Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Februar 2012

Elisabeth Büttner/Joachim Schätz (Hg.)
Werner Hochbaum
An den Rändern der Geschichte filmen
Verlag Filmarchiv Austria, Wien 2011
356 S., 24,90 €
ISBN 978-3-902781-11-6

Elisabeth Büttner/Joachim Schätz (Hg.):
Werner Hochbaum.
An den Rändern der Geschichte filmen

Dieses Buch hat einen Vorbildcharakter. Es erinnert an einen immer noch weithin unbekannten deutschen Regisseur. Seine Biografie wurde auf der Basis einer erweiterten Quellenlage neu recherchiert. Auf seine Filme richtet sich ein neuer Blick. Abbildungen und Ausstattung entsprechen dem hohen Anspruch der Publikationen des Filmarchivs Austria. Nach der Lektüre möchte man gern die Filme von Werner Hochbaum wiedersehen.

Hochbaum, geboren 1899 in Kiel, gestorben 1946 in Potsdam, hat zwischen 1929 und 1939 zwölf lange Spielfilme gedreht, fünf davon in Österreich. So hat es eine Logik, dass man sich auch in Wien für ihn verantwortlich fühlt. 1976, zu seinem 30. Todestag,  war ihm die Retrospektive der Viennale gewidmet, und der Filmhistoriker Herbert Holba legte in der schmalen Begleitpublikation eine erste biografische Skizze vor. Über das Ereignis wurde auch in Deutschland berichtet. Es gab Hochbaum-Retrospektiven im Berliner Arsenal und im Münchner Filmmuseum. Aber in der Filmgeschichtsschreibung bewegte sich wenig. Zwanzig Jahre später veranstaltete die Viennale eine zweite Hochbaum-Retrospektive. Der zentrale Text in der Broschüre stammte diesmal von Robert Müller und Daniela Sannwald. Er wurde anerkennend zur Kenntnis genommen. Nun sind noch einmal 15 Jahre vergangen, und wieder geht Wien in die Offensive: mit einer Retrospektive des Filmarchivs Austria, die im November und Dezember 2011 stattfand, und einer beeindruckenden Publikation dazu.

14 neue Texte kreisen um Leben und Werk von Werner Hochbaum. An der Spitze: eine 44seitige Biografie von Ulrich Döge, die man als Forschungsbeitrag bezeichnen kann, weil sie neue Fakten zutage fördert. Sabine Zelger ordnet sie in die bisher bekannten Zusammenhänge ein. Und Peter Nau formuliert auf seine eigenwillige Art einen Filmkommentar zu MORGEN BEGINNT DAS LEBEN (1933) –  er ist als Faksimile eines Schreibmaschinentextes abgedruckt. Die Filmanalysen sind sensibel und genau. Heike Klippel schreibt über die Spaltungen der Zeit in MORGEN BEGINNT DAS LEBEN. Jörg Schöning entdeckt Lebensgemeinschaften auf See und Milieus am Wasser in Hochbaums Filmen BRÜDER (1929), RAZZIA IN ST. PAULI (1932) und EIN MÄDCHEN GEHT AN LAND (1938). Ute Holl kommentiert DIE EWIGE MASKE (1935). Um versäumte Geschlechterbeziehungen in VORSTADTVARIETÉ (1934) geht es im Text von Katharina Sykora. Die Öffnung des Raums und die Ästhetik des Figuralen in SCHATTEN DER VERGANGENHEIT (1936) und MAN SPRICHT ÜBER JACQUELINE (1937) beschreibt Oliver Fahle. VORSTADTVARIETÉ steht noch einmal im Mittelpunkt des sehr beeindruckenden Text von Bert Rebhandl. Harro Segeberg beschäftigt sich mit Hochbaum, der Medienstadt Hamburg und dem NS-Kino (DREI UNTEROFFIZIERE, 1939). Michael Wedel untersucht EIN MÄDCHEN GEHT AN LAND unter ideologiekritischen Aspekten. Drei Texte arbeiten sich an performativen Aspekten im Werk von Hochbaum ab, sie stammen von Joachim Schätz, Klaus Neudlinger und Drehli Robnik. Bei Robnik wird speziell die politische Ästhetik in Hochbaums frühem Film BRÜDER untersucht.

Der Anhang enthält eine gut recherchierte Filmografie, eine Auswahlbibliografie und diverse Register. Die 127 Abbildungen haben bestmögliche Qualität.

Hochbaums Changieren zwischen Avantgarde und Konvention, zwischen Hollywood-Bewunderung und europäischem Realismus, zwischen Opposition und Anpassung drückt sich auch in seinen Texten aus, von denen fünf aus den Jahren 1928, 1930 (2), 1937 und 1945 dokumentiert sind. Sie verbinden sich auch mit dem Untertitel des Buches: „An den Rändern der Geschichte filmen“.

Das Buch ist dem ehemaligen Stellvertretenden Direktor des Staatlichen Filmarchivs der DDR, Manfred Lichtenstein (1933-2011) gewidmet, der sich dem Werk von Werner Hochbaum sehr verbunden fühlte.