Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
März 2018

Reiner Boller
Wilder Westen made in Germany
Frankenthal, Mühlbeyer Filmbuchverlag 2018
524 S., 29,90 €
ISBN: 978-3-945378-41-0

Reiner Boller:
Wilder Westen made in Germany

Die Karl-May-Verfilmungen der 1960er Jahre stehen natürlich im Mittelpunkt dieser Publikation. Aber der amerikanische Wilde Westen war Schauplatz vieler deutscher Filme in allen Jahrzehnten. Reiner Boller hat für dieses „Handbuch“ lange und sorgfältig recherchiert. Er spannt einen historischen Bogen vom Isar-Western DIE EISENBAHN-RÄUBER (1920) bis zum TV-Dreiteiler winnetou – der mythos lebt (2016) und verweist am Ende auch auf den Film WESTERN von Valeska Griesebach, der nicht in Amerika, sondern in Bulgarien spielt, aber dem Mythos des Western-Genres zuzuordnen ist.

Dies ist in seiner Struktur kein Lexikon, sondern eine weitgehend chro-nologisch geschriebene Geschichte des Wilden Westens im deutschen Film. 110 Titel werden ausführlich behandelt: Story, Entstehung und Dreharbeiten, Western-Fazit, Zitate aus zeitgenössischen Kritiken. Es gibt Ausflüge zum Italo-Western, der häufig mit deutschen Co-Produ-zenten realisiert wurde, ein längeres Kapitel über die Indianerfilme der DEFA und eine ergänzende Ausweitung „Amazonas und Pampas made in Germany“, die uns von KAUTSCHUK (1938, Regie: Eduard von Borsody) über JONNY RETTET NEBRADOR (1953, Rudolf Jugert) bis zu COBRA VERDE (1987, Werner Herzog) führt.

Die Karl-May-Filme der 60er Jahre waren hierzulande sehr erfolgreich, wurden aber von der Kritik eher negativ beurteilt. In seinem Beitrag zur „Geschichte des deutschen Films“ (2. Auflage, Stuttgart 2004) zitiert Norbert Grob einen Text von Allan Eyles aus „The Western. An Illus-trated Guide“ (1967) zu dem Film WINNETOU I:

„Wir mussten auf die Deutschen warten, um endlich wieder einen grad-linigen Western zu bekommen, ungeschmälert durch kleine Budgets, mit der Betonung auf Action und nicht auf psychologischen Unter-tönen. In dieser Produktion gibt es keine halben Sachen, und mein Enthusiasmus für diesen Film ist nicht halb­herzig. Man badet in einem wahren Jungbrunnen. In einer weniger selbst­gefälligen und pedanti-schen Weise hat der Film eine DeMille-Grandeur. WINNETOU ist offensichtlich von Leuten gemacht, die den Western lieben, und hinter dem mühelosen Eindruck, den das Ganze macht, verbergen sich wahrscheinlich unendlich viel Mühe und Sorgfalt. Die Inszenierung ist immer darauf bedacht, alles übersichtlich darzustellen, und Schwenks verbinden oft verschiedene Gruppen von Leuten, wodurch man sehen kann, dass alles so in Szene gesetzt ist, wie man es sieht, und nicht aus Aufnahmen zusammen­gesetzt, die an verschiedenen Plätzen und zu verschiedenen Zeiten gedreht wurden. Der Film ist nicht nur wirklich aufregend, sondern erweckt auch den legendären Western in seiner natürlich großartigen Umwelt und in Dekorationen die genau richtig wirken, obwohl sie von der Hollywood-Norm erfrischend abweichen, zu neuem Leben.“ Was für eine schöne Hommage an den Western made in Germany!

Hier ein paar Kapitelüberschriften: „Wildwest ohne Knallerei: Stumme Colt-Duelle an Rhein, Neckar und Isar“, „Wilder Westen im Dritten Reich“ – mit einem längeren Text über DER KAISER VON KALIFOR-NIEN“ von Luis Trenker , „Wie das bundesdeutsche Kino den Wilden Westen (wieder)entdeckt“ – der Text über WINNETOU I ist mit 44 Seiten der längste im Buch, „Wie die Westernwelle über die Alpen schwappt“, „Das bundesdeutsche Kino reitet in den Sunset“, „Klamauk in der Prärie“ – dort gehört auch DER SCHUH DES MANITU hin, „Schießereien hoch im Norden“ – da geht es um Gold und Alaska.

Eine Rubrik im Buch, eingefügt in die Texte zu den einzelnen Filmen, porträtiert Schauspielerinnen und Schauspieler, Produzenten und Regisseure. 48 „Namen im deutschen Western“ sind hier zu finden, ich nenne zwanzig in alphabetischer Reihenfolge: Mario Adorf, Hans Albers, Eddi Arendt, Lex Barker, Artur Brauner, Pierre Brice, Karin Dor, Götz George, Raimund Harmstorf, Klaus Kinski, Marianne Koch, Daliah Lavi, Harald Leipnitz, Gojko Mitic, Harald Reinl, Robert Siodmak, Elke Sommer, Alfred Vohrer, Horst Wendlandt, Ralf Wolter. Die Texte gehen weit über eine Kurzbiografie hinaus, sind oft persön-lich und sehr anschaulich. Die Abbildungen konzentrieren sich auf die 48 Personen.

Der Autor Reiner Boller wohnt im Westerwald. Er hat u.a. Bücher über Lex Barker, Kurt Kreuger, Gustavo Rojo, Brad Harris, Herbert Lom und die klassischen Tarzan-Filme publiziert. Er schreibt für Fachmagazine, DVD-Booklets und Internetseiten. Archive und Drehorte gehören zu seinen Lieblingszielen. Seine Recherchen sind äußerst zuverlässig. Für das jetzt vorliegende Buch hat er sich viel Zeit genommen. Und mit Harald Mühlbeyer einen geduldigen Verleger gefunden. Davon profitieren jetzt die Leserinnen und Leser.

Coverfoto: Pierre Brice und Lex Barker in WINNETOU I (1963).

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