Texte & Reden
09. August 1958

Wenn es im Kino dunkel wird…

Text für den Schwarzwälder Boten

…beginnt die Arbeit des Filmvorführers / Steuermann für Film und Ton / Blick hinter die Kulissen

Sind Ihnen schon einmal die weißen Punkte aufgefallen, die während des Ablaufs eines Spielfilms in Abständen von etwa einer Viertelstunde in der rechten oberen Ecke der Leinwand aufblitzen? Sie sind nicht etwa schadhafte Stellen im Film, sondern machen den Vorführer darauf aufmerksam, daß eine Rolle abgelaufen ist und eine andere über den zweiten Projektionsapparat abgespielt werden muß. Dieses Überblenden von einem Apparat auf den anderen ist einer der zahlreichen Handgriffe des Vorführers, den wir im Drei-K-Filmtheater besucht haben. Wollen Sie ein wenig mit uns hinter die Kulissen des Kinobetriebes schauen?

Von Kulissen kann man ja eigentlich hier nicht reden. Die stehen im Atelier bei den Filmaufnahmen, sofern nicht im Freien gedreht wird. Die „Kulissen“, die wir meinen, befinden sich hinter uns, wenn wir im Kino auf die Leinwand blicken. Aber lassen Sie sich bei Ihrem nächsten Kinobesuch nicht die Illusion rauben! Vergessen Sie bis dahin unsere kleine Exkursion hinter die geheimnisvollen sechs Löcher an der Rückwand des Theatersaales.

Dort befindet sich das Herz des Kinos. Eigentlich sind es zwei Herzen, nämlich die beiden Vorführgeräte, die für einen pausenlosen Ablauf des Programms notwendig sind. Ein normaler abendfüllender Film ist zwischen 2.500 und 3.000 m lang. Er befindet sich auf fünf bis sechs Steckrollen, die nacheinander abwechselnd auf den beiden Apparaten ablaufen. Wehe, wenn der Vorführer mal zwei Rollen verwechselte. Stellen Sie sich die Überraschung der Zuschauer vor, wenn O. W. Fischer nach qualvollem, alle Taschentücher bewegendem Hinscheiden, sich im nächsten Akt putzmunter und frischgewaschen um die Gunst Maria Schells bewirbt.

Abwechslungsreiches Vorprogramm

Die aufregendste Zeit beginnt für den Vorführer in dem Augenblick, da sich der Saal verdunkelt. Sie dauert bis zum Beginn des Hauptfilms. Vor der Vorstellung hat er nur den Schallplattenspieler zu bedienen und die Projektionsapparate für die Vorstellung vorzubereiten. Pünktlich läßt er dann den Gong ertönen, blendet die Beleuchtung ab und öffnet durch einen Druck auf den Knopf den Vorhang. Jetzt geht es los.

Zuerst bemüht sich ein Autohändler, Ihnen den neuesten Straßenkreuzer schmackhaft zu machen, es folgt die Kreissparkasse, die mehr für die Sparsamkeit wirbt. Bei den Pelzanzeigen werfen einige Männer argwöhnische Seitenblicke auf ihre Begleitung, bei Badekostümen richten sich ihre Augen nach vorn. Der Vorführer kennt sie alle, diese Werbedias, ihre Texte verfolgen ihn bis in den Schlaf. Seit einigen Jahren gibt es auch die „tönende Reklame“, die mit gesprochenem Werbetext die Bildwirkung unterstreichen will. Alle Dias werden mit der Hand gewechselt, die Sprechplatte muß zum richtigen Zeitpunkt ausgetauscht werden.

Nach diesem geschäftlichen Auftakt verdunkelt sich der Raum vollständig, das Vorprogramm, bestehend aus einigen Werbefilmen, der Vorschau auf die nächsten Programme, einem Kulturfilm und der Wochenschau, beginnt. Das sind alles kurze Streifen, die mit blitzartiger Geschwindigkeit in den Projektor praktisiert werden müssen. Das ist gar nicht so einfach, denn das Filmband wird über viele Rollen geleitet, keine darf ausgelassen werden.

Bild und Ton werden nicht an der gleichen Stelle abgetastet. Das „Auge“ und das „Ohr“ des Apparates sind um 19 Filmbilder verschoben. Wenn hier ein Fehler unterläuft, knallt es erst, wenn der Ermordete bereits im Leichenschauhaus identifiziert ist.

Mal breit – mal schmal

Eine weitere Schwierigkeit für den Vorführer besteht darin, daß heute drei verschiedene Filmformate (Standard- oder Normalformat, Breitwand- und CinemaScope-Film) gebräuchlich sind, die im Vorprogramm bunt durcheinander angewandt werden. Wie ein Camembert auf einer heißen Platte läuft die Leinwand plötzlich auseinander („CinemaScope“ nennt man das in der Fachsprache), und sie zieht sich gleich darauf wieder zum herkömmlichen Format zusammen. Kulturfilm und Wochenschau sind meist „normal“. Aufgabe des Vorführers ist es bei diesem abwechslungsreichen Vorprogramm, die Leinwandbreite zu steuern und die Objektive an den Projektionsapparaten auszuwechseln. Von diesen Vorgängen darf der Zuschauer nichts merken, er sieht nur das perfekte Bild.

Erst wenn der Hauptfilm begonnen hat, tritt in der Vorführkabine etwas Ruhe ein, es bleibt nur das Bild auf der Leinwand zu beobachten, nach Ablauf jeder Rolle den Apparat zu wechseln und, nicht zu vergessen, zum Schluß den Vorhang zu schließen.

Die Filmrollen erhält das Theater meist einen Tag vor der ersten Vorstellung, oft auch erst am gleichen Tage. Nach Möglichkeit sieht sich der Vorführer den Film erst selbst an, bevor er ihn dem Publikum zeigt, und bessert eventuell schadhafte Stellen aus. Manche Kopien werden nicht an den Verleih zur Überprüfung zurückgesandt, sondern unter den Theatern ausgetauscht. Dann ist das Risiko des Abspielens besonders groß, und es bedarf einer erhöhten Aufmerksamkeit des Vorführers, Zwar ist die Feuergefahr bei den seit einige Zeit verwendeten Sicherheits- oder Azetatfilmen sehr gering, aber sie sind gegen Abspielschäden äußerst empfindlich.

Bei aller Mechanisierung und Automatisierung ist es immer noch nicht möglich, einen Film ohne menschliche Hilfe ablaufen zu lassen. Und wenn es einmal nicht ganz klappen oder der Film reißen sollte, gelt, dann seien Sie nicht gleich böse! Überlegen Sie einmal ganz kurz (ohne sich von der Handlung des Films ablenken zu lassen!), daß der Vorführer auch nur ein Mensch ist, und die Schuld meist nicht bei ihm, sondern bei den Mängeln der Kopie zu suchen ist.

Schwarzwälder Bote, 9./10.08.1968, Lokalseite „Oberndorfer Nachrichten“