Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Oktober 2012

Sabine Nessel/Heide Schlüpmann (Hg.)
Zoo und Kino
Mit Beiträgen zu Bernhard und Michael Grzimeks Film- und Fernseharbeit
Frankfurt am Main und Basel, Stroemfeld 2012
258 S., viele Abbildungen, DVD, 28,00 €
ISBN 978-3-86109-188-2

Sabine Nessel/Heide Schlüpmann (Hg.):
Zoo und Kino.
Mit Beiträgen zu Bernhard und Michael Grzimeks Film- und Fernseharbeit

„Was verbindet Zoo und Kino?“, fragen die beiden Herausgeberinnen Sabine Nessel und Heide Schlüpmann – und sie haben sich auf Spurensuche gemacht. Natürlich bilden die Tiere dabei eine tragfähige Brücke. Ihre Präsenz auf der Kinoleinwand wie in den Gehegen des Zoos ist Teil einer Inszenierung, die mit Effekten und Wirkungen spielt. Und weil die Untersuchungen, die hier publiziert werden, vorwiegend in Frankfurt gemacht worden sind, spielt die Medienpräsenz von Bernhard Grzimek, Direktor des dortigen Zoos von 1945 bis 1974, eine größere Rolle. Das Buch hätte auch den Titel „Ein Platz für Tiere“ haben können.

14 Beiträge summieren sich zu einem grundlegenden Werk, beginnend mit der Historiographie der Schaustellungen von lebenden exotischen Tieren im 18. und 19. Jahrhundert von Annelore Rieke-Müller und dem Soziogramm der Besucher des Tiergartens im 19. Jahrhundert von Oliver Hochadel. Es gibt erstaunlich viele Bilder und Dokumente von der Öffnung fürstlicher Menagerien und der Gründung zoologischer Gärten vor allem im 19. Jahrhundert. Mit einem Beitrag des Berner Kinomachers David Landolf kommt das Buch zu seinem zentralen Thema; er unternimmt einen „Streifzug durchs Gehege“, beschreibt ganz konkret seine Recherche, die im Archiv der Kakaorösterei von Chocolat Tobler beginnt, wo rund 10.000 Filmwerke im Kühlraum verwahrt werden, und präsentiert am Ende ein vielseitiges Kinoprogramm mit persönlichen Erläuterungen.

Winfried Pauleit (Bremen) stellt zwei Filme in den Mittelpunkt seines Textes: BRINGING UP BABY (1938) von Howard Hawks und LA JETÉE (1962) von Chris Marker, wo sich jeweils ein Museumsraum mit prähistorischen Skeletten mit der beginnenden Liebe eines Paares verbindet. Pauleit macht daraus ein schönes Konstrukt. Die Filmhistorikerin Heide Schlüpmann, eine der Herausgeberinnen des Buches, erinnert zunächst an die Überlegungen des Filmtheoretikers Béla Balázs über Tiere im Film („Belauschte Natur“) und reflektiert über den Wirklichkeitsbegriff, nutzt dann den Film ZUR SACHE, SCHÄTZCHEN (1967) von May Spils und seine zentrale Zoo-Sequenz für ein Gedankenspiel über den Freiheitsbegriff der 1960er Jahre und analysiert schließlich die frühen Filme der Tierbändigerin Tilly Bébé als eine Utopie der Liebe.

Unter dem Titel „Von Tieren und Menschen auf der Leinwand“ widmet sich Nia Perivolaropoulou sehr ausführlich dem Film MOGAMBO (1953) von John Ford mit Clark Gable, Ava Gardner und Grace Kelly, beschreibt das unterschiedliche Verhältnis der beiden Frauen zu Tieren und erweitert dann ihre Darstellung, inspiriert von einem Text von Elisabeth de Fontenay, zu einer Reflexion über die Beziehung zwischen Mensch und Tier. Von Eric de Kuyper stammt eine kleine Hommage an Ava Gardner und MOGAMBO (und, wie es der Zufall will, lese ich gerade die Grace-Kelly-Biographie von Thilo Wydra, in der dieser Film eine relativ große Rolle spielt). Vom Zoo im Horrorfilm handelt ein schöner Text von Miriam Adam, in dessen Mittelpunkt CAT PEOPLE (1942) von Jacques Tourneur und AN AMERICAN WERWOLF IN LONDON (1981) von John Landis stehen.

Dann konzentriert sich das Buch auf die Familie Grzimek, den Frankfurter Zoo und die medialen Auswirkungen der großen Grzimek-Sympathien, denen kaum jemand, der in den 1950er und 60er in der Bundesrepublik sozialisiert wurde, entkommen konnte. Das Gesicht, die Stimme sind auch mir in tiefer Erinnerung. Sabine Nessel, die Mitherausgeberin, unternimmt den wagemutigen Versuch, den Grzimek-Mythos – bei allem Respekt vor der persönlichen Leistung – in einen größeren kulturhistorischen Zusammenhang zu stellen, ihn zu objektivieren und auf manche Widersprüche aufmerksam zu machen. Judith Keilbach widmet sich speziell der Fernsehreihe „Ein Platz für Tiere“, die von der direkten Ansprache Grzimeks an die Zuschauer und von den ihn begleitenden Tieren geprägt war. Es gab dort legendäre Momente.

Der dann im Buch folgende Aufsatz der Architekturprofessorin Hadas A. Teiner über die Planung des Pinguin-Beckens im Londoner Zoo und die Probleme einer modernen Architektur im Umfeld eines Zoologischen Gartens ist interessant, wirkt aber etwas deplaziert. Mit dem Text „Was trennt den Menschen vom Tier – Glas und Gitter?“ kehrt das Buch nach Frankfurt zurück und bietet dem derzeitigen Zoodirektor eine Plattform der reflektierten Selbstdarstellung. Von Thomas Worschech stammt eine kommentierte Filmographie der Filme von Bernhard und Michael Grzimek. Und der Anhang bietet „Gesammelte filmografische Hinweise zum Vorkommen von Zoos in Filmen“. 194 Titel werden hier aufgelistet, auch viele, die mir ganz fremd sind. Das Buch enthält als Beigabe eine DVD mit zwölf Zoo- und Expeditionsfilmen von Bernhard und Michael Grzimek aus den Jahren 1950 bis 1958 (179 min.)

Die Publikation entstand im Rahmen des Forschungsprojekts „Zoo und Kino als Schaueinrichtungen der Moderne und die Filmarbeit von Bernhard und Michael Grzimek“ am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt. Das Kulturamt der Stadt hat es freundlich gefördert. Und das Ergebnis zeigt, dass sich der Einsatz gelohnt hat. Es fällt mir auf, dass ich lange nicht im Zoo war. Eigentlich war mir das Kino doch immer näher als der Platz für Tiere.

Weil es viele thematische Verbindungen gibt, weise ich im Zusammenhang von „Zoo und Kino“ noch einmal auf das Buch „Der Film und das Tier“ hin, erschienen im März 2012 bei Bertz + Fischer: der-film-und-das-tier/. Mehr über „Zoo und Kino“: buecher_Z_626_1/