Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Mai 2013

Jan Drehmel, Kristina Jaspers, Steffen Vogt (Hg.)
Wagner Kino
Spuren und Wirkungen Richard Wagners in der Filmkunst
Junius Verlag, Hamburg 2012
208 S., 24,90 €
ISBN 978-3-88506-029-1

Jan Drehmel, Kristina Jaspers, Steffen Vogt (Hg.):
Wagner Kino.
Spuren und Wirkungen Richard Wagners in der Filmkunst

Der 200. Geburtstag des Komponisten Richard Wagner am 22. Mai wird mit vielen Neuinszenierungen, Veranstaltungen und Publikationen gefeiert. Es gibt neue Biografien, Bücher auch zu sehr speziellen Themen (originell: Kerstin Deckers „Richard Wagner. Mit den Augen seiner Hunde betrachtet“) und eine längst überfällige Untersuchung über Spuren und Wirkungen Richard Wagners in der Filmkunst. Sie ist mit einer Film- und Veranstaltungsreihe im Zeughauskino verbunden.

Die Herausgeber und Kuratoren Jan Drehmel, Kristina Jaspers und Steffen Vogt haben das Buch mit Weitsicht konzipiert. 14 Essays, fünf Dialoge und drei Bildstrecken fügen sich zu einem großen Panorama. Peter Jammerthal wirft zur Eröffnung einen Blick zurück auf Wagner als Filmfigur („Genie und Monster“), beginnend mit dem beeindruckenden Biopic von William Wauer und Carl Froelich, das vor hundert Jahren entstand, endend mit Edgar Selges Wagner im neuesten Ludwig-Film von Peter Sehr und Marie Noelle. Dann geht es um den Einfluss Wagners auf die frühe französische Filmtheorie (Autor: Laurent Guido), die stark an der Musikalität der Bilder interessiert war. Daniel Kothenschulte erinnert an das Spannungsverhältnis zwischen RW und der klassischen Filmavantgarde bis hin zu UN CHIEN ANDALOU von Buñuel und Dali, der bei der Premiere mit Schallplatten von „Tristan und Isolde“-Motiven und argentinischen Tangos begleitet wurde. Ein eigenes Kapitel ist der Konzeptbeziehung zwischen Wagner und Sergej Eisenstein gewidmet (Dieter Thomä). Geringer als allgemein behauptet ist die Präsenz von Wagner-Musik im nationalsozialistischen Film. Reimar Volker bringt hier den Komponisten Herbert Windt ins Spiel, der bei vielen Filmen eine Schlüsselrolle spielte. Eine Wagner-Filmbiografie gab es in der NS-Zeit nicht. Natürlich ist der Wagner-Sound, mitgenommen durch die Exilanten Max Steiner, Franz Waxman und Erich Wolfgang Korngold auch für die Musik des klassischen Hollywoodkinos von großer Bedeutung, weil das System der Leitmotive adaptiert wurde. Autor des Textes: Christian Müller, Filmbeispiele u.a HUMORESQUE (1946) von Jean Negulesco und CASABLANCA (1942) von Michael Curtiz. Steffen Vogt beschreibt die filmischen Variationen des „Fliegenden Holländer“ am Beispiel des DEFA-Films von Joachim Herz (1964), des Melodrams PANDORA AND THE FLYING DUTCHMAN (1951) von Albert Lewin und des Lars von Trier-Films BREAKING THE WAVES (1996). Auch die japanische Avantgarde hat sich über alle Jahrzehnte für Wagner und seine Idee des Gesamtkunstwerks interessiert (Autorin: Maria Roberta Novielli).

Bei Kristina Jaspers, mit der Philosophiegeschichte bestens vertraut, geht es um das Kino der Dekadenz und Nietzsches Kritik als filmische Analyse. Drei Filme spielen in ihrem Text eine besondere Rolle: DUETT FÖR KANNIBALER (1969) von Susan Sonntag, BLACK MOON (1975) von Louis Malle und LA CADUTA DEGLI DIE (1969) von Luchino Visconti. Thomas Macho reflektiert mit Bemerkungen zur Genealogie der space opera über „Wagner im All“, Marcus Stiglegger erinnert an die verschiedenen „Walkürenritte“ im Film, Stefanie Krust widmet sich der Beziehung zwischen Richard Wagner und Lars von Trier, und Jörg van der Horst erkundete, wie Christoph Schlingensief den Komponisten für sich entdeckt hat. Am Ende steht ein Text von Jesko Jockenhövel über Wagners Spuren in der filmischen Popkultur, der in der Ironieästhetik von Timo Vuorensola in IRON SKY (2012) mündet. So baut dieses Buch viele historische und ästhetische Brücken, die bis in die Gegenwart reichen.

In fünf Gesprächen haben die Herausgeber den Schauspieler Edgar Selge, den Dirigenten und Komponisten Frank Strobel, die Regisseure Hans-Jürgen Syberberg, Werner Herzog und Philipp Stölzl zu ihrem Wagner-Bild befragt und viele bedenkenswerte Antworten bekommen.

Die Bildstrecken dokumentieren Entwürfe von Robert Herlth für William Dieterles MAGIC FIRE (1955), von Otto Hunte und Erich Kettelhut für Fritz Langs NIBELUNGEN/SIEGFRIEDS TOD (1924) und PARSIFAL-Installtionen von Hans-Jürgen Syberberg (1982). Auch die Texte und Dialoge sind reich illustriert, selbst die Marginalspalte wird für Anmerkungen und Abbildungen genutzt. Die Druckqualität ist exzellent. Das Umschlagfoto stammt aus Helmut Käutners Film LUDWIG II. (1955).

„Wagner Kino“ ist ein höchst originelles Projekt im Jubiläumsjahr, und dieses Buch ist ein Teil davon. Publikationen haben im Übrigen den Vorteil, dass man sie zur Hand nehmen und nutzen kann, wenn alle Veranstaltungen längst vorüber sind. Das macht auch dieses Buch so wertvoll.