Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Jahres
1966
Filmbuch des Jahres

Ulrich Gregor
Wie sie filmen
Fünfzehn Gespräche mit Regisseuren der Gegenwart
Sigbert Mohn Verlag, Gütersloh 1966
358 S. (19,80 DM)

Ulrich Gregor:
Wie sie filmen

Ulrich Gregor hat vergleichbare Fragen an Wolfgang Staudte, Federico Fellini, Michelangelo Antonioni, Luis Buñuel, Ingmar Bergman, Susumu Hani, Alain Resnais, François Truffaut, Grigori Kosinzew, John Huston, Lindsay Anderson, Francesco Rosi, Richard Leacock, Jerzy Kawalerowicz und Konrad Wolf gestellt. Zum Beispiel: Was inspiriert Sie zu einem Film? Nach welchem Gesichtspunkt wählen Sie den Drehbuchautor? Legen Sie Dialoge vorher in allen Einzelheiten fest? Improvisieren Sie beim Drehen? Müssen Sie sich um Finanzfragen kümmern? Wie verläuft ein Arbeits-tag? Gehen Ideen Ihrer Mitarbeiter in den Film ein? Vor allem die Gespräche mit Staudte, Resnais, Truffaut, Leacock und Wolf sind aufschlussreich. Es ist das erste Buch in deutscher Sprache, in dem auf diesem Niveau Filmregisseure sich artikulieren können.

Zuerst ein Verriss. Volker Schlöndorff, immer gern zum Widerspruch bereit, schreibt im Sommer 1966 (Nr. 27) im Spiegel: „Interviews mit fünfzehn Regisseuren über ihre Arbeit am Film, vom Drehbuch über Dreharbeit und Schnitt bis zur Tonmischung; Werkstattgespräche, moderne Sachlichkeit, Methodik et cetera – unter dieser modischen Fahne segelt das Buch. Um diesem Anspruch aber gerecht zu werden, hätten der Herausgeber Ulrich Gregor und seine Mitarbeiter ein Buch für Filmspezialisten herstellen müssen, ein Buch, das auch kleinste technische Details erörtert, wie jedes richtige Sachbuch über jeden hochspezialisierten Beruf. Das aber hat Gregor nicht getan – er hätte es auch nicht gekonnt, da er kein Fachmann in diesen Dingen, sondern ein Ideologe ist. Sein Buch ist ein Sammelsurium von Interviews mit mehr oder weniger bedeutenden Regisseure, die der Zufall zusammen-brachte.“ Die Polemik von Schlöndorff auf zwei Spiegel-Seiten erzählt uns mehr über seine eigene Arbeit als über das Buch.

Also wechseln wir zu einer Rezension, in der mit Vernunft und Augenmaß geurteilt wird. Sie stammt von Manfred Delling und erschien in der Welt:

„Ein Einwand liegt verführerisch nahe: Wenn diese Auswahl repräsen-tativ für den heutigen Film sein will, weswegen, beispielsweise, fehlt Godard, weswegen Visconti, weswegen Kurosawa, Pasolini usw. usw. Auch Anthologien sind jedoch subjektiv. Wie jedes selbstgeschriebene spiegelt auch das kompilierte Buch die Konzeption des Herausgebers vom Thema wider, und das ist sein selbstverständliches Recht. Wenn Volker Schlöndorff unlängst gegen die Auswahl des Filmhistorikers und Kritikers Ulrich Gegor polemisiert hat, sie sei lediglich ‚ in Bezug auf die Filmtheorie des Herausgebers‘ repräsentativ, so verschlägt das beckmesserische Argument wenig. Auch seine Gegenansicht ist nur eine, seine Meinung.

Gerade dieses Buch zeigt, was gar nicht anders sein kann, daß es eine verbindliche Theorie des modernen Films nicht gibt und daß Voll-ständigkeit anzustreben ein Ideal für Briefmarkensammler bleibt. Kaum die Erträge zwei Gespräche ließen sich, streng genommen, auf einen gemeinsamen Nenner bringen, von dem so etwas wie Formeln abzu-leiten wären. Das kann nicht wundern, da auch der moderne Film eine Absage an die vorgetäuschte Objektivität des Erzählers bedeutet. Seine Autoren suchen, wie Kawalerowicz es fordert, nach einer neuen Erzähl-weise, ‚die mehr eine Meditation über das Leben als ein Abbild des Lebens entstehen läßt.“ (…)

Es bestätigt sich, daß die Methode des insistierenden Gesprächs die einträglichste ist, um Vorstellungen und Arbeitstechnik von Film-machern zu erforschen. Kein Beitrag, dessen Gehalt und persönliches Temperament sich nicht mit dem Oeuvre des Befragten in Einklang bringen ließe: sei es die wollüstige Vagheit, mit der Fellini, sei es die rationale Präzision, mit der Francesco Rosi oder die moralische Recht-schaffenheit, mit der Wolfgang Staudte sich auch im Gespräch zu erkennen geben. Auch dies widerlegt die volkstümliche Vorstellung, daß Film stets Teamwork bis in seine Form und seinen Geist sei.

Aber nicht um sogenannte Aussagen geht es hier, sondern um persönliche Erfahrungen, nicht um Theorien zum modernen Film, sondern um seine Praxis. Natürlich sind die Beiträge von unterschied-lichem Wert. In einer kurzen Einführung schildern die Interviewer jeweils, unter welchen Umständen die Gespräche zustande kamen; nicht alle waren ideal. John Huston und Lindsay Anderson etwa haben nur wenig von Belang zu sagen, Antonioni beantwortet die Fragen als einziger schriftlich, was ihnen nicht bekam, und nicht jeder Film-macher ist in der Lage, seine Methode in einer so anekdotisch-veranschaulichenden Weise zu erläutern wie der Dokumentarist Richard Leacock.

Der ernsten Gelassenheit Resnais‘ steht die kokette Besessenheit Truffauts gegenüber (‚Für einen Cinéasten ist nicht der Algerienkrieg wichtig, sondern der Film‘). Aber fast alle Gespräche liefern Material zum besseren Verständnis der Werke ihrer Autoren. Das wichtigsten Filmbuch auf dem deutschen Markt seit Erscheinen der ‚Geschichte des Films‘ von Gregor/Patalas und Kotullas Dokumentenband ‚Der Film‘. Ein wortwörtlich einmaliges Werk, das bisher auch in der internatio-nalen Filmliteratur keine Entsprechung hat. An die Stelle interpreta-torischen Geschwätzes über moderne Filme setzt es die Information zu ihrem Verständnis, an die Stelle des Ich-weiß-es-besser setzt es die kritische Liebe zum Film und ihren Autoren.“

Die Welt, 24. November 1966