauspielerin Hildegard Knef einen Platz in der deutschen Filmgeschichte: als lebensmutige Susanne Wallner in Wolfgang Staudtes DEFA-Film DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (1946) und als selbstbewusste Prostituierte Marina in Willi Forsts DIE SÜNDERIN (1951). Ihre Karriere verlief brüchig. Der erste Ausflug nach Hollywood Ende der vierziger Jahre endete erfolglos. In den Fünfzigern, nach der SÜNDERIN, spielte sie bemerkenswerte Rollen in verschiedenen Hollywoodfilmen. Sie hatte erstaunlichen Erfolg am Broadway. Dann fehlten plötzlich die geeigneten Filmrollen. Nicht mehr als Kinostar, sondern als Sängerin (mit eigenen Liedtexten) und als Autorin einer Autobiografie („Der geschenkte Gaul“) stand sie im Rampenlicht der sechziger und siebziger Jahre. Scheinbar mühelos wechselte sie ihre Arbeitsplätze: vom Filmstudio auf die Bühne, in den Konzertsaal, von den Scheinwerfern zur Schreibtischlampe. Es gab dabei Höhen und Tiefen. Immer wieder unternahm sie die Flucht nach vorn. Noch Mitte der Neunziger gelang ihr ein Comeback als Sängerin.

Die deutsche Publizistik nahm seit den frühen fünfziger Jahren Anteil an der Arbeit und am Leben von Hildegard Knef. Sie war DIE SÜNDERIN, sie war der internationale Star. Privates wurde schnell öffentlich: Affären, Ehen, Scheidungen – Krankheiten, Operationen, Heilungen. Die Motive für die große Anteilnahme der Öffentlichkeit sind leicht auszumachen. Hildegard Knef war prominent. Sie lebte intensiv, und sie erzählte Geschichten vom Überleben. Sie formulierte Ängste. Sie verband  existentielle Erfahrungen mit der Aura eines Stars.

Hildegard Knef war die erste deutsche Schauspielerin, die nach dem Krieg international beachtet wurde. Mit ihrem Rollentyp definierte sie ein neues Frauenbild. Sie hat mit wichtigen Regisseuren gearbeitet: Wolfgang Staudte, Helmut Käutner, Rudolf Jugert, Willi Forst, Harald Braun, Anatole Litvak, Henry King, Carol Reed, Julien Duvivier, Claude Chabrol, Billy Wilder. Sie war, seit Beginn der Fünfziger, eine exponierte Person der Zeitgeschichte. Sie verkörperte so etwas wie eine Luftbrücke zwischen Deutschland und Amerika. Am Ende war ihr Terminal die Stadt Berlin.

Februar 2001. Zur Premiere des Films TWO AND A HALF kam Hildegard Knef im Rollstuhl. Sie erhielt Standing Ovations. Ich stand ihr zum ersten Mal gegenüber und habe sie mit einer persönlichen Verneigung begrüßt: „Sie haben als Schauspielerin vor 50 Jahren Deutschland mit Europa und Hollywood verbunden, als Deutschland noch sehr einsam war. Das hat uns stolz auf Sie gemacht. Sie haben emanzipierte Frauen gespielt, als Emanzipation in Deutschland noch ein Fremdwort war. Das hat Ihnen nicht nur Sympathien verschafft. Sie haben Ihr Privatleben öffentlich gemacht, als die Medien noch anständiger waren. Und sie haben dies mit Würde getan. Das hat vielen Mut gemacht. Es ist schön, dass wir mit Ihnen zusammen heute einen Film sehen können, der ganz von Ihnen selbst handelt.“ Hildegard Knef lächelte freundlich. Es war ihr letzter öffentlicher Auftritt.

Am 1. Februar 2002 starb Hildegard Knef in Berlin. Der Trauergottesdienst fand in einem Berliner Wahrzeichen statt: der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Hier wurde Hildegard Knef durch den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit endgültig zur Berlinerin gemacht: So wie sie das Leben gemeistert habe, so wie sie Leid und Schmerz ertragen habe, so wünschten wir uns selbst zu sein. In ihr fänden sich die Berlinerinnen und Berliner wieder. Hildegard Knef wurde in einem Ehrengrab auf dem Waldfriedhof in Berlin-Zehlendorf beigesetzt.

Zehn Monate nach ihrem Tod – und schneller hat das bisher niemand geschafft – wurde Hildegard Knef auf besondere Weise geehrt: als Motiv auf einer deutschen Briefmarke. Der für die Postwertzeichen zuständige Finanzminister Hans Eichel fand eine plausible Begründung für die Ehrung: Hildegard Knef und ihr Werk stünden für Zivilcourage, Kritikfähigkeit und Weltoffenheit. Die Briefmarke erschien in der Reihe „Frauen in der deutschen Geschichte“. Mit der Würde ihres schönen Gesichts wurde Hildegard Knef über ihr Leben hinaus zu einer Verbindung zwischen Menschen, die sich Briefe schreiben.

Vorwort in: Sannwald/Jaspers/Mänz (Hg.): Hildegard Knef. Eine Künstlerin aus Deutschland. Berlin: Bertz + Fischer 2005.