Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
März 2020

Beat Presser
Vor der Klappe ist Chaos
Eine Hommage an den Neuen Deutschen Film
Leipzig, Zweitausendeins 2020
288 S., 49,90 €
ISBN 978-3-96318-054-5

Beat Presser:
Vor der Klappe ist Chaos.
Eine Hommage an den Neuen Deutschen Film

Der Schweizer Fotograf Beat Presser hat neun Jahre lang Protago-nistinnen und Protagonisten des Neuen Deutschen Films interviewt und an Orten, die sie selbst auswählen durften, fotografiert. Die Aus-stellung zum Thema „Aufbruch und Umbruch“ war im vergangenen Jahr in München und ist zurzeit im Willy-Brandt-Haus in Berlin zu sehen. Eine Publikation, die weit mehr ist als ein Katalog, hat jetzt der Verlag Zweitausendeins veröffentlicht. Sie verbindet auf beeindrucken-de Weise Bilder und Texte.

Beat Presser (*1952) ist als Fotograf ein Weltenbummler. Asien, Afrika, Latein­amerika und Europa sind seine Wirkungsstätten. Eine enge Ver-bindung zum Film ergab sich in den 1980er Jahren durch die Zusam-menarbeit mit Werner Herzog bei den Filmen FITZCARRALDO und COBRA VERDE als Standfotograf. Dies dokumentierten Bildbände und Ausstellungen.

Fast zehn Jahre hat Beat an seinem Projekt „Aufbruch ins Jetzt“ gear-beitet und damit eine Hommage an den Neuen Deutschen Film ge-schaffen. 55 bekannte und weniger bekannte Personen aus den ver-schiedensten Gewerken des Films wurden von ihm fotografiert und interviewt. Wir sehen, wie sie heute leben, arbeiten oder unterwegs sind. Die Orte, an denen Beat sie fotografiert hat, erscheinen oft über-raschend durch die Perspektive, durch das Licht, durch die Umgebung.

Ich wähle zwanzig Beispiele aus, die mir persönlich besonders gut gefallen: Mario Adorf in den Ausstellungsräumen des Museums für Film und Fernsehen. Die Kostümbildnerin Barbara Baum in ihrer Wohnung in Berlin. Hark Bohm im Hamburger Hafen. Jutta Brückner auf ihrer Insel in Griechenland. Hans W. Geißendörfer in den Kulissen der LINDENSTRASSE. Erika und Ulrich Gregor im Kino und im Filmarchiv des Arsenal. Jürgen Jürges hinter der Kamera im Arri-Studio in Berlin. Alexander Kluge in der Akademie der Künste. Peter Lilienthal als Groucho Marx an seinem Schreibtisch. Thomas Mauch mit 35mm-Filmbüchsen. Elfi Mikesch unterwegs in Berlin. Ulrike Ottinger in ihrer Wohnung in Berlin. Edgar Reitz im Hunsrück-Museum in Simmern. Volker Schlöndorff im Studio Babelsberg. Hanna Schygulla am Canal Saint Martin in Paris. Ula Stöckl am Holocaust-Mahnmal in Berlin. Rudolf Thome auf seinem Bauernhof in Ihlow. Die Kostümbildnerin Gisela Storch-Pestalozza im Außenlager der Kinemathek. Michael Verhoeven bei Dreharbeiten zu seinem Film GLÜCKSKIND. Joachim von Vietinghoff in Sacrow. Wim Wenders im Tiergarten an der Siegessäule.

Es gibt starke Porträts (Christian Doermer, Bruno Ganz, Reinhard Hauff, Eva Mattes, Helke Sander, Margarethe von Trotta, Angela Winkler) und Aufnahmen in malerischen Umgebungen (Claudia von Alemann im Botanischen Volkspark Blankenfelde-Pankow, Hans-Jürgen Syberberg auf seinem Anwesen in Nossendorf). Die Druck-qualität des Buches entspricht dem hohen Niveau der Fotos.

Sechs der von Beat fotografierten Personen sind in den letzten Jahren gestorben: der Kameramann Michael Ballhaus, der Produzent Peter Berling, der Schauspieler Bruno Ganz, der Musiker und Darsteller Bruno S., die Regisseurin Helma Sanders-Brahms und zuletzt der Autor und Schauspieler Burkhard Driest. Mit Bildern und Texten haben sie einen wichtigen Platz in der Publikation.

Von der Aufbruchsphase des Neuen Deutschen Films in den 1960er und 70er Jahren gibt es keine Bilder in diesem Buch. Sie wird durch die Interviews in Erinnerung gerufen und durch kurze Texte zu den Themen Heimatfilm, Oberhausener Manifest, Autorenfilm, Kamera, Videoausspielung, Ton, Regisseure, Regisseurinnen und die Kino-kultur. So entsteht ein Brückenschlag zwischen damals und heute, zwischen Geschichte und Gegenwart, zwischen Film und Fotografie, zwischen Kunst und Realität. Wie schön, dass ein Schweizer Fotograf die Idee zu diesem Buch hatte und es nach zehn Jahren Arbeit zur Vollendung gebracht hat. Seine Lebensgefährtin Vera Pechel hat ihn dabei unterstützt.

Von Volker Schlöndorff stammt das Vorwort „55 Wege zum Film“.

Der Anhang enthält Kurzbiografien aller Beteiligten.

Mehr zur Publikation: hommage-an-den-neuen-deutschen-film.html