Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Mai 2016

Anton Kaes, Nicholas Baer, Michael Cowan (Hg.)
The Promise of Cinema
German Film Theory, 1907-1933
University of California Press, Oakland, California 2016
682 S., 62 € (Paperback) / 141,75 € (Hardcover)
ISBN: 978-0-52021-908-3 (Paperback)

Anton Kaes, Nicholas Baer, Michael Cowan (Hg.):
The Promise of Cinema.
German Film Theory, 1907-1933

Zur Geschichte des Films gehören nicht nur die Filme selbst, sondern auch die theoretischen Überlegungen, die man sich über das Medium gemacht hat. In Deutschland ist damit früh begonnen worden, und die Zahl der grundlegenden Texte über Film und Kino vor allem in der Zeit der Weimarer Republik erscheint unendlich groß. Für das Buch „The Promise of Cinema“ haben die drei Herausgeber Anton Kaes, Nicholas Baer und Michael Cowan 278 Texte ausgewählt, die sich mit verschiedenen Schwerpunkten der deutschen Filmgeschichte und Filmtheorie in der Zeit von 1907 bis 1933 beschäftigen. Die meisten werden zum ersten Mal in englischer Sprache publiziert. Das Buch ist soeben im Verlag „University of California Press“ in Oakland erschienen.

Vor fast vierzig Jahren hat Tony Kaes, seit 1981 Professor für Film und Media in Berkeley, die Basis für das Buch „The Promise of Cinema“ gelegt: 1978 erschien im Verlag Max Niemeyer in Tübingen (und parallel bei dtv als Taschenbuch) seine Anthologie „Kino-Debatte“, ein Band mit vierzig Texten zum Verhältnis von Literatur und Film 1909-1929. Es lag natürlich nahe, das inhaltliche Spektrum zu erweitern und ein grundlegendes Sammelwerk mit zeitgenössischen Texten zur deutschen Filmtheorie zu erarbeiten. Das hat seine Zeit gedauert und wurde jetzt von den drei Herausgebern erfolgreich abgeschlossen. Man kann das Buch durchaus als Schatztruhe bezeichnen und nur bedauern, dass nicht parallel eine deutsche Ausgabe erschienen ist. Alexander Kluge hat seine Anerkennung für „The Promise of Cinema“ so formuliert: „This extraordinary book expands all horizons of cinema. Its utopian vision inspires us to imagine a film art for the twenty-first-century.“

Der Band ist klug strukturiert. Drei Teile schaffen eine erste Ordnung: Section one – Transformations of Experience, Section two – Film Culture and Politics, Section three – Configuration of a Medium. 18 Kapitel führen uns dann jeweils thematisch durch die Zeiten: 1. A New Sensorium. 2. The World in Motion. 3. The Time Machine. 4. The Magic of the Body. 5. Spectatorship and Sites of Exhibition. 6. An Art for the Times. 7. Moral Panic and Reform. 8. Image Wars. 9. The Specter of Hollywood. 10. Cinephilia and the Cult of Stars. 11. The Mobilization of the Masses. 12. Chiffres of Modernity. 13. The Expressionist Turn. 14. Avant-Garde and Industry. 15. The Aesthetics of Silent Film. 16. Film as Knowledge and Persuasion. 17. Sound Waves. 18. Technology and the Future of the Past.

Zu jedem publizierten Text gibt es nicht nur eine präzise Quellengabe, sondern auch Informationen über den Autor/die Autorin, Hintergründe und die Zielrichtung. Mit dieser Einführung haben sich die Herausgeber viel Arbeit gemacht, die aber für uns Leser sehr lohnend ist.

14 Texte im Buch stammen von Siegfried Kracauer, er ist damit der Spitzenreiter, gefolgt von Béla Balázs (13). Mit großem Abstand folgen Kurt Pinthus (5), Lotte H. Eisner und Kurt Tuchosky (je 4), Rudolf Arnheim und Walter Benjamin (je 3). Natürlich findet man so kanonisierte Texte wie „If I Only Had the Cinema“ von Carlo Mierendorff (1920), „Expressionism in Film“ von Robert Wiene (1922) oder „The Interpretation of Dreams in Film“ von Hanns Sachs (1926), aber auch (mir) ganz unbekannte wie „Against a Cinema That Makes Women Stupid“ von P. Max Grempe (1912), „Theater, Pantomime, and Cinema“ von Friedrich Freksa (1916) oder „The Film of Factuality“ von Robert Breuer (1927).

Mehr als zwanzig Texte stammen von Regisseurinnen und Regisseuren, zum Beispiel von Fritz Lang (6), Walter Ruttmann (5), Hans Richter (3), Ernst Lubitsch (2), Georg Wilhelm Pabst (2), Henrik Galeen, Paul Leni, Max Mack, Joe May, Friedrich Wilhelm Murnau, Lupu Pick, Lotte Reiniger, vier von Kameraleuten (Karl Freund, Carl Hoffmann, Eugen Schüfftan, Guido Seeber), drei von Komponisten (Giuseppe Becce, Edmund Meisel, Kurt Weill) – und sehr viele von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, zum Beispiel von Vicki Baum, Bertolt Brecht, Max Brod, Alfred Döblin, Walter Hasenclever, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus, Heinrich Mann, Alfred Polgar, Joseph Roth, Berthold Viertel.

Die Jahre von 1907 bis 1933 waren für den Film eine Epoche mit vielen Veränderungen: politisch vom Kaiserreich zur Weimarer Republik mit dem Ersten Weltkrieg als Zäsur, technisch vom Stummfilm zum Tonfilm, ökonomisch mit der Inflation 1923 als Wendepunkt, ästhetisch mit der Etablierung des Erzählkinos 1913, dem Expressionismus der Jahre 1920 bis 24 und der anschließenden Neuen Sachlichkeit. Je mehr man sich in das Buch vertieft, umso mehr wird einem die Bedeutung dieses Zeitabschnitts klar – in den Texten, aber auch in den Informationen der Herausgeber. Da gibt es noch viel Lesestoff für die nächste Zeit. Ich hoffe, ich habe erst einmal neugierig auf das Buch gemacht.

Coverdesign: Glynnis Koike (finde ich als Hommage an die 20er Jahre sehr gelungen).

Für das Buch wurde zur inhaltlichen Vertiefung eine eigene Website eingerichtet: www.thepromiseofcinema.com/

Mehr zum Buch: www.ucpress.edu/book.php?isbn=9780520219083