Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
März 2017

Uschi Schmidt-Lenhard / Alf Gerlach (Hg.)
Wolfgang Staudte
„...nachdenken, warum das alles so ist“
Marburg, Schüren Verlag 2017
224 S., 24,90 €
ISBN 978-3-89472-969-1

Uschi Schmidt-Lenhard / Alf Gerlach (Hg.):
Wolfgang Staudte.
„...nachdenken, warum das alles so ist“

Er war der wohl wichtigste Regisseur im Nachkriegs-Deutschland, realisierte den legendären ersten Spielfilm nach 1945, DIE MÖRDER SIND UNTER UNS, drehte bis Mitte der 1950er Jahre im Westen und im Osten und liebte politische Provokationen. Wolfgang Staudte (1906-1984) hat in der deutschen Filmgeschichte deutliche Spuren hinterlassen. Da immer wieder die Gefahr besteht, dass dieser Regisseur in Vergessenheit gerät, hat Uschi Schmidt-Lenhard zusammen mit Alf Gerlach im Schüren Verlag ein neues Wolfgang Staudte-Buch herausgegeben. Es trägt den Untertitel „… nachdenken, warum das alles so ist“.

Sein Geburtsort war Saarbrücken. Dort gibt es seit 2011 die Wolfgang Staudte Gesellschaft, die mit Veranstaltungen immer wieder an den Regisseur erinnert und dafür gesorgt hat, dass ein zentraler Platz in der Innenstadt nach ihm benannt ist. Uschi Schmidt-Lenhardt, Co-Herausgeberin des Buches, ist Vorsitzende des Vereins.

Im Mittelpunkt der neuen Publikation stehen sechs Analysen. Der Psychoanalytiker Siegfried Zepf untersucht den DEFA-Film DER UNTERTAN (1951), richtet den Blick vor allem auf die Hauptfigur Diederich Heßling (dargestellt von Werner Peters) und diagnostiziert eine Verklammerung von gesellschaftlichem Bewusstsein und individueller Neurose. Uschi Schmid-Lenhardt und Hans Giessen beschäftigen sich mit der Trilogie DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (1946), ROTATION (1948), DER UNTERTAN und entdecken in den Trümmerfilmen zentrale Motive des Zivilisationsbruchs in Deutschland. Uschi und Andreas Schmidt-Lenhardt erweitern den Blick auf Staudtes Nachkriegsfilme um die westdeutschen Produktionen ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT (1959), KIRMES (1960) und HERRENPARTIE (1961). Er wollte damit Streitgespräche initiieren über moralische Positionen und den gesellschaftlichen Diskurs verstärken. Christine Pop unternimmt eine Interpretation der ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT unter Hinzuziehung psychoanalytischer Konzepte und weist nach, wie die Protagonisten alle von ihrer verdrängten Vergangenheit eingeholt werden. Alf Gerlach beschäftigt sich mit dem von Staudte realisierten „Tatort“ TOTE BRAUCHEN KEINE WOHNUNG und weist manifeste und latente Ebenen der Inszenierung im Vergleich zum Drehbuch nach. Nils Daniel Peiler beschäftigt sich mit wichtigen Details in Wolfgang Staudtes Synchronregien für Stanley Kubricks UHRWERK ORANGE, BARRY LYNDON und SHINING.

Diesen sechs Texten folgen zwei Interviews. Im ersten sprechen Andreas und Uschi Schmidt-Lenhard mit dem Filmemacher Malte Ludin. Er hat an der dffb studiert, 1976 einen Film über den Regisseur gedreht (KEIN UNTERTAN – WOLFGANG STAUDTE UND SEINE FILME) und 1996 im Rowohlt Verlag eine Monografie über ihn veröffentlicht. Klugerweise wird auch Malte Ludins wichtigster Film in das Gespräch einbezogen: der Dokumentarfilm 2 ODER 3 DINGE, DIE ICH VON IHM WEISS, in dem er sich 2005 mit der Nazi-Vergangenheit seines Vaters Hanns Ludin auseinandergesetzt hat. Die Brücken zu Staudtes Filmen sind damit geschlagen, und die Verbindungen werden von Malte sehr reflektiert hergestellt. Im zweiten Gespräch erzählt der Regisseur dem Journalisten Pit Klein Erlebnisse und Erfahrungen aus seinem Leben, es wurde 1979 geführt.

Zwei Nachrufe auf Wolfgang Staudte stammen von Wolfram Schütte („Ein öffentlicher Ruhestörer“) und Helma Sanders-Brahms („Wir haben ihn allein gelassen“). Sie gehören zu den intensivsten Texten, die damals geschrieben wurden. Ralf Schenk, Vorstand der DEFA-Stiftung, der mit dem Werk dieses Regisseurs bestens vertraut ist, schreibt über verschiedene Filme, die sonst ausgespart sind, zum Beispiel DIE GESCHICHTE VOM KLEINEN MUCK (1953), die gescheiterte „Mutter Courage“, LEUCHTFEUER (1954), HEIMLICHKEITEN (1968). Interessant sind auch zwei Gutachten der bundesdeutschen Bewertungsausschüsse für HERRENPARTEI und KIRMES.

Persönliche Erinnerungen an Wolfgang Staudte stammen von Ralf Schenk, Volker Baer, Fred Gehler, Götz George, Vadim Glowna, Ulrich Gregor, Peter W. Jansen, Heinz Kersten, Dietrich Kuhlbrodt, Oskar Lafontaine, Armin Mueller-Stahl, Enno Patalas und Margit Voss; sie wurden im Filmdienst (Nr. 21/2006) anlässlich des 100. Geburtstages publiziert. Andreas Lenhardt stellt am Ende des Bandes den Lebenslauf von Wolfgang Staudte in einen zeitgeschichtlichen Kontext.

Die einzelnen Elemente dieses Buches fügen sich zu einem Gesamtbild des Werkes von Wolfgang Staudte, das auch im zeitlichen Abstand deutlich macht, wie wichtig er über drei Jahrzehnte für die Geschichte des Films in Deutschland war. Das sollte nie vergessen werden.

Im Laufe der Jahrzehnte sind mehre Bücher über Wolfgang Staudte erschienen, an die ich hier gern erinnere. Den Anfang machte der DDR-Kritiker Horst Knietzsch mit dem Buch „Wolfgang Staudte“ 1966 im Henschelverlag. Es folgte 1974 das von der Stiftung Deutsche Kinemathek herausgegebene, von Eva Orbanz als Redakteurin betreute Buch „Wolfgang Staudte“ mit Beiträgen von Heinz Kersten, Katrin Seybold und Egon Netenjakob, das 1977 in einer ergänzten Neuauflage erschien. 1991 wurde als Band 6 der Edition Film „Staudte“ mit einem Essay von Egon Netenjakob, einem Interview und neun Texten von Staudte, einer Kommentierten Filmografie in Form von 28 zeitgenössischen Kritiken und einem Nachwort von Heinz Ungureit publiziert (Redaktion: Eva Orbanz, Hans Helmut Prinzler). 1996 erschien in der Reihe „rororo.monographien“ das oben erwähnte Buch von Malte Ludin. Und 2006 wurde von Uschi und Andreas Schmidt-Lenhard der Band „Courage und Eigensinn“ im Röhrig-Universitätsverlag St. Ingbert herausgegeben.

Coverfoto: DER UNTERTAN.

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