Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
November 2019

Grit Lemke
Unter hohen Himmeln
Das Universum Volker Koepp
Berlin, Bertz + Fischer 2019
320 S., 25,00 €
ISBN 978-3-86505-416-6

Grit Lemke:
Unter hohen Himmeln.
Das Universum Volker Koepp

Er ist einer der großen deutschen Dokumentaristen, hat in den ver-gangenen fünfzig Jahren über sechzig Filme gedreht und wurde im Juni 75 Jahre alt. Das Buch von Grit Lemke würdigt Volker Koepp auf außergewöhnliche Weise: durch zehn intensive Gespräche über seine Filme.

Grit Lemke, langjährige Programmverantwortliche der Leipziger Dokumentarfilm­woche, hat den Band konzipiert und alle zehn Gespräche moderiert. Sie hat dafür 18 Teilnehmerinnen und Teil-nehmer zu Gruppengesprächen ins Kino Krokodil eingeladen oder zu Einzelgesprächen zuhause besucht. Bei sieben Gesprächen war Volker Koepp dabei und hat sich daran rege beteiligt.

Eröffnet wird das Buch mit einem 15-Seiten-Essay von Anke Westphal, die mit dem Werk von Volker Koepp bestens vertraut ist. Ihre vier Kapitel heißen „Anfänge“, „Wittstock“, „Menschen und Landschaften“, „Nach Osten und anderswo“. Mit konkreten Beispielen wird auf die Komplexität der Filme verwiesen, aus denen wir durch Bilder und Gespräche unendlich viel über die Vergangenheit und Gegenwart erfahren. Der Schluss heißt: „Koepps Filme sind so viel zugleich: Nachruf, Beschwörung, Bestandsaufnahme und Einspruch. Darin sind sie einzigartig.“ (S. 31).

Am ersten Gespräch nahmen der Kinobetreiber Gabriel Hageni, der Schnittmeister Christoph Krüger, die Dramaturgin Anne Richter, der österreichi­sche Filmemacher Bernhard Sallmann, der ehemalige Leiter der Duisburger Filmwoche Werner Ružička und Volker Koepp teil. Es geht um Landschaft, Zeit, Rhythmus. Die gesichteten Filme waren DAS WEITE FELD (1976), HAUS UND HOF (1980) und WIEDERKEHR – REISEN ZU JOHANNES BOBROWSKI (2017). Die Beobachtungen der Beteiligten fügen sich zu einer ersten Bestands­aufnahme, es werden die spezifischen Qualitäten der Filme von Volker Koepp deutlich. Krüger und Richter erinnern sich an wichtige Momente der Zusam­menarbeit mit ihm. Sallmann dreht in der Region um Berlin mit ähnlicher Methode. Ružička stellt die Filme in größere Zusammenhänge. Am Ende erzählt Koepp von der Arbeit an dem Film AFGHANISTAN 1362 (1983).

Das zweite Gespräch führt uns zurück in die 1970er und 80er Jahre. Teilnehmer waren der Kameramann Christian Lehmann, die Schnittmeisterin Bärbel Lehmann, der Produktionsleiter Frank Löprich, die Dramaturgin Anne Richter und Volker Koepp. Sie haben bei zahlreichen Filmen – u.a. auch beim WITTSTOCK-Zyklus – zusammengearbeitet, erinnern sich an Begrenzungen durch Zuweisun­gen des 35mm-Materials, kommen aber zu dem Resultat: „Beim Drehen haben wir uns frei gefühlt“.

Beim dritten Gespräch trafen sich der Filmkritiker Matthias Dell, die Produzentin Barbara Frankenstein, die Protagonistin Elena Gromova, die Produktionsleiter Fritz Hartthaler und Frank Löprich, die Drama-turgin Anne Richter und Volker Koepp. Gesichtete Filme waren TAG FÜR TAG (1979) und BERLIN – STETTIN (2009). Hier sind vor allem die Protagonistinnen das Thema – wie man sie findet, wie man mit ihnen spricht, wenn die Kamera läuft, wie man mit ihnen in Verbindung bleibt. Auch hier gilt das Verhalten von Volker Koepp als beispielhaft für einen Dokumentaristen.

Dann folgen zwei Einzelgespräche: mit der Protagonistin Elena Gromova, die IN SARMATIEN eine starke Präsenz hat und bei verschiedenen späteren Koepp-Projekten organisatorisch mitwirkte. In Kaliningrad hat sie ein eigenes Dokumentarfilm-Festival gegründet. Die Überschrift des Gesprächs lautet „Er ist ein Mammut“. Das zweite Einzelgespräch wurde mit Barbara Frankenstein geführt, die zunächst als Redakteurin bei SFB und ab 1998 als Produzentin (Firma: Vineta Film) seit fast dreißig Jahren an allen Filmen von Volker Koepp beteiligt war. Überschrift: „Einen sinnlichen Kosmos entwerfen“.

In zwei Gesprächen wird das Engagement von Fernsehredakteuren deutlich. Werner Dütsch (ehemals WDR, wenige Tage nach der Aufzeichnung des Gesprächs verstorben) erzählt, dass er 1989 in Leipzig MÄRKISCHE ZIEGEL gesehen hat und nach dem persönlichen Kennenlernen von Volker in den folgenden Jahren eine enge Zusammenarbeit entstand. Sie betraf vor allem die Filme MÄRKISCHE GESELLSCHAFT MBH, SAMMELSURIUM, DIE WISMUT, KALTE HEIMAT, HERR ZWILLING UND FRAU ZUCKERMANN. Dütsch war bis zu seiner Pensionierung 2004 mit dem WDR eine Säule der Finanzierung und sorgte dafür, dass Koepps Filme ins Programm kamen, auch wenn sie gelegentlich durch ihre Länge schwierig zu platzieren waren.

Rolf Bergmann (Fernsehredakteur beim rbb) betreut seit IN SARMA-TIEN (2013) die Filme von Volker Koepp. Sein Gesprächsbeitrag vermittelt viel von der heutigen Fernsehrealität und von der indivi-duellen Wertschätzung einzelner Künstler, die für einen Redakteur noch möglich ist.

Ein viertes Gruppengespräch: mit dem Produktionsleiter Fritz Hart-thaler, der Protagonistin Tanja Kloubert, dem Kameramann Thomas Plehnert und Volker Koepp. Hier geht es vor allem um die Zusam-menarbeit in den vergangenen dreißig Jahren, um technische Veränderungen, Finanzierungen, organisatorische Fragen und den persönlichen Umgangsstil von Volker Koepp, der für das künstlerische Ergebnis oft entscheidend ist.

Mit dem Produktionsleiter Fritz Hartthaler wurde auch ein Einzelgespräch geführt („Ich bin sozusagen der Cleaner“). Und am Ende ist ein Gespräch mit dem Verleiher Björn Koll zu lesen, der mit der Firma Salzgeber & Co. seit 1999 die Filme von Volker Koepp ins Kino bringt und anschließend als DVD/Blu-ray veröffentlicht.

Der Anhang enthält eine Koepp-Biografie, eine von Johannes Roschlau hervor­ragend recherchierte Filmografie, Hinweise auf die Filmver-fügbarkeit und eine Bibliografie.

Mit einem Geleitwort von Ralf Schenk, einer Vorbemerkung von Volker Koepp und einer Einführung von Grit Lemke.

Das Buch erweist sich als Mosaik, man ist bei der Lektüre im Vorteil, wenn einem die Filme von Volker Koepp vertraut sind. Ich habe sie im Lauf der Jahre fast alle gesehen. Meine absoluten Favoriten sind die WITTSTOCK-Filme, HERR ZWILLING UND FRAU ZUCKERMANN, IN SARMATIEN und zuletzt LANDSTÜCK und SEE­STÜCK. Durch die hier dokumentierten Gespräche wird noch einmal deutlich, unter welchen Bedingungen Volker Koepp seine Filme realisiert hat, welche wichtige Rolle seine Protagonisten und vor allem seine Protagonistinnen spielen, warum die Filme so lang sein müssen, wie sie sind. Eigentlich ist Volker ein eher schweigsamer Mensch. Erstaunlich, welche Eloquenz er in den Gesprächen entwickelt, wie gut er sich erinnern kann und was für ein bescheidener Mensch er geblieben ist. Ich verneige mich.

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