Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Mai 2007

Michaela Krützen
Väter, Engel, Kannibalen.
Figuren des Hollywoodkinos

Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2007
316 S. 12,95 €.
ISBN

Michaela Krützen:
Väter, Engel, Kannibalen.

Das Hollywoodkino darf noch immer geliebt werden. So wie es die Autorin tut. Zu diesem Kino gehört die Standardisierung von Geschichten und Figuren. Es lebt vom Reichtum der Varianten in den narrativen Mustern. Michaela Krützen, Professorin an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film, untersucht acht spezielle Figuren: die blonde Frau (genauer: die Weißblondine), den Außerirdi­schen, den genialen Naturwissenschaftler, den vorbildlichen Vater, den Maschinenmenschen, den Kannibalen, den Himmelsboten und Verliebte in Filmen aus den Jahren 1939, 1967, 1990. Die Kapitel sind unterschiedlich dimensioniert, sie haben einen Umfang zwischen zwanzig und fünfzig Seiten.

Die längste und schönste Passage durch die Hollywoodgeschichte ist den Weißblondinen gewidmet. Weißblond ist „blonder als aschblond, sommerblond, goldblond, venezianischblond, rotblond, sand­blond, honigblond, kupferblond, erdbeerblond. Weißblondes Haar ist sozusagen von blondestem Blond.“ Im Zentrum stehen Jean Harlow (1911-1937) und Marilyn Monroe (1926-1962). Mae West, Betty Grable und Jayne Mansfield sind nicht außer Acht gelassen. Erzählt werden die Lebens- und Karrieregeschichten von Harlow und Monroe in ihrer Vergleichbarkeit und Unterschiedlichkeit. Es geht um Aspekte des Off und On Screen, der Rollentypologie, der Sexualität, der Unschuld, der Zensur, der chemischen Haarbehandlung (mit allen Risiken und Nebenwirkungen von Wasserstoffsuperoxyd, H2O2) und der Selbstzerstörung. Zum Text gehören wenige, aber informative Abbildungen.

Ein Lieblingsthema der Autorin sind die Menschenfresser. Darüber hat sie bereits verschiedene Aufsätze geschrieben. Im Mittelpunkt steht hier natürlich Hannibal Lecter, erfunden von Thomas Harris, im Kino besonders eindrucksvoll verkörpert von Anthony Hopkins. Krützen gibt zunächst einen Überblick über Kannibalen-Figuren im europäischen Autorenfilm, im amerikanischen Campfilm der 70er und 80er Jahre, im Horrorfilm und ihre Ausformung im amerikanischen Mainstream. Detailliert wird dann die Lecter-Figur in Silence of the Lambs und Hannibal interpretiert: eine fundierte Analyse des Psychologen und Psychopathen.

Für die neuen Väter im Hollywoodkino der 80er Jahre hat die Autorin Kramer vs. Kramer als para­digmatischen Schlüsselfilm ausgewählt und dafür eine plausible, an der Dramaturgie orientierte Beweisführung gefunden. Ein Exkurs führt uns bis zu den Schwarzenegger-Filmen der 90er Jahre: Terminator 2, Last Action Hero und Junior.

Das Buch ist differenziert in der Darstellung der Filme und Figuren, klug in der vertiefenden Analyse und dem Hollywoodfilm generell zugeneigt. Mit 466 Fußnoten (Anmerkungen und Zitatquellen) verwissenschaftlicht die Autorin ihre Texte stärker als notwendig. Sie könnte sich von vielen ihrer Lesefrüchte unabhängig machen, weil sie genügend eigene Erkenntnisse anzubieten hat. Das war schon bei Krützens erster USA-Reise zu erkennen: „Dramaturgie des Films. Wie Hollywood erzählt“. erschienen als Fischer Taschenbuch 2004. Das amerikanische Kino bietet noch viel Stoff für eine neugierige Autorin, die lesenswert zu schreiben versteht.